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      Japanische Dichtungen 
      (aus Manyoshu und Kokinshu) 
       
       
       
      Schifferlied 
       
      Das Steuer des Bootes 
      Im Enten-durchschwärmten 
      Hafen von Ina - 
      Haltet es sorglich, 
      Dass nicht kentre der Kahn, 
      Dass nicht kentre der Kahn! 
       
      Denn es trägt ja mein Weibchen, 
      Das jugendlich frische, 
      Und trägt auch mich selber - 
      Lasst nicht kentern den Kahn, 
      Lasst nicht kentern den Kahn. (S. 14) 
       
      Altes Kagura-Lied 
      (Kagura: bei den Shintofesten gesungene Lieder) 
      _____ 
       
       
       
      Mann und Frau 
       
      Frau: 
      "Die Männer andrer Frauen reiten 
      Auf stolzem Rosse ihre Bahn, 
      Mein armer Mann muss mühsam schreiten 
      Das Thal entlang, den Berg hinein. 
       
      Mit Wehmut muss ich dies erblicken, 
      Und Thränen weint das Auge mein. 
      Gern wollt' ich mich in Uebles schicken, 
      Könnt' ich dem Herrn nur nützlich sein. 
       
      Den Spiegel und den Schleier hier, 
      Den Mütterlein mir jüngst bescheert 
      Beim Abschied nehmen, geb' ich dir: 
      Geh hin, und kauf dafür ein Pferd!" 
       
      Mann: 
      "Wie, sollt' ich ziehn auf hohern Rosse 
      Und meine Frau zu Fusse sehn! - 
      Nein, lieber will als ihr Genosse 
      Ich plaudernd mit zu Fusse gehn!" (S. 15) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Blumentrost 
       
      Von meinem Fürsten in die fernsten Gauen 
      Gesandt, kam ich nach Koshi's Wüsteneien, 
      Wo kalte Winterstürme frostig wehen 
      Und Schneegestöber alles Land verschneien. 
       
      Fünf Jahre sind nun schon dahin geschwunden, 
      Seitdem der Gattin Anblick mir geraubt, 
      Und meine Hüften ich nicht mehr entgürtet, 
      Und nicht mehr ruht auf ihrem Arm mein Haupt. 
       
      Ein Trost nur ist, der meine Schmerzen lindert: 
      Ich holte mir dort unten aus dem Moor 
      Die Lilien und Nelken, pflanzt' sie sogleich 
      Mit Gärtnerskunst vor meines Hauses Thor, 
       
      Und immer, wenn ich aus dem Hause schreite 
      Und sie im Blütenschmucke prangend schau, 
      Da denke ich der schönsten aller Nelken, 
      Der schönsten Lilie, meiner Lilien-Frau. 
       
      Ach, hätt' ich euch nicht, süsse Liebesträume, 
      Die ihr mir freundlich mildert meine Pein, 
      Ich könnt' an diesem wilden, öden Orte 
      Nicht eine Tag, nicht eine Stunde sein. (S. 16-17) 
       
      Yacamochi (718-785) 
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Die Perlen von Susu 
       
      Von Susu's Fischermädchen hör' ich sagen, 
      Dass auf dem Meeresgrund hinab sie steigen 
      Und Perlenschätze aus den Fluten tragen; - 
      O, wären mir fünfhundert Perlen eigen! 
       
      Mein treues Weib sitzt einsam und verlassen: 
      Sie denkt der Stunde, da ich ihr entrissen, 
      Und Thränen rinnen vom Gesicht, dem blassen, 
      Und schluchzend drückt sie's in des Ehbetts Kissen. 
       
      Wohl nimmer bei der Morgendämmrung Scheinen, 
      Schmückt sie die schwarzen, aufgelösten Haare, 
      Und seit dem Abschiedstag zählt sie mit Weinen 
      Die Tag und die Monde und die Jahre. 
       
      O, hätt' ich eine Perlenschnur zu eigen, 
      Wie freudig wollt' ich meinem Weib sie schicken! 
      Dann könnt' mit Blüten von Orangenzweigen 
      Und Perlen sie sich ihre Haare schmücken. (S. 18) 
       
      Yacamochi (718-785) 
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Der Einzige 
       
      Reich bevölkert zwar ist das Land 
      Yamato, reich an Männern; 
      Aber nach deinem Anblick nur, 
      Der du wie junges Gras grünst, 
      Sehnt sich mein Liebe schmachtendes Herz, 
      Und in Gedanken umschling' ich 
      Deinen Hals, wie der Fujiblüten 
      Bläuliche Wellen, wogend im Wind, 
      Sich einander umschlingen. 
      Reich bevölkert zwar ist das Land 
      Yamato, reich an Männern, 
      Aber einsam in langer Nacht 
      Soll ich verschmachten nach deinem Anblick? (S. 19) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Keine Nachricht 
       
      Das Jahr ist kommen, und es ist verflossen, 
      Und wieder leben wir in Frühlingstagen; 
      Doch von dem Liebsten bracht' es keine Kunde, 
      Drum muss ich meinen Schmerz den Lüften klagen. 
       
      Die Seidenraupen meiner Mutter wohnen 
      In düsterem Gespinste, selbstgefangen; 
      So sitz auch ich, kann Niemand mich vertrauen, 
      Und Thränen rinnen über meine Wangen. 
       
      Gleich einer Trauerweide muss ich trauern, 
      Dieweil die Abendschatten niedersinken. 
      Ach, meine langen, schneeig weissen Aermel 
      Sind schon durchnässt vom viele Thränentrinken. (S. 
      20) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Erwartung 
       
      Er naht sich nicht! Vergeblich ist mein Harren - 
      Des wilden Kranichs Schrei' dringt an mein Ohr, 
      Die Nacht ist schwarz und öde, und mit Knarren 
      Bewegt im Sturmgebrause sich das Thor, 
      So muss ich stehn und trauern, 
      Dieweil in kalten Schauern 
      Der Schnee mich rings umfliegt 
      Und feucht in weissen Flocken 
      An mein Gewand sich schmiegt. 
       
      Schon ist's zu spät! er kann sich nicht mehr zeigen, 
      Und dennoch hoff' ich sicher, ihn zu sehn - 
      Ein solch Vertraun ist auch dem Schiffer eigen, 
      Wenn wild ringsum die Todesstürme wehn. 
      Und kann ich nicht im Wachen 
      Ihn kosen, mit ihm lachen, 
      So sei's ein Traumgesicht, 
      Das mir mit süssem Truge 
      Den Bann der Trennung bricht. (S. 21) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Liebesgeheimnis 
       
      Wenn du nach mir in Liebesgluten brennst, 
      So wie nach dir mein Herz sich stets verzehrt, 
      Was zögerst du, dass du es mir bekennst? - 
      Wenn unterwegs mich eine Base fragt, 
      Auf ihre Frage Antwort flugs begehrt, 
      Warum's in meiner Brust so stöhnt und klagt - 
      Sag an, mein Leben, 
      Mit welchen Worten soll ich Auskunft geben? 
       
      Gewiss entschlüpft dein Name meinem Mund, 
      Und mein Erröten und befangne Pein 
      Macht unsrer Liebe heimlich Weben kund. 
      Doch nein, ich sag', dass mich so traurig macht 
      Die Sehnsucht nach dem milden Mondenschein, 
      Der über jenem Berg erhellt die Nacht. 
      Das will ich lügen - 
      Ach, könnt' ich so doch auch mein Herz betrügen. (S. 
      22) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Sehnsucht 
       
      Einsam stand ich am Berge, 
      Gequält von der Sehnsucht der Liebe, 
      Und im Sinnen zerpflückt' ich 
      Die roten Blätter der Bäume. (S. 23) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Abend-Orakel 
       
      In jener Stunde war's, wo all mein Hoffen 
      Schon nah war dem Verblassen und Verwittern, 
      Wie im Tsurugisee in Lotoskelchen 
      Die Tropfen Thaus verhauchen und verzittern; 
      Da hört' ich plötzlich eine Stimme sagen: 
      "Bald wird er um dich frein, sei ohne Zagen!" 
       
      Wohl will die Mutter, dass ich von dir lasse, 
      Doch solchen Schlag könnt' ich wohl nie verschmerzen. 
      Wie tief des Sees Kiyos'mi Fluten wühlen, 
      Noch tiefer wühlt die Lieb' in meinem Herzen, 
      Nur ein Gedanke ist's, in dem ich lebe: 
      Wann kommst du, dass ich ganz mich dir ergebe? (S. 
      23) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Endlose Liebe 
       
      Wo ich ferne des Mikane 
      Hohen Gipfels ragen seh, 
      Fällt der Regen endlos nieder, 
      Nieder endlos fällt der Schnee. 
       
      Ganz so endlich wie der Regen 
      Und der Schnee vom Himmel thaut, 
      Ist auch endlos meine Liebe, 
      Seit ich dich zuerst geschaut. (S. 26) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Das Mädchen und ihr Hund 
       
      Wie hoffnungsvoll der Jägersmann 
      Am Waldessaume wartend steht 
      Dass auf den Hirsch er lege an, 
      Der arglos seines Weges geht - 
      So wart' ich auf den Liebsten traut 
      In Sonnenglut und Mondenschein. 
      Mein Hündchen! Naht er, gieb nicht Laut, 
      Willst du nicht ausgescholten sein. (S. 28) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Heimliche Liebe 
       
      Er: 
      "Ins Thal Hatsuse's zog ich ein, 
      Um dich, mein Liebling, hier zu frein. 
      Doch Schnee und Regen rinnen nieder 
      Und breiten rings ihr nass Gewand; 
      Fasanen rufen in den Büschen, 
      Und krähend scharrt der Hahn im Sand. 
      Die Nacht entflieht - schon halb sie schwand - 
      O Liebchen, lass zu dir mich ein!" 
       
      Sie: 
      "Ins Thal Hatsuse's zogst du ein, 
      Um mich, mein Liebling, hier zu frein. 
      Doch meine Mutter schläft daneben, 
      Nah lagert auch mein Vater sich; 
      Stünd' ich nur auf, gleich würd' sie wachen, 
      Ging' ich hinaus, gleich hört' er mich. 
      Die Nacht entflieht - ich weigre mich - 
      Denn unsre Lieb' muss heimlich sein!" (S. 29) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Vanitas Vanitatum 
       
      Vergeblich zeichnest du 
      Figuren in den Fluss: 
      Sie werden von der Flut 
      Sogleich hinweggeschäumt; - 
      Doch noch viel eitler ist's 
      Wenn du ein Mädchen liebst, 
      Die auch nicht Eine Nacht 
      Von deinen Küssen träumt. (S. 31) 
       
      Aus dem Kokinshu 
      _____ 
       
       
       
      Zornige Eifersucht 
       
      Hab ich doch heut den ganzen Tag, 
      Solang die rote Sonne scheint, 
      Und gestern, seit die Mitternacht 
      Mir schwarz das wache Aug' umstarrt, 
      Vor Schmerz getobt, vor Wut geweint. 
       
      Hast du in jener Hütte nicht, 
      (Warum hat man sie nicht verbrannt?) 
      Auf alter Matten Strohgeflecht 
      (Fast für den Kehrichthaufen reif), 
      Des Bauernmädchens plumpe Wangen 
      Geküsst, geherzt, in Lieb' umfangen?
      (S. 32) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
      Das Mädchen ohne Begleitung 
       
      Ueber die Brücke, mit purpurnem Lack geschmückt, 
      Die Katashiwa's rauschenden Strom überbrückt, 
      Geht trippelnden Schritts eine zarte Maid 
      Im blauen, rotgeränderten Kleid 
      Ganz ohne Geleit! - O wenn ich doch wüsst', 
      Ob frei noch Herz und Hand ihr ist, 
      Oder ob schon ein Freier sie weggefangen? 
      Gleich sagt, wo sie wohnt! 
      Vielleicht sich's noch lohnt, 
      Und ich kann mir die Schöne noch selber erlangen.
      (S. 34) 
       
      Aus dem Manyoshu 
      _____ 
       
       
       
       
      Übersetzt von Karl Florenz (1865-1939) 
       
      Aus: Dichtergrüsse aus dem Osten 
      Japanische Dichtungen übertragen von Prof. Dr. K. Florenz 
      Achte Auflage Leipzig C. F. Amelangs Verlag 
      Tokyo T. Hasegawa 1896 
       
       
  
        
         
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