Liebeslyrik aus China

(in deutscher Übersetzung)

 


Li T'ai Po
(701-762)



Buch I. (4.)
Trauer über die Frühlingstage

Der Ostwind ist zurückgekommen,
Ich sehe das smaragdgrüne Gras und weiß,
daß es (wieder) Frühling ist.
(Wenn man die Trauerweide betrachtet)
mit ihren unbestimmten Bewegungen,
Wie sehr bekümmert den Menschen
das machtlose Schwingen ihrer Äste im Winde!
Der Glanz des Himmels ist rein
und voll schöner Harmonie,
Die aus dem Meere aufsteigenden Dünste
sind grün und von frischem Dufte.
Auf dem Lande zeigt sich
weit und breit saftiges Grün,
Die Wolken wogen durcheinander
und nehmen fortwährend neune Formen an.

Die Wasser rauschen
in ununterbrochener Folge,
Und ich spähe nach der Quelle,
die zwischen dem dunkelblauen
Moos hervorsprudelt.
In vager Bewegung durchziehen
(wandernde Fäden) überall die Luft,
Und ich betrachte
ihre spiraligen Formen,
die wie Rauch aussehen.
Meine Seele ist ebenso zerrissen
wie diese Fäden,
Und gegenüber all' diesen Herrlichkeiten
bin ich voll Trauer.

(Mein Kummer ist) wie das
traurige Rauschen des Lung-shui,
Wie der melancholische Schrei des Affen
am Ufer des großen Stromes,
(Ich bin traurig wie) Chao Chün,
als sie durch den Yü-mên-kuan-Paß
zu den Hunnen zog,
Wie der Mann von Ch'u (Ch'u Yüan)
im Ahornwalde.
Ich versuche auf die Höhe zu steigen
und in die Ferne zu schauen,
Doch mein Innerstes schmerzt
und mein Herz ist betrübt.
Im Frühling ist mein Herz bewegt
wie eine Welle.
Im Frühling überfällt mich
verworrene Trauer
wie wirbelnder Schnee.
Wenn man Lust und Unlust
aller Gefühle zusammenfaßt,
So ist es jetzt im Frühling
(in der wohlriechenden Jahreszeit),
wo man von ihnen
am tiefsten getroffen wird.

Wenn der Freund, an den ich denke
am anderen Ufer des Hsiang-Flusses stünde,
Durch Wolken von mir geschieden wäre
und ich keine Möglichkeit sähe,
ihn zu treffen,
Dann ließe ich meine Abschiedstränen
auf eine kleine Welle fallen
Und vertraute sie dem
nach Osten fließenden Wasser an
als Ausdruck meiner Gefühle.
Wenn ich all den Frühlingsglanz
zurückhalten könnte,
so daß er nicht verginge,
Würde ich ihn dem lieben Freunde
am weiten Horizonte schenken.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. I. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 432-433)

_____



Buch II. (16.)

Die beiden kostbaren Schwerter waren gleich Drachen,
Ähnlich wie der Glanz der Schneeflocken
Eibischblüten zu vergleichen ist.
Ihre Strahlen schossen über Himmel und Erde,
Und selbst der zuckende Blitz konnte sich mit ihnen nicht messen.
Nachdem sie einmal die Goldtruhe verlassen hatten,
Flog (das eine Schwert nach Ch'u,
das andere) sank (in den Wu-strom)
und so wurden sie voneinander getrennt.
Feng-hu-tzu war nämlich längst schon gestorben.
Daher verbargen die Schwerter ihre Spitzen.
Der Wu-strom ist zehntausend Klafter tief,
Der Ch'u-Berg ist zehn Meilen hoch.
Das männliche und das weibliche Schwert
hätten niemals voneinander
getrennt werden sollen.
Denn Wunderdinge werden paarweise angetroffen.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 499-500)

_____



Buch II. (22.)

Wenn die Wasser von Shensi sich vom Lung-shou-shan-Berge trennen,
(Hört man) verborgen in ihrem Rauschen viele klagende Laute.
Wenn das Hunnenpferd den Schnee des Nordens erblickt,
Wiehert es lange in seinem tänzelnden Gange.
Von der Natur getroffen ist mein Herz gerührt,
In der Ferne beherrschen mich Gefühle des Heimwehs.
Einst sah ich den Schmetterling des Herbstes fliegen,
Jetzt sehe ich die Seidenraupe des Frühlings wachsen
(d. h. die Zeit verfließt und ich kann noch immer nicht heimkehren).
Schwach war (damals) der Blätteransatz des Maulbeerbaumes,
Üppig ist (jetzt) der hängende Blütenschmuck der Weide.
Die Jahreszeiten verlassen uns mit der Schnelligkeit fließenden Wassers.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 504)

_____



Buch II. (27.)

Die Reiche Yen und Chao haben schöne Frauen.
(Eine von ihnen) sitzt auf der
mit Skulpturen geschmückten Warte
hoch am Rande der dunklen Wolken.
Ihre Augenbrauen wetteifern in Schönheit
mit dem glänzenden Mond.

Lächelt sie, so stürzen die Mauern vor Lust.
Stets fürchtet sie für das kurze Leben
der üppigen Vegetation.
Unbeweglich weint sie über die Kälte des Herbstwindes.
Mit graziöser Hand vertraut sie ihre Klagen
der edelsteinbesetzten Gitarre an.

Am frühen Morgen entringt sich ihrer Brust
ein tiefer Seufzer:
Kann ich denn nicht mich
einem Edlen verbinden
Und zusammen mit ihm
auf zwei Phönixen dahinfliegen?


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 506)

_____



Buch II. (44.)

Grüne Schlingpflanzen in üppigem Wachstum
Umwinden die Zweige von Pinie und Zypresse.
Die Vegetation findet einen Boden, auf den sie sich stützen kann,
Und verläßt ihn selbst in der kalten Jahreszeit nicht.
Was kann sie (an der Kälte ihres Mannes) ändern, die junge Frau,
deren Schönheit einem herrlichen Pfirsich gleicht,
Unbeweglich singt sie seufzend das Lied vom Kohl und Senf.
Ihr weißes Antlitz ist schöner als eine Blume.
Das üppige Haar zeigt noch keine weißen Fäden,
Aber ihres Mannes Gunst ist schon zu Ende.
Was wird das arme Weib nun anfangen?


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 514)

_____



Buch II. (47.)

Die Pfirsichblätter öffnen sich im östlichen Garten.
Lächelnd rühmen sie sich der glänzenden Sonne.
Plötzlich empfangen sie die Gunst des Frühlingswindes
Und entfalten sich zu dieser ihrer natürlichen Schönheit.
Ist es nicht die Farbe eines lieblichen Mädchens?
Ich fürchte nur, daß diese Blüten vergänglich sind.
Im Laufe der Zeit kommt die versengende Hitze heran,
Da welken sie und sind bald verdorben.
Wer kennt nicht die Pinie am südlichen Berge?
Einsam steht sie und trauert allein.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 515)

_____



Buch II. (49.)

Die Schöne verläßt ihr südliches Reich.
Glänzend sind ihre an Seerosen erinnernden Reize.
Ihre weißen Zähne zeigt sie durchaus nicht.
Ihr duftendes Herz hat sie umsonst in Reinheit bewahrt.
Früher ein Mädchen im Kaiserpalaste
Wurde sie von allen wegen ihrer schwarzen Brauen beneidet.
Sie kehrt zurück nach ihrer Heimat, der Insel
im tiefen, klaren Hsiang-Flusse.
Ganz verloren im Gesange - wozu sollte sie auch klagen?

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. II. Buch.
(Archaistische Allegorien)
Asia Major Band 1, 1924 (S. 516)

_____



Buch III. (16.)
Unaufhörlich denke ich Deiner


Unaufhörlich denke ich Deiner,
Die Du in Ch'ang-an bist.
Das Heimchen weint im Herbste
auf der glänzenden Brunnenbalustrade.
Leichter Reif macht mich frösteln
und die Matte erscheint kalt.
Die vereinzelte Lampe gibt kein helles Licht
und ich glaube, sie will ausgehen.
Ich rolle den Vorhang auf, blicke gegen den Mond
und bleibe tief aufseufzen.
Das Mädchen, das so schön ist wie eine Blume,
befindet sich jenseits jener Wolkenenden.
Oben spannt sich der hohe Himmel
mit seinem dunklen Firmament,
Unten rauschen die Wellen des kleines Flusses.
Der Himmel ist unendlich, der Weg ist weit,
und die Seele klagt auf ihrer Wanderschaft.
Die Seele, die im Traume in die Ferne zieht,
kann wegen der Schwierigkeit der Grenzberge
nicht zur Geliebten gelangen.
Unaufhörlich denke ich Deiner,
Und diese Gedanken zerreißen
mein Innerstes.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. III. Buch.
Asia Major Band 1, 1924 (S. 534)

_____



Buch III. (21.)
Ich bleibe die Nacht auf und summe vor mich hin

Die Winternacht ist kalt und erscheint mir gar lange.
In Gedanken verloren sitze ich lange in der nördlichen Halle.
Brunnen und Quelle sind mit Eis geschlossen
und der Mond dringt in das Frauengemach.
Die goldene Wandlampe, mit ihrem erstarrten Öle,
bescheint (mich) die kummervoll Weinende.
Die goldene Wandlampe verlöscht,
Das Schluchzen wird um so stärker.
Ich verberge meine Tränen
Und horche nach Deinen Liedern.
Die Lieder haben Töne,
Und ich habe Gefühle.
Gefühle und Töne harmonieren,
Und beide zeigen keinen Mißklang.
Es sind nicht Worte, die mir zum Bewußtsein kommen,
Deine tausend Lieder lassen den Staub
auffliegen von den Balken.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. III. Buch.
Asia Major Band 1, 1924 (S. 536)

_____



Buch IV. (4.)
Das Lied vom Frühling

In Ch'ang-an scheint die helle Sonne vom Frühlingshimmel,
Der grünen Weiden üppige Pracht hängt schwingend im Winde,
Die Blumen vor der Halle des sich zerteilenden Weihrauchs
werden gerade rot.
Drinnen im kaiserlichen Serail ist alles
Wohlgeruch, Farbe und Schönheit.
Im kaiserlichen Serail - da möchte ich einmal
gewesen sein (und zugeschaut haben).
Da tanzt die Kaiserin Fei-yen
mit ihrem grazilen Körper,
Und die Damen des Purpurpalastes
singen wunderbare Lieder.
Und der Kaiser genießt 36 000 Tage lang
Jahrein, jahraus die herrlichsten Freuden.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 51-52)

_____



Buch IV. (5.)
Das Lied Yang-pan-erl

Singe, o mein Gebieter, das Lied Yang-pan-erl,
Und ich fordere Dich auf, Wein zu trinken aus Hsin-feng.
Wo hält sich das Wesen auf, das Du am meisten liebst?
Die Raben krächzen in den Weiden
beim weißen Tor von Chiang-ning,
Die Raben krächzen verborgen unter den Weidenblüten.
Wenn Du betrunken bist, bleibst Du bei mir im Hause.
Im Weihrauchfasse, worauf das Bild vom Po-chan-Berge
ziseliert ist, brennt Aloe-Holz,
Zwei Rauchsäulen steigen zusammen auf
bis zu den Purpurwolken des Firmaments.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 52)

_____



Buch IV. (6.)
Die Trennung der beiden Schwalben

Die beiden Schwalben flogen hin und wieder.
Ihr einträchtiger Flug ließ im Menschen
heiße Wünsche entstehen.
Nicht vereinzelt ließen sie sich auf dem Edelsteinsöller
oder dem Perlenturm nieder,
An dem Goldfenster, an der farbenprächtigsten Türe
sah man stets sie beisammen.
Als die Po-liang-t'ai Terrasse
in Flammen aufging, flogen sie weg,
Um im Palast des Wuwang Einzug zu halten.
Und als auch letzterer verbrannte,
Und die Jungen umkamen, und das Nest leer war,
Da blieb traurig eine einzige Schwalbe übrig.
Verwaist denkt sie in Sehnsucht des früheren Gatten.
Zusammen zu fliegen ist ihnen nicht mehr vergönnt.
Dies schmerzt mich da drinnen
im kleinen Herzen gar sehr.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 52-53)

_____



Buch IV. (11.)
Wang Chao-chün

Über dem Lande Ch'in der Handynastie steht der Mond.
Sein fließendes Licht bestrahlt die schöne Chao-chün.
Sobald sie einmal den Weg über den Yü-kuan-Paß genommen,
Kommt sie aus den unendlich entfernten Gegenden nicht mehr zurück.
Und der Mond steigt wieder auf aus dem Ostmeere,
Aber für die im Westen verheiratete Chao-chün
gibt es keine Stunde der Rückkehr.
Im Yen-chih Gebirge ist ewige Kälte
und der Schnee bildet die (einzigen) Blumen.
Die feingezeichneten Augenbrauen kummervoll
zusammengezogen starb sie im Sande
der mongolischen Wüste.
Im Leben hatte sie kein Geld
(um den Maler zu bestechen) und
wurde durch diesen verleumdet
(als minder hübsch dargestellt).
Im Tode ruht ihr Leib unter dem
immergrünen Erdhügel und die Menschen
seufzen im Gedanken an sie.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 56-57)

_____



Buch IV. (12.)
Wang Chao-chün

Chao-chün strich mit der Hand
über den mit Edelsteinen besetzten Sattel,
Sie schwang sich aufs Pferd und Tränen rollten
über ihre roten Wangen.
Heute war sie noch die Haremsdame
im Palaste des Han-Kaisers,
Morgen früh sollte sie schon
eine Mätresse im Lande der Mongolen sein.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 57)

_____



Buch IV. (13.)
Das Lied von der jugendlichen Haremsdame
(des Herzogs) von Chung-shan (in Chihli)

Die jugendliche Haremsdame des Herzogs von Chung-shan
Ist besonders wegen ihrer Schönheit
als etwas Auserlesenes betrachtet worden.
Obwohl sie (an Schönheit) die Schwester
des Li Yen-nien nicht erreichte,
So war sie doch in ihrer Zeit die Schönste im Lande -
Es war, wie wenn Pfirsich- und Pflaumenblüten
durch das Oberlicht der Halle herabkämen,
Und ihre blühende Anmut stellte selbst
den beginnenden Frühling in Schatten.
Nachdem die Gunst sie hoch emporgetragen,
sank sie bald wieder in Ungnade.
Sollte der Himmel selbst sich für sie
ihrer Schönheit wegen interessiert haben?
Die Seerose verwelkt bei Ankunft des Herbstreifes.
Der runde Fächer (der Blüte) zieht sich beschämt zurück
vor dem Staub der Netze,
den die Füße der Nixen des Loflusses aufwirbeln.
Die Dame Ch'i wurde mit abgeschnittenen
Haaren in die Straße gestoßen.
Seit jeher haben alle, die kaiserliche Gnade genossen,
dafür büßen müssen.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 57-58)

_____



Buch IV. (14.)
Das Lied von Ching-chou

Dicht bei der Festung Po-ti-ch'eng
da brausen gar mächtig Wind und Wogen.
Wer wagt im fünften Monat die Schlucht
von Chü-t'ang zu passieren?
In Ching-chou ist der Weizen reif
und die Seidenraupe wird zum Schmetterling.
Beim Abwickeln der Kokons denke ich Deiner,
und dabei erscheinen viele neue Fadenenden.
Der Kuckuck schreit im Fluge - ach,
was muß ich tun, ich armes Weib.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 58)

_____



Buch IV. (18.)
Seit langem getrennt

Wieviele Lenze sind seit unserer Trennung vorübergegangen,
und er ist noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt.
Durchs weiße Fenster habe ich schon fünfmal
den Kirschbaum blühen sehen.
Überdies habe ich ihm Briefe geschrieben,
wie einst die Su Hui dem Tou T'ao.
Als er sie öffnete, mußte er seufzen.
So ist es gekommen, daß mein Innerstes zerrissen ist
und sein Herz gebrochen.

Ich habe aufgehört mein üppiges Haar,
meine schwarzen Schläfenflechten
mit dem Kamm in Ordnung zu bringen.
Vor Kummer sieht mein Haar aus wie Schnee
vom Winde durcheinander gewirbelt.
Voriges Jahr sandte er mir einen Brief,
der mir seine Ankunft in Yang-t'ai meldete.
Dieses Jahr sandte er mir einen Brief,
wonach er sich wieder weiter von mir entfernte.
O der Ostwind!
Der Ostwind bläst für mich.
Er läßt die wandernde Wolke
aus Westen zu mir kommen.
Ich warte auf ihr Kommen,
aber am Ende kommt sie nicht.
Leise fallen die Blüten
aufs blaugrüne Moos.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 59-60)

_____



Buch IV. (31.)
Allein geblieben, ohne Hoffnung ihn wiederzusehen

Wer war der Junker auf dem weißen Pferde?
Ein Kind des Grenzlandes von Huang-lung.
Auf dem T'ien-shan-Gebirge lag drei Klafter tiefer Schnee,
War das etwa die Zeit, um in die Ferne zu wandern?
Wohlriechende Frühlingskräuter
werden plötzlich zu herbstlichem Gras.
Die Zikade läßt am Mäanderteiche
ihren Ruf erschallen.
Wind verstärkt die Töne
des winterlichen Weberschiffchens.
Mondlicht bescheint den Kummer
des eiskalten Frauengemaches.
Ich erinnere mich, in dem Jahre,
da Du von mir schiedst,
Pflanzte ich ein Pfirsichbäumchen, das mir bis zu den
feingezeichneten Augenbrauen ging.
Dieser Baum ist heute über hundert Fuß hoch.
Die Blüten sind abgefallen, die Zweige verdorrt . . .
Bis ans Ende werde ich allein bleiben,
ohne je Dich wiederzusehen.
Meine Tränen fließen - - - und nur ich weiß warum.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 67)

_____



Buch IV. (32.)
Das weiße Nesseltuch (Tanzlied)

Erhebe Deine reine Stimme (zum Gesange)
Öffne Deine Reihen weißer Zähne.
Schönes Mädchen aus dem Norden,
das meine östliche Nachbarin ist,
Singe mir das Lied vom weißen Nesseltuch
und höre auf mit jenem vom grünen Wasser.
Mit dem langen Ärmel streift sie sich über das Gesicht
und erhebt sich Dir zu Gefallen.
Kalte Wolken ballen sich über Nacht zusammen,
und es schneit über dem unendlichen Meere.
Der Wind aus der Mongolei braust über den Himmel
und zwingt die Wildgans aus dem Grenzgebiet zur Umkehr.
Antlitze, weiß wie Jade, füllen die Halle
und der Freude ist kein Ende.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 67-68)

_____



Buch IV. (33.)

Die Sonne geht unter über dem Kuan-wa Schlosse,
wo Gesang und Tanz schon lange in vollem Gange sind.
Der kalte Mond erhebt sich über dem klaren Strome,
die Nacht sinkt tiefer und tiefer.
Ein einziges Lachen der schönen Tänzerin
ist tausend Goldstücke wert.
Bei fallenden Schleiern und wirbelnder Seide
erhebt sie ihre klagende Stimme.
"Singe jetzt nicht das Lied vom Frühlingsschnee in Ying,
(Ich weiß), daß Dein Herz ergriffen wird
beim Hören des Kiangsu-Liedes der Tzu-yeh
(des Liedes von den vier Jahreszeiten),
Dein Herz wird ergriffen, und ich hoffe
auf deine Belohnung."
Ich möchte zusammen mit Dir
ein Paar Mandarinenenten
aus dem Himmelsteiche sein
Und eines Morgens wegfliegen -
hoch in die dunklen Wolken.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 68)

_____



Buch IV. (34.)

Mit der Scheere von Wu wird die farbige Seide zerschnitten
und Balletroben werden verfertigt.
Die glänzenden Schminken, die herrlichen Kleider
rauben dem Frühling seine Pracht.
Wenn die Augenbrauen bewegt,
die Ärmel gewirbelt werden,
glaubt man einen Schneesturm zu sehen.
Solche alleinstehende (alles übertreffende) Schönheiten,
die den Untergang einer Stadt herbeiführen können,
gibt es wenig auf der Welt.
"Der Sturmwind" und "der Wirbelwind" sind Lieder,
die das Herz trunken machen
und uns die Rückkehr vergessen lassen.
Der Mond sinkt über der hohen Halle,
wo die Kerzen kürzer und kürzer werden.
"Widerstrebe nicht, wenn ich eine Nephrit-Nadel
in Deinem Mützenband befestige."

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 68)

_____



Buch IV. (36.)
Mein (des armen Weibes) unglückliches Loos

Der Han-Kaiser schätzte gar hoch seine A-chiao
Und wollte sie in einem Palaste
aus echtem Golde unterbringen.
Jeder Tropfen ihres Speichels,
der aus Himmelshöhen fiel,
Verwandelte sich im Winde zu Perlen und Edelsteinen.
Nachdem die kaiserliche Gunst ihren Höhepunkt
erreicht hatte, nahm die Liebe wieder ab.
Je tiefer die Eifersucht wurde,
desto kälter wurden die Beziehungen.
Obwohl der (von ihr bewohnte) Ch'ang-men-Palast
nur einige Schritte entfernt war,
Wollte der Kaiser auch nicht für Augenblicke
zu ihr zurückkehren.
Regen, der einmal gefallen ist,
kehrt nicht mehr zum Himmel zurück.
Wasser, das verschüttet ist,
kann nur schwer wieder eingesammelt werden.
Deine Gnade und meine Gedanken
Sind beide verschiedene Wege gegangen,
wie Wasser das nach Osten
und das nach Westen fließt.
Was einst die blühende Seerose war,
Ist heute zur welken Pflanze geworden,
die von der Wurzel getrennt ist.
Wer mit Schönheit anderen dient,
Kann nicht erwarten,
daß seine gute Zeit lang dauert.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. IV. Buch.
Asia Major Band 3, 1926 (S. 69-70)

_____



Buch V. (7.)
Das Lied der gekränkten (verschmähten) Schönen

Mit fünfzehn Jahren betrat sie den Kaiserpalast.
Ihr blühendes Gesicht lachte der roten Pracht des Frühlings.
Der Herrscher wählte ihre Jade-Schönheit:
Sie mußte ihm Dienst tun in der Schlafkammer
innerhalb des goldenen Wandschirmes.
Wenn sie ihm die Polster zurechtschob,
war sie reizender als der Abendmond.
Wenn sie seine Gewänder ordnete,
da wurde er vom Frühlingswinde berührt.
Hat sie etwa nicht von Chao F'ei-yen gehört,
Die die kaiserliche Gunst den andern stahl
und Haß ohne Ende erregte?
Tiefes Leid kann die Menschen verwunden,
Schwarzes Schläfenhaar wird zu wirrem Weiß.
Eines Morgens weiß man nicht mehr Anklang zu finden,
Und die weltlichen Dinge zerfallen dann alle in nichts.
Für den mit Eisvogeldaunen besetzten Pelzmantel
wird guter Wein gekauft.
Von den Tanzkleidern werden die
(goldenen) Drachenstickereien abgetrennt.
Von Kälte und Elend zu singen,
bringe ich nicht über das Herz.
Für dich habe ich dieses Lied
auf der Gitarre gespielt -
Mein Innerstes ist zerrissen,
und nun sind auch die Saiten gesprungen.
Mein betrübtes Herz ist nachts voll Unruhe und Erregung.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 35-36)

_____



Buch V. (11.)

Auf einem Schimmel (sehe ich ihn)
in der Grenzfestung Huang-chin-sai,
Mein träumerisches Sehnen umwebt
die wolkenbedeckte Sandwüste.
Wie kann ich diese Zeit des Kummers
und Elends ertragen?
Ferne von ihm gedenke ich
des Mannes in der Grenzfestung.
Glühwürmchen fliegen in Menge durch das
herbstliche Fenster herein,
Langsam nimmt der Mond seinen Lauf
über dem eiskalten Frauengemach.
Es fallen die letzten welken Blätter
des Sterculia-Baumes,
Es rascheln im Winde die Äste
des wilden Birnbaumes.
Ich Unglückliche bin verlassen
und werde ihn nicht mehr sehen,
Die Tränen fließen - ich weiß es - vergebens.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 37)

_____



Buch V. (16.)
Klage an den Jadestufen des Palastes

Auf den Jadestufen legt sich glänzender Tau,
Bis tief in der Nacht dringt dessen Kälte
in die Seidenstrümpfe (der wartenden Schönen).
Dann verschwindet sie hinter
dem Vorhang aus Kristallperlen,
Und durch die Spalte sieht sie
nach dem hellen Herbstmond.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 39)

_____



Buch V. (21.)
Das Lied vom großen Damm

Der Han-Fluß fließt an Hsiang-yang vorüber.
Die Blüten öffnen sich in der Wärme
des großen Dammes
(d. h. auf dem sonnenbeschienenen Damm).
Das Stelldichein mit der Schönen
fand (einst) am Fuße des großen Dammes statt,
Tränen füllen das Auge
beim Anblick der südlichen Wolken
(unter denen meine Freundin jetzt weilt?)
Der Frühlingswind zeigt sich wieder gefühllos
Und bläst die Gestalten
meiner Träume auseinander.
Ich sehe nicht die Freundin (vor mir),
die mein inneres Auge sieht (und ersehnt).
Der weite Himmel (der uns trennt)
hat alle Nachricht abgeschnitten.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 40)

_____



Buch V. (37.)
Die Palastdame von Han-tan heiratet
und wird die Frau eines Subalternoffiziers

Ich bin ursprünglich ein Mädchen von Ts'ung-t'ai-Söller,
Voll hoher Erwartungen betrat ich
den Palast des Herrschers.
Verließ ich mich doch auf die Schönheit
meines Gesichtes, das wie eine Blume prangte;
Wie hätte ich da denken können
an künftiges Altern und Welken?
Nachdem ich einmal die Jade-Stufen
des Palastes verlassen hatte,
Verschwand ich, wie einst Chao Yün verschwunden ist.
So oft ich an die Stadt Han-tan denke,
Träume ich von den Herbstnächten
im Frauengemache des Palastes.
Doch den Herrscher kann ich nicht sehen,
Und Trauer erfüllt mich
bis zum Tagesanbruch.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 46)

_____



Buch V. (44.)
Ich gedenke des schönen Mädchens von Ch'in

Beim Flötenspiel gedenk' ich schluchzend
des Mädchen von Ch'in:
Da bricht der Traum plötzlich ab,
und es verbleibt nur der
Mondenschein auf dem Turme von Ch'in,
Die Farben der Weidenblüten, jedes Jahr neu
und doch immer dieselben,
Der Schmerz der Trennung an der Brücke
von Pa-ling (östlich von Ch'ang-an).
Selbst am Herbstfeste, das einst
im Lo-yu-yuan Parke gefeiert wurde,
ist jetzt auf der alten Straße von Hsien-yang
Lärm und Staub verschwunden.
Lärm und Staub sind verschwunden.
Der Westwind weht und die Strahlen
der untergehenden Sonne
Bescheinen die (Ruinen der) Paläste der Han-Dynastie.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 49)

_____



Buch VI. (2)
Der Maulbeerbaum auf dem Damme

Das schöne Mädchen (Ch'in Lo-fu) war östlich der Brücke
über den Wei-Fluß (bei Ch'angan)
bei Beginn des Frühlings
mit ihren Seidenraupen beschäftigt.
Da kam der Gouverneur wie ein fliegender Drache -
Blaue Bänder flatterten von seinem
goldbeschlagenen Zaumzeug.
Er wußte nicht, wessen Kind sie war,
Scherzend und lachend kam er herbei,
um sich mit ihr zu unterhalten.
Ich bin Ch'in Lo-fu (so sprach sie),
Mein Jade-Gesicht ist begehrt
in der berühmten Hauptstadt Ch'ang-an.
Die grünen Zweige werfen Schatten
auf meine weißen Hände,
Wenn ich Maulbeerblätter pflücke
in der Ecke von der Stadtmauer.
Mögest Du, o Gouverneur, nun nicht nach mir schauen
Und noch weniger sprechen wie Ch'iu Hu
(der von einer Reise zurückgekehrt auf dem Wege
seiner eigenen Frau begegnete, sie nicht erkannte
und sie zu verführen suchte).
Das fröstelnde Heimchen liebt den frischen Rasen,
Der singende Phönix läßt sich nieder
auf dem dunkelgrünen Sterculia-Baum -
Das Herz muß sich natürlich jemandem zuwenden,
Doch ich wundere mich
über die Dummheit meiner Mitmenschen:
Es ist umsonst, auch wenn aus dem Morgen
Abend geworden,
Deine erhabene Karosse wartet vergebens!

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 391-392)

_____



Buch VI. (5.)
Die Begegnung

Morgens reitet er seinen Scheck,
Geht in Audienz zum Kaiser
und verläßt das Yint'ai-Tor.
Wessen Kind ist die Schöne (da im Wagen)?
Der Perlenvorhang der hohen Karosse
wird zurückgeschlagen.
Mit goldbeschlagener Peitsche
deutet er aus der Ferne (auf sie),
(Das Pferd mit) edelsteinbesetztem Zaumzeug
wird in der Nähe des Wagens langsam gewendet.
In einer Reihe (Reiter neben Wagen) befragen sie einander.
Er glaubt, sie ist vom Himmel herabgekommen!
Eiligst fährt sie (in seiner Begleitung)
das Ch'ing-ch'i-Tor hinein,
Es muß gesungen und zusammen
getrunken werden!
(Er setzt sich), den Becher an die Lippen führend,
gegenüber dem Fächer der Sängerin.
Sie sieht aus wie der Mond inmitten der Wolken.
Einander sehen und nicht dicht
beieinander sein können -
Da ist es wohl besser
einander nicht zu sehen.
Wenn man einander sieht,
sind die Gefühle schon tief erregt,
Ohne zu sprechen, kann man das Herz
(d. i. die Wünsche) des anderen kennen.
Warum das einsame Frauengemach hüten?
Warum allein schlafen voll Kummer
unter der Brokatdecke?
Brokatdecke und Moskitonetz,
Sie werden uns einhüllen
bei unserer nächsten Zusammenkunft.
Der Frühlingswind weht gerade so aufregend,
Warum kommt der Abendregen auch so spät?
(Anspielung auf die Fee Chao Yün).
(Nach unserer Trennung möchte ich
durch Vermittlung der drei blauen Vögel)
Dir von neuem meine sehnsüchtigen Gedanken melden.
Die Zeit wartet nicht auf die Menschen.
In einem Augenblick wird das Haar weiß.
Wenn man in seinen besten Jahren
versäumt hat, sich zu unterhalten,
Wird man als alter enttäuschter Mann
vergebens klagen.
Wenn Du diese tiefe Lehre behältst,
Dann wirst Du mich nicht lange
warten lassen mit einem neuen Stelldichein.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 393-394)

_____



Buch VI. (6.)
Sehnsucht (nach dem Manne) in tausend Meilen Entfernung

Li Ling verschwand im Sande der Wüste,
Su Wu kehrte nach China zurück.
Weit entfernt liegt der Wu-yuan-kuan-Paß.
Der Schnee des Nordens bildet die Blumen
der unruhigen Grenze.
Einmal geschieden, sind wir durch
die fernsten Länder getrennt.
Der Gedanke an die Rückkehr
bleibt nur ein langer Seufzer.
Storch und Wildgans fliegen nach Nordwesten
Mit Briefen an den Mann am äußersten Horizonte.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 394-395)

_____



Buch VI. (9.)
In Nachahmung eines alten Gedichtes

Ich erfreue mich am Glanze des weißen Jade-(spiegels),
Der meine feinen schwarzen Augenbrauen reflektiert.
Der Edelsteinspiegel ist wie durchsichtiges Wasser,
Die abgefallene Blüte ist wie vom Winde getrieben.
Ich trete zur Türe hinaus
und blicke aus nach den Kaiserstöchtern.
Die starke Bewegung der Wellen
hindert mich an der Verabredung.
O, könnte ich einen gelben Kranich fangen
(und an seinem Flügel einen Brief befestigen),
Um sofort meinen Geliebten zu benachrichtigen.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 395)

_____



Buch VI. (10.)
Beim Brechen des Weidenzweiges

Die (Zweige der) Trauerweide
streifen das durchsichtige Wasser
- Schwingende Schönheit zur Zeit
des Wehens des Ostwindes (Frühling).
Die Blüte ist so frisch wie der Schnee
vom Yü-men-kuan-Passe,
Die Blätter so saftig grün
wie die üppige Vegetation vor dem Goldfenster.
Die Schöne ist erfüllt von Gedanken der Sehnsucht,
Gegenüber diesen (Naturschönheiten)
ist ihr Herz von Kummer ergriffen.
Sie greift nach einem Zweige
und bricht ihn (im Schmucke des Frühlings)
Und sendet ihn (in Gedanken)
in die Ferne ihrem Manne,
der vor dem Lung-t'ing der Hunnen kämpft.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 396)

_____



Buch VI. (12.)
Der Rotfuchs

Der Rotfuchs läuft dahin und wiehert,
Die Hufe, die grün schillern wie Jade,
werden zu je zweien emporgeschnellt.
Am Ufer des Stromes (zögert er)
und will nicht übersetzen,
Wie wenn es ihm leid täte
um die brokatene Satteldecken.
Die Bergfeste "Po-hsich"
(in Ssu-ch'uan) ist schon weit (hinter ihm).
Und das Fort am Meere "Hwand-yün"
ist noch in verschwommener Entfernung.
(der Reiter) schwingt die Peitsche,
und der Rotfuchs läuft zehntausend Meilen weit.
Denkt der Reiter etwa an das
frühlingshafte Frauengemach?

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 396-397)

_____



Buch VI. (33.)
Das Gedicht vom Wäsche-Schlagen

Mehr als zehn Jahre lebt die schöne Frau
(allein) im Frauengemach,
Mit gerunzelter Stirne sitzt sie
ihrem Schatten gegenüber
und ist voll Mißmut über die Trennung
von ihrem Manne.
Plötzlich kommt über den Strom
die im Frühling heimgekehrte Schwalbe geflogen,
Im Schnabel trägt sie einen Brief auf weißer Seide,
der gleichsam aus den Wolken kommt.
Ihre weiße Hand öffnet das Band
und seufzt (beim Lesen) gar lange,
Ihr tapferer Mann steht als Soldat
noch im Felde nördlich von Chiao-ho-ch'eng.
Zehntausend Meilen weit (von Ch'angan)
fließt das Wasser des Chiaoho-Flusses nach Norden,
Ich möchte zusammen mit ihm
ein Vogelpaar sein, schwimmend zur Insel
inmitten des Stromes.
An der Grenze, wo Du weilst,
drängen sich wie Wolken
die Reiterscharen mit den blauen
Seidenbändern am Zaumzeuge,
In dem rotgetünchten Hause,
wo ich wohne, wächst Moos.
In diesem Hause weht der Frühlingswind
von Tag zu Tag schwächer -
Wer kann da noch nach dem Spiegel greifen
und seine vor Kummer (weißen) Haare betrachten!
Morgens blase ich die Bambus-Flöte
beim Fallen der Blüten,
In der Nacht wasche ich die Uniformen
auf dem Waschstein gegenüber dem hellen Monde.
Hoch über mir steht der helle Mond
und die Nacht ist weit vorgeschritten
(eigentlich: der über dem Wasser der Clepsydra
hervorragende Zeiger ist länger geworden).
Der Vorhang aus echten Perlen
verhüllt die duftende Halle.
Quer hängt herab die Stickerei
der verbundenen Herzen
im kostbaren Baldachin (Betthimmel),
Halb verlöscht (d. h. nur durch mich angefacht)
brennt der Storax auf der herrlichen Matte.
Die herrliche Matte, der kostbare Baldachin
und die Decke mit der Stickerei
der verschlugenen Äste -
(Dies alles und die darunter) einsam Schlafende
bescheint das flackernde Licht.
Dein Bote hat mir eine goldene Schere gebracht,
Und für Dich habe ich ihm
ein Kopfkissen der Sehnsucht mitgegeben.
Alle Orchideenblüten des Hofes habe ich gepflückt -
aber noch immer sehe ich Dich nicht,
Mit meinem roten Taschentuche
wische ich mir die Tränen weg
und es ist davon ganz durchtränkt.
Wenn Du das folgende Jahr noch
an der Grenze kämpfen solltest,
Will ich zur Wolke werden
und zu Dir kommen, wie einst
die Elfe des Wu-shan-Berges
den König von Ch'u auf Yang-t'ai aufsuchte.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 403-404)

_____



Buch VI. (36.)
Sehnsucht

Die Sonne will untergehen, die Blüten
zeigen verschwommene Farben,
Der Mond glänzt hell wie weiße Seide,
vor Kummer kann ich nicht schlafen.
Die Laute von Chao, mit den Phönixbildern
auf ihren Stegen, hört gerade zu spielen auf,
Die Gitarre von Shu mit ihren paarigen Saiten
(die an Mandarinenenten erinnern?) will beginnen.
Dieses Lied (von der Sehnsucht)
hat (tiefen) Sinn, doch die Menschen überliefern es nicht,
Ich möchte dem Frühlingswind folgen
und es in den Yen-jan-shan-Berg einmeißeln lassen.
Ich denke an Dich in der weiten, weiten Ferne,
an Dich, den der blaue Himmel von mir trennt.
Einst sah ich auf zu Dir mit schalkhaftem Auge,
Jetzt ist das Auge ein Quell
ununterbrochener Tränen geworden.
Wenn Du nicht glaubst an mein zerrissenes Herz,
Komme zurück und blicke mich an,
wie ich nun vor dem klaren Spiegel stehe.

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 407)

_____



Buch VII. (23.)
Das Lied vom Ost-Berg

Als ich zusammen mit meinem Mädchen
nach dem Ostberg wanderte,
Da dachte ich voll Sehnsucht
und Kummer des Hsieh An.
Mein Mädchen sieht heute morgen aus
wie eine Mondnacht im Frühling.
Sein Mädchen ruht im kalten, vergessenen Grabe,
worüber Unkraut wuchert.
Sein Traum vom weißen Huhn
liegt dreihundert Jahre zurück.
Ich opfere Wein und besprenge im Geiste
ihn und seine Schöne.
Und wieder vom Rausche erwacht
tanze ich einen tartarischen Tanz,
Der Herbstwind bläst mir vom Kopfe
das violette Seidenkäppchen.
Er hat seine Zeit gehabt,
und dies ist wieder eine andere Zeit (meine Zeit).
(Wenn man von seiner Gelassenheit
in allen Lebenslagen gehört hat),
warum sollte man sich wundern
über sein Lied "Mächtig sind
die dahineilenden Wassermassen",
das er bei einem Festessen sang,
obwohl er wußte, daß man ihm
nach dem Leben trachtete).

übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 431)

_____



Buch VIII. (43.)
Das Lied von Chiang-hsia

Ich erinnere mich der Zeit,
da ich ein hübsches kleines Mädchen war,
Und mein sehnendes Herz fest in der Hand hielt,
Da sagte man mir, ich müsse heiraten,
Um mich los zu machen, von Gedanken ewiger Sehnsucht.
Wer hätte gedacht, daß die Ehe mit einem Kaufmann
Mir so viel Leid und Kummer bereiten würde!
Seitdem wir Mann und Frau geworden,
Wie selten ist er zu Hause gewesen!
Im Vorjahre fuhr er hinunter nach Yang-chou,
Und ich begleitete ihn bei
zum Söller der gelben Kraniche in (Wu-ch'ang).
Mein Auge sah den Segler in die Ferne ziehen,
Mein Herz folgte dem fließenden Wasser des Stromes.
(Beim Abschiede) sagte er nur,
die Reise würde ein Jahr dauern,
Wer sollte glauben, daß nun
drei Herbste verflossen sind.
Diese lange Abwesenheit
zerreißt mir das Herz
Und Gefühle der Bitterkeit ihm gegenüber
erfüllen mich ununterbrochen.
Unsere Nachbarn rechts und links
sind gleichzeitig mit ihm aufgebrochen,
Und ihre Reise nach Norden und Rückkunft nach Süden
hat nicht länger als ein Monat gedauert.
Ich weiß noch immer nicht, wohin er gezogen ist,
Wenn er nur einmal geschrieben hätte,
könnte man es raten.
Einmal bin ich nach Nan-p'u (südlich von Chiang-hsia) gegangen,
Um auf den Booten aus Hsi-chiang zu fragen.
Da traf ich ein junges Schankmädchen
In der frischen Blüte von sechzehn Jahren
Auch sie ist die Frau eines Mannes geworden,
Doch ich allein habe den vielen Kummer.
Vor dem Spiegel fließen
ununterbrochen meine Tränen
Und vor den Menschen
möchte ich nichts als schluchzen.
Wäre es da nicht besser,
wenn die leichtfertige Jugend
Mir von Morgen bis Abend nachsteigen würde?
(wie jener Kellnerin)
Ich bereue es, die Frau
eines Kaufmanns geworden zu sein,
Von dem ich in der ersten Jugend
für immer getrennt wurde.
Gerade jetzt könnte ich mich
mit ihm zusammen des Lebens erfreuen,
Doch seitdem er gegangen,
ist vielleicht auch meine Schönheit
im Schwinden.


übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942)
Aus: Erwin Ritter von Zach: Lit'aipo's poetische Werke. V. - VIII. Buch.
Asia Major Band 4, 1927 (S. 553-554)

_____


 


 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite