Hermann Conradi (1862-1890) - Liebesgedichte



Hermann Conradi
(1862-1890)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




An Margarethe Halm

Ja! Hier ist's gut sein! Ja! Hier will ich rasten -
Will ich vergessen meine wilde Qual -
Hier wälz' ich von mir, die ich trug, die Lasten
Und schreite selig zu dem Friedensmahl,
Das du mir beutst! Ja! Hier verklinge der Streit,
Hier flüstern nur leise die Stimmen der Einsamkeit . . .

Denn ich bin müde! . . . Blüht auch noch mein Mark,
Und blitzt mein Auge noch begeistrungstrunken,
Hält auch die Faust ihr Schwert noch heldenstark
Und loh'n in mir des Hasses wilde Funken -
Des Hasses, der mit unbarmherz'gem Stahl
Ausbrennen soll der Lüge Sklavenmal! - -

Ich bin doch müde! Drum wie schön wird's sein,
Darf ich mit dir im blütenreichen Garten,
Hält ihn verzaubert weißer Vollmondschein,
In süßem Eifer unsrer Liebe warten -
Ich lieg' an deiner Brust . . . Es schweigt der Groll . . .
Uns aber segnet die Liebe, die ew'gen Glückes voll . . .
(S. 12)
_____



An Margarethe Halm

Es brechen neue Flammengluten
Aus meiner Seele wild empor -
Es strömen neue Liebesfluten
Und einen sich zum Riesenchor,
Der deiner Schöne göttlich Wesen
In Psalmenweisen jauchzend preist -
O Weib: durch dich bin ich genesen -
Und neue Bahnen wallt mein Geist!
(S. 13)
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Unersättlich

Wohl kann ich Wochen - Monde lang
Mich mit dem Engsten, Nächsten still begnügen -
Da aber faßt mich jäher, wilder Drang -
Und in gewaltigen Gedankenflügen
Steig' ich empor zum Sternenozean -
In Nichts zerfließt der trübe, ird'sche Wahn -
Und unersättlich saug' ich Ewigkeiten,
Die mit Sekundenspur durch meine Seele gleiten.

Wohl kann ich Wochen - Monde lang
All' Liebeswonne, Gruß und Kuß still missen,
Da aber packt mich jäher heißer Drang -
Und mich umstarrt's von tausend Finsternissen.
Ich ringe krampfhaft mich zum Licht empor -
Nach heißen Sünden dürsten meine Sinne -
Vor meinen Augen reißt der Nebelflor -
Und unersättlich fei're ich dich, Frau Minne!
(S. 26-27)
_____



Durch die verschlafenen Gassen . . .

Durch die verschlafenen Gassen
Wandle ich mit meinen Träumen
Mutterseelenallein -
Schreite vergessen, verlassen,
Mit süßseligem Säumen
Stumm in die Nacht hinein . . .

Von den Dächern rinnen
Perlende Mondlichttränen
In die Schatten der Nacht,
In der Brust mir tief innen
Ist ein flutendes Sehnen
Traumhaft leise erwacht.

Möchte Welten, versunken
Und im Nebel zerstoben,
Heben ans goldene Licht!
Möchte glückestrunken,
Sonnenschleierumwoben,
Singen mein schönstes Gedicht!

Von den Lippen mir fluten
Sollten, um dich zu preisen,
Perlende Melodien . . .
Aus meiner Seele Gluten
Sollte in Zauberweisen
Ein Lenz dir erblühn! . . .

Durch die verschlafenen Gassen
Wandle ich mit meinen Träumen
Mutterseelenallein -
Schreite vergessen, verlassen,
Mit beklommenem Säumen
Stumm in die Nacht hinein . . .
(S. 34-35)
_____



Verlassen!

Im Morgengrauen schritt ich fort -
Nebel lag in den Gassen . . .
In Qualen war mir das Herz verdorrt -
Die Lippe sprach kein Abschiedswort -
Sie stöhnte nur leise: Verlassen!

Verlassen! Kennst du das Marterwort?
Das frißt wie verruchte Schande!
In Qualen war mir das Herz verdorrt -
Im Morgengrauen ging ich fort -
Hinaus in die dämmernden Lande!

Entgegen dem jungen Maientag:
Das war ein seltsam Passen!
Mählich wurde die Welt nun wach -
Was war mir der prangende Frühlingstag -
Ich stöhnte nur leise: Verlassen! . . .
(S. 64)
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Einem Kinde der Sünde

Ob's deine Augen auch verneinen
Mit ihrem hellen, klaren Licht;
Ob auch auf deinem zarten, feinen,
Madonnenschönen Angesicht
Es liegt, als wäre deine Seele
Ein seltner Kelch, der niemals trog,
Drin Keuschheit sich und Kraft vermähle:
Ein Kind der Sünde bist du doch! ...

Ob deine Augen drohend blitzen -
Ob du auch zitternd, zornbewehrt,
Dich vor dem Frechen suchst zu schützen,
Den deiner Schönheit Reiz betört, -
Der deines Nackens holde Fülle
Umspannen will mit engem Joch -
Ein Bild der lieblichsten Idylle! -
Ein Kind der Sünde bist du doch!...

Ob du auch sittsam deine frommen
Blauaugen niederschlägst, wenn jach,
Wie's just passiert, ein Wort gekommen -
Ein Wort von bravem, derbem Schlag -
Es fährt heraus - die andern kichern:
"Ein Witz, der nicht zum feinsten roch!"
 Ob du auch kalt sie's läßt versichern -
Ein Kind der Sünde bist du doch! ...

Denn ich, Madonna, muß es wissen -
Du hast es selbst mir ungesäumt
Gebeichtet, da auf weichen Kissen
Ich manche Nacht bei dir verträumt ...
Dein schöner Leib ist so gesellig
Und Kosen dünkt ihn wunderfein -
Drum bist du heimlich gern gefällig:
Du sollst ein "Kind der Sünde" sein? ...
(S. 80-81)
_____



Das verlorene Paradies

Es hat die Dirne mich geküßt:
Da ward ich von süßem Taumel trunken, -
Und als ob es Frau Venus selber wär',
Bin ich ihr an die wildwogenden Brüste gesunken ...

Es hat die Dirne mich geküßt, -
Ihre reifroten Lippen auf den meinen erblühten -
Da vergaß ich die harte Not und den Tod
Und meiner Mutter liebfrommes Behüten ...

Es hat die Dirne mich geküßt -
Da war's mir, als quöllen Flammenbäche
Wie der Hölle Sengstrom durch meinen Leib, -
Als ob bacchantische Brunst mir den Schädel zerbreche! ...

Es hat die Dirne mich geküßt -
Schluchzend lag ich vor ihr im Staube -
Da war's mir, als stürbe der Gott in mir,
Als stürb' an sündloser Lieb' mir der Glaube ...

Es hat die Dirne mich geküßt -
Da wußt' ich, daß ich die Seele verloren -
Da wußt' ich, daß ich dem Schächer gleich
Meine Seele der Hölle zugeschworen! ...

Es hat die Dirne mich geküßt -
Wohl trink' ich in ihren Armen Wonne - -
In meinem Herzen aber ist Finsternis,
Und verdorrt ist mir des Glückes Bronne! ...

Verdorrt ist mir der lebendige Mut,
Für meine Brüder die Gasse zu bahnen, -
Zerbrochen hab' ich die blitzende Wehr,
Zerbrochen die wurfzerfetzten Fahnen ...

Seitdem die Dirne mich geküßt,
Kann ich nur ihr gehören zu eigen ...
In Brünsten umklammre ich den weißen Leib
Und küsse sie - und der Rest ist Schweigen ...
(S. 81-82)
_____



Gericht der Nacht
(Olga)

Es flog der Staub, und die Enge zwang -
Und alles so grau, verschwommen und kalt! -
Du sprachest: Wo blieb dein stolzer Drang -

Deiner Seele glühender Ueberschwang -
Deiner Liebe todtrotzige Flammengewalt?

Und ich hieß dich gehen! - Die Enge zwang -
Und des Tages bleiches Larvenspiel ...
Ich war so müde ... der Vorhang fiel -
Und mich umdünstete Fäulnisgestank ...

Und ich hieß dich gehen! - Und nun kam die Nacht.
Weit wichen die Schranken - die Einsamkeit
Gebar mir ein großes, stolzstilles Leid,
Das trug triumphierender Freiheit Fracht! ...

Du gingst! Was bist du nicht bei mir geblieben?
Kanntest du nicht mein grenzenlos Lieben?

Zu Tag fliegt der Staub - nur die Enge zwingt,
Bis sie den Trotzigsten zerrieben -
Du gingst! Was bist du nicht bei mir geblieben?
Kanntest du nicht mein grenzenlos Lieben?
Das wandelte sich in der Einsamkeit
Zu heißem, brünstig mahnendem Leid,
Das flehend vor dir niedersinkt!

Du gingst! Was bist du nicht bei mir geblieben?
Kanntest du nicht mein grenzenlos Lieben?

Das brandet zur Nacht, da die Engnis zerbrach!
Es hieß dich gehen der staubgraue Tag
Und die blöde Sprache des Lichts!
Ich liege schlaflos. Und es ergreift mich tief,
Daß meiner Liebe Gewalt dich nicht heimwärts rief -
Meine Sehnsucht, die nimmer zu zügeln!

Da! Rauscht's nicht durch die Schatten der Nacht
Von leise schlagenden Flügeln?
Ich wähne: es ringen die Boten sich los
Aus der Finsternis schlündigem Kraterschoß,
Mir tagestraurigem Helden
Das Urteil zu vermelden -
Die Boten des stummen Gerichts!

Ich liege schlaflos. Es richtet die Nacht.
Nein! Kein Erbarmen!
Und mir ist's: durch alle Himmel tönt -
Durch alle Sphären schreit und dröhnt
Dem im Staube gefallenen Armen
Das große, verzehrende,
Seelenzerstörende,
Das große, befreiende,
Seelenerneuende,
Gewaltige Reuekarmen!

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Oh! Warum bist du nicht bei mir geblieben?
Kanntest du nicht mein grenzenlos Lieben?

Ihr Flammen verglühet -
Ihr Rosen verblühet -
Die Finsternis brütet - -
Ich liege schlaflos und weine still,
Daß mir durch die nächtigen Lande
Im Nebelgewande,
Im wallenden, weißen,
Die ich gehen geheißen,
Weiter ... und ... weiter ... entwandern ... will ...
(S. 82-85)
_____



Was frag' ich nach Zeit und Stunde

Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Wenn an deiner Brust ich lieg' -
Wenn ich küsse von deinem Munde
Der Liebe süßseligen Sieg!
Wenn ich küsse die weißen Brüste,
Den knospenden, schwellenden Leib -
Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Bei solch holdem Zeitvertreib! ...

Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Rast' ich auf Linnen, schneeweiß,
Bei dir und trink' dir vom Munde
Der Liebe süßseligen Preis!
Da füllt mich ein großes Genügen,
Mein wildes Begehren versinkt ...
Was frag' ich nach Zeit und Stunde,
Wenn die Welt wie verschollen mich dünkt! ...
(S. 85)
_____



Verkauft

Nicht war mir zu Willen
Deine lebendige Seele!
Und nicht umtönte mich
Ihrer tiefsinnigen Sprache
Ergreifender Urlaut ...

Doch deinen Leib - doch deinen Leib
Hab' ich besessen
Und deine Glieder
Kühnlich betastet -
Und meine Hand -
Meine heiße irrende Hand -
Fand Huld und Heimat
Im Tal deiner Brüste ...

Und dein Leben spürt' ich -
Dein lebendiges Leben! ...
Den Rhythmus des Blutes -
Von den Lippen dir sog ich
Die Frucht seines Kreisens ...
Und das Leben umfing ich -
Das lebendige Leben ...

Aber deine Seele war stumm,
Und wortlos dein Auge,
Als ahnten sie kaum
Der Wonneschmerzen
Verschleierten Tiefgang -
Die Schmerzenswonnen,
Die sich gebären,
Flackernde Flammen,
Gibt sich dem Menschen
Der göttliche Mensch
Im Namen des Geistes,
Der das Ewige fügt
Zum Gebilde der Stunde -
All-einig Bewußtsein
Zeugt und entfaltet,
Ein pfadkundiger Tröster! ...

Aber deine Seele war stumm,
Als deckte sie Schlummer -
Als träumte entrückt sie
Zu anderen Sphären,
Die Nahsein den Göttern
Heiter gewähren ...

Mich aber verwarf sie
Und meiner Seele
Brünstiges Rufen ...

 Da quoll es empor -
Und meine Sehnsucht,
Die dich nicht beseelt,
Wandelte trotzig
Zu irdischer Lust sich
Nach jener Sünde, -
Die wurzelnd im Staube
Vom Staube sich sättigt ...

Und mich zerfraß
Die Flamme der Wollust -
Und wühlte sich ein
Und füllte mich ganz
Und mordete meuchlings
All meine Gottheit! ...

Und ich betastete dich -
In deine Glieder verkrampft -
Als sei ich von Sinnen -
Als hätte ich niemals
Meiner Seele Freiheit
Auch nur geahnt -
Als hätt' ich mich niemals
Voll feuriger Kraft
Zu den Göttern entrafft!

Durch mein Hirn
Schossen die Ströme
Brennender Wollust -
Und es versenkte
Der verruchte Drang mich,
Dich zu zermalmen
Unter den Strudeln
Meiner entarteten Lust!

Aber da lagst du -
Bleich, wie ohne Seele,
Wie ohne tiefstes
Lebensbedürfnis ...
Und jeder Zug
In deinem blöden,
Verstumpften Antlitz
Stieß sich mir ins Hirn
Und redete deutlich:
Daß ich dich nur gekauft...

Weib! Da kam es über mich -
Da kroch es heran -
Es lastete sich auf mich
Und ich wähnte -
Ich wähnte, es wiche -
Es wiche jählings
Unter meinen zuckenden Fingern
Dein warmfeuchtes Leben ...
Und Grausen schlug mich ...

Und mich zerschnitt
Der eiskalte Anhauch,
Der aus den Poren
Deines Leibes emporquoll,
Sich um mich gürtete
Mit Klammern der Angst ...

Und ich warf dich von mir ...

Mein Auge aber -
Mein hellsichtiges Auge,
Schaute Bilder und Zeichen
Und durchdrang
Die Herzen der Menschen ...

Und ich sah
Tausendmal, tausendmal! -
Immer wieder
Das letzte eine:
In jede Seele
Mit Blutschrift gebrannt:
Verkauft!

Ueber die weiten Märkte des Lebens
Rollt unaufhaltsam,
 Nächte und Tage,
Ohne Labung und tröstende Sonne
Die Sklavenkolonne
Der verkauften Kreaturen, -
Zu Schächern und Huren
Niedergezwungen
Von den Fäusten der Not, -
Zum alltagsüberstaubten,
Hoffnungsberaubten
Listkampf ums Brot ...

Und ich sah zu dir nieder, Weib,
Und du sahest zu mir empor, - Weib -
Und wie Verwunderung, -
Wie eine Frage
Las ich in deinen toten Augen ...

Tröste dich, Weib!
Du seelenloses!
Ich habe noch eine Seele,
Die einmal, einmal -
Mit dem Kanaan-Wasser
Der Freiheit getauft!
Leider! - oh leider
Ist sie zu drei Viertel
Auch schon glücklich - verkauft!
(S. 85-90)
_____



Marie Louise

Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie -
Ob er ihr auch "Unsterblichkeit" verlieh?
Doch leider waren Immortellen immer
Mir ganz verhaßte Frauenzimmer ...
So wird sie sich zufrieden geben müssen
Mit dieser Welt von blassen Schattenrissen ...

Wenn du mich liebtest -
Nein! Ich verdiente es nicht!

Denn siehe, du Weib,
Das ich liebe mit dem Flammensturm meiner Jugend,
In dem allein
Seit Stunden und Tagen,
In Tagen und bang durchwachten Nächten
Meine Seele lebt, meine Seele atmet -
Denn siehe, du Weib:
Nicht sündlosen Herzens
Kam ich zu dir -
Nicht keuschen Herzens
Hab' ich gepocht
An die Pforte deiner lichthellen Seele -
Siehe! Meine Augen -
Sie brannten so oft schon
In die Dämmertiefen -
In die berückenden Hetärenaugen
Eines anderen Weibes hinab ...
Und meine Lippen
Haben so oft sich verloren
Auf die rotüppigen Lippen
Eines anderen Weibes ...
Und eines anderen Weibes
Nacken und Hüfte
Haben meine Arme umklammert
So oft schon - so oft
In brünstiger Glut ...

Und sündige Gedanken
Haben gehaust
Und haben verpestet
Meiner Jünglingsseele
Demantene Reinheit ...

Und mit den Anderen
Bin ich gegangen,
Die da nachschleichen
In schwülen, berauschenden Mitternächten
Der Sünde, - der Sünde, die schamlos
Entblößt und verschachert
Reize um Reize! ...
Und mit den Anderen hab' ich gelogen
Und habe geleugnet
Frech und schamlos,
Wie die Dirne der Gasse,
Daß noch atme
Eine unangetastete
Frauenseele! ...

Weib! Wenn du mich liebtest -
Nein! Ich verdiente es nicht! ...

Und nun kam ich zu dir -
Und nun fand ich dich! ...

Und du bist bei mir,
Wo ich auch bin -
Und du gehst mit mir,
Wohin ich auch gehe -
Nur du - nur du! ...

All meine Gedanken,
All mein Sehnen und Suchen:
Bei dir findet's Heimat,
Bei dir schlägt es Wurzel,
Und um dich kreist es
Mit lautaufrauschendem Flügelschlage,
Du mein Ein und mein Alles,
Du Quell meines Lebens,
Daraus mir entgegen
Springen die Ströme
Der Seelenverjüngung ...

Denn ja! bei dir,
Da fühl' ich mich gut,
Da fühl' ich mich rein! ...

Wenn eng angeschmiegt
Du neben mir schreitest,
Und ich deines hastigen Atems
Lebenshauch spüre,
Und deiner Augen zartes Goldbraun
Verheißungsvoll mir entgegenblitzt,
Und ich mich verloren
Und nur dich - nur dich fühle:
Dann ist's mir, als risse,
Als klaffte auseinander
Jäh und blendend
Der Vorhang,
Der mir verschleiert des Lebens Tiefen
Immer noch bis heute
Und des Lebens Wert
Und sein wahres Wesen. -

Und eine neue
Berückende Wunderwelt
Hebt sich empor
Und durchschauert mein Herz
Mit seligen Träumen,
Mit heiligem Ahnen! ...

Weib! Wenn du mich liebtest -
Nein! Ich verdiene es nicht! ...

Und doch will ich um dich werben -
Und muß um dich werben,
Denn ich bin ja nicht mehr mein Eigen,
Nicht mehr mein Ich,
Ich lebe ja nur in dir und durch dich! ...

Aber nicht werben kann ich
Mit sanftem Rauschen,
Mit zärtlichem Kosen,
Wie der milde Frühwind
Und der leissingende Abendwind
Wirbt um den Duft
Der Kräuter und Gräser,
Die da wachsen und blühen
Bescheiden und winzig ...

Um dich, um deine Liebe
Muß ich werben,
Wie der Nordsturm wirbt
Um den dröhnenden Nachtgesang
Breitwipfliger Eichenwälder ...
Ueberströmen soll dich
Meiner rebellischen Seele
Jach auflohende Flammenfülle!

Durchfluten sollen dich
Meiner wehrsprengenden Leidenschaft
Wildgehende Wasser! ...

Begraben will ich dich
In die qualsüße Sklaverei der Gewalten,
Die du in mir geweckt
Mit dem Ton deiner Stimme,
Dem Geleucht deiner Augen,
Dem Lächeln deiner Wangen,
Dem Rhythmus deines Leibes -
Mit dem geheimnisvollen
Weben und Walten
Deines einzigen Ichs ...

Denn nicht mehr länger
Kann ich bändigen,
Kann ich dämmen,
Was größer denn ich
Und ungleich stärker,
Als mein machtloser Wille ...

Ist's nicht, Geliebte,
Herrlich und groß denn,
Walten zu lassen
In himmlischer Fülle,
In götterstarkem Drange,
Die schrankenlose,
Majestätische Kraft
Der Elemente?
Darum nicht länger -
Nicht länger säum' ich ...

Und ob du's auch weißt:
Es packt mich, noch einmal
Mit erstickter Stimme
Dir zuzuraunen,
Daß ich dich liebe!

So liebe mich wieder! ...

Ich mag nicht betteln
Um deine Liebe,
Mich nicht bescheiden
Mit karger Spende ...

Wie der Nordsturm eingreift
In der Eichenriesen
Knorren und Kronen,
So will ich mich einwühlen
In das Geäst deiner Seele!

Wie ich bei dir bin
Nacht und Tag,
Sollst du bei mir sein
Mit jeder Falte deines reinen Herzens,
Nacht und Tag,
Sollst du mein sein
Mit jeder Fiber deiner keuschen Seele ...

An mich sollst du dich klammern,
Sollst du dich lehnen,
Denn ich bin stark
Und halte dich sicher ...
Denn ich bin stark,
Und von jener Kraft,
Die göttlichen Samens,
Lebt auch in mir
Ein gewaltig Teil -
Und sie ist ewig -
Und sie ist Wahrheit
Und Traum und Ahnung ...

Weib! Wenn du mich liebtest,
Ich verdiente es doch,
Weil ich dich liebe,
Wie ich noch nie geliebt! ...
Noch nie geliebt
Ein irdisches Weib! ...
(S. 93-100)
_____



Trüb schleicht die Zeit und nüchtern ...

Trüb schleicht die Zeit und nüchtern ...
Und glanzlos liegt die Welt,
Von keinem goldnen Sonnenblick
Durchleuchtet und erhellt.
Wie Felsen lastet's mir die Brust,
Und halb bewußt, halb unbewußt
Kommt da ein Träumen schüchtern -
Trüb schleicht die Zeit und nüchtern,
Und glanzlos liegt die Welt.

Da aber regt sich's leise,
Gemach der Bann zerrinnt,
Und leuchtend drängt sich Bild an Bild,
Und lockt und webt und spinnt
Und fesselt mich mit Zauberkraft,
Und längstverkohlte Leidenschaft
Zieht mich in ihre Kreise -
Da regt sich's leise, leise,
Gemach der Bann zerrinnt.

In hoher Schönheit prangend
Schau' ich da plötzlich dich,
Die mondenlang, viel Monden lang,
So ganz vergessen ich -
Der ich gedacht kein einzig Mal,
Als ich in bitter harter Qual
Gerungen, lichtverlangend -
In hoher Schönheit prangend
Schau' ich da plötzlich dich ...

Doch ob's auch wie verschleiert
Glanzlächeln dich umschwebt,
Ob auch dein Haar, dein golden Haar,
Ein Diadem dir webt -
Ein Diadem, so flammenlicht,
So zauberhold wie ein Gedicht,
Das deine Schönheit feiert -
Ob's auch wie halb verschleiert
Glanzlächeln dich umschwebt:

In deinen schwermutsvollen
Glutaugen ruht's wie Leid -
Wie heißes, namenloses Weh, -
Wie eine Seele schreit,
Wenn gnadenarm und sonnenlos
Sie der Verzweiflung liegt im Schoß -
Glücklos die Stunden rollen ...
In deinen schwermutsvollen
Glutaugen ruht's wie Leid ...

Mich aber packt ein Trauern
 Um dich, mein armes Lieb,
Daß ich erlösungsdürstig wild
Aufschreien möcht'! Doch trüb
Und trüber wird mir Herz und Hirn,
Das Fieber irrt um Wang' und Stirn
Und mich durchschießt ein Schauern ...
Mich packt ein jähes Trauern
Um dich, um dich, mein Lieb! - - -

Trüb schleicht die Zeit und nüchtern,
Und glanzlos liegt die Welt,
Von keinem goldnen Sonnenblick
Durchleuchtet und erhellt.
Mir auf der Brust starrt's schwer und hart:
Verspielt, verloren und genarrt
Von blöden Traumgesichtern -
Trüb schleicht die Zeit und nüchtern,
Und glanzlos liegt die Welt ...
(S. 100-102)
_____



Die müde schon verglühte ...

Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang,
Jach ist sie wieder aufgeflammt
In jauchzendem Gesang!
Wie Zymbelton, wie Lautenschlag
Ward meine Liebe wieder wach,
Die müde schon verglühte,
Die leise schon verklang ...

Und heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind,
Wenn er in heißem Schöpferdrang
Die Welt dem Licht gewinnt
Und das Prophetenwort erläßt,
Daß nun der Menschheit Osterfest -
Ja! heller tönt ihr Rauschen,
Wie junger Frühlingswind!

Und wie durch Nebelschleier
Die Sonne siegreich bricht,
Der jungen Flur ein goldnes Band
Ums Lockenantlitz flicht:
So überglänzt mit Purpurschein
Die Liebe nun mein ganzes Sein,
Gießt goldne Feuer nieder
Und wirbt um neue Lieder ...

Und nah und ferne quellen
Blitzende Welten empor
An meinem Lebenshorizont
Aus Dunst und Wolkenflor!
Gedanken, die mir nie genaht,
Und Pfade, die ich nie betrat,
Entsteigen verborgenen Gründen,
Heilige Kraft zu entzünden!

Die leise schon verklungen,
Die müde schon verglüht:
Wild ist sie wieder aufgeflammt,
Im Lenzsturm stark erblüht!
Und lag ich wieder staubbedeckt,
So hab' ich mich nun aufgereckt,
Und die Gedanken schweifen
In großem Weltbegreifen!
(S. 102-104)
_____



Fragment

Wir gehen so stumm neb'einander
Und haben das Herz doch so voll ...
Süß duftet der Oleander
Aus deiner Locken Geroll ...

Mit ihren schwellenden Armen
Klammert die Leidenschaft
Sich mir um die Brust ... sie packt mich
Mit wilder dämonischer Kraft ...

Ich möchte dich an mich reißen,
Dich überströmen mit Glut -
Schwelgen in deinen weißen
Armen und rauschende Flut

Süßbetäubender Minne
Schlürfen aus blitzendem Krug ...
Und mit seligem Sinne
Feiern den süßen Trug ...
(S. 104)
_____



Elisabeth

Du bist nicht schön ... Ich könnte auch nicht sagen,
Daß ich dich liebte ... Denn oft Stunden, Tage,
Oft ganze Monde denk' ich deiner kaum,
Wenn meine Seele heißere Reize sucht,
Nach Glut und Leidenschaft, nach Schönheit dürstet -
Im Taumel schrankenloser Hingebung
Sich ganz verzehren möchte ...

Du bist nicht kalt, Elisabeth - nein! nein!
Doch meine Seele liebt das Bacchanal,
Da die Gefühle durcheinanderschäumen,
Gen Himmel schießen, in verzückter Brunst
Sich lodernd um die Frucht des Staubes klammern ...

Ich weiß: in diesem Sinne geh' ich unter -
Das ist Bestimmung, tiefste Herzenssatzung ...
Und, wenn mich einer retten könnte: du -
Nur du wohl wärest dann mein guter Engel ...

Doch siehe: Sehnsucht nur -
Geheimnisvolle Sehnsucht, die mir manchmal
Nach deiner edlen Herbheit in die Seele,
Die überreizte, tritt: sie kann allein doch
Uns nicht für immer aneinanderschmieden ...
Mitunter wohl wär' ich es ganz zufrieden -
Ich geb' es zu! - wenn die Penaten grade,
Des Herdes würd'ge Götter, mir voll Gnade ...

Doch dann kommt's über mich - reißt mich der faustsche Drang
Unwiderstehlich in die Gärten, da
Das Leben seine goldnen Stunden feiert -
Es rauscht Musik - in der Mazurka Weisen
Jauchzt Chopins glutgeborstnes Herz sich aus -
Die Brunnen tönen - durch das Dunkel bebt
Geflüster, und die Sternenfeuer leuchten -
Des Frühlings warmer Atem tastet brünstig
Um der brunsttrunkenen Erde üpp'ge Glieder:
Dann müßt' ich von dir gehen, meinem Sterne
Nachziehen unstet, und mein Herz gehörte,
Elisabeth, nicht dir und deinem Herde!
Die Enge würde mich zerlasten, würde
Sich auf mich wälzen wie voll erzner Bürde ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Laß mich in deinen Kreis nur manchmal treten,
Wenn ich ermüdet heimatwärts mich sehne -
Dann trocknest du vielleicht mir eine Träne -
Und tröstest mich mit einigen Pasteten ...

Und unter Weinen, Lachen, Witzereißen
Lern' ich's, mein Elend gründlich zu verbeißen -
Lern' ich's, mich wieder auf mich zu besinnen
Und meine Freiheit - lieber zu gewinnen ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
(S. 104-106)
_____



Anna

Es ist wohl meine ganz "verfluchte Pflicht
Und Schuldigkeit", geliebtes Mädchen, dir
In diesem meinem ersten Liederbuche
Auch schließlich ein paar Zeilen zu verehren ...
Ich halte mir zwar jetzt aus Prinzip
Zehn Schritt vom Leibe alles, was nach "Liebe"
Nur im Geringsten schmecken, riechen mag ...
Denn siehe! Ich begriff: Die "Liebe" ist
Zuweilen zwar ein wunderköstlich Ding
Und mit dem Herrgott ziemlich nah verwandt ...
Doch ist sie auch hinwiederum recht launisch,
Und Kummer und Bedrängnis, Störung, Aerger,
Gießt sie in breiten Strömen schnippisch aus ...

Dafür muß ich doch danken ... Denn ich bin
Mit allen Fibern meiner Dichterseele
Seit kurzem ein getreuer "Sohn der Zeit" ...
Und diese Zeit - man nennt sie auch "modern" -
Sie hat wahrhaftig keine Zeit mehr übrig
Für solch Allotria, wie eben Liebe.

Da aber andrerseits dies arme Büchlein
Sich lobesam bestrebt, von meinem Leben
Ein ziemlich treues Konterfei zu geben,
Darf ich auch dich, dereinst geliebtes Mädchen,
Wahrhaftig nicht vergessen - holder Liebling
Du meiner schwärmerischen Knabenseele!

Wie lang ist's her doch, daß mein junges Herz
So ganz für dich schlug und für deine Schönheit! ...
Dein blondes Haar - dein Auge blau - nicht wahr? -
Der zarte Teint - dein leiskokettes Wesen:
Sie brachten mich nur zu bald an die Angel ...
Mein Gott! Das ist zwar ganz natürlich, ja! -
Und doch kommt's heute mir urkomisch vor,
Obwohl ich mir ganz ernstlich eingedrillt,
Kühl bis ans Herz hinan ein jedes Ding
In echt exakt historischer Betrachtung,
Ganz sine ira, sine studio,
Einfach aus seinen Gründen zu begreifen ...

Das legt dem Aerger - dieser Modus nämlich -
(Man kann für "Modus" auch "Methode" sagen)
Ganz hagebüchen Zaum und Zügel an
Und spielt sich auf als äußerst netter Dämpfer,
Der jedem heißen Blute zu empfehlen ...

Ich schweifte ab und bitte um Verzeihung!
Nun denn - was wollt' ich sagen? Ja, jetzt weiß ich! -
Es will mich nämlich heute noch sehr schnurrig
Bedünken, daß ich dereinst geliebt,
Glanzstern du meiner Sekundanertage - -
Und auch in Prima war's noch nicht ganz richtig ...

Ja! Das ist lange her - und unterweilen
Ging ich beim Leben selber in die Schule ...
Willst du ausführlicher darüber hören -
Ich sag' es halb und halb in Parenthese -
Dann bitte blättre mit den schlanken Fingern,
Den weißen Fingern mit den Rosennägeln,
Dies Heft nach vorn und rückwärts durch - du wirst
Schon manch gepfeffertes Kapitel finden,
So manch Geständnis tragikom'scher Sünden,
Die dir vielleicht ein bißchen von Interesse -
Sind sie auch manchmal nicht Delikatesse ...

Denn, Anna, oft tickt's mich unwiderstehlich,
Mit offenem Wort, urwüchsigen Gebärden
Herauszusagen, was ein andrer erst
Zehnmal verklausuliert und elfmal einpackt
In dichtgesponnene Lügen-Emballagen.

Doch halt! Ich bin von neuem abgekommen,
Und die Geschichte wird nun ganz verschwommen ...

Fatal! Wie wird der Rezensentenschwarm
Sich auf mich stürzen - mein Gelenk umklammernd,
Schreit er mir zu: du mußt viel klarer sein,
Denn daraus findet sich ja kaum ein Schw ...
Geschweige denn ein Mensch - je nun - er hat
So unrecht nicht! ... Daß er mir huldvoll bliebe,
Bericht' ich nun von diesem Augenblick
Ganz "sachgemäß" von meiner Jugendliebe,
Von meinem übersonnten Jugendglück! ...

Ich war ein Kind von zirka siebzehn Jahren -
Doch eigentlich recht alt schon, find' ich heute -
Als ich mich in dein Lärvchen flugs vergafft ...
Mit reichlich respektabler Leidenschaft.

Ich wußte meinem Leibe keinen Rat,
Und Tag und Nacht sann ich auf eine Tat,
Wie ich von meiner heißen Herzensneigung
Zu Sinn dir brächte ernste Ueberzeugung ...

Da fügte es der Zufall, daß wir beide
Uns eines Tages in den Bergen trafen ...

Ach ja! Im Harz war's - in den Hundstagsferien.

Zwei heiterernste Schulbankkameraden,
Die meinem Herzen auch sonst näher standen,
Und ich - wir drei: wir kriegten plötzlich Sehnsucht,
Unbänd'ge, heiße, namenlose Sehnsucht,
Nach jenen Höckern, welche da und dort
Das alte Mütterchen, die Erde, trägt:

Die Sache wurde schleunigst überlegt -
Und eines Morgens war's, im Julimond,
Als wir die Domstadt, die ehrwürdig alte -
Im Herzen ist sie schon ein wenig brüchig,
Verdumpft und stockig - "kurzer Hand" verließen ...

Das Reiseziel - bei Gott! - es war nicht Gießen,
Wie es der Reim fast zu verlangen scheint -
Vielmehr der Harz, wie ich schon oben sagte,
Thale zunächst und nachher Treseburg ...

In Treseburg - wo die Erinnrung wieder
Mich überkommt an seiner Tannenwälder
Hirnklärende Parfüms, die unbezahlbar
Für Adam Homos stadtluftgrames Herz;
An seine saatbestandnen Bergeslehnen,
An seine heimlichen Poetenpfade,
An seiner Wohner kraftgesundes Trachten! - -
Doch halt! Ich muß der Parenthese achten,
Die meine Sehnsucht ungebührlich dehnt -
In Treseburg also - der Wirt hieß Müller -
Ja! Müllers gibt es in der ganzen Welt! -
Quartierten wir uns ein auf vierzehn Tage ...

Am Abend sah ich dich! Du hattest zwar
Dein feines, stolzes, leiskokettes Wesen
Auch in die Berge mitgebracht - und doch:
Ich liebte dich einmal und hoffte stark:
Es läßt sich schon Gelegenheit erzwingen,
Ganz stilvoll mein Geständnis anzubringen.

Ich bracht' es denn auch wirklich an - das heißt:
Beinahe nur! Denn leider mein Benehmen -
Ich muß mich eigentlich noch heute schämen! -
War vor dem Treffpunkt - wie es kam: ich weiß nicht!
Doch haben's meine Freunde mich versichert,
Und gute Freunde haben immer recht,
Besonders wenn sie nicht - pro domo reden! -
Kurz also: mein Benehmen gegen Sie,
Mein hochverehrtes Fräulein, war zur Unzeit
Ganz fürchterlich empörend, "kraftgenial",
"Von oben runter", souverän, blasiert,
Sehr selbstbewußt, "bis in die Puppen frech",
Ironisch, gallig, unanständig, grob -
Mit einem Wort: beleid'gend bis zum Tz ...

Ich halte diesen Umstand wohl für möglich
So, wie ich meine Wenigkeit taxiere ...
Denn eine alte Angewohnheit ist's -
Ich muß sie leider eingestehen - daß
Ich öfter plötzlich Sehnsucht kriege, einem,
Besonders gerne einem, den ich liebe,
Einmal die vorgebundene Faschingsmaske
Herabzureißen und ihm nun die Wahrheit
Saugrob wie Bohnenstroh drauflos zu geigen ...
Soll man zeitweilig nicht die Zähne zeigen?
Wozu hat man sie denn? ... Nun also: damals
War's denn vorbei - ich machte schlechte Witze -
Bei Gott! Ich kann den Kitzel nicht verknebeln! -
Da trafen mich der Götter Racheblitze
Und wollten mich aus der Gesellschaft säbeln - -
Das war nun so - ich mußte flugs verzichten
Und konnte dich in Zukunft nur bedichten ...

Wir sahen uns zwar später manchmal noch -
Und doch! Ein Etwas stellte sich dazwischen
Und suchte auch das Letzte zu verwischen,
Was uns vielleicht noch zueinander zog ...
Ja! Ja! Die guten Freunde und Kollegen,
Die wollen nur das Beste aller wegen!

Und weiter - auseinander immer weiter
Trieb uns seitdem ein ernster Schicksalswind ...
Ich reifte aus zum mühbeladnen Streiter -
Du wurdest eine Dame, weltumworben -
Die Kinderträume sind dir längst gestorben -
Du weißt nicht, was Erinnerungen sind ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Will's Gott, sehn mich im nächsten Lenz die Berge,
Die Harzerberge, endlich einmal wieder ...

Dann setz' ich mich auf meine Lieblingsbank -
Ich hoffe sie zu finden! - träume mählich,
So'n bißchen echtgermanisch heimwehkrank,
In ferne Sommertage mich zurück -
In Sommertage, die von Glück fast troffen,
Bis in gewissen Nebeln sie ersoffen ...

Und doch! Selbst heute noch in Dämmerstunden,
Wenn alles schweigt und nur die Schatten schweben,
Und ich halb unbewußt den Weg gefunden
Zurück zu meiner Jugend Schwärmerleben -
Selbst heute noch ist's mir, als suchte dich
Mein armes Herz mit seinem tiefsten Sehnen - -
Und doch - ich weiß genau: Ich irre mich -
Den liebt' ich nicht seitdem noch drei Helenen,
Mathilde, Dora, Emmy, zwei Louisen? - -
Mein Herz sucht sicher eine nur von diesen ...
(S. 106-113)
_____



Frühlingssehnsucht

Da nun die Nächte kamen,
Die Nächte wundersüß,
Wo letzter Nachtigallenschlag
Die Stunden feiert früh vor Tag
Und erstes Rosendüften:
Sehnt sich mein Herz nach Liebe,
Nach Glück -
Nach dem verlornen Paradies
Zurück ...

Mir ist's, als klopften Geister
An meine braune Tür!
Als trät' zu mir mit Glorienschein
Der König Frühling selber ein
Und brächte mir ein Mägdelein
Und spräche: "Heil sei dir!

Ich bring' dir eine feine Magd -
Soll fürder bei dir gasten!
Am Tage sei ihr Kavalier,
Geleit sie durch das Waldrevier,
Wo auf verschollne Pfade
Der Bilder, der verblaßten,
Kaum noch ein Schatten fällt -
Wo holder Götter Gnade
Vergessen ließ die Welt! ...

Der Vögel Klang,
Der Fluren Duft
Und eurer Seelen Feuerdrang
Beflügele den Hochgesang,
Den eure Liebe tönt!
Nun gürte dich mit milder Kraft
Und, von den Göttern hingerafft,
Sei mit der Welt versöhnt,
Da dich ein Gott gekrönt!

Hebt's aber an zu nachten,
Dann zäumt das Wandertrachten
Und kehrt, der Sehnsucht reich,
In diese enge Kammer ein,
Und bei kristallnem Sternenschein
Enthüllt ihr das Geheimnis,
Drin alle Wesen gleich ...
Draus alles Sein entsprießt,
Drin alles Sein sich schließt.

Es liegt die Welt in Schlummer tief -
Euch ist's, als ob sie ewig schlief -
Noch ferne weilt der junge Tag -
Da, letzter Nachtigallenschlag! -
 Ihr aber habt's begriffen,
Das Evangelium,
Das dieses Frühlings Wundermund
Den Kreaturen tuet kund -
Ihr aber habt's begriffen
Und seid in Wonne stumm!"

Da nun die Nächte kamen,
Die Nächte wundersüß,
Wo letzter Nachtigallenschlag
Die Stunden feiert früh vor Tag
Und erstes Rosendüften -
Sehnt sich mein Herz nach Liebe -
Nach Glück -
Nach eines Mägdleins weißem Leib
Zurück ...

Doch ach! Die Rosen düften -
Es schluchzt die Nachtigall
Nicht mehr zu meiner Liebe Preis -
Verdorret ist das Wunderreis -
Und ob sich ungezügelt
Die Sehnsuchtsflamme flügelt
Und um Erhörung wirbt:
Die Pforte ist geschlossen -
Ich hab' mein Glück genossen -
Der Gott hat sich verhüllt -
 Und meine Sehnsucht stirbt
Ach! unerfüllt ...
(S. 114-117)
_____



Sommerrosen

Ich wollte dich mit Rosen überschütten,
Mit roten Rosen dein goldbraunes Haar
Und deines Mieders Knospenrundung schmücken ...

Als noch der Lenz mit süßem Veilchenodem,
Ein milder Sieger, durch die Lande schritt,
Sprach ich zu dir: Geliebte! Hat sein Mund
Mit letztem heißen Abschiedskuß die Rose,
Die rote Sommerrose, aufgebrochen,
Dann will ich zu dir kommen und mit Rosen,
Mit roten Rosen deine Schönheit krönen ...

Nun kam der Sommer ... Und der Rosen Fülle
Seh' ich allorts und alle Stunde blühen ...
Die ganze Welt scheint ihrer Macht verfallen,
Und ihre Keusche wirbt Vasallen um Vasallen ...

Selbst einen Bettler sah ich heute lächeln,
Als sein vertränter Blick von ungefähr
Auf einen Korb mit roten Rosen fiel ...

Ich kauf' sie in der ganzen Stadt zusammen
Und schütte sie auf tote Liebesflammen ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Nun schmückt ein andrer wohl dein Knospenmieder,
Und morgen wohl begegne ich euch beiden ...
Ich blick' euch lächelnd nach ...
Und denke ganz aus Zufall
Bei der Gelegenheit an einen Frühlingstag,
Da wir uns sahn ... Am Abend dann
Schlug uns die Nachtigall in ihren Bann,
Umduftete uns süß der Flieder ...

Wir aber liebten uns ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
(S. 118-119)
_____



Marie Louise

Du fragst, was mir so herbe, tiefe Falten
In meine junge Stirne gräbt?
Was mich so plötzlich macht erkalten?
Was mich durchbebt,
Daß ich dich an mich reißen will -
In heißer Leidenschaft dich an mich pressen?

Geliebte! O sei still! ...
O laß mich schweigen! ... Frage nicht! ...
Zeig mir dein holdes, liebes Angesicht -
Der Augen Goldbraun und der Lippen Blüten -
Mich aber laß mein ernst Geheimnis hüten! ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Und lache wieder! ... Denn du weißt, es liegt
In deines Lachens reiner Töneflut
Ein Zauber, der mich stets besiegt,
Der stets gebändigt mein Rebellenblut ...

Mir aber will ich tiefbeschämt gestehn -
Will Wort für Wort aussprechen, was durchzittert
Mich jäh wie eine ernste, dunkle Ahnung -
Was mich erschüttert
Bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele ...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Ja, ja! mein Lieb! - Ich wag's dir nicht zu sagen -
Laß mich dich fest an meine Brust nur pressen - -
Und doch - ich weiß: Es wird die Stunde schlagen -
Da habe ich auch - dich vergessen!
(S. 119-120)
_____



In schlafloser Nacht

Ich liege schlaflos. - Die Gedanken kreisen
In alten und in neuen Geleisen.

Die Enge drückt mich - es drückt mich die Nacht -
Wehe dem Armen, der einsam wacht!

Wehe dem Armen, der einsam büßt,
Dem nichts den Wermut der Reue versüßt!

Ich liege schlaflos ... und alles still ...
Es atmet die Nacht, die vergeben nicht will ...

Da klappert ein Schritt die Straße heran ...
Ein leiser Gang ... Und er schwillt an ...

Und in mein einsam Kämmerlein
Flutet ein Lied der Sehnsucht hinein ...

Ein Lied so ergreifend, so mild und so schwer ...
An Entsagung so voll ... an Entzücken so leer ...

Da faßt es mich jäh - ich walle empor ...
Tönt in mir ein brausender Engelchor?

Ich hebe mich auf - ich atme bang -
Und mich bezwingt unheimlicher Drang ...

Oh! Könnt' ich dich an die Brust wild reißen -
Dich, die ich habe gehen heißen!

Ich hielte dich sicher - und du vergibst -
Und du sagst mir noch einmal, daß du mich liebst!

Die Schritte verhallen ... Es schweigt der Gesang ...
Es bröckelt meiner Seele dämonischer Drang ...

Nun wieder Stille ... Es atmet die Nacht.
Wehe dem Armen, der einsam wacht!

Der einsam nach Verlorenem spürt ...
Es atmet die Nacht - schicksalknüpfend und ungerührt.
(S. 120-121)
_____



Erfüllung

Verhaltenes Geigengeriesel
Zittert in mein Gemach -
Ich horche auf ... und denke
Den stillen Tönen nach ...

Sie betasten meine Seele
Liebkosend, scheu und mild -
Es kommt in werbender Schöne
Zu mir dein liebes Bild ...

Das ist eine alte Geschichte -
Man sieht's auf den ersten Blick:
Ein lyrischer Dichter wird immer
Das Opfer diskreter Musik ...

Sie flockt so krauses Getändel,
Sie plaudert entzückendes Zeug -
Sie stöbert aus Seelengründen
Vergeßner Gefühle Gesträuch!

Auch mich hat sie ergriffen ...
Tiefinnerstes aufgewühlt -
Wie sehr ich dich doch liebe:
Das habe ich da erst gefühlt!

 Nun schweigen die stillen Töne,
Und alles hat sich erfüllt -
Und in unendlicher Schöne
Schau' ich dein liebes Bild ...
(S. 228-229)
_____


Aus: Hermann Conradis Gesammelte Schriften
Herausgegeben von Dr. Paul SSymank
und Gustav Werner Peters
Erster Band: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen
München und Leipzig bei Georg Müller 1911

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Conradi


 

 


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