Carmen Sylva (1843-1916) - Liebesgedichte

Carmen Sylva

 

Carmen Sylva
(1843-1916)



Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 


 


Die Göttin

Und ist die Liebe Sünde,
Wer hat sie denn gemacht?
Und ist es Höllenfeuer,
Wer hat es denn entfacht?

Und ist sie ungeberdig,
Wer hat sie so gewollt?
Und ist sie zu tyrannisch,
Wer hat darob gegrollt?

Die Lieb ist Trank und Speise,
Die Lieb ist höchste Kraft,
Die Lieb ist Göttergabe,
Die Lieb ist Lebenssaft.

Doch wehe, wer die Göttin
In niedre Bahnen schleift!
Sie sengt die frechen Hände,
Die sie zu rauh gestreift.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 2)
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Zaghaft

Du wähnst Dich arm, Du süße Maid,
Seit Liebe Dich befangen?
Zieh an des Herzens Feierkleid,
Die Sonn ist aufgegangen.

Sie scheint um Dich, in Dich hinein
Mit solchen großen Strahlen,
Du bist zu schwach, zu zart und klein,
Drum fühlst Du Todesqualen.

Doch wisse, süßes Mägdlein Du,
Bist selbst die kleine Sonne,
Man zagt vor Dir, tritt stumm herzu,
Und bebt vor solcher Wonne!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 5)
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Der Gast

Die Blumen sind wohl alle krank?
Sie können das Blühen nicht lassen!
Und was den Menschen nur fehlen mag,
Daß sie sich zärtlich umfassen?

Die Vögel werden schon ganz verrückt,
Die trillern in allen Sträuchern,
Und wie beim Hochamt ist lauter Duft,
Ein unaufhörliches Räuchern.

Wie hat Frau Erde sich arg geschmückt?
Wen will sie so festlich empfangen?
Sie hat in den prunkenden Himmelssaal
Die größte Sonne gehangen!

Und der da kommt, ist ein großer Herr,
Ihm bläst es voran mit Posaunen,
Viel tausend Bläser mit Riesengewalt
In den Wolken schießen Karthaunen.

Vor seinem Wagen wird Gold gestreut,
In hundertfarbigen Tropfen,
Die fallen zu Boden und rufen: Heraus!
Mit herzbethörendem Klopfen.

Drum können die Blumen ja Nichts dafür
Daß aus dem Boden sie müssen,
Und daß die Vögel so unverschämt,
Und daß die Menschen sich küssen!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 5)
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Das Erwachen

Wo waren nur alle die Blumen versteckt,
Die nun zum Blühen gekommen?
Was hat die Mägdlein vom Schlaf erweckt,
Die nun in Schönheit entglommen?

Das war ein einziger leichter Hauch,
Man weiß nicht, von wo er geblasen,
Er küßte die Bäume, die Blumen, den Strauch,
Die Wangen, die Erde, den Rasen.

Und sie wußten gar nicht, daß sie geküßt,
Bemerkten nicht ihr Benehmen;
Denn wenn es der Spröden Eine nur wüßt,
Sie würde zu Tode sich schämen.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 7)
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Unstät

Warum ist Liebe wandelbar?
Die kleine Maid, die scheue,
Ist flatterhaft und liebt wohl gar
Ein wenig sehr das Neue?

Sie hat auch gar zu viel zu thun,
Vermittelt viele Küßchen,
Der Blüthenstaub läßt sie nicht ruhn,
Sie macht die kleinen Nüßchen.

Die Nüßchen mit dem süßen Kern,
Die hat sie ausgesäet,
Und Blumenflocken, Stern an Stern,
Die hat ihr Hauch verwehet.

Und wer sie hält am Kleidersaum,
Der meint sie zu besitzen,
Derweil schon rastlos durch den Raum
Die Schelmenaugen blitzen.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 8)
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Räthsel

Im Mondenschein,
Im Rosenhain
Ein zärtliches Viertelstündchen!
Wie macht Natur
So künstlich nur
Einfältige Rosenmündchen?

Am Waldesrain
Zu Zwein allein,
Man findet sich ohne Säumniß!
Wie macht Natur
So einfach nur
Der mächtigen Lieb Geheimniß?

Man hat am Stein
In zartem Schrein
Ein drittes dann aufgelesen -
Wie macht Natur
So vielfach nur
Die stets sich ähnlichen Wesen?

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 9)
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Phönix

O Wunderkraft der Liebe!
O Liebeswunderkraft!
Als ob je ruhn sie bliebe,
Hätt jemals ausgeschafft!

Sie ruhet in sich wieder
Von ihrem Schaffen aus,
Sinkt in sich selber nieder,
Steigt jung verschönt heraus.

Sie braucht nicht erst zu brennen,
Um kühn sich zu befrein,
Sie darf sich selbst nur nennen
Und strahlend steht sie, rein.

Sie dient und herrscht und wandelt
Als wenn sie sterblich wär!
Und schafft und giebt und handelt
Als wär sie göttlich, hehr.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 13)
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Du sollst im Zaume halten die Leidenschaft,
Doch niemals lassen erkalten die Leidenschaft,
Du bleibst ein Dämon, Held und Gott,
Kannst Du in Gluth erhalten die Leidenschaft.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 15)
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Alt Jüngferchen

O Liebe! leuchtendes Himmelskind,
Mit göttlichen Urgewalten!
Du wehst vorüber wie warmer Wind,
Ein Athmen über die Welt, da sind
Viel tausend neue Gestalten!

O Liebe! breite die Flügel weit
Ob all den heiligen Stätten,
Da Deine Samen Du hingeschneit,
So blüthenfiedrig, im Wolkenkleid,
In Kelches Schooß sie zu betten!

O Liebe! geh nicht vorbei! dort steht
Noch eine Blume verlassen
In stiller Trauer! fast ists zu spät,
Sie neigt das Häuptchen und flüstert, fleht
Um unbedachtes Umfassen.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 33)
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Spröde

Komm her, daß ich Dirs sage,
Was mir im Herzen spricht:
Ich fühle - nein, ich wage
Dirs laut zu künden nicht!

Doch ward das Wort gegeben,
Damit man reden kann;
Nun ja! drum fang ich eben
Es laut zu sagen an.

Die tiefen Athemzüge
Laß nur erst stille sein,
Des Herzens wilde Flüge
Schließ in das Wort ich ein.

Es soll, wie Engelstimmen,
Wie hoher Sphärensang,
In Deinem Herzen glimmen
Das ganze Leben lang.

Doch darfst Du her nicht blicken,
Mußt wenden Dein Gesicht,
Nicht Lachen? Seufzen? Nicken? -
Ich - nein! ich sag es nicht!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 35)
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Ein Sonnenblick

Ich soll nicht weinen,
Wenn ich Dich seh?
Doch thut die Freude
Mir gar zu weh!

Ich soll nicht weinen,
Nach langer Qual,
Weil durchgebrochen
Ein Sonnenstrahl?

Ich soll nicht weinen?
Da leidgekrönt
Ich doch vom Freuen
Schon lang entwöhnt?

Ich soll nicht weinen!
Du weißt es nicht,
Wie heiß ersehnet
Dein lieb Gesicht!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 49)
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Am Forellenteich

Im Wald entspringt die Quelle
So warm, aus Erdenschooß,
Daß immer grün die Stelle,
Wo sie herniederfloß.

Wenn ringsumher erstarrte
Natur, im Eiseswehn,
Dort Halm und Blatt verharrte
Noch maiengrün und schön.

Sag nicht, Dir sei erstorben
Die Welt und ihre Pracht,
Klag nicht, Dir sei verdorben
Die Jugend über Nacht.

Laß aus dem Herzen immer
Nur Liebe, Liebe gehn,
Dann bleibt Dir Lebensschimmer,
Dein Antlitz jung und schön.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 52)
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Betrogen

Es hat der Felsen die Tanne geliebt
Und hat sie auf Händen getragen,
Hat niemals ihr fröhlich Wachsen getrübt,
In der Jugend blühenden Tagen.

Für ewig wähnte der Fels sie Sein,
Weil sie so fest ihn umschlungen,
Weil in sein altes, hartes Gestein
Der Liebe Würzlein gedrungen.

Da schwoll zum Sturme der Westwind schnell,
Der wollte die Tanne haben,
Es kämpft um die Schlanke der wilde Gesell,
Mit dem alten, verliebten Knaben.

Und die Tanne? - sie riß sich zitternd los
Von dem langgekannten Gesteine,
Sie wankte, sie stürzte in Sturmes Schooß
Hinab, und wurde die Seine.

Doch er, der Treulose, sah sie kaum,
Er brauste mit Lachen von dannen,
Er fuhr durch der Felsen zerklüfteten Raum
Und suchte nach anderen Tannen.

Sie fühlte die kraftlosen Zweiglein all
Erzitternd ins Leere fassen,
Dann war ein Wirbel, ein Graus, ein Fall,
Sie lag im Grunde, verlassen.

Es sah der arme, vergessene Thor
Die Theure zerschmettern, zerschellen,
Da brachen aus seinem Herzen hervor
Unendliche Thränenquellen.

Die sandt er ewig ihr nach, zu Thal,
In unerschöpflichen Fluthen,
Als sollt der Felsen an seiner Qual
Viel tausend Jahre verbluten.

Wohl drängen die Tannen sich rings umher
Und winken im Jugendschimmer,
Umsonst - er achtet auf Keine mehr,
Er weint um die Eine noch immer.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 57-58)
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Alpenglühen

Es stand der Fels in Sonnengluth
Den Tag entlang,
Sie hat am Herzen ihm geruht,
Bis Untergang.

Was Wunder, daß er rosgen Schein
Zu Thal gesandt?
Ist doch der arme alte Stein
In Lieb entbrannt!

Und giebt der Erde scheu zurück
Den warmen Strahl,
Und steht und träumt von seinem Glück,
Zu seiner Qual.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 62)
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Im Forsthaus

Die Freude kehrte bei mir ein,
Ich schmückte Haus und Herz,
Der Göttin bracht ich Opfer dar,
Mit Tanz und Sang und Scherz.

O liebe Freude, weile doch,
Du bist so wunderschön, -
Wie wandelst Du so duftig, leicht,
Singst himmlisches Getön!

Sie sah mir in die Augen tief
Und küßte mir das Haar,
Noch fühlt ich ihren Flügelschlag,
Als sie verschwunden war.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 62)
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Wind

Der Baum ist die Leyer,
Der Sänger der Wind,
Er weiß sie zu spielen,
Bald stark und bald lind.

Er singet Balladen,
Er schmeichelt, er preist,
Erzählt, wie er sieghaft
Die Welt hat umkreist.

Es flüstert die Leyer,
Sie braust und sie weint,
Und hat mit den Liedern
Ihr Tönen vereint.

Und unten der Wildbach
Wird rasend und schäumt,
Die fliehende Wolke
Kommt näher und träumt.

Die Gräser und Blumen
Verneigen sich sacht,
Der Felsen giebt Antwort,
Auch er ist erwacht.

Berauschet vor Liebe
Erzittert Natur,
Der Baum ist die Leyer,
Der Wind Troubadour.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 65)
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Sturm

Mir ist es zu knapp in der Welt,
Zu enge der Wolken Gezelt,
Ich will laufen!
Zu leise der Sphärengesang,
Ein Jammer der irdische Klang,
Ich will brausen!

Zu langsam die Sonne sich regt,
Die Erde zu flau sich bewegt,
Ich will schütteln!
Der schläfrige Mond und der Stern,
Die blinzeln erlöschend von fern,
Ich will rütteln!

Es schlummert die Luft wie ein Kind
Und athmet so leise, so lind,
Ich will rasen!
So komm nur zum wirbelnden Tanz,
Ich spiel ein Orchester Dir ganz,
Ich will blasen!

Dort wandelt ein Mägdlein herum,
Noch blickt sie nach Keinem sich um,
Sie soll müssen!
Ich zause das Röckchen, das Haar,
Ich drehe und wende sie gar -
Ich will küssen!

Das Meer ist so flach und so matt,
Von Sonnenstrahlen so satt,
Ich wills bauschen!
Und hei! wie sichs schüttelt und bäumt,
Wuthbrüllend sich wälzet und schäumt,
Es soll rauschen!

Die Wälder entwurzelt mein Schritt,
Den Bergstrom, den Fels nehm ich mit,
Es muß krachen!
Und wenn mich die Furchtsamen fliehn,
So treib ich noch Spuk im Kamin -
Ich will lachen!

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 73-74)
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Ewige Liebe

Wars daß der dunkle Tannebaum
Die Buche sich erkor?
War sies, die sich im Jugendtraum
In seinem Arm verlor?

Sie halten sich umschlungen fest
Für alle Lebenszeit,
Es schmückt sein düsteres Geäst
Ihr wechselnd Farbenkleid.

Und da ihr Kleid zur Erde fällt,
Schützt sie sein starker Arm,
Vor eisig kalter, rauher Welt
Hält er die Zarte warm.

Und wenn im Frühling er sein Weib
Sieht jugendfrisch erblühn,
Vor Freude schmückt den alten Leib
Er selbst mit jungem Grün.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 79)
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Der Falter

Es ist das Glück ein Schmetterling,
Der flattert, farbenprächtig,
Von Blum zu Blume, schlürft den Thau
Und schaukelt sich bedächtig.

Sein Weg ist Luft, sein Lieben Rausch,
Sein Sinn dem Licht entgegen,
Nicht Körper-, nicht Gedankenlast
Hemmt seiner Flügel Regen.

Doch ach! die Farbenpracht ist Staub,
Sein Leben eine Stunde,
Sein Lieben ist ein Augenblick,
In duftger Blüthenrunde.

O rühre nicht den Falter an,
Zu hart sind Deine Hände,
Zu dumpf ist Deines Hauses Luft,
Zu rauh sind seine Wände.

Er flattert sich die Flügel lahm,
Und streift den Staub von hinnen; -
Im Abendschatten liegt er todt,
Und Deine Thränen rinnen.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 115)
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Ueber die weiße Fläche
Gleitet ein todtes Blatt,
Das der Baum ließ fallen,
Der Wind gejaget hat.

So fällt ein todtes Herze
Herab vom Weltenbaum,
Willen- und planlos flatterts
Allein durch weiten Raum.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Höhen und Tiefen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 134)
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Wüstenklänge

Andalusiens Zaubergarten
Schauert nächtlich Blüthen nieder,
Auf des dunkeln Wüstensohnes
Stürmisch heiße Liebeslieder.
Ach! er sucht die Wüstenblume,
Sucht die flüchtige Gazelle,
Die Oasis seiner Augen,
Seines Herzens frische Quelle.
Und er hemmt den Strom der Lieder,
Athemlos hinauszulauschen,
Zärtlich senden weiße Blumen
Ihren Duft, ihn zu berauschen.
Reich geschmückt, von Golde glänzend,
Steht das Haus im Mondenscheine.
Stille rings; nur seine Klage
Zittert durch die Nacht alleine.
Nicht Paläste hat die Wüste,
Doch der Theuern Zelt zu schmücken,
Wagt er manchen blutgen Kriegszug,
Nur nach neuen Teppichstücken,
Nur um ihre beiden Grübchen,
Ihrer Zähne Glanz zu schauen,
Während ihre Worte perlend
Auf sein heißes Herze thauen.
Als ein fremder Scheich sie raubte,
Hört er ihren Angstruf hallen,
Auf dem Hengste hat er windschnell
Ihren Räuber überfallen.
Blutig war und heiß das Ringen,
Bis der Scheich sich wälzt im Sande,
Bis sein Falkenauge brechend
Zu ihr schweift im letzten Brande. -
"Ewig will ich Dir gehören!"
Sprach sie sanft, den Hengst besteigend,
Und an seine Brust ihr Köpfchen
Ohne Widerstreben neigend.
Doch, als wieder er gekommen,
Sie zu mahnen, sie zu fragen,
War verschwunden die Geliebte,
Vom Samume fortgetragen.
Furchtbar war sein Schmerz zu schauen:
Mit zerrissenem Gewande
Fluchte er der Maid, dem Schicksal,
Stöhnend in dem heißen Sande,
Raffte sich empor, um hallend,
Weithin einen Schwur zu schwören,
Durch die ganze Welt das Mägdlein
Nie zu suchen aufzuhören.
Andalusiens Zaubergarten
Hat ihn endlich aufgenommen,
Und vor ihres Hauses Schwelle
Ist er singend angekommen.
Nacht um Nacht will mit den Liedern
Aus der Heimat er sie rühren,
Um sie, in den starken Armen,
In die Wüste zu entführen.
Aber Andalusiens Düfte
Haben sie zu lind umfangen,
Nach der ernsten Heimath hegt sie
Wohl schon längst nicht mehr Verlangen!

Horch! da nah'n Gazellenschritte,
Und Gazellenaugen leuchten!
Will der Thau vom Himmel fallen,
Um die Erde zu befeuchten?
Und zwei weiße Arme schlingen
Sich um seinen Nacken; Flehen
Klingt in seinem Ohre: "Trauter!
Liebst du mich, so mußt Du gehen!
Jedes Deiner süßen Lieder
Bringt nur Bangen, Schmerz und Noth mir,
Deine Liebe zu genießen,
Brächte mir den sichern Tod mir.
Die Gazelle liegt gefangen,
Hat die Freiheit fast vergessen,
Darf im Traume kaum mehr wissen,
Daß sie Dich dereinst besessen!"
Und zwei Lippen hängen trunken
An den Seinen. Blitzesschnelle
Zuckt sein Stahl und birgt im Busen
Bis an's Heft sich der Gazelle.
An dem nächsten Baum zerschmettert
Liegt die Leyer: "So erreiche
Meine Rache ihren Vater,
Ihren Stamm mit einem Streiche!"
Einmal muß er zu der holden,
Stummen Braut sich niederbücken,
Auf die kalten, weißen Lippen
Einen heißen Kuß zu drücken.
Dann erhebt er sich und wendet
Sich zur fernen Heimat wieder. -
Andalusiens Zaubergärten
Regnen zärtlich Blüthen nieder.

aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Balladen und Romanzen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 25-29)
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Neapel

Ich dachte, das wäre die Liebe,
Nun weiß ich: sie war es nicht!
Es war ein flüchtiges, zartes,
Feinduftiges Frühlingsgedicht.

Es war nach dem ewigen Sterben
Ein Fliederblühen im Mai,
Und war mit den ersten Rosen
Verträumt, vergangen, vorbei.

Und in Neapel am Strande,
Da macht' ich in Buchsbaum ein Grab,
Und warf mit Orangen und Veilchen
Mein Jugendlieben hinab.

Und meinte, daß sehr zu beklagen
Ich sei, und gebrochen das Herz,
Und nährte in Mondschein und Düften
Den ersten schmerzlosen Schmerz.

Nie hab' ich von Menschenmunde
Das Wort: Ich lieb' dich! gehört,
Ich wäre wie Wellen vorm Winde
Entflohen, gekränkt und empört.

Ich war nicht zum Lieben geboren,
Und liebte das Liebhaben doch, -
Im sonnigen Gold von Neapel
Da lächelt in Blumen es noch.

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 8-9)
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Die Sonne sprach von Liebe,
Daß Liebe Leben weckt,
Und hat mit glühenden Pfeilen
Verhöhnt mich und geneckt.

Da ward in mir ein Wüthen,
Ein heißes Sehnen wach,
Weil mir's, der Niebezwung'nen,
An Strahlenkraft gebrach.

Da hab' ich Stirn und Haare
Mit Feuerglanz geschmückt,
An meinem Wogenbusen
Die Erde todtgedrückt.

Ich hab' der stillen Sonne
Gezeigt, was Singen heißt,
Wie man zerflatternd, jauchzend,
Sich und die Welt zerreißt.

In meine dunkeln Augen
Sah sie mit goldnem Licht:
Du arme Unfruchtbare!
Die Liebe kennst du nicht!

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 48-49)
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So wie zum Meer hinab der Felsen steigt,
So hat mein Herz zur Liebe sich geneigt,
So wie zum Meer hinab der Felsen steigt.

So wie die See das Felsgestein zerschlägt,
So wird die Seele seufzend mir bewegt,
So wie die See das Felsgestein zerschlägt.

So wie das Schiff vom Meer davongetragen,
So wollte meine Seele Lieb' erjagen,
So wie das Schiff vom Meer davongetragen.

So wie der Stern, den angeblickt die See,
So zitterte mein Herz vor Liebesweh,
So wie der Stern, den angeblickt die See.

So wie die See aufsaugt der Sonnenstrahl,
So starb die Seele mir vor Liebesqual,
So wie die See aufsaugt der Sonnenstrahl.

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 61)
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Mondstrahlen zittern in den Wellen,
So wie mein Herz, wenn ich dich kommen sehe,
Denn wie der Morgen süß ist deine Nähe,
Nach schwerem Traum. Nach hast'gem, hellem,

Mühvollem Tag die Nacht. Voll Kränken
Erzittern so die Strahlen, weil sie zagen,
Die Wogen werden sie von hinnen tragen,
Die Wasser werden sie ertränken.

Komm' mit zum Strand, den Mond zu bitten,
So ängstlich nicht zu sein. Soll ich in Scherzen
Geschichten ihm erzählen uns'rer Herzen,
Dein Haar ihm zeigen, golddurchglitten?

Du hast die Mutter nie gesehen,
An deren Busen gern ich weinend schliefe,
Phtais, und zu der ich schmerzvoll riefe:
Was ließt du ohne Schiff mich gehen?

Zum Meere trüge mich die Jolle,
Der Ocean wär' mir die tiefe Schale,
In die mein Herz ich ungezählte Male
Seufzend geleert, das übervolle.

Sie hätte gut das weiße Haus verstanden,
Das Häuschen in Olivensatten
Wie Milch, zu klein den großen, satten,
Von dir erfüllten Herzenslanden.

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 91-92)
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An Mgylis

Als du gestorben bist, o Mgylis, Mgylis,
Da hab' ich mir dein langes Haar genommen,
Und macht' ein Segel draus, o Mgylis, Mgylis,
Mit leichtem Segel ist mein Schiff geschwommen.

Wie reife Reben war's, o Mgylis, Mgylis!
So golden, wie der Harfen zarte Saiten,
Die Seelen fangen sich, o Mgylis, Mgylis,
In deinem Haar und können nicht entgleiten.

Dein Haar geht mit auf's Meer, o Mgylis, Mgylis!
Wenn sich der Abend senkt, wie dunkel
Zum Berghang Adlerzüge, Mgylis, Mgylis,
Noch dunkler ob dem Sterngefunkel.

Am Strand ist's Meer so lustig, Mgylis, Mgylis,
Weil es die Bäume, Häuser spiegelt,
So traurig ist die Weite, Mgylis, Mgylis,
Die meine Einsamkeit besiegelt.

In meiner Barke wein' ich, Mgylis, Mgylis,
Das Meer die Taube, die der Sperber
Im Niederstoßen trifft, o Mgylis, Mgylis,
Mich traf der Sturm nicht, der Verderber!

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 104-105)
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Meerleuchten

Es geht ein Strahlen von sprühendem Licht
Durch die feierlich rauschenden Wellen,
Das sich unendlich in Funken bricht,
Um aus dem Sande zu schnellen -
O hört, o hört wie das Leuchten spricht:
Die Liebe geht durch die Wellen!

Die hundert Millionen Wesen sind
Entflammt von Liebe, die Weiten
Erglänzen, ein Brennen rinnt
Dahin, ein silbernes Schreiten,
Bis sie vor Liebe gestorben sind -
Die Liebe geht durch die Weiten!

Ein einzig Strahlen und dann der Tod,
Die Ruder in Edelsteinen,
In Diamanten gleitet das Boot,
Ich schreib' Deinen Namen und Meinen
In Feuer im Sande, das sprüht und loht -
Die Liebe geht durch das Scheinen!

Nun einmal lieben und dann vergehn,
Versinken ins ewig Leere,
Vom eignen Feuer verzehrt, verwehn,
Daß Liebe Liebe gebäre,
Zu ewig sterblichem Auferstehn -
Die Liebe geht durch die Meere!

aus: Meerlieder von Carmen Sylva
 Bonn 1891 (S. 108-109)
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Wenn ein Herz bricht, geht ein Hauch
Von Weh so über die Erde,
Als wenn in kalten Nebelhauch
Und Schnee sie verwandelt werde.

Wenn ein Herz bricht, weht ein Schrei
Unhörbar durch alle Weiten,
Dem taub die Menschen und kalt vorbei,
Unstörbar von hinnen schreiten.

Wenn ein Herz bricht, tönt ein: Ach!
Sturmtosend von bleichen Lippen,
Wie eines Baumes Todeskrach,
An losen, stürzenden Klippen.

Wenn ein Herz bricht, geht ein Fluch
Anklagend durch alle Zeiten,
Auf alte Freude ein Leichentuch
Einschlagend, kalt zu breiten.

Wenn ein Herz bricht, klirrt es fein,
Als spränge sehr kostbare Habe
Etwas, das wunderbar zart und rein,
Das sänge man heute zu Grabe.

Wenn ein Herz bricht, nimmt es Gott
Trostspendend in seine Hände,
Daß Tränen löschend, in heiße Not
Verschwendet die Pein sich wende.

Wenn ein Herz bricht, klagt es an,
Und flieht vor der Menschen Erkennen,
Und schweigt, klirrt leise, wie Ketten dran
Man zieht, - will heimlich verbrennen.

Wenn ein Herz bricht, kommen all
Die Engel, es einzuhüllen
In Lilienstengel! Es soll kein Fall
Den Himmel mit Weh erfüllen.

aus: Geflüsterte Worte von Carmen Sylva
Vierter Teil: Frageland Regensburg 1905 (S. 21-22)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_zu_Wied

 

 

 


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