Matthias Claudius (1740-1815) - Liebesgedichte



Matthias Claudius
(1740-1815)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Phidile

Ich war erst sechszehn Sommer alt,
Unschuldig und nichts weiter,
Und kannte nichts als unsern Wald,
Als Blumen, Gras, und Kräuter.

Da kam ein fremder Jüngling her;
Ich hatt' ihn nicht verschrieben,
Und wußte nicht, wohin noch her;
Der kam und sprach von Lieben.

Er hatte schönes langes Haar
Um seinen Nacken wehen;
Und einen Nacken, als das war,
Hab ich noch nie gesehen.

Sein Auge, himmelblau und klar!
Schien freundlich was zu flehen
So blau und freundlich, als das war,
Hab ich noch kein's gesehen.

Und sein Gesicht, wie Milch und Blut!
Ich hab's nie so gesehen;
Auch, was er sagte, war sehr gut,
Nur konnt' ichs nicht verstehen.

Er gieng mir allenthalben nach,
Und drückte mir die Hände,
Und sagte immer O und Ach,
Und küßte sie behende.

Ich sah' ihn einmal freundlich an,
Und fragte, was er meynte;
Da fiel der junge schöne Mann
Mir um den Hals, und weinte.

Das hatte Niemand noch getan;
Doch war's mir nicht zuwider,
Und meine beyden Augen sahn
In meinen Busen nieder.

Ich sagt' ihm nicht ein einzig Wort,
Als ob ichs übel nähme,
Kein einzigs, und - er flohe fort;
Wenn er doch wieder käme!

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Erster und zweyter Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1774 (S. 34-35)

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Das unschuldige Mädchen

Meine Mutter sagt mir:
"Deine Lippen gab dir
Zum Sprechen, Tochter, die Natur,
Und zum Sprechen brauch sie nur."

Warum sind sie so roht?
O, ich könnte ja auch mit weissen Lippen sprechen,
Und warum gebot
Meine Mutter: nur zum Sprechen?
Wer zeigt mir armen Mädchen an,
Was mein Mund mehr als sprechen kann?

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Erster und zweyter Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1774 (S. 91-92)

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Phidile
als sie nach der Copulation allein
in ihr Kämmerlein gegangen war

Ach, Gottes Segen über dir,
Weil du ihn mir gegeben,
Du schwarzer Mann! Mein Herz schlug mir
Nie so in meinem Leben.

Und meinem Wilhelm schlug es auch -
Als ihn der Pfarrer fragte,
Und das, nach hergebrachtem Brauch,
Von Glück und Unglück sagte;

Da sah er her mit Ungestüm,
Als wollt' er mich umfangen;
Die hellen Thränen liefen ihm
Wohl über seine Wangen. -

Ja, Wilhelm, ich bin auch bereit,
Ich will dich nicht verlassen!
Von nun an, bis in Ewigkeit,
Will ich dich nicht verlassen.

Will immer um und bei dir seyn,
Will Noth und Tod nicht scheuen!
Mein trauter Wilhelm! du allein
Kannst meine Seel erfreuen,

Und sollst allein! drauf ruf ich Gott
Zum Zeugen hier hernieder.
Und nimmt mich oder dich der Tod,
So finden wir uns wieder!


Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Dritter Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1774 (S. 36-37)

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Frau Rebecca

Wo war ich doch vor dreißig Jahr,
Als deine Mutter dich gebar?
Wär' ich doch da gewesen! -
Gelauert hätt' ich an der Thür
Auf dein Geschrey, und für und für
Gebetet und gelesen.

Und kam's Geschrey - nun Marsch hinein
"Du kleines liebes Mägdelein,
Mein Reis'gefährt, willkommen!"
Und hätte dich denn weich und warm
Zum erstenmahl in meinen Arm
Mit Leib und Seel' genommen.

Und hätte dich denn weich und warm
Mit Leib und Seel' auf meinen Arm
Zum erstenmahl genommen ...
"Du frommes liebes Mägdelein,
Ich hab dich sonst noch nicht gesehn,
Willkommen, bis willkommen! -
Wie bist du lieber Reis'gefährt
In deinen Windeln mir so werth!
O werde nicht geringer!
Du Mutter, lehr' das Mägdlein wohl!
Und wenn ich wieder kommen soll,
So pfeif' nur auf dem Finger."

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Vierter Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1774 (S. 94-95)

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An Frau Rebecca
bey der silbernen Hochzeit, den 15. März 1797

Ich habe Dich geliebet und ich will Dich lieben,
So lang' Du goldner Engel bist;
In diesem wüsten Lande hier, und drüben
Im Lande wo es besser ist.

Ich will nicht von Dir sagen, will nicht von Dir singen;
Was soll uns Loblied und Gedicht?
Doch muß ich heut' der Wahrheit Zeugnis bringen,
Denn unerkenntlich bin ich nicht.

Ich danke Dir mein Wohl, mein Glück in diesem Leben.
Ich war wohl klug, daß ich Dich fand;
Doch ich fand nicht. GOTT hat Dich mir gegeben;
So segnet keine andre Hand.

Sein Thun ist je und je großmühtig und verborgen;
Und darum hoff' ich, fromm und blind,
Er werde auch für unsre Kinder sorgen,
Die unser Schatz und Reichthum sind.

Und werde sie regieren, werde für sie wachen,
Sie an sich halten Tag und Nacht,
Daß sie werth werden, und auch glücklich machen,
Wie ihre Mutter glücklich macht.

Uns hat gewogt die Freude, wie es wogt und fluthet
Im Meer, so weit und breit und hoch! -
Doch, manchmal auch hat uns das Herz geblutet,
Geblutet ... Ach, und blutet noch.

Es gibt in dieser Welt nicht lauter gute Tage,
Wir kommen hier zu leiden her;
Und jeder Mensch hat seine eigne Plage,
Und noch sein heimlich Crève-coeur.

Heut aber schlag' ich aus dem Sinn mir alles Trübe,
Vergesse allen meinen Schmerz;
Und drücke fröhlich Dich, mit voller Liebe,
Vor Gottes Antlitz an mein Herz.

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Sechster Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1797 (S. 94-96)

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Die Liebe

Die Liebe hemmet nichts; sie kennt nicht Thür noch Riegel,
Und dringt durch Alles sich;
Sie ist ohn' Anbeginn, schlug ewig ihre Flügel,
Und schlägt sie ewiglich.

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Sechster Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1797 (S. 97)

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Hochzeitlied

Stand ein junges Veilchen auf der Weiden,
Lieb und herzig, in sich, und bescheiden;
Und ein wackrer Jüngling über Land
Kam hin, da das Veilchen stand.

Und er sah das Veilchen auf der Weiden
Lieb und herzig, in sich, und bescheiden;
Sah es an mit Liebe und mit Lust,
Wünscht' es sich an seine Brust.

Heute wird das Blümchen ihm gegeben,
Daß er's trag an seiner Brust durch's Leben!
Und ein Kreis von edlen Menschen steht
Ernst, und feiert mit Gebet.

Seid denn glücklich! Gott mit Euch, Ihr Beyde!
Seine "Sonn am Himmel" schein' Euch Freude;
Und, in Eurer Freud', in Eurem Schmerz,
Seine "beßre" Euch in's Herz!

Aus: ASMUS omnia sua SECUM portans
oder
Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen
Achter Theil
Wandsbeck beym Verfasser 1812 (S. 31)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Claudius



 

 


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