Liebeslyrik ausländischer Dichterinnen

von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
(in deutscher Übersetzung)

 


Narcyza Zmichowska 
 
(1819-1876)

polnische Dichterin


Glück der Dichterin

Dichterin zu sein! Ach weiß du, Maid,
Was dem Wort so hohen Klang verleiht?
Alle Weltenschätze sind ihr eigen,
Unbekannte Wunderländer neigen
Sich dem Zauber ihres Scepters tief,
Länder, die aus Seligkeit und Minne,
Aus Unendlichkeit mit weisem Sinne
Sie gestaltend in das Dasein rief.

Dichterin zu sein heißt alles sein,
Was des Himmels hehres Licht bescheinet:
Tröpfchen Thaues, Funken, Kieselstein -
Welten in der einen Brust vereinet.
Stolz beherrscht ihr Geist den Erdenball;
Morgenröthe und der Mondnacht Stille,
Meerflut und des Baches sanften Fall,
Alles lenkt ihr unbeschränkter Wille.

Dichterin zu sein, das heißt: kühn
Einhalt thun des Zeitlaufs schnellen Schwingen,
Von der Ewigkeit den Schleier ziehn,
Zukunftshymnen vor dem Volke singen;
Heißt in einer kurzen Stunde Raum
Wechselnd mannichfaches Sein durcheilen,
Langes Leben, froher Jugend Traum;
Heißt des Greises Grabgedanken theilen,
Für den Glauben Martern überwinden,
Schutzgeist sein an holder Kinder Wiegen,
Jetzt als Ritter Speere werfend siegen,
Jetzt das Wort des Herrn als Priester künden;
Über allem stehn, was endlich,
Und dem Recht, das man oft schändlich
Unterdrückt, sich fühlend weihn -
Mädchen, das heißt Dichterin zu sein.

Als ich gedichtet hab' zum ersten mal,
Da grünte rings im Mai das Wiesenthal
Wie die smaragdne Flut der See,
Und Blumen blühten ohne Zahl,
Die Goldblum' und der rosige Klee,
Und weiter aus des Waldes Dunkel,
Ein blauer Gürtel auf goldnem Sande,
Ergoß ein Fluß sich mit Gefunkel,
Umschlang die Flur im Brautgewande
Gleich einem hochzeitlichen Bande.

Und mein trüber Sinn ward heiter,
Durch die Wiesen eilt' ich weiter;
Wo ich duftige Blüten sah,
Brach ich alle, fern und nah,
Hab' voll Neugier sie gefragt,
Was wohl eine der andern sagt,
Wenn hoch oben die Sonne ragt,
Wenn des Mondes blasses Gesicht
Durch die nächtlichen Schatten bricht,

Wenn der Himmel nach des Tages Schwüle
In des Abends lieblich frischer Kühle
Auf die Gräser streut des Thaues Samen;
Ich fragte sie alle, es waren so viele,
Und horch, sie säuselten wonniglich
Und nannten dann in der Hoffnung Namen,
Im Namen des Glücks ihre Schwester mich.

Und zur Wiesenblume ward ich jetzt,
Die an linder Mailuft sich ergötzt,
Frohen Augs dem Lenz entgegenblinkt,
Der ihr wieder freundlich lächelnd winkt.
Mich umkoste der Sonne Licht,
Nahrung träufte mir der Regen,
Lüftchen wehten mir entgegen,
Theilten das Gewölk, so dicht,
Und ihr Flüstern regte sanfte Triebe,
Sprach mir von den Wundern dieser Welt,
Von dem All, vom lichten Himmelszelt,
Sprach mir auch von Gott und von der Liebe.

Und ich, die herrlicher gekleidet war
Denn in die Prachtgewänder Salomo's,
Die seinen Leib umhüllt im stolzen Ruhme,
Erfrischt vom milden Nachtthau wunderbar,
Den Stimmen lauschend, ach wie war mein Los
So schön, ich war so glücklich wie die Blume!

Doch ward mir bald zu klein der Wiese Raum,
Denn rastlos weiter strebt des Dichters Traum.
Und sieh, aus meinen Armen wurden Flügel,
Ein Adler flog ich über ferne Hügel,
In weiter Fernen trug es mich nach oben,
Da hat die Sonne grüßend mir gelacht,
Doch eh ich noch den Blick zu ihr erhoben,
Verbarg sie sich beschämt in Nebelnacht.
Ich schwebte weiter zu des Sturmes Sitz,
Die Wolken mit dem starken Fittich theilend,
Doch wie mich also nahen sah der Blitz,
Wich er bestürzt zurück. Und höher eilend,
Flog ich so weit mich meine Sehnsucht trug.
Dann hemmt' ich endlich meinen Flug.

Tief unter mir, welch häßlich Bild!
Das dunkle Chaos zu durchdringen,
Konnt' nur dem Adlerblick gelingen;
Ich sah auf runder Fährte,
In graue Dämmerung gehüllt,
Sich eine winz'ge Kugel schwingen:
Die Erde, der ich einst gehörte.
Ein Anblick, trüb und stolz zugleich,
Verachtend ward ich dennoch weich,
Und durch der dichten Wolken Reich
Flog ich hinab, ihr Lebewohl zu sagen.
Dann schwang ich mich in jene Höhn zurück.

Was über mir gesehn mein trunkner Blick,
Die süße Lust, das nie geahnte Glück,
Gibt hier auf Erden keine Sprache wieder,
Dort oben nur verstehn's die Adlerbrüder!

Verwandelt ward zum dritten mal mein Sein
Mit allem, was mir Herz und Sinn bewegte;
Was in der Blume sich, im Adler regte,
Das schloß ich in des Steines Busen ein.
"Der Stein ist fühllos", tönt's aus vieler Munde:
O Mädchen, glaube doch den Menschen nicht;
Den Stein durchströmt ein sprühend Lebenslicht,
Wird gleich dem Menschen nimmer davon Kunde.
Ich ward ein Stein, und nicht die Wißbegier,
Nicht Wetters Wuth, nicht Sturmes Wehen
Vermochten den in Innern mir
Verborgnen Lichtglanz auszuspähen.
Für andre Fels, fühlt' ich mich heiß entbrannt,
Und was ans Jetzt mich, an die Zukunft band,
Begrub ich in den Stein; doch hielt ich treulich
Im tiefen Busen die Erinn'rung heilig.
................................................
So durft' ich denn noch einmal glücklich sein,
Zum dritten male, glücklich wie ein Stein!!!

Und siehst du einst mich trauern, stiehlt sich leise
In mein umwölktes Auge eine Thräne,
Sag' ich dir einst auf meiner Lebensreise,
Daß ich mich innig nach dem Ziele sehne,
Weil schon zu lange mir die Wandrung währt;
Und siehst du, daß ich mich am Wege
Erschöpft zur Ruhe niederlege,
Vernimmst du, wie ich gramverzehrt
Den Wandrern, die an mir vorüberwallen,
Mein Elend klage, doch von allen
Nicht einer meine Stimme hört,
Noch den Ruf,
Der vom Herrn der Schöpfung niederschallt
Und im Weltall ewig widerhallt:
Daß sein "Werde" keine Sklaven schuf,
Sondern freien Menschenbrüdern galt -

Wenn, wohin mein Auge blickt,
Allem Sein das dunkle Siegel
Der Entartung aufgedrückt,
Wenn die Inbrunst wird zum Hohn,
Und die Stirn, des Sinnens edler Thron,
Die, ein klarer Zauberspiegel,
Immerdar der Wahrheit Bild gezeigt,
Sich verachtet jetzt zur Erde neigt,
Weil ihr des Verderbens Fuß genaht,
Sie hinab in Schlamm und Moder trat;
Wenn ich auf das Elend blicke,
Auf der Bosheit Siegeswuth,
Auf den Trug, die arge Tücke,
Und dann brechen will mein Muth,
Und dann machtlos sinket meine Hand,
Wenn ich, bang verzweifelnd am Geschick,
Opfern will der Seele höchstes Glück,
Fest mich klammernd an der Erde Tand -

Mädchen, dann hab' du mit mir Erbarmen!
Nimm die Schwester auf in deinen Armen;
Ob ihr Herz schon krankt vom Gift des Bösen,
Durch die Tugend laß ihr Herz genesen,
Laß an der Erinnrung es erwarmen,
Daß sie dreimal Dichterin gewesen!
(S. 343-348)
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Ungewissheit

Willst du, Mädchen, mir erklären
Was dein Auge füllt mit Zähren
Bei der Lerche Sang in Lüften,
Bei der Blume süßen Düften,
Bei des Himmels heitrer Bläue,
Bei des Heißgeliebten Treue?
Willst du, Mädchen, mir erklären,
Was dein Auge füllt mit Zähren?

Ach, ich weine, denn ich sahe,
Daß, wenn nach des Sommers Tagen
Weiß bereift die Fluren lagen,
Auch der Lerche Scheiden nahe;
Ach, ich weine, sah ja immer
Nur zu bald in meinen Händen
Blüten, kaum gebrochen, enden
Ohne Duft und Farbenschimmer;
Ach, ich weine, hab' gesehen,
Daß, wenn mild der Tag erwachte
Und der Morgen golden lachte,
Plötzlich rauhen Sturmes Wehen
Wild daherkam von der Heide
Mit des Wolkenmeers Getriebe!
Wird auch meine Lebensfreude,
Wird mein Glück, wird meine Liebe
Wie der Morgensonnenschein
Und wie Lenz und Blüte sein!

Menschen, Menschen, wißt ihr nicht,
Daß es Glück ist, aufzuschauen
Zu den Sternen, die am blauen
Himmel stehn im Silberlicht;
Glück, da draußen still zu lauschen
All dem holden Wunderklange,
Baches Murmeln, Vogelsange,
Sanft bewegter Blätter Rauschen;
Drauf in schönern Sangesweisen
Sich zu schwingen himmelwärts,
Gott und Engel hoch zu preisen,
Ganz sein höher klopfend Herz
Edelm Fühlen hinzugeben;
Reich an Jugendkraft zu leben,
Hinter sich nur kurze Zeit,
Vor sich Glück und Ewigkeit;
Mit der Seele, heiß entbrannt,
Nach dem fernen Land zu streben,
Das der Glaube uns als Land,
Wo die Liebe wohnt, genannt?
Glauben, warm geliebt zu werden,
Lieben, bis das Auge bricht -
Menschen, Menschen, wißt ihr nicht,
Daß das Glück ist hier auf Erden?
(S. 348-349)
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Des Weibes Liebe

Von zarten Engeln, die auf Erden sind,
Mit weißen Flügeln, sprach man mir als Kind,
Die, wenn sie mit den gottgeweihten Händen
Das Herz des Menschen liebevoll umfassen,
Es leiten auf den Wegen dieser Welt
Durch Sumpf und Felsengrund mit Sicherheit,
Vom Strahl des Gottgedankens mild erhellt
Und angeweht von warmer Gottesliebe.
Ich fragte, wo denn solche Engel sind?
Die gute Mutter stand an meiner Seite,
Sie küßte mir, dem kleinen Sohn, die Stirn
Und sagte nur: "Sie sind, mein theures Kind,
Dort, wo ein Weib ist, das dich innig liebt."
Wie wahr hat meine Mutter da gesprochen!
Ein Engel naht: das Sein ist Hochgenuß,
Der Herzschlag sanft, der Himmel ungetrübt
Dort, wo ein Weib ist, das dich innig liebt.
Des Weibes Liebe gleicht dem ersten Gruß,
Der hier empfängt den jungen Erdenpilger,
Dem ersten Tropfen frischer Lebenskraft,
Mit dem man seine durst'ge Lippe feuchtet;
Sie gleicht dem Ton der Mutter, wenn sie knieend
An deiner Wiege Schlummerlieder sang.
Des Weibes Liebe - segenbringend leuchtet
Sie deiner Reise durch ein fremdes Land,
Sie steht zur Seite dir mit Schutz und Rath,
Vor deinem Fuße ebnend jeden Pfad.
Des Weibes Liebe gleicht dem Traum, den du
Als Knabe träumtest mit der theuern Schwester
Von deiner Zukunft, deinem Lebensziel,
Und von dem Hoffen deines Jünglingsherzens,
Das auf Gelingen jeden Werkes baute,
Dem sie mit solcher Zuversicht vertraute,
Daß dann auch, wenn dein Herz zuletzt verzagte,
Sie ihrem Glauben nimmermehr entsagte.

Des Weibes Liebe ist die Rettungshand,
Die, wenn dich der Versuchung Netz umwand,
Tief aus der Seele dir das wilde Streben,
Die heftigen und unruhvollen Wünsche,
Die falsche Saat der Leidenschaft verbannt,
Bevor sie noch, des Giftes Keim entfaltend,
In deines Herzens Wohnung Wurzel schlägt,
Die Strahlen deines reinen Geistes trübend,
Eh' er, von Glück und Tugend ganz durchdrungen,
Den schweren Weltkampf siegreich ausgerungen.
Des Weibes Liebe ist der süße Lohn
Für alle Kämpfe deiner Manneslaufbahn,
Ist an des Hauses Herd die Priesterin,
Die dir das Weihgeschenk des Friedens bringt,
Der frohe Gruß, der dir entgegenklingt,
Wenn du aus fremder Menschen Mitte heimkehrst;
Sie ist der zarte Arm, der dich umfaßt,
Wenn du den Glauben schon verloren hast,
Daß es noch Herzen gibt in dieser Welt,
Die hochaufopfernd dir entgegenschlagen,
Wenn du verzagt an ihre Kammer pochst
Und nach dem Freunde, nach dem Bruder rufst;
Sie ist der Mund, der dir die Mahnung gibt:
"Verzeih und liebe, denn du wirst geliebt!"
Sie ist die einz'ge treue That des Schicksals,
Und ob dich auch die ganze Welt verließ,
Und ob du selbst zerfielst mit dem Gewissen:
Sie bleibt dir, freundlich streckt sie immerdar
Nach dir die Hände aus, die beistandsreichen.
Mit ihres schneeigen Gewandes Saum
Gelingt es ihr, den Zorn von dir zu scheuchen,
Den tiefsten Kummer macht sie von dir weichen,
Denn er geht auf in ihren eignen Thränen.
Sie wahret vor der Sünde Schlingen dich
Durch ihre Herzensreinheit, ihr Gebet;
Gehst du zu ihr, gehst du auf guten Wegen,
Ihr folgend, gehst dem Himmel du entgegen.

Des Weibes Liebe - o, mir wolle Gott
Von seinen Gaben diese nur bescheiden:
Dann würd' ich groß und tugendhaft und heilig,
Der Eigenliebe würd' ich dann entsagen,
Dem eignen Vortheil und den eignen Freuden;
Zu jedem Opfer wär' ich dann bereit,
Und vieles Gute thät' ich meinem Nächsten,
Und vieles Böse trüg' ich ohne Klagen;
Ich segnete, die mir geflucht; die Hand,
Die mich geschlagen, wollt' ich innig drücken;
Ich wollte Thränen trocknen, oder weinen
Mit dem, der nirgend einen Tröster fand.
Verzeihen wollt' ich, lieben und beglücken,
Hingeben alle meine heil'gen Rechte -
Wenn nur ein Weib hingebend mein gedächte!
(S. 350-352)

Übersetzt von Heinrich Nitschmann (1826-1905)

Aus: Der polnische Parnaß
Ausgewählte Dichtungen der Polen
Übersetzt von Heinrich Nitschmann
Nebst einem Abriß der polnischen Literaturgeschichte
und biographischen Nachrichten
Vierte vermehrte Auflage Leipzig 1875

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Biographisches:

siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Narcyza_Zmichowska


 

 


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