Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Pan Tschie-yü
(Palastdame des Han-Kaisers Tscheng-ti, 32-6 v. Chr.)

chinesische Dichterin


Der Fächer

Aus einem Seidenstücke zart,
Wie Schnee und Reif so weiss,
Der Fächer hier geschnitten ward,
Rund wie des Vollmonds Kreis.*

Im Aermel und im Busen auch
Mein Herr ihn mit sich führt.
Es weht ihn an ein kühler Hauch,
Wenn seine Hand ihn rührt.

Doch ach! schon kommt die Sonnenwend',
Ein frischer Herbstwind weht.
Der Sommer ist nunmehr zu End',
Die Sonnengluth vergeht.

Den armen Fächer fasst mein Herr,
Wirft in den Kasten ihn,
Denn er hat seine Gunst nicht mehr
Und seine Zeit ist hin.


(Palastdame des Han-Kaisers Tscheng-ti, 32-6 v. Chr., Grosstante
des Geschichtsschreibers Pan-ku. Als sie in der Gunst ihres kaiserlichen
Herrn durch die nicht minder berühmte Tschau-fei-yen, Tschau die "fliegende Schwalbe",
verdrängt war, schrieb sie dieses, ihr Schicksal schilderndes Gedicht.)

* Kreisrunde, nicht zusammenfaltbare Fächer werden noch heute
viel von Chinesen benutzt.


Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)

Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis
VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke Magdeburg 1899
Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei (S. 11)
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