Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Glafira Adolfowna Galina
(1870-1942)

russische Dichterin



Frei, gleich einem Vogel, muß ich singen.
Ohne Lied starrt dumpf und schwarz die Luft,
ohne Lied im Frühling weht kein Duft,
ohne Lied erblühn nicht die Syringen.

Ohne Lied erwacht der Waldgrund nimmer,
ohne Lied begrüßt er nicht das Licht,
ohne Lied erstrahlt das Frührot nicht,
ohne Lied erbleicht der Blumen Schimmer.

Ohne Lied umgähnt die Welt mich trübe,
ohne Lied verstummt das ganze Sein,
ohne Lied bist du, bin ich allein,
ohne Lied sag ich dir nicht: "Ich liebe!"
(S. 80-81)
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Wohl, und ist es ein Wahn - nun, so laß mir den Wahn
und zerreiß unser Band, diesen Goldfaden nicht!
Hör, o hör, was im Lied meine Liebe dir spricht!
Laß mich gläubig und hoffend dir nahn!

Wenn's ein Traum ist, so laß diesen Traum mich sehn!
Gönn mir einen Tag nur voll von Duft und von Schein!
Einen Tag währt das Leben des Falters - allein
wie so schön ist der Tag, wie so schön!
(S. 82-83)
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Der Falter

Draus, vor dem Fenster, beim Scheiden des Tags,
finstert der schleichende Herbst . . . doch mein Zimmer
lichtet des Kerzenslichts goldener Schimmer,
während ans Fenster ein Falter prahlt, immer
schwächeren Schlags.

Hier oder dort - schon nach kurzem Verlauf
muß er erfrieren oder verbrennen . . .
Herz, welchen Tod nun soll ich ihm gönnen! . . .
Weit reiß das Fenster ich auf!
(S. 83)
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Mir träumte, tot sei der, den ich bis heute lieb . . .
Auf seiner Stirne lag der Blumenkranz, der zarte -
allein der stumme Mund, der vielbegehrte, wahrte
sein Lächeln, glückentsagend trüb.

Ich sank an seine Brust und konnte - was ich hab
allzeit verhehlt vor ihm, nun flüstern ohne Beben . . .
Mir schien's: es hab sein Tod mir hundertfach gegeben,
was mir sein Leben nimmer gab.

Erst an dem Sarg tat ich ihm meine Liebe kund.
Ich konnte mir kein Weh, das wonnige, erlosen:
mein allererster Kuß, mein allerletztes Kosen
schloß seinen heißersehnten Mund!
(S. 84-85)
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In der Frühlingsnacht

Wie der Durst nach dem Leben mich quält
bei des Frühlings belebender Macht!
Nein, nicht töt ich, was heiß mich beseelt
in der blauen und schlaflosen Nacht!

Rückte schneller das Alter doch her,
Bleichte schneller der Reif doch mein Haar -
daß der Nachtigall Sang ich nicht mehr
lausch im Wald, wo ich selig einst war!

Daß doch nicht meiner Brust mehr ein Lied
sich entring in der blühenden Zeit,
und daß nicht mehr mir wein im Gemüt
süßes Sehnen und ahnendes Leid!
(S. 86)
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   In der Übersetzung von Friedrich Fiedler (1859-1917)
 

Gedichte und Biographie aus:
Russische Dichterinnen. Ausgewählte Dichtungen übertragen
und mit biographischen Notizen versehen von Friedrich Fiedler.
Leipzig Verlag von Philipp Reclam jun. 1907

 

 

Biographie:

Glafira Adolfowna Galina, verehelichte Einerling, wurde am 8. März / 24. Februar 1873 in Petersburg geboren, erhielt daselbst am Petrowschen Gymnasium ihre Bildung und diente nach Beendigung  des Lehrkursus vier Jahre lang am Telegraphenamt. Begin der literarischen Tätigkeit: 1895. Lebt in Petersburg.

Anmerkung:
Je nach Literaturquelle ist das Geburtsjahr der Dichterin 1870 bzw. 1873.



 

 


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