Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Annie Vivanti
(1866-1942)

italienische Dichterin



Aprilabend

's war im April. Schon neigte sich der Tag,
Doch war der Himmel noch ganz klar zu schauen,
Tiefes Orange unter sanftem Blauen,
Und drunterhin mit raschem Flügelschlag
Ein Schwarm von braunen Schwalben.

Wir hörten, wie einander in der Luft
Anriefen trauervoll die Turteltauben,
Und der Glycinie junge Blütentrauben
Vereinten ihren Hauch dem Balsamduft
Der Veilchen und Narcissen.

Wir spähten, eng beisammen, ob wir nicht
Rosen und bunte Anemonen fänden,
Und hielten fest, so fest uns an den Händen,
Doch Keines sah dem Andern ins Gesicht
Und wagt' ein Wort zu sprechen.

Da plötzlich bleibt er stehn, drückt mich ans Herz,
Das Antlitz bleich, die Augen wie zwei Flammen.
Wie oft er mich geküßt, wer zählt's zusammen?
Doch alle Blumen fielen erdenwärts -
Keins hat sie aufgehoben.
(S. 413)
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Möglichkeiten

Nein, Liebster, fordre nur nichts Unbescheidnes!

Vom lieben Gotte fordre nicht ein Leben,
Länger als kurzer Jahre flücht'ge Zeit,
Nicht von den Blumen Licht, Duft von den Sternen,
Und nicht vom Leben die Glückseligkeit.

Nicht Lorbeern fordre von der Kunst, vom Dichter
Almosen nicht in barem, blankem Geld,
Vom Meere meiner Augen keine Perlen
Und nicht, daß dieses Herz dir Treue hält.

Doch da des Schicksals tolle Zufallslaune
Dem Fleh'nden nimmt, Dem giebt, der nichts begehrt,
Wird dir vielleicht Glückseligkeit im Leben
Und nach dem Tod die Ewigkeit beschert.

Vielleicht dann wirst du in dem großen Garten,
Wo Jesus geht, von Engeln dicht umringt,
Duftreiche Sterne, schöne Blumen pflücken,
Von denen Licht ins weite Weltall dringt.

Vielleicht in meiner Augen blauem Meere
Wird jener Taucher Amor dir zum Glück
Die Perle meiner Liebesthränen finden,
Die heut' noch schläft in meinem heitren Blick.

Vielleicht, daß man nur Einmal liebt und ewig,
Begreift dies Herz an einem künft'gen Tag,
Doch heut' noch nicht. Du mußt dich nur gedulden,
Komm! Liebe mich! Und geh's dann, wie es mag!
(S. 413-414)
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Aut-aut

Die Sonne will ich, heiße Sonnenglut,
Vor deren Glanz mein Herz berauscht erzittert,
Oder die finstre Nacht, die wilde Wuth
Des Sturms, der rasend über mir gewittert.
Verhaßt ist mir der Nebel, kalt und grau;
Gebt Sturm mir oder helles Himmelblau!

Die Freiheit will ich haben, grenzenlos,
Die Freiheit ganz und gar will ich genießen,
Oder die dunkle Haft im Erdenschooß,
Wo eng vier Bretter meinen Leib umschließen.
O, wenn ich die Unendlichkeit nicht hab',
Brecht mir die Flügel, senkt mein Herz ins Grab!

Und deine Liebe will ich, ganz und heiß,
Maßlose Liebe oder wildes Hassen;
Doch grenzenlos, Haß oder Liebe sei's,
Gleichgültig will ich mich nicht anschau'n lassen.
Liebe, die Alles duldet, Alles giebt,
Haß, der unbeugsam ist und nichts vergiebt.

Nichts oder Alles, Jubel oder Qual,
Den schwarzen Sturm oder die goldne Sonne,
Ein enges Grab oder das Weltall
Und deines Blicks Martyrium oder Wonne,
All' deine Küsse und dein ganzes Herz,
Oder der Kreuzeslast erhabnen Schmerz!
(S. 414-415)
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Schwindsucht

Sie sagten mir von dir, mein blasser Liebster,
Ein furchtbares Verhängniß ohne Gnade
Führe dich auf des Unglücks dunklem Pfade,
Vom Untergang bedroht.

Sie sagten mir, daß schon der bange Schatten
Des Nichts dich unentrinnbar überschleiche,
Und tödtlich sei'n die Küsse, die der bleiche
Mund meinen Lippen bot.

Gieb deinen Hauch mir, laß das Gift mich trinken!
Herb ist die Wonne, furchtbar das Vergnügen,
Vom Mund zu saugen dir in langen Zügen
Die Wollust und den Tod.
(S. 415-416)
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Nacht

Ich bin so müde dieses Kampfs tiefinnen;
Gieb Frieden mir! Nur du magst dazu taugen.
Ich bin so müd', zu denken und zu sinnen;
Gieb mir die Helle deiner großen Augen!

Ich bin so müde dieser Traumeswirren,
Zu glorreich schönem Tag erweck mich du!
Ich bin so müde, stets herum zu irren;
Binde die Flügel mir, bring mich zur Ruh'!
(S. 416)
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Bald!

Bald, wenn ich aufgehört hab', dich zu lieben,
Find' ich wohl wieder auch mein frohes Lachen
Und all' die tückische Kunst, die ich getrieben,
Menschen zu quälen und verliebt zu machen.

Bald, wenn ich aufgehört, dich lieb zu haben,
Heiter und ohne dir Lebwohl zu geben,
Zufrieden, das Vergangne zu begraben,
Beginn' ich neu mein Vagabundenleben.

Bald, wenn ich aufgehört hab', dich zu küssen,
Und seh' dich kommen blaß und voller Schmerzen,
Werd' ich vorbeigehn, ohne dich zu grüßen,
Mit hellen Augen und mit leichtem Herzen.

Heut' lieben und schon bei der nächsten Sonne
Vergessen, ist mein Loos. Heut' sollst du pflücken
Die Blume meiner Küsse, alle Wonne
Phantastischer Zaubermacht, dich zu berücken.

Werde nicht blaß! Komm! Laß ans Herz dich drücken!
(S. 417)
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Denkst du nicht mehr?

Und denkst du nicht mehr, sag, gedenkst du nicht,
Wie Arm in Arm wir durch die Straßen gingen,
Lächelnd und Eins geschmiegt ans Andre dicht?

Denkst du nicht mehr, daß, wie ein junges Paar
Aus der Provinz, wir gingen, stolz, zu zeigen
Der ganzen Welt, was Eins dem Andern war?

Denkst du nicht mehr, wie ohne Scham wir da
Und glücklich waren, wenn, wer uns begegnet,
Stehn auf der Straße blieb und nach uns sah?

Und denkst du nicht mehr, wie wir Abends spät
Uns immer sputeten, nach Haus zu kommen,
Und ich um dich vergaß mein Nachtgebet?

Ach, denkst du, denkst du nicht mehr, wie wir Zwei
Einst Arm in Arm auf offner Straße gingen -
Und gehn einander grußlos heut' vorbei!
(S. 418)
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Es war einmal . . .

Es war einmal ein Ritter. Tag und Nacht
War er so frech und keck,
Daß tausend Frau'n er um die Ruhe bracht'.

Es schmachtete die stolze Herzogin,
Die scheue Maid nach ihm.
Blonde Prinzeßchen rissen sich um ihn.

Doch einst traf 'ne Zigeunerin er an,
Braun, lachend, sonderbar,
Die zwang ihn in der großen Augen Bann.

"Willst du mich lieben?" sprach er. Sie versetzt:
"Dich lieben will ich nicht!" -
Und auf den rothen Mund küßt' er sie jetzt.

Sie schauderte. Und wie sie zitternd stund:
"Dich lieben will ich nicht!"
Küßt' er sie wieder auf den roten Mund.

Aus ihrem dunklen Blick und Lachen schlug
Ein düstres Feuer auf.
Es blitzt' ein Dolch, den sie im Gürtel trug.

Sie liebt' ihn - liebt' ihn! bis dann ihre Hand,
Ihr Händchen klein und stark
Für immer durch den Tod ihn an sie band.
(S. 419)
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Weiße Veilchen

Ich sende diese Veilchen, die bleichen,
Reizlosen, die um Duft und Farbe kamen,
Doch ihren schönen blauen Schwestern gleichen
Sie an Gestalt und Namen.

So, wenn wir lieben wollen und nicht müssen,
Blüht in uns eine Liebe bleich und trübe.
Sie weiß von Lachen nichts und nichts von Küssen
Und heißt doch immer Liebe.
(S. 420)
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April

Laß deine alten Bücher, küsse mich!
Mach alle Fenster auf: April ist da!
Rings hauchen Veilchendüfte.
Horch, wie die Schwalben zwitschern!
Komm in die sonnigen Lüfte!
Mein Sinn trägt wie mein Kleid des Himmels Farbe;
Sieh, auch die Augen. Komm! April ist da.

Die Sonne hat der Erde weißes Kleid
Gelös't und ungeduldig sie besiegt.
Mit ihren Feuerblicken
Sieht sie sie an und eilt sich,
Mit Rosen sie zu schmücken.
Die Blumen wehn im Wind wie Schmetterlinge,
Ein jedes Ding setzt Flügel an und fliegt.

Und giebt's nicht auszumerzen alten Groll,
Nicht zu vergüten Unrecht, Schimpf und Schand'?
Für alle Feindestücke
Verzeihung zu gewähren,
Das Herz so voll vom Glücke?
Hinaus, hinaus, die undankbaren Menschen
Zu grüßen, die April noch traurig fand!

Und wer uns übel will, dem reichen wir
'nen großen Strauß von Primeln und die Hand.
(S. 422-423)
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In fünfzig Jahren

Ein altes Jüngferchen, ruhig, verständig,
Rothwangig, heiter, ohne viel Beschwerden,
Schwatzhaft, ein Lächeln um den Mund beständig,
So werd' ich wohl in fünfzig Jahren werden.

Ein bischen bunt sieht's manchmal aus im Hause,
Doch ohne Priester, Katzen, Vogelschwärme,
Und überall und stets in meiner Klause
Blumen, Musik und Kinder voll Gelärme.

Viel Luft, viel Licht und lieblich um die Wette
Helltönige Stimmen, rosige Gesichtlein.
Mein Haus wird sein die große Zufluchtstätte
Für kleine Schelme, schulentlaufne Wichtlein.

In meinem Herzen eine große Stille.
Die Ideale, die ich einst besessen,
Belächl' ich dann und rücke mir die Brille,
Dann werd' ich Alles nach und nach vergessen.

Zuletzt, an einem Tag von heiter Schöne
(Ich wünscht', es wär' im Herbst vor Tag und Thauen)
Hör' ich in mir ein säuselndes Getöne,
Als kläng' ein Engelschor herab vom Blauen.

Im Lehnstuhl dann am offnen Fenster sitzend
Fühl' ich mich ruhig und ein bischen müde.
Der Morgensonne Strahlen gleiten blitzend
Mir übers weiße Haupt. Welch tiefer Friede!

Und so, die Händ' im Schoß, indeß hernieder
Die tiefste Ruhe sinkt, mich sanft erbauend,
Geb' ich den Leib dem Tod, die Seele wieder
Dem All, dein denkend und auf Gott vertrauend.
(S. 423-424)
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Übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)

Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Hrsg. von Markus Berbauer und Norbert Miller
Reihe V Band 5 Georg Olms Verlag 2002
Nachdruck der Ausgabe Stuttgart und Berlin 1905

 

Biographisches:

siehe: http://it.wikipedia.org/wiki/Annie_Vivanti
 

 

 


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