Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Frances Sargent Osgood
(1813-1850)

nordamerikanische Dichterin



Eurydike

Die Brust bewegt von jedem ernsten Wort,
Hatt' ich die alte Sage neu durchlesen,
Worin der göttergleiche Jüngling dort,
Von aller Liebeskunst das Bild und Wesen,
Der Sonne Kind, mit süßem Zaubersang
Um seine Liebe kühn in Pluto's Hallen drang.

Und in der wilden, heil'gen Sage sieht
Mein Herz sein eigenes Geschick geschrieben.
Verlorne du, von deines Dichters Lied
Gefeiert mit des Mannes höchstem Lieben,
Verehrt zu glühend: - wenn dein Leib zerstiebt,
Wär' süß dir nicht der Tod, zu heiß von ihm geliebt?

Ich schau' die Scene. - Thronend in der Nacht,
Wie auf des Aetna Kamm ein Blümlein blühet,
Ruhet beim Gemahl Proserpina voll Pracht,
Und nah ihr du, für welche Orpheus glühet.
Für dich sein Saitenspiel ein Lied erhebt,
Indeß im Dunkel fahl dein Schatten ihn umschwebt.

Ich seh' den Jüngling - dunkle Locken fluthen
Um sein verhärmtes, geisterbleiches Haupt;
Es haucht sein Mund der Töne heil'ge Fluthen,
Sein Auge spricht von Lieb', ihm nun geraubt.
Es ruht auf dir sein Blick, von Trauer weich
Indeß sein Lied bezwingt des Hades Schreckensreich.

Ich schau' sein Antlitz, göttergleich erstrahlend,
Wie er die Töne durch den Orkus schickt,
Und, eine heil'ge Liebesschuld bezahlend,
Unwandelbar auf Pluto's Stirne blickt.
Ihn schreckt kein Grauen, das sein Aug' ermißt,
Da du, Eurydike, sein Leben, nah ihm bist!

Ein Vorspiel zittert durch die finstern Hallen,
Wie wenn ein Engel, der gefesselt dort,
Um Lieb' und Leben fleht, dem Tod verfallen,
Und seine Seel' ergießt im Klagewort;
Ein wilder Schrei - ein Ton, von Schmerz durchwallt,
Bis er, ein Siegeslied, der Hölle Graun durchschallt!

Und du, die bleichen Hände sanft gefaltet,
Durch seinen Blick ins Leben neu geweckt;
Das Haar ums Haupt der Krone gleich gestaltet,
Die deinen Hals mit goldner Fluth bedeckt -
So stehst du da, in Schweigen starrt dein Mund,
Doch Antwort spricht die Lieb' aus deiner Seele Grund:

"Sing fort, mein Orpheus! Während Alle schweigen,
In Marmorbilder durch dein Spiel verkehrt,
Wird mir allein durch deiner Töne Reigen,
Durch deine Macht das Leben neu bescheert;
Denn jeder Ton, der in mein Herz sich schleicht,
Weckt seiner Pulse Kraft - des Todes Sieg entweicht!

Sing fort, mein Orpheus! Während dein Gesang
Dies Schreckensreich mit Götterlust erfüllet,
Hat, o Geliebter, deiner Töne Klang
Mit Zauberfesseln jeden Geist umhüllet.
Der Tod sogar liegt hilflos neben mir,
Und bannt umsonst mein Herz ins kalte Frostrevier!

O theurer Orpheus, rühr dein Saitenspiel!
Schau, wie Proserpina auf goldnem Thron,
Als ob ein Strahl des Lichts ins Aug' ihr fiel,
Durch Thränen lächelt, halb bezwungen schon;
Sie lehnt ihr Haupt auf ihres Gatten Brust,
Dem müden Kinde gleich gelullt in Schlummerlust!

Spiel fort, mein Sänger! Noch ein wildes Lied!
Triumph! es krönt der Sieg dein herrlich Wort!
Schau, machtlos Pluto zu dir niedersieht -
Sein Spruch erschallt - er winkt uns eilig fort!
Hinweg, glorreicher Held! doch Geist und Leib
Der süßen Harfe leih, daß nicht entschweb' dein Weib!

Denk nicht an mich! Denk lieber an die Zeit,
Wo, bebend unter ehrner Krieger Tritt,
Durch deiner Lieder mächt'gen Bann gefeit,
Die Argo durch die salz'gen Wogen glitt,
Und, durch Athene's Götterhuld gelenkt,
Den schlanken Kiel mit Lust ins Wellengleis gesenkt!

Auch denken magst du im Erinnrunstraum,
Wie Thrakiens Wälder dir das Haupt geneigt;
Schau, wie den Klängen horchend Baum an Baum
Von Neuem dem erstaunten Grund entsteigt,
Wie Hain auf Hain vom Berge niederwallt,
Und dir im Reigentanz sein fröhlich Rauschen schallt!

Denk nicht an mich! Ha, bei des Orkus Nacht,
Mein Herr und König, denk an das Gebot!
Wend nicht zurück der Augen Flammenpracht! . . .
Verloren - ach, für ewig! - 's ist der Tod! -
Die Schlange stach aufs Neu - zum Orkus treibt
Es mich hinab! Das Leben flieht, die Liebe bleibt!"


In der Übersetzung von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 200-202)

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Lied

Wenn Alle, die vor mir das Knie
Gebeugt mit Sang und Liebessherz,
Sich nur zum Schein der Tugend weihn:
Doch beugte nie sich dir mein Herz!

Die Lippe, die mir Treue schwört,
Muß unbefleckt von Lüge sein;
Das Herz, dem meins dereinst gehört,
Muß sich, vor mir, der Ehre weihn.

Und wärest du ein Fürst der Welt,
Und ich ein Sklav in Kettenerz: -
Ob mein Gebein am Fels zerschellt',
Ich beugte nimmer dir mein Herz!

Bis seine Schicksalsstunde schlug,
Will ich es wahren stolz und rein;
Ob ihm Verderben bringt dein Trug:
Es breche eh'r, als daß es dein!

In der Übersetzung von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 203)

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Mein Traumbild

Mein Traumbild, das hehre - ich sucht' es in dir;
Gleich Sternen im Meere, zerronnen ist's mir.

Und soll ich, vernichtend den göttlichen Trieb,
Durch Lüge verzichtend auf heilige Lieb', -

Soll fort ich nun senden das himmlische Bild,
Vom Lichte mich wenden aus Edens Gefild?

O Schuld, die mir bliebe, könnt' treulos ich sein
Mir selbst und der Liebe, dir folgend allein!

Wie einsam auch immer mein Leben verstreicht:
Ich trag' es, wenn nimmer die Hoffnung erweicht -

Die Hoffnung, daß, nährend in heiliger Gluth
Die Liebe, die während im Herzen mir ruht,

In besseren Landen sie einstmals erwacht,
Erlöst von den Banden der irdischen Nacht.

In der Übersetzung von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 203-204)

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Stumme Liebe

Geschloßner Rosenknospe gleich im Hag
Sei unsre Lieb', erröthend, sich zu zeigen,
Verschleiernd Duft und Glanz bis an den Tag,
Wo Seel' und Seel' der Staubeshüll' entsteigen.

Laß keinen Hauch der Leidenschaft die Hut
Der scheuen Blätter zur Entfaltung schrecken;
Laß nicht des Sonnenstrahls zu heiße Gluth
Die thau'ge Frische ihres Kelchs beflecken!

Verschlossen wahr' sie wie ein Heiligthum -
Mit Thränen magst du sie, mit Lächeln nähren;
Doch hüte stets den lichten Schleier drum,
Laß kein Berühren ihre Pracht entehren!

Sei du begnügt, zu wissen, nicht zu sehn
Die Gluth, den reichen Schatz in ihrer Seele,
Zu fühlen ihres Blumengeistes Wehn, -
Und halt ihr Lächeln rein von Sünd' und Fehle!

O, wahr' sie heilig! Zwingst du sie zum Blühn: -
Gen Himmel wird sie ihren Duft entschicken,
Wie einst mit Trauer floh und Zornesglühn
Der aufgeschreckte Gott vor Psyche's Blicken.

In der Übersetzung von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 204)

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Für dich!

Für dich schmück' ich und binde mein Haar
Mit duft'gen Blumen, für dich allein,
Deinen sanften Tadel fürcht' ich nur,
Deine Lieb' ist all' mein Sein.

Für dich putzt mich mein schönstes Kleid,
Einfach und nett, für dich allein,
Kein and'res Auge soll in der Stadt
Sich mir in Liebe weihn.

Für dich stimm' ich der Lauten Klang,
Sonst wär' sie stumm, allein für dich,
Für die Biene ist des Juni Hauch
Nicht das, was du für mich.

In der Übersetzung von Alexander Büchner (1827-1904)

Aus: England und Amerika
Fünf Bücher englischer u. amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen Notizen
und einer Einleitung: Ueber Geist und Entwicklung der englischen Poesie
von Julius Hart / Minden i. W. J. C. C. Bruns' Verlag 1885 (S. 398)

 

Biographie:

https://en.wikipedia.org/wiki/Frances_Sargent_Osgood


 

 


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