Liebeslyrik aus China und Japan

(in deutscher Übersetzung)

Unbekannter chinesischer Künstler - Häherling (Garrulax) auf einem Kamelienzweig im Schnee

 



Aus dem Buch der Lieder Schi-King

(In der Übersetzung von Victor von Strauss und Torney 1809-1899)



Zur Vermählung des Königs Wên2

Ein Entenpaar ruft Wechsellaut,3
Auf Stromes Insel hat's gebaut.
Still, sittsam ist die reine Maid,
Des hohen Fürsten würd'ge Braut.

Seerosen schwimmen mannigfalt,
Und links und rechts durchfährt man sie.
Still, züchtig ist die reine Maid;
Wach und im Schlaf begehrt' er sie.
Und fand er nicht, die sein Begehr,
Wach und im Schlaf gedacht' er der,
Ach wie so sehr, ach wie so sehr!
Und wälzt' und wand sich hin und her.

Seerosen schwimmen mannigfalt,
Und links und rechts wir langen sie.
Still, sittsam ist die reine Maid,
Und Laut' und Harf' empfangen sie.4
Seerosen schwimmen mannigfalt,
Und links und rechts wir pflücken sie.
Still, sittsam ist die reine Maid,
Und Glock' und Pauk' entzücken sie.5
(S. 65-66)

1 Tschēu nân, das südliche Tschēu, ist dasjenige Kronland,
in welchem die Familie der Tschēu vor Gelangung zum Kaiserthron gewohnt.
2 Über König Wên (Wên-wâng) siehe die Einleitung. Seine Gemahlin heißt Thái-tse.
3 "Entenpaar" = thsiū kiēu, nach Tschū-hī entenartige Wasservögel,
die sich paarweis unzertrennlich halten.
In China kommt zur Vermählung die Braut zu dem Bräutigam.
In unserm Liede spielt alles darauf an,
daß Thái-ssè diese Fahrt zu Wasser gemacht habe.
Bei ihrer Ankunft wird sie mit Musik empfangen.
4 Khîn, "Laute", ein Saiteninstrument mit 5,
später mit 7, – sĕ, "Harfe", ein solches mit 25 Saiten.
5 Glocken und Pauken dienten in China von Alters her
als musikalische Instrumente.
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Sehnsucht nach dem fernen Gemahl1

Ich pflückte, pflückte Klettenkraut,2
Noch füllt' es nicht des Korbes Bord,
Da dacht' ich seufzend ach an Ihn –
Und auf den Heerweg warf ich's fort.

Ich fuhr auf jene Felsenzinnen,
Kaum von den Rossen zu gewinnen.
Da ließ ich mir den Trunk aus jenem Goldkelch rinnen,
Um nur nicht endlos schmerzlich nachzusinnen.

Ich fuhr auf jene Bergeszinken,
Die Roß' entfärbten sich im Hinken.3
Drum mußt' ich wol aus jenem Nashornbecher trinken,
Um nur in Gram nicht endlos zu versinken.

Ich fuhr auf jenen Klippenhang,
Bis jedes Roß entkräftet sank,
Bis alle meine Diener krank –
O weh, wie seufz' ich schon so lang!
(S. 68)

1 Chinesische Erklärer führen auch dieses Lied auf Thái-ssè zurück.
2 Kiuàn öll ist nach Medhurst die Zwergktette.
3 Wörtlich: "Meine Rosse wurden schwarzgelb".
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Thái-ssè's Liebe

Im Süden stehen Hängebäum'1
Und Kŏ-Gerank umschlinget sie.2
Sie freut sich nur des hohen Manns,3
Und Glückes Füll' umringet sie.

Im Süden stehen Hängebäum'
Und Kŏ-Gerank bedecket sie.
Sie freut sich nur des hohen Manns,
Und Glückes Fülle schmecket sie.

Im Süden stehen Hängebäum'
Und Kŏ-Gerank umwindet sie.
Sie freut sich nur des hohen Manns,
Und Glückes Fülle findet sie.
(S. 69)

1 Kiēu mŭ, sind Bäume mit niederhangenden Zweigen,
wie unsere Hängebirken, Hängeeschen u.s.w.
2 Kŏ ist ein bohnenartiges Rankengewächs.
3 Tschū-hī will unter kiūn tsè die Thái-ssé verstehen,
und dieß damit rechtfertigen, daß eine Fürstin wol auch siào kiūn,
eine hohe Beamtenfrau néi tsè heiße.
Legge stimmt ihm bei. Kiūn-tsè (wörtlich: Fürstensohn) heißt aber
in allen klassischen Schriften stets "ein hoher Mann" oder "Herr, ein Edler";
nie heißt eine Frau so. Auch das Mandschu hat hier ambasa saisa.
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Sehnsucht nach dem entfernten Gemahl

Es zirpet laut die Grill' im Gras,
Es hüpft die Heuschreck' übers Feld.
Noch seh' ich nicht den hohen Mann,
Mein banges Herz ist gramgeschwellt.
Könnt' ich ihn doch erst sehen, oh,
Ihm erst entgegengehen, oh,
Dann wär' mein Herz in Ruh gestellt.

Ich stieg das Südgebirg hinan,
Da hab' ich Strahlensprehn gepflückt.1
Noch seh' ich nicht den hohen Mann,
Mein banges Herz ist leidgedrückt.
Könnt' ich ihn doch erst sehen, oh,
Ihm erst entgegengehen, oh,
Dann wär' mein Herz mit Trost beglückt.

Ich stieg das Südgebirg hinan,
Da pflückt' ich Gabelfarn am Grund.2
Noch seh' ich nicht den hohen Mann,
Mein banges Herz ist kummerwund.
Könnt' ich ihn doch erst sehen, oh,
Ihm erst entgegengehen, oh,
Dann wär' mein Herz still und gesund.
(S. 80)

1 Da kiuĕ und 2 wêï eßbare Farnkräuter sind,
so wurden dafür die Namen zweier ähnlicher Farne gesetzt.
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Sehnsucht nach des diensteifrigen Gemahls Heimkehr

Des Donners laut Gedröhn
Ist an des Südgebirges Mittagseite.
Warum ist Er entfernt von hier,
Wagt' nie, daß er sich Ruh bereite?
Mein hoher Herr, mein holdes Glück,
O komm zurück! o komm zurück!

Des Donners laut Gedröhn
Ist an des Südgebirges mittlerm Hange.
Warum ist Er entfernt von hier,
Wagt' nie, daß er nach Rast verlange?
Mein hoher Herr, mein holdes Glück,
O komm zurück! o komm zurück!

Des Donners laut Gedröhn
Ist drunten an des Südgebirges Fuße.
Warum ist Er entfernt von hier,
Wagt' niemals, auszuruhn in Muße?
Mein hoher Herr, mein holdes Glück,
O komm zurück! o komm zurück!
(S. 85)
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Furcht eine alte Jungfer zu werden

Geschüttelt sind die Pflaumen,
Und übrig sind noch sieben, oh.
Die ihr mich wollt, ihr jungen Herrn,
Jetzt ist die Zeit zum Lieben, oh.

Geschüttelt sind die Pflaumen,
Und übrig sind noch dreie, oh.
Die ihr mich wollt, ihr jungen Herrn,
Jetzt ist es an der Reihe, oh.

Geschüttelt sind die Pflaumen,
Und all' in vollen Körben da.
Die ihr mich wollt, ihr jungen Herrn,
Jetzt ist die Zeit zum Werben da.
(S. 86)
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Der schöne Jäger1

Getödtet liegt das Wild im Hain
Und Riedgras überspreizet es.
Lenzfreuden sinnt das Mägdelein,
Ein schöner Jüngling reizet es.

Dicht stehn im Wald die Bäumelein,
Getödtet liegt der Hirsch im Hain
Und Riedgras hüllet rings ihn ein.
Das Mägdlein gleicht dein Edelstein.

"Gelassen! und nur sachte sachte, oh!
Nicht an mein Tuch zu rühren trachte, oh!
Und mache ja nicht, daß mein Hündlein – belle!"
(S. 89)

1 Chinesische Ausleger finden viel mädchenhafte Züchtigkeit und Tugend
in diesem zarten Liedchen, dessen Schalkhaftigkeit doch wol
die Schlußzeile darthun dürfte.

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Vermählung einer Königstochter aus dem Hause Tschēu
mit dem Sohne eines Lehensfürsten

Was schimmert da so glänzend her?
Waldkirschen, die da Blüthen tragen?
Gehn nicht zum ehrenvollen Bund
Der königlichen Kī die Wagen?1

Was schimmert da so glänzend her?
Wol blühten Pfirsichbäume schon. –
Des Friedenskönigs Enkelin, –2
Des ehrenreichen Fürsten Sohn.

Wie wendet man die Angel an?
Man knüpfet Fäden her und hin:3
Des ehrenreichen Fürsten Sohn, –
Des Friedenskönigs Enkelin.
(S. 90)

1 Kī war der Geschlechtsname des königlichen Hauses der Tschēu.
2 Der Friedenskönig ist Wên.
3 Hindeutung auf die nützliche Verbindung lehnsfürstlicher Häuser
mit dem herrschenden durch solche Heirathen.
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Klage der zurückgesetzten Gemahlin1

Grün sind, ach, die Kleider, ach!
Grün von außen, gelb von innen.2
Meines Herzens Kümmerniß,
Ach wie könnte die zerrinnen?

Grün sind, ach, die Kleider, ach!
Außen grün, darunter gelbe.
Meines Herzens Kümmerniß,
Wie vergäß' ich je dieselbe?

Grün sind, ach, die Seiden, ach!
So war's dein Entscheiden, ach!
Ich gedachte stets der Alten,3
Jede Schuld zu meiden, ach!

Flortuch, ach, und Nessel, ach,
Sind dem frost'gen Wind' ein Scherz.
Ich gedachte stets der Alten,
Und so find' ich noch mein Herz.
(S. 94)

1 Fürst Tschuāng von Wéi (750-735 v. Chr.) ward durch ein begünstigtes Nebenweib gefesselt
und die Fürstin Tschuāng-kiāng, so vortrefflich sie war, verlor ihre Stellung.
2 Grün galt als die geringere, gelb als die vornehmere Farbe.
Beide symbolisiren die Stellung der Fürstin.
3 Ich verhielt mich nach den Lehren und dem Vorbilde
der großen Leute des Alterthums.
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Klage der vernachlässigten Gemahlin1

O du Sonn', und du o Mond,
Ihr bestrahlt die niedre Erd';
Aber solch ein Mann wie dieser, ach,
Hält nicht alte Sitte werth.
Wie nur kann er Ruhe haben,
Der zu mir nicht mehr sich kehrt?

O du Sonn', und du Mond,
Ihr gewährt der Erde Licht;
Aber solch ein Mann wie dieser, ach,
Weiß von Gegenliebe nicht.
Wie nur kann er Ruhe haben,
Der sich mir des Danks entbricht?

O du Sonn', und du o Mond,
Ihr im Ost geht himmelan;
Aber solch ein Mann wie dieser, ach,
Strebt der Tugend Ruhm nicht an.
Wie nur kann er Ruhe haben,
Der mich so vergessen kann?

O du Sonn', und du o Mond,
Ihr steigt himmelan vom Ost.
Ach daß Vater, ach daß Mutter
Mir nicht stets gewährt die Kost!
Wie nur kann er Ruhe haben,
Der mir lohnt mit solchem Frost?
(S. 97-98)

1 Dieses Lied wird von den Auslegern ebenfalls auf Tschuāng-kiāng zurückgeführt.

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Klage über die hochmüthige Behandlung durch den Gemahl1

Immer Wind und Sturm darein!
Sieht er mich, so lacht er mein,
Lacht mit frechen Spötterei'n,
Und mein Herz ist voller Pein.

Immer Wind und Nebelwehn!
Freundlich scheint er herzugehn;
's ist kein Kommen, ist kein Gehn.
Endlos muß ich sinnend stehn.

Immer Wind und Düster drein!
Eh' es tagt, fällt Düster drein.
Ich wach' auf, muß schlaflos sein,
Möchte reden, – schluck' es ein.

Finster stets die Düsterniß,
Drohend stets der Donnerkrach.
Ich wach' auf, muß schlaflos sein,
Möchte reden, – grüble nach.
(S. 99)

1 Auch dieses Lied wird Tschuāng-kiāng zugeschrieben.
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Der versprengte Krieger

Sie schlugen die Trommel, und die erklang,
Wir sprangen empor, die Waffen zu führen;
Man baute das Land, man befestigte Tsáo;1
Wir mußten allein nach Süden marschiren.

Gefolgt sind wir dem Sün Tsè-tschúng,2
Bis er Frieden gemacht mit Tschhîn und Súng.3
Uns hat er nicht wieder zurückgeführt,
Mein traurig Herz ist bekümmert genung.

Da man rastete, da man der Ruhe genoß,
Da sind abhanden gekommen die Ross';
Ich ging und habe nach ihnen gesucht,
Bis daß mich die Tiefe des Waldes umschloß.

Auf Tod und Leben, getrennt noch so weit,
Hab' ich Ihr mich verbunden mit festem Eid,
Und habe darauf Ihre Hand genommen,
Mit ihr zusammen in's Alter zu kommen.

Und ach, so fern in den Weiten, oh,
Soll mir das Leben entgleiten, oh!
Und ach, so getreu ihr eigen, oh,
Nicht kann ich es ihr bezeigen, oh!
(S. 100)

1 Tsáo oder Thsáo war eine Stadt im Fürstenthum Wéi.
2 Tsè-ischúng aus dem Stamme Sün war derzeitiger Heerführer.
3 Tschēu-hiü von Wéi verbündete sich im Jahre 718 v. Chr.
mit den Fürsten von Tschhîn und von Sung zu einem Kriege
gegen Tschhing, wie die Ausleger erzählen.
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Sehnsucht nach des Gatten Heimkehr

Wenn der Fasan entfliegen will,
Wie zögernd er die Flügel breitet! –
Deß ich im Herzen bin gedenk,
Der hat sich selbst Verzug bereitet.

Wenn der Fasan auffliegen will,
Ruft er hinauf und niederwärts.
Doch o fürwahr, mein hoher Herr,
Ja, er bekümmert mir das Herz.

Ich schau' empor nach Sonn' und Mond,
Endlos von Sehnen hingenommen.
Der Weg, so sagen sie, ist weit;
Wie kann er, sagen sie, denn kommen?1

O allzumal ihr hohen Männer,
Kennt ihr der Tugend Weg so schlecht?
Der Keinen hasset, nichts begehret,
Wie thät' er nicht, was gut und recht?
(S. 102)

1 Das wiederholte jún durch "sagen sie" zu übersetzen,
dürfte durch die Schlußstrophe gefordert werden,
die offenbar eine Entgegnung auf Gesagtes enthält.
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Leidenschaftliche Verfrühung der Vermählung gehindert1

Der Kürbiß hat Blätter voll Bitterkeiten;
Und die Furth hat Tiefen beim Durchschreiten;
Wo sie tief, da entblößt man sich weit,
Wo sie seicht, da lüpft man das Kleid.

Nun woget die Furth von Überschwall,
Und es ruft der Fasanin lockender Schall.
Die Höhe der Furth spült nicht nur die Achsen an,
Und der Ruf der Fasanin suchet ihren Fasan.

Die wilden Gänse, sie schreien im Chor,
Die Sonne geht auf, bringt den Morgen hervor;
Und wenn ein Jüngling ein Weib will frein,
So wartet er nicht bis das Eis sich verlor.

Nach langem Winken der Fährmann rief:
Ein Anderer setze dich über, nicht ich!
Ein Anderer setze dich über, nicht ich!
Denn meinen Freund erwarte ich.
(S. 103)

1 Eheschließung vor der herkömmlichen Zeit galt für unsittlich.
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Klage der Verstoßenen

Des Ostes sanfter Windeshauch
Bringt Dunkel, bringt des Regens Born.
Nach Herzenseinheit soll man trachten,
Und nicht geziemend ist der Zorn.
Die Ampfer und Kohlraben wollen,
Beachten nicht die Wurzelknollen.
Blieb unverletzt mein guter Ruf,
Hätt' ich bei dir auch bleiben sollen.

Ich ging des Wegs gar zögerlich,
Mein ganzes Innre sträubte sich.
Es war nicht weit, nur wenig Schritte,
Daß du geführt zur Schwelle mich.
Wer nennet noch die Raute bitter?
So süß wie Eppich ist sie jetzt.
Du schmausest mit der Neuvermählten,
Wie Bruder sich mit Bruder letzt.

Der Kïngfluß macht den Wéistrom trübe,
Vor Inseln fließt er klar und rein.
Du schmausest mit der Neuvermählten,
Ich soll die Reine nicht mehr sein.
Tritt nicht heran auf meine Dämme,
Zieh' meine Reusen dir nicht her! –
Doch meiner wird ja nicht geachtet –
Was kümmert mich die Zukunft mehr?

Wenn ich vor Wassertiefen kam,
Hab' ich ein Floß, ein Boot genommen,
Wenn ich vor seichte Wasser kam,
Bin ich gewatet und geschwommen.
Ob wir besaßen, ob gebrach,
Ich mühte mich, um zu bekommen,
Traf irgendwen ein Trauerfall,
Ich kroch dahin, um ihm zu frommen.

Nun hältst du dich der Lieb' entbunden,
Ja, siehest mich an als dir feind erfunden.
Da meine Güte du verschmähst,
Bin ich ein Kaufmann ohne Kunden.
Einst sorgt' ich angstvoll mich um's Nöth'ge bleich,
Versank in Noth mit dir zugleich;
Nun kannst du leben, bist du reich,
Und ich bin dir dem Gifte gleich.

Ich hatte Köstliches gespeichert,
Zu sorgen für die Winterzeit.
Du schmausest mit der Neuvermählten,
Ich war nur für die Dürftigkeit.
Du schäumtest, braustest ohne Scham,
Und überläßt mich nun dem Gram,
Uneingedenk des, was vergangen
Und was ich dir zu leisten kam.
(S. 104-105)
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Verfehlte Zusammenkunft

Ein sauberes Mädchen, so schmuck und fein!
Die harrt an der Ecke der Mauer wol mein.
Ich liebe sie, aber ich sehe sie nicht;
Ich kraue den Kopf, steh' betreten allein.

Das saubere Mädchen, so lieblich im Flor,
Die schenkte mir ein rothglänzendes Rohr.
Doch schimmert das röthliche Rohr auch sehr,
Die Schönheit des Mädchens erfreuet mich mehr.

Sie hatte mir Knospen vom Felde beschert,
Und traun, die sind schön und bewundrungswerth.
Und doch, ihr selber, ihr seid nicht schön,
Ihr seid's nur, weil euch mir die Schöne verehrt.
(S. 113)
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Die treue Wittwe

Da schwimmet der Cypressenkahn
Bis mitten in den Strom hinein.
Den wir in Doppellocken sahn,1
Ja, er nur durfte für mich sein.
Kein Andrer bis zum Tod, ich schwör's, wird mein;
O Mutter und o Himmel du,
O trauet ihr mir das nicht zu?

Da schwimmet der Cypressenkahn,
Und naht des Stromes Seite sich.
Den wir in Doppellocken sahn,
Ja, Er Allein war da für mich.
Kein Schlechtes bis zum Tod, ich schwör's, thu' ich;2
O Mutter und o Himmel du,
O trauet ihr mir das nicht zu?
(S. 116)

1 Beim leben der Eltern trugen Söhne das Haar in zwei Locken an den Schläfen.
Der verstorbene Gatte war also noch jung.
2 Das "Schlechte" (thĕ) ist die Wiederverheirathung.
Bewahrung der Wittwenschaft war und ist noch Tugendpflicht.
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Trauer über des Gatten Entfernung

Mein Held, welch kriegesfester, oh!
Des Landes Allerbester, oh!
Mein Held, der führt den langen Speer,
Und vor dem König jagt er her.

Seitdem mein Held gen Osten strich,
Mein Haupt dem Wollenkraute glich.
Ob mir es denn an Salben fehlt? –
Ach, wem zu Liebe schmückt' ich mich?

Es regne nur! es regne nur!
Hell kommt daraus der Sonnenschein.
Nach meinem Helden sehn' ich mich;
Süß ist für's Herz des Hauptes Pein.

Ja, hätt' ich des Vergessens Kraut,
Wol hinterm Hause pflanzt' ich's ein,
Doch meines Helden dächt' ich stets,
Mag auch mein Herz voll Wehe sein.
(S. 139)
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Vergeltung

Melonen reichte deine Hand mir hin;1
Vergelte dir dafür denn ein Rubin.2
Doch nicht vergelt' er's, nein!
Stets dein dafür soll meine Liebe sein.

Du reichtest Pfirsich mir aus deiner Hand;
Vergelte dir dafür ein Diamant.3
Doch nicht vergelt' er's, nein!
Stets dein dafür soll meine Liebe sein.

Du reichtest mit der Hand die Pflaume mir;
Vergelte dir dafür denn ein Sapphir.4
Doch nicht vergelt' er's, nein!
Stets dein dafür soll meine Liebe sein.
(S. 141)

1 Eigentlich Früchte des Melonenbaumes, der carica papaya.
2/ 3/ 4 Die Namen der Edelsteine in allen drei Strophen sind schwer zu erklären.
Für die unbekannten sind bekannte gewählt. –
Was den Sinn des Liedes im allgemeinen betrifft,
so wird Tschu-hī wol Recht darin haben, daß es ein Liebeslied ist.
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Bei langer Entfernung des Gemahls

Mein hoher Herr ist fort im Dienst;1
Weiß nicht, wie lang er hat zu thun;
Und wohin kam er nun?
Es schläft in seinem Stall das Huhn,
Es geht der Tag dem Abend zu,
Und Schaaf und Rind kehrt heim zu ruhn.
Mein hoher Herr ist fort im Dienst, –
Wie sollt' ich sein denn nicht gedenken nun?

Mein hoher Herr ist fort im Dienst –
Nicht Tagen bloß, nicht Monden nach.
Wann kehrt er heim in sein Gemach?
Es schläft das Huhn auf seinem Fach,
Es geht der Tag dem Abend zu,
Und Schaaf und Rind kommt unter Dach.
Mein hoher Herr ist fort im Dienst, –
Leid't er nicht Durst und Hunger, ach!
(S. 144)

1 Hoher Herr, kiün tsè, ist hier, wie öfter,
respektvolle Bezeichnung des Gemahls.
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Freude nach glücklicher Heimkehr des Gemahls

Nun ist mein Herr in Freudenröthe,
Die Linke hält die Flöte,
Auf daß die Rechte mich hinein entböte –
O diese Seligkeit, ahi!

Nun ist mein Herr im Freudenblinke,
Die Federn hält die Linke,
Auf daß die Rechte mir zum Eintritt winke –
O diese Seligkeit ahi!
(S. 145)

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Heimweh des Gränzwächters

Ein angestautes Wasser
Flößt keine Brennholzbündel hin; –
Und sie da drüben, die Geliebte,1
Ist nicht hier mit mir auf der Wacht in Schīn.
Ach ihrer denk' ich, ihrer denk' ich!
In welchem Mond zurück zur Heimath wieder lenk' ich?

Ein angestautes Wasser
Flößt keine Reisigbündel zu; –
Und sie da drüben, die Geliebte,
Ist nicht hier mit mir auf der Wacht in Fù.
Ach ihrer denk' ich, ihrer denk' ich!
In welchem Mond zurück zur Heimath wieder lenk' ich?

Ein angestautes Wasser
Flößt keine Ruthenbündel zu; –
Und sie da drüben, die Geliebte,
Ist nicht hier mit mir auf der Wacht in Hiù.
Ach ihrer denk' ich, ihrer denk' ich!
In welchem Mond zurück zur Heimath wieder lenk' ich?
(S. 146)

1 Mit dem Mandschu: "gege mini emgi .... tuwakiyarakô".
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Abwesenheit des Geliebten

Ach, da pflückt er Kŏ-Gerank, –
Und Ein Tag, ohn' ihn zu sehen,
Wird mir ja drei Monden lang!

Ach, da pflückt er Stabwurz heut, –
Und Ein Tag, ohn' ihn zu sehen,
Wird mir dreier Herbste Zeit!

Ach, da pflückt er Beifuß ein, –
Und Ein Tag, ohn' ihn zu sehen,
Ist als ob's drei Jahre sei'n.
(S. 150)
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Warum sie nicht gekommen

Mit Rasseln bracht' ein großer Wagen
Ein schilfgrün Galakleid getragen.1
Wie hätt' ich deiner nicht gedacht?
Furcht vor dem Herrn ließ mich's nicht wagen.

Ein großer Wagen knarrend naht,
Ein Galakleid drin wie Granat.
Wie hätt' ich deiner nicht gedacht?
Furcht vor dem Herrn verbot den Pfad.

Im Leben ist dein Haus nicht mein's,
Im Tod ist unser Grab nur ein's.
Du sagst, ich sei dir nicht getreu?
Ich bin's, beim Licht des Sonnenscheins!
(S. 151)

1 Die Galakleider bezeichnen den hohen Beamten,
den "Herrn", dessen scharfe Sittenpolizei
sie am Kommen gehindert hat.
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Mädchenbitte

Ich bitte, Tschúng-tsè, höre mich!
Steig' nicht in unser Dörfchen her,
Zerbrich nicht unsre Weidenpflanzen mehr!
Wie wagt' ich es und liebte dich?
Vor meinen Eltern fürcht' ich mich.
Du, Tschúng, magst mir im Sinne sein;
Doch vor der beiden Eltern Reden
Darf ich der Furcht wol inne sein.

Ich bitte, Tschung-tsè, höre mich!
Steig' über unsern Wall nicht wieder,
Brich nicht die Maulbeerpflanzen nieder!
Wie wagt' ich es und liebte dich?
Ich fürchte meine ältern Brüder.
Du, Tschúng, magst mir im Sinne sein;
Doch vor der ältern Brüder Reden
Darf ich der Furcht wol inne sein.

Ich bitte, Tschúng-tsè, höre mich!
Steig' nicht durch unsern Gartenzaun,
Brich nicht die Sandelpflanzen, die wir bau'n!
Wie wagt' ich es und liebte dich?
Der Leute Reden fürcht' ich, die es schau'n.
Du, Tschúng, magst mir im Sinne sein;
Doch vor der Leute vielen Reden
Darf ich der Furcht wol inne sein.
(S. 154)
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Bitte um Versöhnung

Den Heerweg hab' ich eingehalten,
Und fasse, halte dich an deines Ärmels Falten.
O lass' den Haß auf mich nicht walten!
O nicht so schnell laß ab vom Alten!

Den Heerweg hab' ich eingehalten,
Und fass' und halte dich nun fest an deinen Händen.
O wolle dich nicht von mir wenden!
O nicht so schnell laß Liebe enden!
(S. 160)
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Preis der schönen Múng-Kiāng

Es ist ein Weib mit in dem Wagen,
Von Antlitz wie die Rose schön.1
Wenn sie sich regt, wenn sie sich schwang,
Klingt ihres Gurtgesteins Getön.
Das ist die liebliche Múng-Kiāng,2
So lieblich und so wunderschön.

Es ist ein Weib mit auf dem Gang',
Der Rose gleich, die kaum entsprang.3
Wenn sie sich regt, wenn sie sich schwang,
Klingt ihrer Gurtgesteine Klang.
Das ist die liebliche Múng-Kiāng;
Ihr Tugendruhm kennt nicht Vergang.
(S. 162)

1 Wörtlich: "Von Angesicht wie die Schün-Blüthe" (Strophe 1)
oder "Schün-Blume" (Strophe 2).
Nach Legge gehört diese Blume zum Malvengeschlecht
und blühet sehr schön, aber nur kurze Zeit.
Schwerlich wollte der Dichter in einem solchen Liede
auf die kurze Dauer anspielen.
2 "Múng" bezeichnet die Ältestgeborene.
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Der Geliebte wird verspottet

Auf Bergen da sind Bäumelein,
Im Thale sind Seerosen fein.
Ich sehe nicht den Schönsten mein,
Seh' einen Kindskopf nur, o Pein!

Auf Bergen schaun die Fichte wir,
Den Knöterich im Thalrevier.
Ich sehe nicht der Männer Zier,
Ein falsches Büblein seh' ich hier.
(S. 163)
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Aufforderung1

O dürres Laub, o dürres Laub,
Wie du dahintreibst in den Winden!
O Trefflicher, o Werthester,
Nur vor! du sollst mich willig finden.

O dürres Laub, o dürres Laub,
Wie dich dahin die Winde wehen!
O Trefflicher, o Werthefter,
Nur vor! ich werde mit dir gehen.
(S. 164)

1 Die ältere Auslegung findet in diesem Liede eine Aufforderung
zum kräftigen politischen Vorgehen;
Tschū-hī die Aufforderung eine verliebten Weibes an ihren Geliebten.
Die Stellung des Liedes in der Reihenfolge dürfte zeigen,
daß auch Khùng-tsè der Ansicht Tschū-hī's gewesen sei.

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Trotz

Bist du in Liebe meiner gedenk,
Will ich mich schürzen, den Tsīn zu durchwaten.1
Wärest du nicht mehr meiner gedenk,
Braucht' eines Anderen ich zu entrathen?
O du thörichtster aller thörichten Burschen, oh!

Bist du in Liebe meiner gedenk,
Will ich mich schürzen, den Wèi zu durchwandern.2
Wärest du nicht mehr meiner gedenk,
Fänd' ich da nicht bald Einen der Andern?
O du thörichtster aller thörichten Burschen, oh!
(S. 166)

1/ 2 Tsīn und Wèi waren ein paar Flüsse in Tschhìng.
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Reue

Wie war's ein Herr voll Trefflichkeiten,
Der mich erwartet' an der Gasse Seiten;
Wie reut's, daß ich ihn nicht gewollt begleiten.

Wie war's ein Herr von bestem Range,
Der mich erwartet' an dem Vorhofgange;
Wie reut's, daß ich nicht hinging zum Empfange.

Nun birgt ein Mantel meine Zier,
Mein Prachtgewand deckt einfach Kleid.
O Herr, o Freund, ich bin mit dir
Im Wagen fortzugehn bereit.

Mein Prachtgewand deckt einfach Kleid,
Es birgt ein Mantel meine Zier.
O Herr, o Freund, im Wagen hier
Fahr' ich zur Hochzeit fort mit dir.
(S. 167)
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Abwesenheit

An des Osterthores Breite
Blüht der Krapp dem Wall zur Seite.
Ach das Haus, da ist es nah,
Doch sein Herr ist in der Weite.

Bei des Thors Kastanien drauß'
Stehn gereihet Haus an Haus.
Wie gedächt' ich da nicht deiner?
Doch du trittst mir nicht heraus.
(S. 168)
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Des Gemahls glückliche Heimkehr

Mag Wind und Regen frostig sein,
Der Hahn sein Kikrikih auch schrein;
Nun ich den hohen Mann gesehn,
Wie sollt' ich nicht zufrieden sein?

Mag Wind und Regen sausend wehn,
Der Hahn sein Kikrikih auch krähn;
Nun ich den hohen Mann gesehn,
Wie sollte mir's nicht wol ergehn?

Ob Wind und Regen Dunkel droh,
Der Hahn auch kräh' ohn' Ende so;
Nun ich den hohen Mann gesehn,
Wie wär' ich nicht von Herzen froh?
(S. 169)
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Die Vernachlässigte

Gehest nun im blauen Kragen,1
Und mein Herz will schier verzagen.
Darf ich auch zu dir nicht gehn,
Konntest du denn nichts mir lassen sagen?

Hast den blauen Gurt genommen,2
Und ich sinne tief beklommen.
Darf ich auch zu dir nicht gehn,
Hättest du nicht können kommen?

Ach du tanzest, loser Lauer,
In den Thürmen auf der Mauer;3
Und ein Tag, ohn' dich zu sehn,
Hat mir dreier Monden Dauer!
(S. 170)

1 / 2 Die blaue Farbe von Kragen und Gürtel bezeichnet
den Gelehrten der ersten Stufe.
3 Verrufene Belustigungsorte.
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Die einfache Einzige

Da draußen vor dem Osterthor
Sind Mädchen wie ein Wolkenzug;
Doch ob sie wie ein Wolkenzug,
Mein Sinn nimmt nicht dahin den Flug.
Ein weißes Kleid, ein buntes Tuch,
O sie erfreun mich allgenug.

Da draußen vor dem Mauerthor
Sind Mädchen wie ein Blumenflor;
Doch ob sie wie ein Blumenflor,
Mein Sinn ist nicht bei ihrem Chor;
Ein weißes Kleid, ein rother Flor,
Sie gehn mir allen Freuden vor.
(S. 172)
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Zufällige Begegnung

Auf dem Feld die Rankenpflanzen
Waren dicht von Thau beflogen;
Und da war voll Anmuth Einer,
Mit den schönsten Augenbogen.
Zufall führt' uns zu einander
Und er wies sich mir gewogen.

Auf dem Feld die Rankenpflanzen
Waren dicht besprengt vom Thauen;
Und da war voll Anmuth Einer,
Mit den schönsten Augenbrauen.
Zufall führt' uns zu einander,
Uns im vollsten Glück zu schauen.
(S. 173)
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Frühlingsfest in Tschíng

In dem Tsīn und Wèi
Schmolz das Eis an allen Enden;
Männer so wie Frauen
Tragen Lilien in Händen1
Sagt die Frau: "Ob wir's beschauen?"
Sagt der Mann: "Ist schon geschehn!" –
"O noch einmal gehn wir schauen!
Draußen an dem Wèi
Ist ja Raum, der Lust zu denken,
Da die Männer mit den Frauen
Sich ergehn in Scherz und Schwänken
Und sich mit Päonien beschenken."2

In dem Tsīn und Wèi
Liegt die Tiefe schon im Klaren;
Männer sammt den Frauen
Sammeln sich in vollen Schaaren.
Sagt die Frau: "Ob wir's beschauen?"
Sagt der Mann: "Ist schon geschehn." –
"O noch einmal gehn wir schauen!"
Draußen an dem Wèi
Ist ja Raum an Lust zu denken,
Da die Männer mit den Frauen
Sich ergehn in Scherz und Schwänken
Und sich mit Päonien beschenken.
(S. 174)

1 "Lilien" – das chinesische "kiān" ist vermuthlich
das Chrysanthemum indicum.
2 "Jŏ" ist die kleine wolriechende Päonie.
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Tagelied eines fürstlichen Paars

"Schon ließ der Hahn sein Krähn erschallen;
Der Hof erfüllet schon die Hallen." –
"Das war noch nicht des Hahnes Krähn;
Die Fliegen machten dieß Getön." –

"Schon ist der Osten licht erglommen;
Der Hof ist schon zusammenkommen." –
"Noch lichtet es sich ja im Osten nicht;
Das ist des Mondenaufgangs Licht." –

"Die Fliegen sumsen ja im Vollen,
Und süß wär's neben dir noch träumen wollen;
Doch die Versammlung geht davon:
Laß nur nicht etwa mir und dir sie grollen."
(S. 175)
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Brautempfang

Er harrte meiner an dem Vorderthor, ahi!
Der Schnurbehang war weiß bei seinem Ohr, ahi!1
Und an ihm blinkten bunte Edelstein' hervor, ahi!2

Er harrte meiner in dem Mittelsaal, ahi!
Sein Schnurbehang beim Ohr war grün zumal, ahi!
Und an ihm blinkte rother Edelsteine Strahl, ahi!

Er harrte mein im inneren Gemach, ahi!
Sein Schnurbehang beim Ohr war gelb darnach, ahi!
Dran blinkten grüne Edelsteine mannigfach, ahi!
(S. 177)

1 Seidene mit Edelsteinen geschmückte Schnüre
hingen von der Kopfbedeckung neben den Ohren herab.
2 Statt der fremden Namen der Edelsteine ist deren Farbe angegeben,
wie sie von den Auslegern angenommen wird.
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Zuthulichkeit und Scheu

Wenn im Osten wird die Sonne wach
O welch allerliebstes Mädchen
Ist in meinem Wohngemach!
Ist's in meinem Wohngemach,
Spürt's nach mir und kommt mir nach.

Wenn im Osten tritt der Mond herfür,
O welch allerliebstes Mädchen
Ist dann binnen meiner Thür!
Ist's dann binnen meiner Thür,
Spürt's nach mir und flieht von mir.
(S. 178)
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Unerlaubte Leidenschaft1

Auf Südgebirges hohen Zinnen
Wird sein der Fuchs so einsam innen.
Der Weg nach Lù geht gradhinaus;
Den zog die Tochter Thsî's von hinnen;2
Und zog sie ihn einmal von hinnen,
Was kannst du denn auf sie noch sinnen?

Von Zeugschuh'n giebt's fünf Paar zu reihen,
Hutbänder trägt man auch zu zweien.
Der Weg nach Lù geht gradhinaus;
Den hat die Tochter Thsî's genommen;3
Und hat sie ihn einmal genommen,
Wie kannst du denn an sie noch kommen? –

Den Hanf zu sä'n, wie fängt man's an?
Man pflügt sein Feld hinab, hinan.
Ein Weib zu frei'n, wie fängt man's an?
Man geht darum die Eltern an.4
Und da sie angegangen waren,
Wie darfst du ihr denn so willfahren?5

Das Holz zu hau'n, wie fängt man's an?
Nicht ohne Beil kann man es zeigen.
Ein Weib zu frei'n, wie fängt man's an?
Ohn' Werberin wird's nicht dein eigen.6
Und ward sie nur einmal dein eigen,
Wie kannst du denn zum Ärgsten schweigen?7
(S. 180-181)

1 Fürst Siāng von Thsî liebte eine nahverwandte Prinzessin seines Hauses
Namens Wên-Kiāng, obgleich diese bereits
an den Fürsten Huân von Lù vermählt war.
Sie erwiederte seine Leidenschaft und bewog ihren Gemahl
zu einem Besuche bei Siāng,
von welchem er dann ermordet wurde.
Das Lied ist offenbar noch vor dieser Katastrophe gedichtet
und wendet sich in den beiden ersten Strophen an Siāng,
in den beiden letzten an Huân.
2 / 3 – nehmlich zu ihrer Vermählung mit Huân von Lù,
welche im Jahre 708 v. Chr. stattfand.
4 Hier sind die eignen Ältern gemeint,
die zuerst in eine Verbindung des Sohnes willigen müssen.
Fürst Huân, dessen Ältern bereits verstorben,
hatte seiner Pflicht dadurch genügt, daß er ihnen im Ahnensaale
seine beabsichtigte Heirath angezeigt hatte.
5 Dieß bezieht sich auf die Nachgiebigkeit Huân's
in Betreff der verhängnißvollen Reise.
6 Daß eine Verehelichung durch eine Werberin vermittelt werde,
gehörte zu den vorgeschriebenen Bräuchen.
7 Dieses Ärgste, Äußerste ist die unbesonnene Reise.

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Vereinigung eines glücklichen Paares

Sie:
Fest schnüret man Holzbündel an;
Das Drei-Gestirn steigt himmelan.1
O dieser Abend, welch ein Abend!
Da seh' ich ihn, den guten Mann.
O meines Glücks! o meines Glücks!
Wo giebt es denn noch solchen guten Mann?

Beide:
Fest schnüret man Heubündel ein;
Das Drei-Gestirn blinkt schräg herein.
O dieser Abend, welch ein Abend!
Seh'n wir ein solches Stelldichein!
O unsres Glücks! o unsres Glücks!
Wo gab es je ein solches Stelldichein?

Er:
Fest schnüret man Dornbündel zu.
Der Drei-Stern strahlt der Thüre zu.
O dieser Abend, welch ein Abend!
Ich sehe dich, du Schöne du!
O meines Glücks! o meines Glücks!
Wo giebt es solche Schöne noch wie du?
(S. 200)

1 Sān sīng sind die drei hellsten Sterne im Scorpion,
welche im zehnten Monat, der für den geeignetsten
zur Eheschließung gilt, Abends sichtbar werden.
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Wittwentrauer und Wittwentreue

Das Kŏ wächst über'n Strauch herein,
Die Winde schlingt sich fort im Frei'n.1
Mein Vielgeliebter ist nicht mehr;
Wer ist noch mein? Ich bin allein.

Das Kŏ am Dorn wächst kräftiglich,
Die Winde schlingt um Gräber sich.2
Mein Vielgeliebter ist nicht mehr;
Wer ist noch mein? Allein steh' ich.

Der Pfühl für's Haupt, so schön und fein!
So reich der Decke Stickerei'n!
Mein Vielgeliebter ist nicht mehr,
Wer ist noch mein? Mir tagt's allein.

*
Nach manchem Sommertag,
Nach mancher Winternacht,
Wol hundert Jahre hinterdrein,3
Geh' ich wo er nun Wohnung macht.4

Nach mancher Winternacht,
Nach manchem Sommertag,
Wol hundert Jahre hinterdrein,5
Geh' ich zu ihm in sein Gemach.6
(S. 206)

1 / 2 Das schwache rankende Kŏ gedeiht nur kräftig,
weil man ihm den Strauch, den Dornbusch zur Stütze giebt;
die Winde, um die sich niemand kümmert ist im freien Felde
ohne Stütze und kriecht am Boden hin, höchstens um Gräber.
3 So lange däucht ihr die Zeit bis zur Wiedervereinigung mit dem Geliebten.
4 In seiner Gruft wird sie wie eine Neuvermählte ihre Heimath finden (kuēi).
5 So lange däucht ihr die Zeit bis zur Wiedervereinigung mit dem Geliebten.
6 In seiner Gruft wird sie wie eine Neuvermählte ihre Heimath finden (kuēi).
_____



Des fernen hohen Kriegshelden wird
von seiner Gemahlin gedacht
1

Der Kriegeswagen leicht und enge,
Am Deichselbaum fünf Schmuckgehänge,
Gleitriemen in dem Brustgespänge,2
Am Vorbrett goldberingte Stränge,
Das Tigerfell, die Achsenlänge,
Vorn' uns'rer glatten Weißfüß' Gänge –
Ich denk' an meinen hohen Herrn,
Der, lieblich wie ein Edelstein,
Nun dort sein Bretterhaus nimmt ein;3
In's tiefste Herz greift mir's hinein.

Vier Hengste geh'n in stolzer Pracht,
Sechs Zügel sind zur Hand gebracht;4
Inmitten sind die glatten Schecken,
Die Apfelschimmel an den Ecken;
Hoch steh'n die Drachenschild-Zwillinge,5
Vergoldet sind die Schnallenringe –
Ich denk' an meinen hohen Herrn,
Wie freundlich er die Stadt durchginge.6
Wann kommt die Zeit der Wiederkehr?
O wie gedenk' ich sein so sehr!

Die Ross' im Panzer, gleich an Kraft,
Des Dreizackspeers vergoldter Schaft,
Die bunten Schilde, musterhaft,
Der Tigerschrein mit Stahl am Bug,
Der Schrein, der die zwei Bogen trug,
Mit Schnur geknüpft am Bambuszug.7
Ich denk' an meinen hohen Herrn
Beim Aufsteh'n und beim Schlafengeh'n.
So würdig ist der edle Mann,
Sein Tugendruhm wird stets besteh'n.
(S. 210-211)

1 Die ersten sechs Verse jeder Strophe dieses schönen Liedes
schildern die kriegerische Ausrüstung des Gemahls bei seinem Auszuge,
wie er der Sängerin stets vor Augen schwebt;
in den vier letzten geht sie dann in raschem Sprung
auf ihre gegenwärtigen Empfindungen über.
2 Gleitriemen für die Zügel der Außenpferde,
die durch das Brustgehänge der Deichselpferde laufen.
3 Nehmlich im entfernten Westen, wo die Leute in Bretterhäusern wohnen.
4 In die Hand des Wagenslenkers, indem die Deichselpferde
je zwei Zügel, die Außenpferde nur je einen hatten.
5 An der Vorderseite des Kriegswagens
waren zwei ganz gleiche Schilder mit den kaiserlichen Emblemen
des Drachen befestigt.
6 Die Stadt, in die er nun wol eingezogen sein möchte.
7 "Bambuszug" (tschŭ pi) wagten wir das Instrument zu nennen,
an welches die abgespannten Bogen festgeknüpft wurden,
damit sie ihre Spannkraft behielten.
_____



Allzulange Abwesenheit des Gatten

Fort schwinget sich der Sperber dort
Zum Waldesdickicht hin gen Nord.
Noch seh' ich nicht den hohen Mann,
Mein banges Herz denkt immerfort:
Kann es denn sein, kann es denn sein,
Daß er so ganz vergessen mein?

Am Berg sind Eichen dicht und groß,
Fünf Ulmen sind im Thales Schooß.
Noch seh' ich nicht den hohen Mann;
Mein banges Herz ist freudelos.
Kann es denn sein, kann es denn sein,
Daß er so ganz vergessen mein?

Waldkirschen sind am Berges Saum,
Im Thale steht der Holzbirnbaum.
Noch seh' ich nicht den hohen Mann;
Mein banges Herz ist wie im Traum.1
Kann es denn sein, kann es denn sein,
Daß er so ganz vergessen mein?
(S. 216)

1 Genauer: "ist wie weinbetäubt".
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Die Gescheidte

Gräben an dem Osterthore
Können Hanf zum Rösten bringen.
Jene holde, gute Schöne,
Herrlich weiß sie uns zu singen.

Gräben an dem Osterthore
Können Nesseln röstend spalten.
Jene holde, gute Schöne,
Herrlich kann sie unterhalten.

Gräben an dem Osterthore
Lassen Fasergras zergehen.
Jene holde, gute Schöne,
Herrlich kann sie Rede stehen!
(S. 223)
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Getäuschte Erwartung

Die Weiden an dem Osterthor
Die steh'n in vollem Blätterflor.
Auf Abend war die Zeit bestimmt, –
Nun strahlt der Morgenstern hervor.

Die Weiden an dem Osterthor
Die steh'n in vollem Blätterkranz.
Auf Abend war die Zeit bestimmt, –
Nun strahlt der Morgenstern mit Glanz.
(S. 224)
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Entfremdung des Geliebten

Aglasternester sind am Deich,
Am Hügel Erbsen zart und weich.
Wer reizte meinen Holden auf?
Mein Herz, wie ist es schmerzenreich!

Am Tempelweg ist Ziegelstein,
Am Hügel Goldklee, zart und fein.
Wer reizte meinen Holden an?
Mein Herz, wie ist es voller Pein!
(S. 226)
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Liebespein

Wie steigt der Mond in Herrlichkeit!
Wie reizend ist die schöne Maid!
O wär' ich los der Sehnsucht Leid!
Wie liegt mein armes Herz in Streit!

Wie steigt der Mond von Glanz verklärt!
Wie ist die Schöne liebenswerth!
O wär' ich los was mich verzehrt!
Wie ist mein armes Herz beschwert!

Wie steigt der Mond mit lichtem Schein!
Wie glänzend strahlt die Schöne mein!
O könnt' ich los der Fesseln sein!
Wie ist mein armes Herz voll Pein!
(S. 227)
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Fürst Lîng's Besuche1

Was hat er in Tschū-lîn zu thun? –
Hià-nân besucht er nun.
Nicht um Tschū-lîn ist's ihm zu thun;
Hià-nân besucht er nun.

"So schirrt mir an mein Roßgespann!
In Tschū's Umgebung rast' ich dann.
Dem Fohlenspanne setz' ich zu
Und nehme Frühstück ein in Tschū."
(S. 228)

1 Fürst Lîng von Tschhîn (612-598) hatte sträflichen Umgang mit Hià-kī,
einer Tochter des Fürsten Mŭ von Tschhíng,
welche an Hià, einen Großen von Tschhîn verheirathet war.
Sie war Mutter von Hià-Nân, dessen Ehrenname Tschīng-Schū war,
und wird nach der 2. Strophe unsres Liedes
in der Umgegend von Tschū-lîn (oder Tschū) gewohnt haben,
denn es wird angedeutet, daß Lîng daselbst die Nacht zubringe.
Dieß ächte kleine Volkslied dürfte wol das jüngste im ganzen Schī sein. –
Übrigens wurde Fürst Lîng in der Folge von Tschīng-Schū getödtet,
welchen dann Tschuāng wâng von Thsù umbrachte.
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Liebesleid

Auf den Ufern an den Seeen
Stehen Binsen bei Nymphäen.
Eine Allerschönste giebt's, –
Welches Leid ist mir geschehen?
Wachend, schlafend thu' ich nichts,
Will in Thränenfluth zergehen.

Auf den Ufern an den Seeen
Steh'n bei Binsen Lilienglocken.
Eine Allerschönste giebt's,
Hoch und schlank und reich an Locken.
Wachend, schlafend thu' ich nichts.
Fühl' im Herzen nur dieß Stocken.

Auf den Ufern an den Seeen
Finden Bins' und Lotos Stätte.
Eine Allerschönste giebt's,
Hoch und schlank in stolzer Glätte.
Wachend, schlafend thu' ich nichts,
Wälze mich umher im Bette.
(S. 229)
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Aus: Schi-King Das kanonische Liederbuch der Chinesen
Aus dem Chinesischen übersetzt und erklärt
von Victor von Strauss
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1969
Unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausgabe
Heidelberg 1880


 

 


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