Liebeslyrik aus China

(in deutscher Übersetzung)

 


Blüten chinesischer Dichtung
aus der T'ang- und Sung-Zeit
7. - 13. Jahrhundert



Vor T'ang - Zeit
(6. Jh. v. Chr. - 6. Jh. n. Chr.)


Lied der T'ao Ying

Ach, früh verwitwet ward der gelbe Kranich,
Blieb gattenlos schon sieben lange Jahr'.
Den Hals gebeugt, verbringt die Nacht er einsam
Und hält sich fern der andern Vogelschar.

Um Mitternacht hört man ihn klagend rufen:
Dann denkt er an den Gatten, der nicht mehr.
Früh raubte ihm das Schicksal den Gefährten,
Drum wird in stiller Nacht das Herz ihm schwer.

So oft ich Witwe daran denken mußte,
Ein Tränenstrom aus meinen Augen rann,
Und es erfaßt mich namenloser Jammer,
Niemals den Toten ich vergessen kann.

Wenn so ein Vogel handelt, o wie sollte
Ein tugendhaftes Weib zurück dann stehn?
Und sei ein Freier noch so gut und edel,
Ich werde dennoch nimmer mit ihm gehn.
(S. 3)

Mit diesem Liede soll T'ao-ying, 6. Jh. v. Chr. deren Gatte
früh verstorben war, die Bewerbungen späterer Freier
zurückgewiesen haben.

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Lied der Tse Yü

Auf dem Südberg gibt es Vögel,
Netze auf dem Berg im Norden.*
Gerne würd' ich dir gefolgt sein,
Doch ich bin verleumdet worden.

Und ich wurde krank vor Kummer,
Starb und ward zur Gruft getragen.
Ach! Unselig war mein Schicksal;
Doch was helfen meine Klagen!

Phönix wird genannt der König
Der beschwingten Vogelscharen.
Wenn den Hahn verlor die Henne,
Trauert sie noch nach drei Jahren,
Würde von den vielen Vögeln
Sich mit keinem wieder paaren!

So auch siehst Du meinen Schatten
Suchend Deines Lebens Schimmer,
Nah das Herz und fern der Körper
Dich vergessen werd' ich nimmer.
(S. 4)

Tse Yü war die Tochter des bekannten Königs Fu Tsch'ai Wu,
der 473 v. Chr. starb. Sie liebte einen Studenten Han Tschung,
konnte ihn aber infolge von übelem Gerede nicht heiraten
und starb vor Kummer. Han Tschung besuchte ihren Grabhügel, wo ihm ihr Geist
erschien, der die obigen Verse sprach. Vielleicht stammen sie von Han Tschung,
oder sind später gedichtet worden.

* Nach dem Kommentar würde dieser Vers bedeuten,
daß Tse Yü nicht zu ihrem Geliebten gelangen konnte,
ebensowenig wie die Vögel vom Südberg in die im Norden
aufgespannten Netze. Solche einleitenden Verse nach der Art des Schiking
sind nicht immer leicht zu erklären.

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Trennung

Grün die Gräser wachsen
An dem Uferrand.
Endlos zieht mein Sehnen1
In ein fernes Land.

Immer in die Ferne
Schweifen sollt' ich nicht.
Selbst des Nachts erblick' ich
Ihn als Traumgesicht.

Und im Traume seh' ich
Ihn zur Seite mir,
Wenn ich dann erwache,
Ist er weit von hier.

Ist in and'rer Gegend
Und an anderem Ort.
Nutzlos ist mein Sehnen,
Denn sein Bild ist fort.

Dürre Zweige fühlen
Nicht des Sturms Gewalt,
Und des Meeres Flut nicht,
Wie die Luft so kalt.

Wer im trauten Heime,
Hat Zufriedenheit,2
Könnte dem wohl sprechen
Ich von meinem Leid?

Doch da kommt ein Fremdling
Aus der Ferne an,
Und er bringt zwei Karpfen
Mir von meinem Mann.

Um sie flugs zu kochen,
Ich den Knaben rief,
Fand aus weißer Seide
Darin einen Brief.3

Niederknieend4 las ich,
Was im Briefe stand.
In dem seid'nen Briefe
Folgendes ich fand:

"Mehr auf deine Pflege
Mußt bedacht du sein",
Und zum Schlusse hieß es:
"Ewig denk' ich dein".
(S. 7-8)

Aus der Han Zeit

1 Das Sehnen ist ohne Ende ebenso wie das Grün, welches überall das Ufer bedeckt.
2 Die getrennte Gattin kann der Natur nicht ihr Leid klagen,
denn die Zweige und das Meer fühlen nichts, aber auch nicht den Mitmenschen,
welche zufrieden in ihrem Heim sind und den Trennungsschmerz nicht kennen.
3 Im Altertum, ehe das Papier erfunden war, schrieb man viel auf Seide.
4 Wohl aus Ehrerbietung vor dem Herrn und Gebieter,
wie chinesische Beamte auch kaiserliche Erlasse knieend zu lesen pflegen.

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Jetzt hat mit eisigem Odem
Der Winter schon Gewalt.
Der Wind, der kommt aus Norden
Und weht gar grimmig kalt.

Wem voll das Herz von Sorgen,
Der merkt, wie lang die Nacht;
Ich blicke empor zum Himmel
Und schaue der Sterne Pracht.

Der Mond nach dreimal fünf Tagen
In vollem Glanze steht,1
Nach viermal fünf, Mondhase
Und Kröte schon vergeht.2

Es kam zu mir als Bote,
Ein Fremdling aus fernem Land,
Und brachte mir ein Schreiben
Von des Gebieters Hand.

Wie sehr er meiner gedenke,
Am Anfang des Briefes er schreibt,
Am Schluß doch heißt's, daß weiter
Bestehen die Trennung bleibt.

Im Busen und Ärmel trage
Den Brief ich immerdar.
Noch ist seine Schrift nicht erloschen,
Verflossen auch drei Jahr'.

Ich hege in meinem Herzen
Die Liebe Tag für Tag.
Ach! daß dies mein Gebieter
Nicht zu erkennen vermag! 3
(S. 10)

Aus der Han Zeit

1 Der fünfzehnte Tag jedes chinesischen Monats ist Vollmond.
2 Im Monde lebt ein Hase und eine dreibeinige Kröte.
3 Sonst käme er vielleicht schneller heim.

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Aus fernem Lande kehrte
Ein fremder Mann zurück
Und brachte von meinem Gatten
Ein prächtiges Seidenstück.

Mag über zehntausend Meilen
Von mir auch getrennt er sein,
So ist doch auch jetzt noch immer
Das Herz des Geliebten mein.

Es sind gestickt in Seide
Zwei Mandarinenenten just;*
Drum habe daraus geschnitten
Ich eine Decke der Lust.

Mit ewigem Gedenken
Füllt' ich sie an als Flaum,
Vereinigung unlösbar
Näht' ich darum als Saum.

So fest ist uns're Verbindung
Wie Leim gemischt mit Lack,
Denn keinen gibt's, der wieder
Zu lösen sie vermag.
(S. 10-11)

Aus der Han Zeit

* Die Sinnbilder ehelicher Treue.
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Die beiden Gattinnen

Engelwurz gepflückt ich hab'
Auf der Bergesmatte,
Als ich stieg vom Berg herab,
Kam mein früh'rer Gatte.*

Nieder sank ich in die Knie'
Und den Gatten fragt' ich
Nach der neuen Gattin, wie
Sie denn sei? - so sagt' ich:

"Magst du deine neue Frau
Noch so sehr auch schätzen,
Ist sie doch der alten, schau!
Niemals gleichzusetzen."

"In dem Äußern mögen beid'
Wohl einander gleichen,
In der Finger Regsamkeit
Muß die eine weichen."

"Als die neue Frau in's Haus
Durch die Tür gekommen,
Hat die alte draus hinaus
Ihren Weg genommen."

"Doppelfädigen Brokat
Kann wohl jene weben,
Schlichte, weiße Seide hat
Diese nur zu geben."

"Von Brokat webt Tag für Tag
Jene an fünf Ellen,
Fünfundzwanzig Ell'n vermag
Diese herzustellen."

"Wenn man mit der Seide weiß
Den Brokat vergleichet,
Vor der alten Gattin Preis
Der der neuen erbleichet." **
(S. 11-12)

Aus der Han Zeit

* Die frühere Gattin ist verstoßen
** Der Vergleich ist nur ein Bild: Die neue Gattin kann sich
trotz aller ihrer Gewandtheit mit der schlichten Tugend
der alten nicht messen.

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Die Schöne

Eine Schöne, hold und jung,
Die den Sinn berückte,
An der Wege Gabelung
Maulbeerblätter pflückte.

Manchen jungen, frischen Zweig
Sah man unten liegen,
Manches grüne Blatt zugleich
Taumelnd niederfliegen.

Ihre zarte, weiße Hand
Aus dem Ärmel schimmert,
Um das Handgelenk ein Band
Hellen Goldes flimmert.

In das Haar gesteckt sie hat
Eine gold'ne Nadel.
Ein Gehäng' aus grüner Jad'
Hebt des Leibes Adel.

Ihren Nacken aus Nephrit
Perlen weiß berühren;
Grüne eingereiht man sieht
In Korallenschnüren.

Wie die Gaze ihres Kleid's
Leicht im Winde wehet,
Gleich dem Rädchen, das bereits
Jeder Lufthauch drehet!

Wo sie hinblickt, bleibt ein Glanz
Haften in den Lüften,
Ihre Seufzer füllen ganz
An die Luft mit Düften.

Mancher Reisende hält an,
Wenn sie naht, den Wagen;
Es vergißt der müde Mann
Alle seine Plagen.*

Könnte man mir sagen nicht,
Wo die Schöne wohnet? -
In der Stadt, am Südrand dicht
Ist es, wo sie thronet.

An dem Hauptweg ragt empor
Grün ihr Wohnhaus dorten
Wo ein hochgewölbtes Tor,
Schließt die schweren Pforten.

Dort ihr holdes Angesicht
Grüßt die Morgensonne.
Welcher Mann erstrebte nicht
Des Besitzes Wonne?

Eine rege Tätigkeit
Mittlerinnen haben,
Doch es kam noch nicht die Zeit
Für die Hochzeitsgaben.

Hoher Sinn und Edelmut
Dieser Maid Begehr ist
Und ein Mann, nur brav und gut,
Der zu finden schwer ist.

Nutzlos ist der Männerschar**
Wirres Stimmgetöne,
Da kein einz'ger des gewahr,
Was ersehnt die Schöne.

So die Jugend hat verbracht
Sie in ihrem Zimmer.
Wenn sie aufwacht in der Nacht,
Seufzet schwer sie immer.
(S. 12-14)

Ts'ao Tschi
Bruder des ersten Kaisers der Wei Dynastie (192-232 n. Chr.)

* Eine ähnliche Wirkung übte schon die schöne Lofu
auf die Vorübergehenden aus.
** Die Schar der Freier.

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Herbst

Der Herbstwind seufzt und stöhnet,
Die Luft weht kalt und rauh,
Es fallen Blätter und Zweige,
Zu Reif erstarrt der Tau.

Die Schwalbenzüge scheiden,
Wildgänse ziehn gen Süd.
Ich denke, wie einsam du wanderst,
Und Schmerz erfüllt mein Gemüt.

Betrübt wohl sinnst du auf Rückkehr;
Dich zieht's zu der Heimat fort.
Warum, mein Herr, denn zauderst
Du noch an fremdem Ort?

Verlassen ist deine Gattin,
Und ihre Kammer leer.
Sie denkt ihres Herrn mit Schmerzen,
Vergißt ihn nimmermehr.

Bis auf mein Kleid hernieder
Ergießt sich mein Tränenquell.
Ich greif' in die Saiten der Zither
Und lasse sie tönen hell.

Doch kurz nur ist mein Liedchen:
Viel singen kann ich nicht.
Mein ödes Bett bestrahlet
Des Mondes weißes Licht.

Die Sterne im Westen versinken,
Noch ist nicht die Nacht zu End'.
Der "Hirt" zu dem "Webermädchen"
Aus weiter Ferne entbrennt.*
Was habt ihr nur verbrochen,
Daß ihr vom Strom getrennt?
(S. 14-15)

Kaiser Wen-ti der Wei Dynastie (220-227 n. Chr.)
Das Gedicht ist wie fast alle chinesischen Liebesgedichte
vom Standpunkt der Frau aus gedacht.

* Zwei Sternbilder, welche vom "Himmelsstrom" = der Milchstraße
getrennt werden, so daß sie nicht zueinander gelangen können.
Die Gattin denkt beim Anblick der beiden Sternbilder
natürlich an ihr eigenes Schicksal.

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Die Tänzerin

Langsam wogt ihr leichter Körper
Und bewegt sich frei und freier.
Hoch erhebt sie beide Hände,
Schwebet wie ein weißer Reiher.

Schlängelt sich gleich einem Drachen
Stolz das Haupt, dann tief gebücket.
Lieblich strahlt ihr holdes Antlitz,
Starr ihr schönes Auge blicket.

Wie gestoßen und gezogen
Scheint sie, muß zurück dann weichen;
Ahmt sie nach die Lebensphasen,
Ist sie wirklich ohne Gleichen.

Ja, sie tanzt mit ganzer Seele:
Wer es sah, vergißt es nimmer,
Während das Haus Tchin* noch blühet,
Und die Freude herrscht noch immer.

Diesen Stoff hier, leicht wie Wolken
Und von silberhellem Glanze
Wem wohl könnt' ich ihn verehren?
Weih' der Schönen ihn zum Tanze.

Schneidet ihn zu einem Mantel
Und den Rest zu einem Tuche.
Schmückt den Körper mit dem Mantel,
Wehrt dem Staube mit dem Tuche.

Und in diesem prächt'gen Kleide
Naht sie den erlauchten Gästen,
Voll vom Weine stehn die Becher,
Von dem edelsten und besten.

Heller Sang, erlesene Tänze
Götter selbst zur Erde bringen.
Sang und Spiel rings zu beschreiben,
Dürfte schwerlich mir gelingen.
(S. 16)

Unbekannter Dichter aus der Tchin Zeit 265-419 n. Chr.

* Die Tchin Dynastie

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Gedenken

Wer wird in seinem Kummer Trost nicht finden
Durch den Gesang?
Wer Hunger, der ihn quält, nicht überwinden
Durch Speis' und Trank?

Die Abendschatten schon herab sich senken;
Am Tor ich steh'.
Wie sollt ich deiner innig nicht gedenken
In meinem Weh?
(S. 17)

Tse Yeh
(Die Dichterin soll in der Tchin Epoche 265-419 n. Chr. gelebt haben)

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Ausschau

Sie hält den Rock fest, dessen Faltenwogen
Kein Band umschlang,
Und blickt, die Augenbrau'n zusamm'gezogen
Durch's Fenster lang'.

Die leichte Gazekleidung sanft umweht sie,
Umfließt sie lind,
Und öffnet sich ein wenig, darum schmäht sie
Den Frühlingswind.
(S. 17)

Tse Yeh
(Die Dichterin soll in der Tchin Epoche 265-419 n. Chr. gelebt haben)

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Die ferne Gattin

Pflaumen sieht sie blühen,
Möcht' nach Hsi-tschou ziehn*
Und die Blüten senden
Nach Tchiang-pei** an ihn.

Den orangengelben
Mantel um sie tut,
Glättet dann ihr Stirnhaar
Schwarz wie Rabenbrut.

Ach! schon sinkt die Sonne,
Scheu der Würger flieht,***
Und in den Talgbäumen
Singt der Wind sein Lied.

Unter diesen Bäumen
Öffnet sich die Tür,
Und mit grünem Haarschmuck
Tritt sie d'raus herfür.

Steht die Tür auch offen,
Bleibt ihr Mann doch aus.
Rote Lotus pflücken
Geht sie aus dem Haus.

Pflückt am Teich im Süden
Sie zur Herbsteszeit. -
Lotus überragen
Menschenhäupter weit.

Neigt das Haupt, um Lotus-
Kerne auszuzieh'n. -
Diese Lotuskerne
Sind wie Wasser grün.

Packt sie in den Busen,
In die Ärmel ein,
Schaut tief in der Lotus
Rotes Herz hinein.

Ihres Gatten denkt sie,
Doch der kommt noch nicht.
Ein Flug wilder Gänse
Kommt ihr zu Gesicht.

Diese Gänse füllen
Bald ganz Hsi-tschou an.
Einen Turm besteigt sie,
Späht nach ihrem Mann.

Auch vom hohen Turm sie
Nichts zu sehn vermag.
An der Brüstung lehnt sie
Wohl den ganzen Tag.

An der Balustrade
Steht sie festgebannt,
Streckt dann aus die weiße
Alabasterhand,

Hebt empor den Vorhang.
Tief der Himmel scheint,
Mit des Meeres Wogen
Grün sein Blau vereint.

Und sie träumt vom Meere,
Wie's unendlich weit;
Wähnt betrübt den Gatten,
Fühlt selbst Traurigkeit.

Zu dem Südwind spricht sie:
"Du kennst meinen Sinn.
Wehe meine Träume
Bis nach Hsi-tschou hin."
(S. 17-19)

Unbekannter Dichter aus der Tchin Zeit 265-419 n. Chr.

* Der Ort, wo sich der Gatte aufhält.
** Bedeutet wohl nur die Gegend nördlich vom Yangtse.
*** Gegen Abend fliegt der Würger.
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Ungeduld

Die Sterne schon niedergleiten,
Es bleicht des Mondes Licht.
O, sage mir bei Zeiten:
Kommst oder kommst du nicht?
(S. 20)

Diese Verse einer ungeduldigen Schönen
sollen aus der Liang Epoche 502-557 n. Chr. stammen.

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Stetes Gedenken

Dein denk' ich, wenn lieblich der Frühling kam,
Wein' im Traum, mein Leid will nicht schwinden.
Steh' am Vorhang, am Fenster, verschlucke den Gram.
Der Weidenflaum fliegt, doch kommt wieder zusamm',
Sommerfäden* zerrissen, sich finden.
Ich sähe die Blumen in Loyang gern,
Doch Kansu im Schnee, der Geliebte fern!**
(S. 20)

Hsü Ling (507-583 n. Chr.)

* Altweibersommer. Die Einsame hofft auf Wiedervereinigung
mit dem Geliebten ebenso wie sich zerrissene Sommerfäden
oft wieder zusammenfinden.
** Die Frau befindet sich im Norden und kann daher die Blumen
in Loyang, Provinz Honan nicht sehen. Der Mann ist im Süden
und sähe gern den Schnee in der nördlichen Provinz Kansu.

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Heimkehr

Als die Nachricht, daß ihr Mann
Heimkäm', sie beglückte,
Trat zum Spiegel sie heran,
Daß sie neu sich schmückte.

Blieb auch eine Tränenspur
An der Wimper hangen,
Spielte doch ein Lächeln nur
Auf den holden Wangen.
(S. 20)

Aus der Sui Zeit 589-618 n. Chr.
Es handelt sich um die Heimkehr eines Kriegers,
die oft viele Jahre der Heimat fern blieben.

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T'ang - Zeit (7. - 10. Jahrhundert n. Chr.)


Laternenfest 1

Das schwere Stadttor offen steht
Wohl diese ganze Nacht,2
Und da es in den Frühling geht,3
Grüßt nächt'ge Zauberpracht.

Des Mondes blütenweißer Schein4
Weicht erst dem Frühlicht ganz.
Die Sterne blicken funkelnd drein
Auf den Laternenglanz.

Der Jüngling auf dem Rößlein fein
Den Südweg trabt entlang,5
Indeß des Nachbars Töchterlein,
Mit Rot sich schmückt die Wang'.

Der Flöte und der Zither Klang
Tönt fernher durch die Luft,
Und manchem seidenen Behang
Entströmt ein zarter Duft.

Die Menschen stehn zusammgezwängt
Da, wo ein Sänger singt,
Und Wagen sind zusammgedrängt
Dort, wo man kämpft und springt.

Doch eh' man alles noch geschaut
Und sich ergötzt genung,
Verkünden Glock' und Pauke laut6
Den Tag im Tsch'ang-yang kung.7
(S. 23-24)

Se Wei-tao (7. Jahrhundert)

1 Am 15. Tage des 1. Monats.
2 Die Bevölkerung ist die ganze Nacht auf den Beinen, deshalb bleibt das Stadttor,
das sonst des Abends geschlossen wird, diese Nacht offen.
3 Mit dem 1. Monat, der etwa unserem Februar entspricht, beginnt der Frühling.
4 Am 15. ist Vollmond.
5 Er sieht sich zu Pferd die Illumination an.
6 Auf dem Glocken- und Paukenturm werden die Nachtwachen angeschlagen.
7 Name eines Palastes, so genannt nach den darin
befindlichen Trauerweiden = Tsch'ang-yang.

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Abstieg vom Berge

Vom Sung Berg* steig' ich nieder in die Flur,
Gar manches denk' ich.
Ich führ' ein schönes Kind und zögernd nur
Die Schritte lenk' ich.

Der Mond, der durch die Tannen scheint, bewahrt
Dies Leuchten immer.
Wann werd' lustwandeln ich in gleicher Art
Bei seinem Schimmer?
(S. 24)

Sung Tschi-wen (gest. 710 n. Chr.)

* Der mittlere der Fünf Heiligen Berge Chinas in Honan.

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Pflanzenleben

Im Frühling kommen die Blüten
Der Orchideen hervor,
Den Ölbaum* bedeckt erst im Herbste
Der weiße Blütenflor.

Ihr Wachsen und ihr Blühen
Erfüllt sie mit Fröhlichkeit,
Und für sich selber genießen
Sie diese herrliche Zeit.

Sie wissen nichts von den Menschen,
Die leben im Walde entrückt,
Und daß im Lenze das Säuseln
Des Windes ihr Herz entzückt.

Die Blumen und Pflanzen haben
Für sich ihren eigenen Sinn
Und wünschen nicht, daß nahe
Die schöne Pflückerin.
(S. 25)

Tschang Tchiu-ling (673-740 n. Chr.)

* Osmanthus fragrans.

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Seit der Trennung

Seit fort mein Herr, niemals mehr Zeit gefunden
Für das unfertige Gewand ich hab'.*
Sein gedenkend gleiche ich dem Mond, dem runden,
Des lichter Glanz von Nacht zu Nacht nimmt ab.
(S. 25)

Tschang Tchiu-ling (673-740 n. Chr.)

* Das Gewand, das die Gattin zu weben begonnen hatte.

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Mondnacht

In dem Fluß1 die Frühlingsfluten
Ausgleich mit dem Meer erstreben,
Und man sieht den hellen Mond sich
Mit der Meeresflut erheben.

Auf den Wellen viele Tausend
Meilen hell das Mondlicht flimmert.
Welchen Ort am Strome gäb' es,
Der in seinem Glanz nicht schimmert?

In gar mannigfalt'ger Windung
Fließt der Strom um blühn'de Felder,
Und es fällt wie Schnee das Mondlicht
Nieder auf die Blütenwälder.

Durch die Luft scheint es zu rieseln
Und wie Reif umherzufliegen,
Auf der Sandbank, an den Dünen
Nicht mehr weißer Sand zu liegen.2

Gleich gefärbt sind Strom und Himmel
Und von makelloser Reine.
Einsam schwebt das Rad des Mondes
In der Höh' mit bleichem Scheine.

Welcher Mensch am Stromesufer
Wohl zuerst den Mond erblickt hat?
Wann am Strom den ersten Menschen
Wohl des Mondes Licht bestrickt hat?

Es entstehen und vergehen
Die Geschlechter seit Äonen.
Jahr für Jahr vom Ufer schauten
Auf den Mond Generationen.

Wen das Licht des Mond's bescheinet
An dem Strom, erfährst du schwerlich,
Siehst den Strom zum Meer nur führen
Seine Fluten unaufhörlich.

Eine kleine, weiße Wolke
Flieht, weit in die Ferne eilend.3
Traurig steht ein Mann am Ufer,
Unter grünem Ahorn weilend.

Wer noch treibt zu nächt'ger Stunde
In dem Strom auf kleinem Kahne?
Wo steht die, die an ihn denket,
Mondbeglänzt auf dem Altane?

Ach! der Mond bescheint den Söller,
Und er weicht nicht von der Stelle,
Übergießet der Verlass'nen
Spiegeltisch mit seiner Helle.

O, aufrollen in dem Vorhang
Möchte sie des Mondes Schimmer,
Reiben ihn vom Wäschesteine,
Doch er kehret wieder immer.4

Beide nur des Mondes Anblick,
Doch des Freundes nicht genießen.
Mit dem Mondlicht möcht sie eilen,
Den Geliebten hell umfließen.

Selbst die Wildgans kann im Fluge
Nicht mit fort das Mondlicht führen
Noch die Fische, wenn sie tauchend,
Hüpfend auf die Fluten rühren.5

Gestern Nacht, am stillen Weiher
Sie vom Fall'n der Blüten träumte;
Seufzt, daß halb vorbei der Frühling,
Und er heimzukehren säumte.

Wie vom Strome fortgespület,
Bald der Lenz sein Ende findet.
Über'm Weiher steht der Mond schon,
Der im Westen bald verschwindet.

Tiefer sinkt der Mond und birgt sich
In des Meeres Nebelkreise.
Von dem Hsiang bis hin nach Tchieh-schi6
Scheinet endlos schier die Reise.

Niemand weiß, wie viele Menschen
Mit dem Monde heimwärts streben.
Von des Ufers Bäumen blinkend,
Macht er unser Herz erbeben.7
(S. 26-28)

Tchang Jo-hsü (7.-8. Jh.)
Zeitgenosse des Ho Tschi-tschang geb. 659, des Tschang Hsü und Pao Jung,
mit denen zusammen er als einer der Vier Literaten von Wu bezeichnet wurde.

1 Es ist wohl Yangtse gemeint, der im Frühling stark anschwillt,
während auch Ebbe und Flut besonders stark sind.
2 Im Mondschein glänzt der Sand wie Schnee.
3 Die Wolke gleicht dem Wanderer in der Ferne.
4 Der Glanz des Mondes verfolgt die Verlassene überall,
sie kann ihn nicht loswerden, nicht in den Fenstervorhang aufrollen,
noch vom Wäschestein, auf welchem sie die Wäsche klopft, abreiben.
5 Das Mondlicht eilt nicht fort, daher kann die Freundin nicht
mit ihm zu ihrem Freund gelangen.
6 Der Hsiang ist ein Nebenfluß des Yangtse im Inland,
in der Provinz Hunan. Tchieh-schi liegt am Meere. Der Wanderer und
die verlassene Gattin sind so weit voneinander getrennt.
7 Der Mond scheint bereits durch die Bäume
und wird bald untergehen.

_____



Erwartung

Im Westen kaum die Abendsonn'
Am Berge niedergleitet,
Als über alle Täler schon
Die Dunkelheit sich breitet.

Aus Tannen steigt der Mond empor.
Kalt weht es aus den Rüstern,
Und deutlich hört des Lauschers Ohr,
Wie Wind und Quelle flüstern.

Der Waldmann ließ die Arbeit ruhn,
Ist heim schon aus dem Forste.
Den ersten Schlaf die Vögel tun,
Geschützt in ihrem Horste.

Mein Freund versprach mir hier zu sein
Zur Nacht; schon lang' ich harre
Auf grün umranktem Pfad, allein
Mit dir, meine Guitarre.
(S. 28)

Meng Hao-jan (689-740 n. Chr.)

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Abschied

O, wie lachten heiter wir,
Als wir uns gefunden!
Jetzt, da du ziehst fort von hier,
Kommen Tränenstunden.

Traurig, daß der Abschied naht,
Speisen wir gemeinsam.
Ach! daß ich zur öden Stadt
Bald muß kehren einsam.

Es ist kalt und ferne winkt
Das Gebirge gleißend.
Schon die Abendsonne sinkt,
Und der Strom fließt reißend.

Nunmehr löset man das Tau;
Fort trägt dich die Welle.
Lange ich dir nach noch schau'
An derselben Stelle.
(S. 28-29)

Wang Wei (699-759 n. Chr.)

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Nächtliches Zitherspiel

Schräg am Himmel hängt der "Scheffel",1
Und die Nacht ist bald vergangen.
Sinnend neigt ein Mann zum Mond sich,2
In Melancholie befangen.

Plötzlich hört er eine Zither
Vom Balkon die Nacht durchtönen,
Und er weiß, sie wird geschlagen
Von des Nachbars Maid, der Schönen.

Daß die dunklen Brau'n sie runzle,
Denkt er, wenn das Lied zu Ende,
Und beklagt beim Saitenrauschen
Ihre marmorkalten Hände.3

Doch vergeblich lauscht er, daß sich
Ihm das Silberschloß erschließe.
Will drum schlafen, daß im Traume
Ihren Anblick er genieße.
(S. 78)

Hsü An-tschen (Anfang des 8. Jahrhunderts)

1 Das Sternbild des Großen Bären.
2 Der Mond steht sehr tief.
3 Die Nacht ist kühl.

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Die Tänzerin

Was preisen wir die Hsi-schi noch,
Die im Lenz ihre Seide gewaschen,1
Da unsere neue Pi-yü2 doch
Den Ruhm der Li-hua3 konnt' erhaschen?

Mit ihren dunklen Augenbrau'n
Taglilien sie beschämet.
Muß ihres Rockes Rot sie schaun,
Granatblüt' zu Tode sich grämet.

Und singt ein neues Lied sie gar,
Wer würde nicht entzücket,
Wenn trunken im Tanz glänzt ihr Augenpaar
Und ihr Haar an die Schläfe sie drücket.

Fünf seidene Fäden meinen die Leut',
Verlängern können das Leben,4
Mir aber ist es, als müßt ich noch heut'
Vor ihr meinen Geist aufgeben.
(S. 78-79)

Wan Tsch'u (Anfang des 8. Jahrhunderts)

1 Berühmte Schönheit des 5. Jahrhunderts v. Chr.,
von armer Herkunft, so daß sie vom Seidenwaschen lebte,
später Favoritin von Fu-tschai, König von Wu.
2 Auch eine große Schönheit, Konkubine eines Fürsten von Ju-nan.
3 Yin Li-hua, Gemahlin des Han Kaisers Kuang Wu-ti.
4 Die sogenannten Fäden des langen Lebens in fünf Farben,
welche am 5. Tage des 5. Monats, dem großen Sommerfest,
den Kindern um das Handgelenk gebunden werden
und als Talisman wirken.

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Frühlingstraum

Der Frühlingswind umspielte
Im Schlaf mich gestern Nacht:
Ich hab' an die ferne Geliebte
Am Ufer des Hsiang gedacht.

Den Augenblick, als auf dem Kissen
Ich träumte den Frühlingstraum,
Durcheilt' ich bis südlich vom Yangtse
Viel tausend Meilen den Raum.

Ts'en Ts'an (8. Jh. n. Chr.)
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Lotospflückerin

Die Lotosblätter und ihr Kleid,
Die schimmern beide grün,
Und ihrem Antlitz sieht zur Seit'
Man rote Lotos glühn.

Kaum merkt man, daß im Teiche schwimmt
Durch Blüten leicht ihr Kahn.
Erst wenn man ihren Sang vernimmt,
Erspäht man ihre Bahn.

Wang Tsch'ang-ling (8. Jh. n. Chr.)
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Der Seepavillon

Wie hold umkost der Lenzwind weich
Den Pavillon am See,
Wie Ranken an dem Weidenzweig
Hängt dran mein Trennungsweh.

Mich kennen alle Vögelein,
Denn hier verweilt' ich lang.
Jetzt, da bald muß geschieden sein
Tönt traurig oft ihr Sang.
(S. 82-83)

Jung Yü (Ende des 8. Jahrhunderts)

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Spätfrühling

Unter der Glyzine saß
Ich mit dem Genossen,
Spät im Lenz und fast vergaß,
Daß er bald verflossen.

Die Glyzine rings bereits
Ihren Schatten breitet,
Während nieder allerseits
Blüt' auf Blüte gleitet.

Emsig knospt es, und es drängt
In dem frischen Laube,
Doch verdorrt herniederhängt
Manche Blütentraube.

Droben wölbt des Himmels Blau
Sich in weitem Bogen,
Und zwei Schmetterlinge, schau'!
Kommen schon geflogen.

So muß sein die Frühlingszeit,
Und in diesen Tagen
Sollte man kein Herzeleid
Mehr im Busen tragen.
(S. 84)

Han Yü (768-824 n. Chr.)

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Die Reiher*

Der Reiher trägt im Schnabel
Zum Nest ein Zweiglein fein;
Mit einem Stückchen Erde
Kehrt heim die Gattin sein.

Das Nest ist bald vollendet,
Doch unfruchtbar die Eh'.
Die Sitte will, daß deshalb
Man auseinander geh'.

O, wie sind doch die Fluten
Des Kiang und Han** so weit,
Daß ganz darauf verschwindet
Des Reihers Winzigkeit.

Sie würden in dem Wasser
Sich finden nimmermehr,
Woll'n um die Bäume fliegen
Hintereinander her.***
(S. 86)

Han Yü (768-824 n. Chr.)

* Diesem Gedicht liegt ein älteres Lied zugrunde.
Als Schang-ling Mu-tse fünf Jahre verheiratet war
und keine Kinder hatte, wollten seine Eltern, daß er sich von seiner Frau trennte.
Diese hörte davon, erhob sich des Nachts und weinte, an die Tür gelehnt.
Ihr Mann merkte es, ergriff seine Laute und sang ein Lied,
wodurch er ihr seine Absicht, sie nicht zu verlassen, zu erkennen gab.
** Der Yangtse und sein großer Nebenfluß.
*** Die beiden Reiher, d. h. Mann und Frau, wollen zusammen bleiben.

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A-tchiao's Kummer

Von fernher winkten glückverheißend ihr
Mit buntem Federschmuck des Herrn Standarten.
Schon ließ die Blumen* fegen sie im Garten,
Wollt' öffnen ihm des Goldpalastes Tür.

Auf Kundschaft schickt sie eine Sklavin aus,
Um schleunigst sich're Nachricht zu erlangen.
Die meldet, daß der Kaiser sei gegangen
Soeben in der Fürstin Ping-yang** Haus.
(S. 92)

Liu Yü-hsi (772-842 n. Chr.)

* Die abgefallenen Blumen
** Im Hause der Prinzessin von Ping-yang hielt sich
eine Rivalin auf, welcher Han Wu-ti seine Gunst zugewandt hatte.

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Die beiden Perlen

Daß ich einen Gatten habe,
Weiß ich, ist dir wohlbekannt,
Dennoch hast zwei helle Perlen
Du mir zum Geschenk gesandt.

Dein Gemüt erscheint verwirrt mir.
O, es tut mir innig leid.
Hielt auch deine beiden Perlen
An mein rotes Gazekleid.

Dicht beim kaiserlichen Parke
Raget unser Haus empor.
Mein Gemahl mit Hellebarde
Steht der Schloßleibwache vor.

Oh, ich kenne deine Einsicht,
Die wie Sonnenlicht so klar:
Meinem Gatten schwur ich Treue
Bis zum Tode immerdar.*

Geb' zurück dir beide Perlen,
Hab' zwei Tränen drauf geweint.
Ach, daß wir uns nicht gefunden,
Eh' dem Gatten ich vereint!
(S. 99-100)

Tschang Tchi (8.-9. Jh. n. Chr.)

* Du bist so klug, daß du einsehen mußt, daß ich den einmal
gegebenen Schwur der Treue nicht brechen kann.

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Im Goldpalast*

Vom Fenster aus sieht man sinken
Die Sonne. Der Abend graut.
Die Spuren ihrer Tränen
Hat niemand im Goldhaus geschaut.

Lenz stirbt. Aus dem öden Palaste,
Da tönt kein Laut hervor.
Die Birnbaumblüten fallen;
Verschlossen bleibt das Tor.
(S. 100)

Liu Fang-p'ing (8.-9. Jh.)

* Der Palast der A-tchiao, einer Gemahlin des Kaisers Han Wu-ti,
2. Jahrhundert v. Chr., welche später seine Gunst verlor
und verlassen in ihrem Goldpalaste saß.

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Das Geheimnis*

Still ist's trotz Frühlingsweben,
Das Tor bleibt zugetan.
Zwei holde Frauen schweben
Zum buntgeschmückten Altan.

Sie wagen nicht, was geschehen,
Im Schlosse, zu sagen frei,
Aus Furcht, es könnte verstehen
Der lauschende Papagei.
(S. 101)

Tschu Tch'ing-yü (9. Jahrhundert)
Ein Schüler des Tschang Tchi, bestand 825-827 das tchin-schi Examen

* Es handelt sich vermutlich um Herzensangelegenheiten
der Palastdamen.

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Im Tschang-hsin Palast

Der Fürst entzog seine Gunst der Maid.
Wem könnte ihr Leid sie klagen?
Noch haftet sein Duft* an ihrem Kleid,
Das jüngst sie beim Tanz getragen.

Ach! könnte sie den Körper leicht
In der Luft wie die Schwalbe wiegen,
Dann würde sie im Lenz vielleicht
Vor des Kaisers Fenster fliegen.
(S. 101)

Meng Tsch'i (9. Jahrhundert)
tschin-schi des Jahres 845

* Parfum, das der Fürst ihr früher geschenkt hat.

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Sung Zeit (10. - 13. Jahrhundert)


Weidenzweige

I.
Ich möchte dir bei einem Becher Wein
Ein Liedchen von den Weidenzweigen singen.
Die Saiten sollen hell dazu erklingen,
Und auch die Flöte töne mit darein.

Zur Frühlingszeit, da ist es unsre Pflicht,
Daß Tag für Tag wir sei'n vom Weine trunken.
Bedenke wohl, wie in den Staub gesunken
Gar bald die Blätter, die der Herbstwind bricht.


II.
Am Wasserkiosk war Frühligsherrlichkeit;
Die Winterkälte plötzlich ward beendet.
Die Morgentoilette war vollendet;
An das Geländer stand gelehnt die Maid.

Die langen Weidenzweige schwankten wild
Und hin- und herbewegt die Flut sie hatten.*
Sie wollten nicht dem schönen Kind gestatten,
Daß in den Wellen es erschau' sein Bild.
(S. 105)

Hsü Hsüan (916-992 n. Chr.)

* Die Weidenzweige hingen in das Wasser.

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Traumfahrt

Im Südland lebte ein Mägdelein
"Nephrit",* gar lieblich zu schauen.
Wie Lotus waren die Wangen fein,
Wie ferne Berge die Brauen.

Zu einem Elfen in Liebe entfacht,
Stand sie in heimlichem Bunde.
Die Mutter hegte keinen Verdacht
Und hatte davon nicht Kunde.

Im Traum durchflog sie das Wolkenland,
Kam heim dann in Windeseile.
Er führte heimlich sie an der Hand,
Die in Angst, daß zu lange sie weile.

Und nach der Trennung jedesmal
Stand sie am Fenster versonnen,
Und hat dann eine ganze Zahl
Kehrverse** zu weben begonnen.
(S. 105-106)

Hsü Hsüan (916-992 n. Chr.)

* Yü-erh = Nephrit war ihr Name.
** Verse, die von vorn und hinten gelesen werden können = Palindrom.

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Die Eifersüchtige

Von Huan, dem Minister,* sagt man,
Daß er in alter Zeit
Als zweite Frau genommen
Eine wunderschöne Maid.

Er hatte als erste Gattin
Gewählt die Prinzessin Nan.
Von Eifersucht sie entbrannte,
Wie nur eine Frau es kann.

Sie griff nach einem Messer,
Rief ihre Frauen schnell
Und wollte die Rivalin
Erstechen auf der Stell'.

Bei ihrer Toilette
Die grade am Fenster war
Und kämmte vor dem Spiegel
Ihr aufgelöstes Haar.

Ihr Haar, das in vollen Strähnen
Wie Wellen zu Boden wallt,
Indes in blinkender Vase
Sich spiegelt die schöne Gestalt.

Und als das Nahen der Herrin**
Bemerkt sie hatte kaum,
Da raffte ihr Haar sie zusammen
Und floh in den unteren Raum.

Die Hände gefaltet, nannte
Den Ort sie, woher sie kam,
Als ihr Reich zugrunde gegangen,
Vernichtet ihr ganzer Stamm.

Daß sie hierher gekommen,
Sei nicht ihr eig'ner Entschluß.
Nie hätte gewünscht sie zu dienen
Dem fremden Herrn zum Genuß.

Und sollt' sie am heutigen Tage
Empfangen den Todesstreich,
Das Leben und das Sterben,
Es sei ihr beides gleich.

Da warf die Eifersücht'ge
Die Klinge vor sich hin,
Umarmte mit tiefem Seufzer
Die Nebenbuhlerin,

Und sprach zu ihr: "Deinem Anblick
Zu trotzen vermag ich nicht.
Was mußte da erst empfinden
Der alte Bösewicht!"

So wuchs aus grimmen Zorne
Die reinste Freude hervor,
Und inniges Mitleid erfüllte
Ihr Herz wie nie zuvor.

Die Eifersucht war verschwunden,
Besiegt durch die Schönheit hehr,
Und ihre früheren Schmerzen
Quälten sie jetzt nicht mehr. ***
(S. 107-108)

Mei Yao-tsch'en (1002-1060 n. Chr.)

* Huan T'ui, Kriegsminister in Sung und Feind des Konfuzius,
gegen dessen Leben er einen Anschlag machte.
** Die Konkubine hat der ersten Gattin gegenüber
die Stellung einer Dienerin.
*** Balladenartige Gedichte wie dieses sind in der
chinesischen Lyrik sehr selten.

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Die Verlassene

I.
Am Webstuhl im Lenz gewebt sie hat
Ein Palindrom in den Seidenbrokat.
Die Träne rinnt, und die Schminke zerläuft
Und wie Tau auf den Baum am Brunnen träuft.

Fern ist der Mann, dem sie Liebe geweiht,
Der in einem Briefchen sie Ausdruck verleiht,
Im Abendrot schimmert der Weidenflaum,
Und einsam bleibt sie im öden Raum.


II.
Nur wenig schreibt sie auf rotem Papier
Dem Gatten und will verzweifeln schier;
Den Kehrvers* stickt sie in Seide ein,
Das Herz zerrissen von wilder Pein.

Die welken Blätter, vom Winde erfaßt,
Sie stören der träumenden Falter Rast.
Vom Grenzwall traf eine Wildgans ein,**
Sie soll ihre Liebesbotin sein.


III.
Es wogt und wirbelt der eisige Wind,
Die gelben Blätter bereift schon sind.
Die Lampe erlosch, und der Mond scheint fahl;
Auf das leere Bett trifft sein bleicher Strahl.

Voll Sehnsucht sie aus nach dem Gatten blickt
Und hat ihm ein Verslein in Seide gestickt.
Und jedes Zeichen erzählt von dem Schmerz,
Von dem zerrissen ihr armes Herz.


IV.
Sie zog ihre seidenen Brauen zusamm',
Als sie der Schwalben Gezwitscher vernahm.***
Es perlten die Tränen, umflort war ihr Blick,
Denn sie sah, daß die Wildgans kehrte zurück.****

Ein Weib von den Stürmen der Liebe umbraust,
Ist eine Blume vom Winde zerzaust.
Der Mann, gefühl- und herzlos, gleicht
Dem Tau, der vor der Sonne entweicht.
(S. 146-147)

Su Tung p'o = Su Schi (1036-1101 n. Chr.)

* Ein Vers, der von vorn und von hinten gelesen werden kann = Palindrom.
** Es ist Herbst.
*** Es erinnert sie an das Zusammensein mit ihrem Gatten
und stimmt sie traurig.
**** Die Wildgans kehrte zurück, aber der Mann blieb fort.

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Die Einsame

Im Osten unseres Landes
Da lebt eine schöne Frau.
Ihr liebliches Antlitz gleichet
Den Frühlingsblüten genau.

Nur ihren Schatten umarmend,
So harrt sie in Einsamkeit,
Und starren Blickes verkündet
Im Zitherspiel sie ihr Leid.

Warum sind seine Töne
So voll von herbem Schmerz?
Weil fern wie der Milchstrom am Himmel
Der Mann, dem gehört ihr Herz.

Zu baden sich und zu schmücken,
Das wäre vergebliche Müh',
Denn niemand ist ihr zur Seite
Am Abend und in der Früh'.

Des Herzens wilde Gefühle,
Die preßt sie zurück mit Gewalt.
Der herrliche Mond erscheinet,
Auch er versinket gar bald.

Doch listig blickt er im Sinken
Noch in ihr Fensterlein,
Es fällt auf den stillen Vorhang
Der Morgenröte Schein.

Die Blumen und Pflanzen blühen
Und duften Jahr für Jahr,
Und jede Nacht erschimmern
Die hellen Sterne klar.

Die Zeit wird sicher einst kommen
Der Wiedervereinigung -
Weshalb drum seufzen und klagen? -
Wenn sie geharrt genung.
(S. 156)

Tch'in Kuan (1049-1101 n. Chr.)
Tch'in Kuan, galt zusammen mit Huang T'ing-tchien,
Tschang Lei, Tsch'ao Pu-tschi als einer der Vier großen Gelehrten des Reiches.
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Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)

Aus: Dichtungen der T'ang- und Sung-Zeit
aus dem Chinesischen metrisch übertragen von Alfred Forke
Deutscher Text
Hamburg Friedrichsen de Gruyter & Co 1929

 

 

 


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