Jakob Julius David (1859-1906) - Liebesgedichte

Jakob Julius David




Jakob Julius David
(1859-1906)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 





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Ja, Liebesgrüßen, Liebesleid,
Die hast Du mir gelehret
Du süße, stolze, schöne Maid,
Nach der mein Herz begehret;
Und ist mein Werben ungelenk,
Und mag Dir's nicht behagen:
Herzliebe, Traute, dann bedenk',
Ich lernt' es erst vor Tagen!

Ich bin ein Weih, der einsam zog
In Wolken seine Kreise,
Ein wilder Falk, der sich verflog;
Nun bin ich müd der Reise;
Nun dauert mich mein wirrer Flug,
Gern möcht' ich Heimstatt grüßen:
Der kleinste Platz wär mir genug,
Geliebte, Dir zu Füßen!
(S. 36)
_____



Liebfrauentag

Liebfrauentag! Als ob sie sängen,
So rufen Glocken himmelan;
Und aus der Stadt, der weiten, drängen
Die Menschen festlich angetan.
So komm doch! unter grünen Hecken
Im Waldesschatten, süßes Kind,
Laß uns ein junges Glück verstecken
Vor Menschen, die uns neidig sind.

Zu kurzer Ruhe laß Dich nieder -
Was ist der weite Wald so hold!
Sieh - jener Amsel schwarz Gefieder,
Die Sonne übergießt's mit Gold,
Wie anmutsvoll ist jene Helle,
Die jäh durch Buchenkronen dringt!
Sieh, wie behende die Libelle
Den stahlgefärbten Fittig schwingt!

Sprich: kennst Du auch die holde Sage,
Des Tages Deutung, ganz genau?
Du weißt, es stieg an diesem Tage
Gen Himmel unsre liebe Frau;
Schon war bereitet sie zum Fluge,
Schon klang der Englein Festgesang:
Da kam herzu in wirrem Zuge
Viel armes Volk, das Leid bezwang.

Denn aus geborstner Bäume Stumpfe
Kroch manche Natter scheu hervor;
Die Kröte kam aus ihrem Sumpfe,
Der feuchte Molch verließ sein Moor.
Der Eidechs ist herzu gelaufen,
Die Blindschleich' nahte sich bedacht;
Es haben vor dem hellen Haufen
Die Unken Marschmusik gemacht.

Die Mücke flog herzu, die kecke,
Saß schlau auf Engelein und stach,
Indes die brave, stille Schnecke
Als Sprecherin zur Herrin sprach:
"Maria! immerdar verschlossen
Muß uns der lichte Himmel sein,
Führst Du, als Deiner Fahrt Genossen,
Uns heute nicht mit Dir hinein.

Ach, frage nicht, was uns die Erde,
Du meine Güte! jemals bot.
Ach, eitel Leiden und Beschwerde,
Nichts als Verfolgung und als Not.
Du trugst das Heil auf Deinen Armen,
Der Welterlöser ist Dein Kind -
So trage mild mit uns Erbarmen,
Die wir vom Heil verstoßen sind!"

Maria neigte sich dem Volke
Und sprach: "Heut ist mein Ehrentag.
Drum nehme Platz auf meiner Wolke,
Was Platz zu finden nur vermag.
Heut öffnen sich des Himmels Luken
Und offen liegt das höchste Glück -
Das dürft Ihr schauen und begucken,
Dann senkt zur Erde Euch zurück.

Und zum Erinnern jenem Heile,
Das Euch zu dieser Frist ergötzt,
Sei meines Tages kurze Weile
Zu stetem Frieden Euch gesetzt;
Da werdet frei von allen Nöten,
Da sei die Freude Euch zur Pflicht,
Kein Mensch soll Euch bedrängen, töten -
Nur quält mir meine Menschen nicht!"

Nun weißt Du, warum Heimchen schrillen,
So holdes Licht durch Zweige dringt;
Warum den Wald, den mittagstillen,
Ein Finkenruf so laut durchklingt. -
Es schwärmen jubelvoll die Mücken,
Es glänzt so hell der weite Hag -
Komm! laß Dich an das Herze drücken:
Süß Lieb: heut ist Liebfrauentag!
(S. 37-39)
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Am Abend war es ...

Am Abend war es, und der Bach
Floß rötlich zwischen grauen Weiden,
Als Jakob zu dem Dämon sprach:
O, segne mich, bevor wir scheiden.
Warst Du zu kraftvoll auch für mich,
Bin ich doch kampflos nicht erlegen,
Eh wir uns trennen, Engel, sprich
Noch über mich den Scheidesegen. -

Am Abend ist's. Müd bis zum Tod,
Möcht ich mit letzter Kraft Dich fassen,
Du spätes Glück, das sich mir bot,
Ich kann Dich leichten Kaufs nicht lassen.
Mein kampfesmüdes Herze fleht:
Spät bist Du, Engel, mir begegnet,
Doch sei es Nacht, sei's noch so spät,
Geh nicht, bevor Du mich gesegnet.
(S. 39-40)
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So wunderlich ...

So wunderlich hab' ich geträumt:
Es kam, nachdem es lang gesäumt.
Hat listig, gleich dem Dieb zu Nacht,
Das Kammertürchen aufgemacht.
Dann huscht's herein. Aus Augen blau

Sah hell um sich die schönste Frau.
Die Wange rosenfarben war,
Dem Sonnengolde glich das Haar,
Der süße Mund zum Kuß sich bot -
Und, dem es galt, der Mann war tot ...
(S. 40)
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Fortgegangen bist Du

Fortgegangen bist Du
Ohne Abschiedsgruß.
Ahntest nicht, wie Deiner
Stets ich denken muß.

Daß mein Herz vor Sehnsucht
Nach der Fernen schwillt,
Daß vor meiner Seele
Allstund steht Dein Bild.

Und in stillen Nächten
Hielt, wie oft! mich wach
Jenes Wort von Liebe
Das Dein Mund nicht sprach.

Wenn dann später Schlummer
Mir aufs Auge sank,
Stand vor mir Dein liebes
Antlitz blaß und krank.

Und aus meinen Träumen
Hört man mich erschrein:
Fortgegangen bist Du,
Und ich bin allein!
(S. 40-41)
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Es tut wohl weh ...

Wohl tut es weh, ein Kind gestorben wissen,
Doch größer Leiden ist, es sterben sehn;
Ernsthaft doch still, das Herz von Gram zerrissen,
An seinem Krankenbettchen tröstend stehn.

Und lächeln müssen, bis das Sein geschwunden,
Und Todesfrieden sein Gesicht verklärt -
Begreifst Du, was ich kummervoll empfunden,
Da Deine Seele mir sich abgekehrt?
(S. 41)
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Ein Sehnen

Die Arme breit' ich aus. Wozu? Wonach?
Nach rechtem Glück? Ich hab es nie genossen.
Die Türe selbst, durch die ein Lichtstrahl brach
In meines Lebens Nacht, ward jäh geschlossen.

Den jungen Stolz, den sie mir einst verargt,
Ich sah ihn wund zum Tode auf der Bahre,
Mit eignen Händen hab' ich eingesargt
Die dreisten Träume meiner Kinderjahre.

Und allgemach gewann ich teure Ruh' ...
Nun schreckt mich auf ein heißestes Begehren -
Die Arme breit' ich aus. Wonach? Wozu?
Unselig Herz! wann lernest Du entbehren!
(S. 42)
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So kam's ...

Und als ich müde ward: Durch stäte Not,
Durch fruchtlos Kämpfen müd' und fast verbittert,
Erschienst mir Du, Du spätes Morgenrot,
Das tauend ein vergletschert Herz umwittert;
Und meiner Tage bester ging mir auf,
Da sprach ich Dinge, die ich sonst wohl hehle,
Und legte meiner Sorgen wüsten Hauf
Othello gleich auf Deine Seele ...

Denkst Du daran? Die Mittagsonne brach
Durchs Blattwerk fremder Palmen und Dracänen,
Indes ich müd von Winternächten sprach,
Von Einsamkeit und Not und wirrem Sehnen.
Ob bei den Bildern, welche ich beschwor,
Nicht fremde Schauer kalt Dich überliefen?
Du Sonnenkind! Dir schlug zuerst ans Ohr
Der Angstschrei aus des Lebens Tiefen ...
Gewann Dich das? Ich frag' und sorge nicht,
Wer weiß, wie eines sich dem andern schickte!
Wer forscht, aus welchem Schacht die Quelle bricht,
Die ihn in heißer Wanderzeit erquickte?
Er trinkt und rastet, sieht die klare Flut
Im tiefen Grund auf blanken Kiesen schäumen,
Und möchte ihr zunächst und traumgemut
Des Lebens armen Rest verträumen ...
(S. 42-43)
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Gleichnis

Aus des Glückes
Prunkvoll reichem,
Rings mit tausend
Bildern geschmücktem
Taumelpokale
Tat ich den ersten
Lechzenden Zug.
Und zum ersten Male
Ist nun ein lieber
Traum meines einsamen
Lagers Geselle.
Du gabst mir ihn.
O laß ihn mir weilen!
Das scheue Seelchen,
Scheuch' es mir nimmer!
Daß Wohlduft und Süße
Mein Tiefstes erfülle,
Daß mir es ergehe
Wie jenem, den einstmals
Ein mächtiger Traumgott
Nachts seiner Heimat
Klingendem, ewigem,
Schauderndem Froste
Südwärts enttrug.
Er sah und staunte:
Sah fremde Blumen,
Sah Quellen schreiten
Durch grünendes Land,
Und horchte verwundert
Hellstimmiger Vögel
Tönendem, süßem
Frühlingsgesang.
Und da er erwachte,
Da blieb ihm in tiefster
Verschwiegenster Seele
Ein heimliches Glück,
Im ewigen Winter
Ein Frühlingserinnern:
An eine Nachtigall,
Die ihm geschlagen,
An eine Stunde,
Die er genossen,
An eine Rose,
Deren Duft gespenstig
Und dennoch hold
Des wieder Einsamen
Träume durchwebte ...
(S. 43-45)
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Geschwister-Flammen

Ich sage Dir: doch wirst Du kommen,
Nicht freien Willens, Du mußt!
Ein Liebeslicht war erst erglommen
Geheim und stark in meiner Brust.

Wie fanden dann, die mich bezwangen,
Die Gluten Eingang in Dein Herz?
Ein Wehen ging, die Funken sprangen,
Erst glomm's, nun lodert's allerwärts.

Nun glüht uns heilig Flammenweben
Die Seelen schlackenrein und jung:
Und zwei Geschwister-Flammen streben
Nach heißester Vereinigung.
(S. 45)
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Mein Teil

Von Deinen Sorgen, sonst der Welt verschlossen,
Mein vollgerüttelt Maß hab' ich genossen:

Wenn aber Freuden erst die Schmerzen heilen -
Ich werde sie mit Dir, mein Lieb, nicht teilen.

Und werde dennoch, muß ich einst entsagen,
Mein Los nicht schelten, noch mein Sein beklagen.

Mit einem Andern magst Du fürder wallen -
Mir ist ein besser Teil als ihm gefallen.

Denn zum Gelage und zum Freudenfeste
Entfacht man Fackeln und entbietet Gäste -

Von Sorgen aber und von Kümmernissen
Darf neben Gott nur der Geliebte wissen.
(S. 45-46)
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Entsühne mich

Und ist ein Herz vom Wege abgeirrt -
Im Buch der Bücher steht es so geschrieben -
Ein jeder Fehl und jede Sünde wird
Vergeben um ein starkes, volles Lieben.

Und ward ein Mann vom Pfade je gedrängt
Durch Fügung oder eigenes Erkühnen,
Das Weib, das liebend ihn zuerst umfängt,
Im Kusse darf's ihn priesterlich entsühnen.

Du bist die Priesterin, das Heil. Wie lang
Ersehnt' ich Dich, die längst mein Herz verkündigt -
Umfasse mich! Ich bin so müd und schwank ...
Entsühne mich! Ich habe viel gesündigt ...
(S. 47)
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Wunder der Liebe

War mein lieber Gast die Liebste;
Dämmerspät ist sie gekommen.
Oed und traurig war das Stübchen,
Und sie saß gesenkter Wimpern;
Ich doch flehte und beschwor sie:
"Schlag sie auf, die Rätselaugen,
Lasse mich die Sterne schauen,
Wie der Nordstern dem Piloten
Ziel und Richte meinem Leben."
Zögernd tat sie's; stilles Leuchten
Floß durchs dunkelnde Gemach.

Da die Liebste aber immer
Ernst in Schweigen noch verharrte,
Bat ich wieder: "Liebe Seele,
Sprich ein Wort, ein einzig Wort!
Nur ein armes Liebeswörtlein,
Daß mein Herze sich erlabe."
"Nimmer tu' ich's, Arger, Holder!"
Kam's zurück, und Rosenduften
Floß geheim durch meine Brust.

Endlich hub sie sich, zu gehen;
Ich doch, unersättlich, flehte:
"Wunder viel hast Du gewirkt:
Brachtest Licht der dunkeln Seele,
Lenz dem winteröden Herzen -
Still und bang ist mir zu Mut.
Fände nun Dein Mund den meinen,
Jedes Trübsal, glaub mir's, wiche,
Und ich sänge leidbefreit".
Zögernd stand sie nah der Schwelle -
Plötzlich, im Entschweben, wandte
Sie das Köpfchen, ihre Lippen
Rührten flammend an mein Haupt -
Und nun treiben tausend Lieder,
Liebeslieder drin ihr Spiel.
(S. 49-50)
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Nun laß mich schweigen ...

Nun laß mich schweigen; Deine rechte Hand
Mit starkem Drucke lasse sie umspannen,
Schlag' auf die Augen, welche mich gebannt,
Die Zauberkreise, die Dämonen bannen;
Auf meinem Haupt, das Deiner einzig denkt,
Laß ahnen mich den Druck der lieben Linken,
Und was uns je gequält und je bedrängt,
Laß uns verwehn, verklingen und versinken.

Sieh, Deine Nähe selber macht mich jung;
Da darf ich wohl das alte Märchen glauben
Von jenem Borne, draus ein einz'ger Trunk
Das Herz berauscht, wie Feuersaft der Trauben:
Dem Born der Liebe. Ach, auf irrer Fahrt
Sucht' ich darnach und fand ihn doch mit nichten -
Doch wie der ist und welches seine Art,
Ist Dir's genehm, so kann ich's Dir berichten:

Er fließt im Walde, weltfern, laubumhegt,
Und wieder hart vor Deines Hauses Schwelle;
Du ahnest ihn. Ein heißer Wunsch bewegt
Dein Herz, betritt Dein Fuß die heil'ge Stelle,
Die tiefgeheime; denn ihr Zugang ist
Verhohlen, wie des Paradieses Pforte,
Und wer ihn findet, siehe, der vergißt
Das laute Leben und der lauten Worte.

Dem steht die Welt in eitel Sonnenlicht,
Dem flammen seiner Brust geheimste Gründe.
Er schweigt. Aus seinem Tiefsten aber bricht
Ein heißes Stammeln, das sein Glück verkünde.
Durch seine Seele zieht, ein starker Braus,
Der stummen Seligkeiten lauter Reigen ...
Fand ich die Quelle? Trank ich gar daraus?
Mein Herz ist trunken - Liebste, laß mich schweigen ..
(S. 50-51)
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Sein Traum

Und immer, wenn der Tag die Erde ließ,
Erstand ein Bild den überwachen Sinnen:
Ein trautes Nest. Ihm schien's ein Paradies,
Die Herzgeliebte schaltete darinnen;
Und kam er heim, dann schlang sie Arme weiß
Um den Ersehnten, küßt' ihn stark im Dunkeln.
Er flüsterte: "Was ist Dein Mund so heiß ..."
Sie gab zurück: "Was Deine Augen funkeln!"

Dann saßen sie beseligt still selband -
Sie liebt' an seine Brust ihr Haupt zu lehnen -
Und sprachen wieder ernsthaft, Hand in Hand,
Von ihren Sorgen und von ihren Plänen.
Und wollte beiden dann der Rede Fluß
Vorm Ueberschwange des Empfindens stocken,
Dann fand sein scheuer Mund im raschen Kuß
Der Schwererrung'nen dunkelbraune Locken.

Und dann, wenn unter also holdem Tun
Die Schatten über seine Stirne glitten -
Sie merkt' es, raunte: "Sag', was sinnst Du nun?"
"Wie vieles Leid um Liebe Du gelitten!"
Sie lachte hell: "Du lieber Tor! und mußt
Du immer Dich mit toten Sorgen tragen?"
Ein schweres Seufzen brach aus seiner Brust:
"Mein Glück bedrängt mich! Liebste, hilf mir's tragen!"

Hier schloß sein Traum. Er barg sein schmal Gesicht
In seine müden, arbeitsharten Hände.
Er war allein. Ein fahles Lampenlicht
Erhellte seiner Stube kahle Wände.
Sein Herz, das ungestüme, schlug mit Macht,
Durch seine Glieder lief ein jähes Beben,
Und schleppenrauschend fühlt' er durch die Nacht
Sein graugeaugtes Traumglück sich entschweben ...
(S. 51-52)
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Frage

Und mochte mir ein rauhes Wort entfliegen
Und hätt' ich Dich verletzt, Dir weh getan,
Verzeih. Du weißt, aus meiner Seele stiegen
Nur heiße Wünsche für Dich himmelan.

Du weißt, das Leben war gar hart uns beiden,
Und hat uns Gram und manche Not gebracht -
So wurdest Du mimosenhaft durch Leiden,
Ich aber wurde rauh und ungeschlacht.

Der Felsschlucht gleicht mein Herz: Vereiste Zinnen,
Und Nebel, wallend, die kein Strahl durchbrach.
Nur eine bange Blume blüht darinnen;
Sie zittert einsam ... Lüstet's Dich darnach! ...
(S. 53)
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Nun ruhen wir ...

Nun ruhen wir. So fühl', wie bange
Die Pulse hämmern;
In meine Hand schmieg' Deine Wange
Im Abenddämmern.

Die Sonne sinkt; und eh' im Blassen
Der letzte Schein irrt,
Laß wieder mich das Heil umfassen,
Das niemals mein wird.
(S. 53)
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Nachhall

Durch Lieder bist Du mein geworden,
Und wenn sich unser Wandern schied
Beklagt in hallenden Akkorden
Dir mir Verlorne noch mein Lied.

Mein müdes Herz zur Ruh zu singen,
Beschwör' ich dann die Melodien,
Der Nachtwind nimmt sie auf die Schwingen
Und trägt sie Dir vors Fenster hin.

Dann fährst Du auf. Es ist ein Staunen
In Deinem Busen miterwacht:
"Was will dies ahnungsvolle Raunen,
Das mir das Wehen zugebracht?

Was sucht es meiner Seele Pforte
So weltentraurig, todesbang?
Die Weise kenn ich, kenn die Worte,
Wer nennt mir jenen, der sie sang?"
(S. 53-54)
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Das Ende

Nun glaube nicht, daß selbst in Jahren
Mein Angedenken Dir verfliegt -
Hat jedes Leid, das Du erfahren,
Ein reiches Glück in Schlaf gewiegt,

Vertrug der Wind die Liebesworte,
Die einst mein Mund für Dich beschwor -
Dann dringt von Deines Hauses Pforte
Ein pochend Mahnen Dir ans Ohr.

Du öffnest. Und Dir naht mit Bangen
Ein Bettlerkind und sieht Dich an.
Du harrst. Dann küßt Du seine Wangen,
Wie Du's mit meinen einst getan.

So ungewohnt ist dem dies Kosen,
Sein Auge sinnt: Wie ward mir dies?
"Du trägst den Blick des Friedelosen,
Den einst mein Wort ins Elend wies" ..
(S. 54-55)
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Der Abend stieg ...

Der Abend stieg aufs Wolkenpferd,
Er schattet durch die Weiten;
Es will sich überwach die Erd'
Zum Schlafe nun bereiten.

Schon schrieb der Herbst den Namenszug
Ins Grün mit gelben Lettern;
Noch trägt mein Nußbaum Laub genug,
Doch raschelt's gelb von Blättern.

Es nahet. Kam Dir's allzuschnell?
So blicke zu den Sternen;
Sie scheinen im Dunkeln viel und hell,
Und glänzen allen Fernen.
(S. 55)
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Verklang in Dir ...

Verklang in Dir das Lied der Geigen,
Die Dir zum Leben aufgespielt,
Vertollte Dir der laute Reigen,
Der Deine Sinne aufgewühlt,
Und blieb von dem, was Du besessen,
Von aller Liebe, jedem Glück
Nur leiseschleiernd ein Vergessen
Und stiller Vorwurf Dir zurück -

Dann komm! dann zieh mit raschen Schritten
Die lange schon gemiedne Bahn
Zu jenem Mann, der viel gelitten,
Dem Du das ärgste Weh getan;
Vergiß bei ihm, was arg und quälend
Vom Leben Dir bereitet ward;
Dein Kummer sei, es sei sein Elend,
Ein still und traurig Paar gepaart.

Und lehne, wie zu bessern Tagen,
An seine Brust Dein schönes Haupt,
Und sprich vom Leid, das Du getragen,
Von Deinen Träumen, frostentlaubt;
Von früchteleeren Herbsteszweigen,
Von einem Blühen, reifverdorrt -
Verklang in Dir das Lied der Geigen,
Erklingt Dir hier ein Liebeswort ...
(S. 55-56)
_____


Aus: J. J. David Gesammelte Werke 1
Gedichte / Das Höferecht
München und Leipzig R. Piper & Co 1908

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Julius_David





 

 


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