Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Aspazija
(1865-1943)
lettische Dichterin



Der Liebste

Ach Liebster, wie nur kannst Du
Empfinden Traurigkeit,
Da mich doch so unendlich
Du glücklich machst allzeit?

Du meine Sonne schenkest
Mir Kraft, Lebendigkeit
Und tust des Lichtes Quelle
Mir auf unendlich weit.

Aus meinen vollen Händen
Brillantenregen fällt,
Ich könnte schier beglücken
Die ganze weite Welt!
(S. 38-39)


übersetzt von Matthias Knoll

Aus: Aspazija: Die roten Blumen · Sarkanās puķes
Gedichte Dzejoļi. Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Lettischen übertragen
und herausgegeben von Matthias Knoll
(c) literatur.lv / edition Berlin 2018
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Bei Dir

Bei Dir bin ich am frühen Morgen,
Bei Dir am späten Abend noch,
Umarme Dich in süßen Träumen
Und fühl' bei Dir ganz wach mich doch.
Du wohnst in meinem heißen Atem,
Du bist's, der jeden Hauch durchdringt,
Mit hundertfachem Nachhall alles
Im Raum um mich von Dir erklingt. -

Bin ohne Dich ein schwaches Pflänzchen,
Bin wie der Hopfen ohne Halt;
Allein irr' ohne Dich umher ich,
Der Wolke gleich in Sturmgewalt . . .
Von dir getrennt flieg' ich gestorben
Umher auf schattenhafter Bahn,
Und die Erinn'rung zu umarmen
Streb' ich verzweifelt noch im Wahn. -

Nach Dir in mir ein klagend Sehnen,
Ein Schmerz sein Lied hat angestimmt -
Ein leidenschaftliches Verzweifeln
Und unverbrüchlich Hoffnung glimmt
Nach Dir im Busen mir, ist Welle,
Die jäh sich hebt und wieder fällt,
Und unbezähmbar strömt die Quelle
Der Tränen - heiß und ungezählt.
(S. 44-45)

übersetzt von Matthias Knoll

Aus: Aspazija: Die roten Blumen · Sarkanās puķes
Gedichte Dzejoļi. Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Lettischen übertragen
und herausgegeben von Matthias Knoll
(c) literatur.lv / edition Berlin 2018
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Nicht im Schoße des Lenzes

Nicht im Schoße
Des Lenzes gehegt,
Als zartes Knösplein,
Das zaghaft sich regt:
So keimte uns nicht
Die Herzensliebe,
Nein! sie ward geboren
In Sturmgestiebe -
In leidenschaftlichem
Wirbelwind,
In Flammenstrudeln
Versunken wir sind . . .
Wie die schlanke Föhre
Auf Bergesgrat
Vom Blitzesstrahl
Gespalten ich ward,
So sinke in Deine
 Arme ich hin -
Und bar des Bewußtseins,
Der Kraft ist mein Sinn.
Ich zittre, ich bebe,
Voll Atem ich bin:
"So nimm mich, nimm alles,
Mein Leben nimm hin!"
(S. 48-49)

übersetzt von Matthias Knoll

Aus: Aspazija: Die roten Blumen · Sarkanās puķes
Gedichte Dzejoļi. Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Lettischen übertragen
und herausgegeben von Matthias Knoll
(c) literatur.lv / edition Berlin 2018
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Nirwana

Ich frage nicht, was einst gewesen,
Und ob ein Morgen mir noch graut;
Bei Dir mein hingegebnes Wesen
Voll Süße auf den Lippen taut.

Welch' Anbeginn und welches Enden -
Ich weiß es nicht, ob kurz - ob lang;
Das Ziel Dein Aug', Dein Blick mir spenden,
Mein Zeitmaß ist Dein Stimmenklang.

Ist's Jauchzen oder Qualempfinden?
Sind's beide im Zusammentun,
Die wie ein Feuerstrom sich winden
Durch meine Adern kreisend nun?!

Was mehr kann mir das Los bescheiden!
Was kann der Himmel mehr an Lust,
Was Erde geben mehr an Leiden,
Selbst wenn ich einst vermodern muß!

Gleich einem Kind, das müd' vom Toben
Nach Schlafe mählich sehnet sich,
So möchte sanft von Dir gewogen
Versinken im Nirwana ich - -
(S. 50-51)

übersetzt von Matthias Knoll

Aus: Aspazija: Die roten Blumen · Sarkanās puķes
Gedichte Dzejoļi. Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Lettischen übertragen
und herausgegeben von Matthias Knoll
(c) literatur.lv / edition Berlin 2018
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Zauberweise

Helle Strahlensaiten
Vollmond spannt zum Meer,
eine Zauberweise
klingt verlockend her:

Zieh mit mir von hinnen
auf die lichte Bahn,
lasse dich entführen
weit im Zauberkahn.

Gülden sind die Segel,
silbern Bord und Kiel,
Abendstern am Steuer
leitet sanft zum Ziel.

Zieh mit mir, ich kenne
fern ein selges Land,
wo der Mond die lichte
Sonnentochter fand,

wo der Strahl am Strahle
hell in Glut entbrannt,
wo das Herz am Herzen
selge Heimat fand.

Alles Erdensehnen
löst sich wie ein Traum,
Meer des Lichtes flutet
ohne Zeit und Raum.


Aus: Lettische Lyrik Eine Anthologie
Übersetzt aus dem Lettischen von
Elfriede Eckardt-Skalberg [1884-1964]
A. Gulbis Verlag Riga 1924 (S. 44-45)
(von der Dichterin selbst ins Deutsche übersetzt)

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Das Märchen

Sacht, auf grauem Rösslein reitend
Märchen schwebt vorübergleitend.

Märchen reitet durch das Land,
goldnes Gertlein in der Hand,

Hastig, hastig muss es eilen,
darf auf Erden nicht verweilen.

Eh die Jugendträume fliehen,
muss es schon von hinnen ziehen.

Ross und Märchen längst schon schwanden,
doch - nun seh ich neu erstanden

sacht an mir vorübergleitend
Märchen auf dem Rösslein reitend.

Blaue Blumen sind die Zügel,
helles Silber Huf und Bügel.

Und als Perlenschnüre hangen
liebe Tage, längst vergangen.

Hastig, hastig muss es eilen,
darf auf Erden nicht verweilen.

Aus: Lettische Lyrik Eine Anthologie
Übersetzt aus dem Lettischen von
Elfriede Eckardt-Skalberg [1884-1964]
A. Gulbis Verlag Riga 1924 (S. 46)
(von der Dichterin selbst ins Deutsche übersetzt)

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Frühlingsmorgen

Vom Sagenstrande
landet an
der Lenz im weissen
Schwanengespann.

Von Blüten weiss
ist sein Gewand,
Goldfalter schaukelt
auf der Hand.

Und duftgedrängt
und sehnsuchtsmatt
wirbt Well um Welle,
Blatt um Blatt.

Auf Purpurpfühlen
im Wolkenraum
liegt Sonnentochter
noch halb im Traum.

Zuweilen schiebt sie
den Saum zurück,
wirft auf die Erde
verstohlen den Blick

und streichelt voll Liebe
zur Birke gewandt
das grüne Köpfchen
mit goldner Hand.

Im grauen Mäntlein
ein Sprühregen leicht
den Regenbogen
hinuntersteigt.

Rings liegt die Welt
mit Schleiern verhängt,
und der Lenz die Erde
in Liebe umfängt.

Aus: Lettische Lyrik Eine Anthologie
Übersetzt aus dem Lettischen von
Elfriede Eckardt-Skalberg [1884-1964]
A. Gulbis Verlag Riga 1924 (S. 47-48)
(von der Dichterin selbst ins Deutsche übersetzt)

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Sapphos Lieder

Fern an Lesbos' Gestade
nimmer die Brandung wird stumm,
stets im Wirbel des Abgrunds
klingt es wie Bienengesumm.

Tief da unten gebettet
Sappho, die Sängerin, liegt,
die in der Stadt der Veilchen
alle im Wettkampf besiegt.

In der Röte des Abends
liegt sie weissleuchtend in Ruh,
Meergotts grünhaarige Töchter
decken sie sorgsam zu.

Nur den Körper verschlungen
hat das schwarzgähnende Meer,
wie die Bienen Hymetos'
schweben die Lieder umher.

Kommen aus Thrakien Stürme,
hebt sich der Lieder Gewalt,
dass vom fernen Kolonos
Echo herüberschallt.

Lauschend verstummt der Bacchanten
schwärmende Schar im Land,
sinkt die schäumende Schale
aus der erhobenen Hand.

Einhalt tun, Tränen im Auge,
die Mänaden sogar,
der hartglänzende Epheu
fällt aus rotflatterndem Haar.

Weiter ziehn Sappho's Lieder
bis an des Hades Tor,
Schweigen und Tod besiegend
steigen sie leuchtend empor.


Aus: Lettische Lyrik Eine Anthologie
Übersetzt aus dem Lettischen von
Elfriede Eckardt-Skalberg [1884-1964]
A. Gulbis Verlag Riga 1924 (S. 53-54)
(von der Dichterin selbst ins Deutsche übersetzt)

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Biographisches:
siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Aspazija



 

 


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