Katharina Diez (1809-1882) - Liebesgedichte

Katharina Diez

 

Katharina Diez
(1809-1882)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:







Agnes Bernauer

(Auszüge)


Aus I.

(...)
Gern, wenn des Lebens herbe Noth
Mit engen Herzensfesseln droht
Mich lähmend zu umstricken, richte
Ich ernst und prüfend meinen Blick
In's große Buch der Weltgeschichte,
Hin auf der Länder und Völker Geschick,
Und fühle mein kleines Ich vergehen
In des allmächtigen Weltsturms Wehen.
Doch weiblich scheu bleibt und verzagt
Mein Lied, mit kühnem Klange wagt
Es nicht die Helden zu begleiten,
Die hoch und prächtig vorüber schreiten.
Es weilt, wo in dem Sturmgetose
Glühet der Schönheit, der Liebe Rose,
Wo aus dem wogenden See sich heben
Blüthen und Sterne mit zitterndem Beben.
Es mischt seinen Laut mit des Windes Geflüster
Im Uferschilfe lieblich und düster,
Und sammelt die Perlen an dem Strand,
Die hingeworfen der Stürme Brand.

O Grab der Liebe! das aus den Tagen
Der Vorzeit ich sehe so schauerlich ragen,
Wie möchte mein Lied um dich klagen und rauschen,
Daß liebende Herzen ihm weinend lauschen.
O bleiche, süße Blume du,
Die meinem Blicke sich gezeiget,
Wie traurig lächelst du mir zu,
Wie hat sich dir mein Herz geneiget!
Wie drängt es mich aus treuen Augen
Zu sammeln des Mittleids heilige Zähren,
Dein Bild, das holde, zu verklären,
Aus deinem Schmerzenskelch zu saugen,
Aus deiner Liebe begeistertem Muth,
Die frische, lebensvolle Gluth,
Die für das Edle und das Schöne
Ausströmt so gern des Liedes Töne!
Hat nimmer doch umsonst gelebet,
Was an des Dichters Saiten schlägt,
Was freud- und leidvoll sie durchbebet,
Von Herz zu Herzen sich weiter trägt.
Wenn seines Liedes Stimme ruft
Hinunter in des Todes Gruft,
Dann muß sich hingesunknes Leben
Empor in ewiger Schönheit heben;
Des Dichters Schmerz hat göttliche Macht
Und strömet Licht in die tiefste Nacht,
Des Grabes Recht hat aufgehört,
Wo seine liebende Klage man hört.

Drum in des Herbstes Sturmgesang
Rausche und säusle mein Harfenklang
Und segne mein Lied, du allmächtiger Geist,
Der beten und singen und klagen mich heißt.


II.

Schön ist die Rose, die von dem Licht
Der Sonne geküßt, die Knospe bricht,
Sanft labet des Morgens perlender Thau
Und herrlich leuchtet des Himmels Blau;
Der Abendstern - wie ist er so hold,
Wenn hell aus der Wolke schimmert sein Gold!
Des Baches Welle - wie fließt sie so rein,
So jungfräulich frisch über Klipp' und Gestein!
Wie freudig hinaus in den Frühling zieht
Der jubelnden Lerche Morgenlied!

Doch schöner wohl nichts auf Erden wallt
Als einer Jungfrau süße Gestalt,
Die, treu von Gottes Huld geführt,
Von Schuld und Schmerz noch nicht berührt
Steht an des Lebens ernster Schwelle,
Mit großem Auge, weit und helle;
Keine Farbe so hold, so herrlich kein Licht
Mir dünket gleich ihrem Angesicht,
Kein Klang, kein Hauch dem Worte gleicht,
Dem Lächeln, das ihrem Mund entfleucht,
Dem Liede, das hell voll klingender Lust
Steiget empor aus der jungen Brust,
Dem frommen kindlichen Gebet,
In dem sie die Gnade des Himmels erfleht.

Seh' ich vor mir ein solches Bild,
Die Thräne mir aus dem Auge quillt,
Da wo sie wandelt durch Frühlingsau'n
Wähn' ich das Paradies zu schau'n -
Wo Eva an Allvaters Hand
Im jungen Morgenlichte stand,
Sein letztes, schönstes Schöpfungswerk,
Sein liebstes, lieblichstes Augenmerk,
Da scheinet mir "gelobtes Land",
Das darf kein roher Fuß betreten;
Da möcht' ich knie'n und zum Himmel beten:
O, wehre ab des Frevlers Hand!
Laß all' deine Engel Tag und Nacht
Halten an diesem Eingange Wacht! -

Solch eine Jungfrau, hold und zart,
Mit königlicher Huldgeberde,
Die für das schönste Glück der Erde
Vom Himmel selbst schien aufgespart,
Hat einst gelebt in Augsburgs Mauern.
Sie war des ärmsten Bürgers Kind,
Doch manchen Jüngling sah man trauern,
Den Agnes grüßte hold und lind,
Sie strahlte in solcher Schönheit Glanz,
Daß jedes Auge ward geblendet,
Das in der Jungfrau'n reichem Kranz
Nach ihrem Bilde sich gewendet;
Es war die herrliche Gestalt
Von solcher Majestät umwallt,
Von solcher Lieblichkeit umflossen,
Daß Jedem ward in ihrer Nähe,
Als ob er ein Himmelswunder sähe. -
Wenn in dem Schmucke der goldnen Haare
Betend sie knieete an dem Altare,
Dann glaubte man Madonna die Reine
Zu sehn, im strahlenden Heiligenscheine,
Und Mancher beugte mit ihr das Knie
Und hätte beten mögen wie sie! -
Doch, wenn geschmückt mit des Lenzes Kranz
Sie schwebte dahin im leichten Tanz,
Dann schien ein Zaubernetz gesponnen
Von Scherz und Lust in des Festes Reih'n,
Dann schien sie die Königin aller Wonnen
Der Erde für jeden Blick zu sein!

Es war die wunderholde Maid
In der Gespielen trautem Kreise
So heiß geliebt; nicht laut noch leise
Berührte jemals sie der Neid;
Denn ihre sanfte, milde Güte
Erquickte gleich ihrer Wangen Blüthe,
Und ihres Herzens fromme Treue
Rührte wie ihrer Augen Bläue;
Rein wie der Schnee der schönen Glieder
War ihre Seele, soll Himmelslieder.
Sie war der Eltern Stab und Glück,
Sie war der Traurigen Lebenssonne;
Sie war der Freunde Stolz und Wonne,
Es brachte ihr Wort, ihre Hand, ihr Blick
Hülfe und Trost in der Armuth Haus
Und scheuchte die Noth und den Streit hinaus.
An Leib und Seele ohne Mängel,
So stand vor jedem Blick sie da,
Wo man sie wandeln und handeln sah,
Da hieß man freudig sie "den Engel",
Und pries sie nah' und pries sie fern
Als Augsburgs Stolz und schönsten Stern;
Es kam kein Gast aus fremdem Lande,
Dem man nicht Agnes Bernauer nannte.

Wohl hatte manches Jünglings Bitte
Geworben um der Jungfrau Huld
Mit sehnsuchtsvoller Ungeduld,
Doch schüchtern flohen ihre Schritte,
Wo fesseln wollt' mit süßem Band
Ein kühner Wunsch die zarte Hand.
Noch nicht der Liebe Wonne und Schmerz
Hatte berührt ihr junges Herz,
Die Liebe, die an des Einzigen Brust
Findet die einzige Lebenslust.
Sie liebte noch Alles, was um sie her,
Sie liebte Alles so sehr! so sehr! -
Eine ganze Welt voll seliger Träume
Umfaßte der helle, der wonnige Blick,
Sie liebte die Sonne, die Sterne, die Bäume,
Die kleinste war ihr ein Glück!
Sie fand die Freude auf allen Wegen,
Sie jauchzte dem goldnen Mond entgegen,
Sie haschte jubelnd den Schmetterling
Und küßte die Rose, an der er hing.
Sie eilte hinaus mit des Berges Quelle
Und plauderte mit der silbernen Welle,
Und sang mit der Lerche im Morgenschein,
Mit der Nachtigall bis in die Nacht hinein.
Das Schneckchen, das sie am Wege fand,
Deckte sie schimmernd mit liebender Hand,
Sie band das hängende Zweiglein fest
Und schützte dem Vogel das trauliche Nest.
Es war die ganze weite Natur
Ein Spielplatz ihrer Liebe nur.
Und ach! der Eltern geliebtes Leben -
Das eigne hätte sie hingegeben
Um einen Wunsch, um einen Blick,
Der sie geflehet um ein Glück. -
Es hing so warm an der Freundin Lippe
Ihr süßer Mund, sie hätte für sie
Getragen jede Lebensmüh',
Erstiegen jede rauhe Klippe.

Und wenn sie still die Blicke senkte
Auf des Erlösers Gnadenbild,
Das an dem Kreuze hing, so mild,
Deß Lebensblut die Erde tränkte -
Dann floß ein Strom von heißen Thränen
Auf seine heil'gen Wunden hin,
Dann rief aus ihr ein mächtig Sehnen:
Nimm Alles, was ich hab' und bin!
Wie soll ich Deiner Liebe danken,
Die ach! so viel für mich gethan!
Laß meiner Jugend Blüthe ranken
Als Schmuck an Deinem Kreuz hinan. -

So floh'n ihr hin die harmlosen Tage
Noch ohne Wünschen und ohne Klage,
So ruhte unter heil'ger Hut,
Verborgen unter schuldlosen Scherzen,
Die tiefe, stille, keusche Gluth
Süß schlummernd noch in der Jungfrau Herzen,
So ahnungslos, zu welchen Schrecken
Sie könnte der Sturm des Lebens wecken! -



Aus IV.

(...)
Der Jüngling aber, als würd' es schnelle
In seiner Seele auf einmal helle,
Naht sich der Maid und faßt ihre Hand;
Er spricht: o, schöne Jungfrau mein!
Du bist es, die man mir genannt,
Die ich von jedem Mund hör' preisen,
Du kannst nur Agnes Bernauer heißen;
Du kannst fürwahr nur ein "Engel" sein!

Da steht, von holder Scham umflossen,
Von hellem Purpur übergossen,
Die schöne Jungfrau und ihre Hand
Zieht aus des Jünglings Hand sie zurück
Und sieht ihn an mit flehendem Blick. -
Agnes Bernauer werd' ich genannt,
Mit leisem Tone sie schüchtern spricht,
Ein Engel aber bin ich nicht,
Bin nur ein armes Erdenkind
Und sündig wie alle Menschen sind. -

Es war in ihrem Wort so zart
Demuth mit stiller Hoheit gepaart,
Daß, wie von Schuld getroffen, nieder
Der kühne Jüngling senkt den Blick
Und zaghaft tritt von ihr zurück;
Doch bald naht er sich schüchtern wieder
Und schaut zu ihr auf's Neue
Mit einem Blick, so voller Treue,
So voll von Demuth und von Leid,
Spricht er zu ihr: verzeiht, verzeiht!
Wenn ich zu dreist, zu kühn es wagte,
Zu reden, was das Herz mir sagte; -
O, hebet Euer Angesicht
Und sagt mir nur: ich zürne nicht!

O, dieser Blick, so treu und wahr,
Wie drang er zu des Mägdleins Herzen
Mit süßen, wehmuthvollen Schmerzen,
Und doch ward's ihr so licht und klar
In seinem dunkelhellen Schein,
Als müsse in ihm ein Himmel sein!
Ein leiser Seufzer, ihr unbewußt,
Hebt höher ihre junge Brust,
Sie senkt das helle Auge und spricht:
Gott hüte Euch! - ich zürne nicht!

Dann haucht sie schnellen Scheidegruß
Der Kranken zu und herzt die Kleinen,
Die ihre Aermchen fest vereinen,
Zu halten ihren flücht'gen Fuß;
Doch, wie ein Reh so scheu und schnelle
Entflieht sie über der Hütte Schwelle.

Der Jüngling aber steht entzückt,
Als hätt' er einen seligen Traum
Geträumt in diesem armen Raum,
Und zu der Stelle er hin sich bückt,
Wo hold vor ihm die Jungfrau stand -
Als müsse er diese Stelle segnen,
So streckt er über sie die Hand;
Es sieht die Arme staunend regnen
Einen Strom von Gold, so reich und blank,
Daß ihre Augen wie geblendet!
Er spricht zu ihr: das sei mein Dank
Daß Gott mich hat hierher gesendet -
Die Hütte muß gesegnet sein,
Wo seine Engel kehren ein!
Lebt wohl! und betet für meine Seele,
Daß Gott sie hüte vor Schuld und Fehle.
Dann eilt er hinaus. - Die Armen,
Die in der Hütte bleiben zurück,
Die heut' ein himmlisches Erbarmen
Hat überschüttet mit reichem Glück,
Sie heben die Hände empor nach oben,
Die stille Nacht hört sie beten und loben! -


V.

Mit leisem Schritte schwand die Nacht,
Die Lerche läßt auf fliegenden Schwingen
Den ersten Tagesgruß erklingen,
Die Blumen öffnen die Kelche sacht,
Und in den Morgen so hell und frisch
Schaut Agnes Auge träumerisch
Aus ihrer Erkers Fensterlein
Weit über die glänzenden Häuserreih'n,
Gleich einem leise suchenden Sterne,
Hinaus in die blaue, duftige Ferne.

Zum erstenmal ein anderer Klang
Mischt sich ihr in der Vögel Gesang,
Zum erstenmal ein andere Licht
Blendet sie aus des Morgens Strahlen,
Auf blauer Himmelsdecke malen
Sie ihr auf's Neue ein Angesicht,
Das kaum entschwunden mit dem Saume
Der Nacht aus ihrem stillen Traume.

So oft doch hatte ihr Ohr gehört
Das Lob ihrer Schöne mit schmeichelndem Klange,
Noch niemals hatt' es ihr Herz bethört,
Warum nur schlug es ihr heut' so bange?
So bange und doch so froh zugleich,
Als wär' sie geworden auf einmal reich!
Als hätte plötzlich sich niedergesenket
Auf ihres Lebens Blumenau
Eine Himmelswolke, von Segen getränket,
Voll süßem nährenden Himmelsthau,
Daß sich mit wonneseligem Beben
Geöffnet alle Blüthen heben. -
Ja, wunderbar schien ihr die Welt
Von einem neuen Reiz erhellt,
Als wenn zu einer hohen Feier
Sie wäre festlich angekleidet,
Als ob ein reicher Sternenschleier
Läg' weithin über sie gebreitet. -
Erstaunt die Mutter blickt zu ihr:
Mein Kind! sprich, was geschah mit Dir?
Daß Deine Augen so lächelnd sehn,
Und doch darinnen die Thränen stehn?
Und Agnes schlinget zärtlich und warm
Um ihren Hals den weißen Arm -
O, Mutter! ich träumte so schön heut Nacht!
Und bin wohl immer nicht ganz erwacht,
Noch immer seh' ich durch die Gefilde
Ziehn die wundersamen Gebilde. -
Auch weißt Du ja, welch' frohes Fest
Sie heut' in unsrer Stadt bereiten -
Die Sorge mich wohl nicht ruhen läßt -
Komm, hilf Dein Töchterlein schmücken und kleiden.
Fürwahr, ihm kann das Herz wohl klopfen,
Ein Thränchen wohl im Auge tropfen! -
In welchem Kreis von schönen Frauen
Soll steh'n Dein armes, blödes Kind! -
Dem Fürsten soll ich in's Angesicht schauen,
Dem alle Herzen gewogen sind. -
Das Alles macht mich so glücklich, so bange,
Die Stunden dünken mir wahrlich zu lange. -

So kos't sie und plaudert und schmückt sich dazwischen,
Und Thränenthau und Lächeln mischen
Sich wunderbar in dem holden Gesicht
Wie Maienregen und Sonnenlicht.
Wie seltsam hat des Fürsten Bild
In ihrem Geiste sich vermischet
Mit Zügen, die so ernst und mild
Stehn noch in ihm so unverwischet,
So klar und treu, als könnten sie nimmer
Erbleichen vor einem Erdenschimmer.
Und als sie nun mit ordnender Hand
Die Blüthen und Blätter zum Kranze band,
Den sie dem Fürstensohn reichen sollte,
Da flüstert wie im Traum sie:
Ob er wohl schön und gut ist wie - -
Erröthend stockt sie und es rollte
Ein Strom von Thränen in's duftige Grün
Des Kranzes hinein - ihre Wangen glühn -
O Gott, mein Gott! - hinaus - hinaus!
Wer nimmt mir aus dem armen Herzen
Diese Lust, diese wundersüßen Schmerzen? -
Geöffnet ist das Gotteshaus -
Dort will ich vor den Heiland treten,
Will treu und brünstig zu ihm beten,
Daß seine treue, blutende Hand
Sich kühlend legt auf des Herzens Brand,
Und daß die wirren Gedanken schweigen
Vor seines edlen Hauptes Neigen.

So ruft sie und eilt mit flüchtigen Füßen,
Als hätte sie schwere Schuld zu büßen;
Doch folgt sie nicht dem Menschenstrom,
Der wallet zum hohen, prächtigen Dom,
Aus welchem Glocken- und Orgelklang
Brauset weit die Straßen entlang;
Ein stilles Kirchlein, arm und klein
Erbaut am abgelegenem Orte,
Das ladet mit freundlichem Gruß sie ein
Und öffnet ihr die fromme Pforte.
Ach, aus dem lauten Lärm der Straßen,
Aus diesem Rennen, diesem Rasen,
Wie reicht es ihr so süße Ruh!
Welch' eine Kühle, welch' heilige Stille!
Es schweigt beruhigt Wunsch und Wille,
Neigt sich dem Gott des Friedens zu.
Und Agnes zu des Heilands Füßen
Legt hin das sturmbewegte Herz,
Es fühlt der treusten Liebe Grüßen
Und schwebt beseligt himmelwärts.
Die bangen, sehnenden Gedanken
Die hin und her im Winde schwanken,
Sie fliegen alle in Gottes Schooß,
Dort wird die Seele ihr frei und groß -
Und ruhig, gestärkt von himmlischem Segen,
Geht sie den Freuden des Festes entgegen.



Aus VI.


(...)
Und sieh! auch Agnes hebet empor
Den träumenden Blick, der sich verlor
Weit aus dem schimmernden Festgepränge,
Weit aus der rauschenden Menschenmenge.
Und ach! - er ist's! - so ruft ihr Herz
Unhörbar, doch lauter als alle Klänge
Die sie umrauschen, als ob ein Schmerz
Auf einmal ihr die Brust zerspränge,
Drückt fest darauf sie ihre Hand;
Es bleibt erstarrt ihr Blick gewandt
Auf jener glänzenden Gestalt,
Die durch die jubelnde Menge wallt. -
Er ist's! - er ist's - sie hat ihn erkannt -
Der schöne Jüngling, dessen Hand
Gedrückt die ihre, daß sie mit Schmerzen
Noch immer es fühlt im tiefsten Herzen.
Doch schnell in der großen Freude Gewühl
Geht unter ihr jedes bange Gefühl,
Das ahnungsvoll sie will beschleichen;
Sie fühlt es blitzesschnell entweichen,
Wie vor der Sonne weicht die Wolke.
Er ist's, den sie so mild gesehn,
So treu in der Armuth Hütte stehn;
Er ist der Fürst von ihrem Volke!
Er wird es tragen mit sanftem Erbarmen
Wie jenes Kind auf starken Armen,
Er ist des Landes Hoffnungsstern!
Ihm darf sie laut ihre Liebe bekennen,
Ihn mit der jubelnden Menge nennen
Und freudig grüßen als ihren Herrn!

So tritt sie aus dem Kreis hervor
Und hoch hält sie den Kranz empor -
Es leuchtet, es flammt ihr Angesicht
Von einem wundersamen Licht,
Als wenn ein voller Himmelsstrahl
Es übergossen mit einemmal;
So steht vor Aller Blick sie da -
Daß Jedem ward, der auf sie sah,
Als ob einen Engel mit leuchtenden Schwingen
Er säh' aus dem feiernden Kreise dringen.

Auch Albrecht hat den Blick gewandt
Zu ihrem Bilde, lichtumflossen,
Er hat die Jungfrau schnell erkannt
Und steht von süßem Glück umgossen -
Und dennoch fast erschrocken, weicht
Vor ihrer Schönheit er, wohl deucht
Sie ihm die Eine; Eine noch
Und eine Andre, Andre doch! -
Die scheue Jungfrau ist's nicht mehr,
Die vor ihm stand in jener Hütte
Ein frommes Kind mit fleh'nder Bitte -
Jetzt steht sie leuchtend, hoch und hehr,
Von jeder scheuen Furcht befreit,
Von einem heil'gen Ruf geweiht,
Wie seines Landes Genius
Und bringt ihm seines Volkes Gruß.

Von ihrer reinen Himmels-Würde
Getroffen, beuget er sein Knie,
Er glaubt, daß sie ihn segnen würde,
Wie er gesegnet wurde nie!
Gesenkten Hauptes flüstert er leise,
Daß sie es nur hört im lauschenden Kreise:
O, segne mich du schöne Maid!
Dann bin ich gefeit in Noth und Streit! -
Da reicht sie ihm hin den blühenden Kranz,
Es stockt ihr Wort, die Augen nur reden
Den Segen, um den seine Lippen flehten.
Wie ist sie auf einmal wieder so ganz
Das schüchterne Weib, da sie beugen sich sieht
Den Herrn, vor dem ihre Seele kniet! -
Verblichen ist der Siegesschein,
Der eben noch ihr Haupt umschwebet,
Doch diese Perle, die so rein
Ihr zitternd jetzt im Auge bebet -
Sie ist das Kleinod, ist der Preis,
Nach dem des Mannes Sehnsucht ringet,
Sie strahlt ein Licht, das schnell und heiß
Durch Albrechts ganzes Wesen dringet.

Vorüber ist der Augenblick,
Der flüchtige, selige, der das Leben
Der Beiden mit strahlendem Glanz umgeben;
Sie tritt in den Kreis des Volkes zurück,
Erbleichend gesenkt die Augenlieder
Das arme Kind des Bürgers wieder;
Er aber schreitet, vom Jubelrufen
Des Volkes begleitet, hinauf die Stufen,
Hinauf, wo sie ihm nicht folgen darf.

Wie schnell, ach, wie so grausam warf
Die Welt mit ihren starren Schranken
Sich zwischen sie und ihn! - zu wanken
Schien ihm der Boden, mit zitterndem Knie
Besteiget er die hohe Tribüne,
Der junge Held, der stolze, kühne,
Der noch in seinem Leben nie
In einem Kampfe hat gezittert,
Der manche Lanze hat zersplittert
Und stand vor manchem Feindesheer -
Wie sank er machtlos vor dem Speer,
Der aus des frömmsten Auges Schein
Ihn traf bis in das Herz hinein!

O, wie so arm, wie öd' und leer
Scheint ihm die glänzende Höhe umher!
Es stieg zu ihr hinauf nur sein Fuß,
Doch unten blieb seines Herzens Gruß;
In seines Volkes Mitte zurück
Blieb seines Lebens einiges Glück!
Doch als nun beginnt des Kampfes Brausen,
Die Schwerter und Lanzen nun fliegen und sausen,
Die Rosse schnauben, die Hufe sprüh'n,
Da fühlt' er die Seele lodern und glüh'n!
In diesem muthigen Schlagen und Jagen
Erfaßt es ihn wie zu mächtigem Wagen,
In diesem Suchen und Rennen und Trennen
Fühlt er die Pulse des Lebens entbrennen, -
Ha! wie erscheint ihm jede Kraft
So klein, vor dem Ringen der Leidenschaft,
Die, wie's ihm dünkt, sich Bahn könnte brechen
Durch Gluth und Fluth, mit himmlischem Muth
Müßte die Pforten der Hölle durchstechen,
Und in dem Kampf um das süßeste Leben
Könnte den Tod aus dem Sattel heben! -

Und Agnes - ach! auch sie verweilt
Nicht mehr im niedren engen Thale,
Hinauf, hinauf zur Höhe eilt
Ihr Blick mit jedem Sonnenstrahle,
Der auf dem Helm des Helden glüht
Und Funken zu ihr herunter sprüht.
Verwelkt sind all' die süßen Rosen,
Die an dem Bache sie gepflückt,
Womit sie unter heitrem Kosen
So froh das junge Haupt geschmückt,
Sie weiß nur mehr von einem Kranze
Der schwebte aus ihrer Hand hinauf,
Und dort in überird'schem Glanze
Zieht nach ihr Herz im fliegenden Lauf.

So stehn getrennt die schönen Beiden,
Und doch vereint in Wonnen und Leiden -
Hinab, hinauf die Blicke schau'n,
Hinauf, hinab die Gedanken bau'n.
Wohl können Schranken von Erz und Eisen
Die Herzen nicht von einander reißen,
Die Seelen, die fessellos und frei
In allen Banden sich umwinden,
Und bräch' der Erde Grund entzwei,
Im weiten All' sich suchen und finden. -

Die Stunden fliehen, die Sonne sank,
Es sammeln sich mit Pomp und Prangen
Die Sieger im Kampfe, um den Dank
Aus schöner Damen Hand zu empfangen.
Da wird gespendet manch' Kleinod von Werth,
Das hoch den glücklich Beschenkten ehrt;
Doch Albrecht blicket ohne Neid
Auf die Geschmückten, liebend drückt
Er an die Lippen, still entzückt
Den Kranz, den ihm reichte schon vor dem Streit
Ein Engel mit Glück verheißenden Mienen,
Er flüstert leise: ich will dich verdienen!
Und unentweiht das heilige Pfand
Wieder legen in ihre Hand.
Wohl fühlt sein Arm zum glänzenden Mahl
Die erste der Frau'n zum Bankett in den Saal,
Und horcht ihrem Wort und kostet den Wein,
Kredenzet von ihren weißen Händen;
Doch arm ihm dünken die reichsten Spenden,
Sein Herz durcheilt die glänzenden Reih'n
Und neidet die Schwingen des Abendwindes,
Der spielt um die Locken des Bürgerkindes.

Da horch, wie fröhliche Klänge erschallen!
Sie rufen der Jugend blühende Schaar,
Und in die festlich geschmückten Hallen
Ziehet gedränget Paar an Paar.

Der Tanz beginnt, statt Schwertersausen
Hört man nur leichte Gewänder rauschen;
Satt scharfer Speere tödtliches Blinken,
Nur leuchtende Blicke sich heben und sinken;
Satt Kampfesruf nur zierliche Reden
Wie flüsternde Lüfte in Blumenbeeten.

Auch Agnes in der Jungrau'n Reih'n
Schaut träumerisch in den Kerzenschein,
Und länger nicht hält die Sehnsucht zurück
Das Herz des Jünglings, mit raschen Armen
Zu fassen das süße einzige Glück,
In seinem Lenzeshauch zu erwarmen;
Nicht länger achtend der feindlichen Sitte,
Durchbricht er rasch der Edlen Mitte -
Die schöne Bürgerin führt er zum Tanz,
Die schönste Blume im Frauenkranz.
Wie lieblich der Augenblick ihm erscheint,
Der ihn so nah mit ihr vereint!
Wo er den schönen blühenden Leib
Darf mit kräftigem Arm umschlingen,
Wo er das süße, geliebte Weib
Hinträgt auf der Töne melodischen Schwingen.
Wohl scheint es den Beiden, sie würden gehoben
Nach einem blühenden Eiland dort oben,
Als schwände mit ihrem Druck und Leid
Unter ihnen die Erde so weit!
Ein seliger Traum! - schnell ist er entfloh'n -
Sie ahnen nicht wie er bereitet
In seinem lieblichen Lächeln schon,
Was grausam sie von einander scheidet,
Sie seh'n nicht die lauernden spähenden Blicke,
Die auf sie gerichtet mit heimlicher Tücke.

O, arme Liebe! wie neidet man dir
So feindlich die kurzen, flücht'gen Minuten,
Die auf dem Meere der Leiden fluthen,
Das dich umwogt auf Erden hier!
Und dennoch, wie sorglos den schwankenden Kahn
Lenkst du durch die stürmende Brandung hinan,
Hoch über die falschen Riffe und Klippen -
Den flüchtigen Himmelsschaum zu nippen,
Mit ihm den Becher des Lebens zu würzen,
Und müßtest du mit in den Abgrund dich stürzen!

So rauscht dahin des Festes Pracht. -
Wohl däucht' es Agnes, als sie allein
In ihrem armen Kämmerlein
Nun wieder steht in der stillen Nacht,
Als wäre aus einem Wunderland,
In das sie geführt eines Zaubrers Hand,
Zurück sie gekehrt und allein gelassen -
Sie kann sich selbst nicht begreifen und fassen!
Ach, in ihr brünstiges Nachtgebet,
Wie drängen sich Albrechts Blicke und Worte
Durch ihres Herzens stille Pforte -
Wie immer sein Laut dazwischen fleht:
"O, segne mich, Du schöne Maid!
Dann bin ich gefeit in Noth und Streit!"
Ja, segne Du ihn, so flüstert sie,
Mein Gott! - und beuget das zitternde Knie -
Und laß dein armes Kind zu ihm sehn
Wie nach den Sternen auf himmlischen Höh'n!

Doch kaum daß sie in frommer Ruh
Geschlossen hat das Auge zu,
Da, horch! da tönt in jubelnden Klängen
Ein Scheidegruß zu ihr noch hinauf,
Und schließt in feurigen Lobgesängen
Des Tages festlichen Siegeslauf.

Sie horcht - sie ahnt wer ihr gebracht
Den feiernden Gruß durch die stille Nacht;
Sie weiß, daß Albrecht, gleich einem Meister,
Beherrschet der Töne allmächtige Geister,
Und diese Töne, sie tragen wieder
In zaubrisch blühende Haine sie nieder;
Sie wähnt im duftigen Grase zu liegen,
Beschattet vom blühenden Myrthenbaum,
Und singende Vögel und Quellen wiegen
Sie leise und sanft in den seligsten Traum -
Wohl möchte aus ihm kaum wieder sich heben
Ihr trunknes Aug' in des Tages Leben.



VII.

Welch' süßer Reiz in einem Blatt,
Auf dem die Liebe in innigen Zeilen
Ihr Herz für uns ergossen hat,
Im trauten, sehnenden Verweilen
Uns ihr geheimstes tiefstes Leben
Für immer hat dahin gegeben!

Wer hat ihn nicht gefühlt, den Reiz
Des ersten Blattes, das er empfangen
Aus lieber Hand! weß Auge mit Geiz
Hat nicht an den theuren Zügen gehangen,
Als könnte das kleinste der holden Zeichen
Seinem Blick und seinem Herzen entweichen!

So steht auch Agnes mit glühenden Wangen
Und liest und liest das feine Blatt,
Auf dem der sehnenden Liebe Verlangen
Ihr Albrechts Hand verkündet hat,
In stürmischen Versen, voller Gluth,
Geschrieben mit seines Herzens Blut.

Ein zierlichre Page hat ihr gebracht
Dies Blatt in ihre arme Zelle,
Mit einem Strauß voll südlicher Pracht,
Voll Farbenglanz, so glühend und helle,
Als flammte daraus mit duftigem Licht
Noch einmal empor das heiße Gedicht.

O, arme Agnes! wie schlagen so schnelle
Diese Flammen, wie eine lodernde Welle,
Mit schmerzlicher, tödtlich zehrender Lust
In deine zarte junge Brust.

Aus ihren bebenden Händen fällt
Das stürmische Lied - o, dieses Zagen,
Dies Wogen, was ihre Seele schwellt -
Sie kann es nicht länger allein mehr tragen;
Sie flieht in ihrer Mutter Arme
Und fleht, daß sie sich ihrer erbarme.

Wo gäb' es eine so heilige Stätte
Für jede Freude, für jeden Schmerz,
Als einer Mutter treues Herz?
Aus welchem Lebenssturme hätte
Gerettet nicht ein armes Kind
Sich hier vor dem tückischen Meereswind?

So läßt auch Agnes voll Vertrauen
Die Mutter tief in's Herz sich schauen,
In's Herz, ach, wo des Geliebten Gestalt
In jeder Bluteswelle wallt.

Da blickt die Mutter sie traurig an:
O Agnes! armes Töchterlein!
Welch' Leid hat man Dir angethan!
Hüte Dich Gott und die Engel sein!
Wirf fort! wirft weg das böse Blatt -
Mein armes Kind! es brennt - es brennt! -
Weißt Du, daß schon die schlimme Stadt
Des Herzogs feile Buhle Dich nennt?
Und bist Du's nicht, so wirst Du's werden,
Wenn Du nicht hütest die arge Gluth,
Die schon auf der Wange Dir brennend ruht
Und leuchtet aus allen Deinen Geberden. -
O, Kind! bedenk', bedenk' das Ende!
Dein Herz zu deinem Heiland wende!
Nicht wird der Fürst Dich zum Weib begehren,
Er will nur eine flüchtige Lust
Stillen an Deiner vertrauenden Brust,
Und bringen Dich um den Kranz der Ehren! -

Sie schweigt - doch Agnes starrt und schaut
Sie an mit wirrem, wilden Blick
Und tritt mit entstellten Zügen zurück,
Daß fast der Mutter vor ihr graut -
Als hätte ein Blitzstrahl sie getroffen;
Als stände ihr plötzlich ein Abgrund offen,
Aus welchem auf sonnigen Blumenwegen
Ihr zischten giftige Schlangen entgegen.

O Mutter! o Mutter! was hast Du gesagt -
Wie hast Du mein Herz so schrecklich verklagt!
Schone, o schone die Seele mein -
Du sollst sie behalten sündenrein -
Und müßt' ich darüber zu Grunde gehn -
Ich will, ich will ihn nicht wiedersehn,
Der gleich einem Gott mir ist erschienen,
Wie können trügen solche Mienen!
O Mutter, o Mutter! - ich trag es nicht! -

Sie schlägt die Hände vor's Angesicht
Und stürzt hinaus in ihre Kammer.
Dort steht sie lang' im stummen Jammer,
Wie eine schöne starre Leiche
In geisterhafter Marmorbleiche -
Wie hat die Sünde dieser Welt
Sich zwischen sie und ihr Herz gestellt!
Starr blickt sie in den öden Raum -
Entflohen ist ein Himmelstraum,
Zerstört die grüne Insel liegt,
Wo sie sich in blühenden Ranken gewiegt,
Und hörte melodische Quellen klingen
Und Engel selige Weisen singen.
"Es fiel ein Reif in die Frühlingsnacht!"
Ein einziges Wort mit zerstörender Macht!

Doch plötzlich rafft sie sich empor,
Als müßte sie selbst aus dem Traum sich stören,
Verhüllt das Aug' und deckt das Ohr,
Als dürfe sie nichts mehr sehen und hören;
Sie geht dahin, als wolle sie schreiten
Zum Kampfe mit unendlichen Leiden;
Das Auge, das kaum noch in Liebe schmolz
Vor einem Bilde, ach, so theuer,
Glüht jetzt wie in heiligem Zornesfeuer;
Um ihre Lippen zuckt es stolz. -
Sie reißt herab das Prachtgewand,
Das sie an jenem Fest geschmücket,
Tief, tief verbirgt sie's im Schrein und drücket
Es ein und verschließt ihn mit fester Hand.
Aus dem Busentuch einen welken Strauß
Zieht sie und wirft ihn zur Straße hinaus;
Er blühte an ihrer weißen Brust
Als sie sich hob in sehnender Lust.
Und in die glühenden Blumenflammen,
Die ihr der Liebesbote gebracht,
Greift sie rasch mit fliehendem Odem,
Als wehe aus ihnen ein giftiger Brodem,
Sie reibt sie in fliegenden Staub zusammen
Und jagt ihn hinaus und bitter sie lacht,
Als in den gaukelnden Morgenwinden
Sie spurlos ihn sieht aus dem Fenster schwinden.

Doch als sie nun ergreift das Blatt,
Das, ach! seine Hand beschrieben hat,
Daß sie es zur zehrenden Flamme trüge,
Da wankt ihr Fuß, das Herz ihr bricht -
Sie drückt auf das Blatt ihr bleiches Gesicht
Und weinet aus die geliebten Züge! - -

Dann aber sinkt sie auf die Knie
Und betet, wie sie gebetet noch nie! -
Ihr fröhliches Dasein, es ist vorbei! -
Vorbei - so däucht es ihr, auf immer
Verblichen der Jugend rosiger Schimmer,
Ihr ganzes Wesen ein Schmerzensschrei
Der sehnend steigt zu Gott empor,
Als müsse er sprengen des Himmels Thor;
Daß Kraft von oben er möge geben
Zu einem neu erstehenden Leben.



VIII.

Wohl oft vor Agnes Thüre noch stand
Der schöne, schmeichelnde Liebesbote,
Und trägt die Rose, die glühende rothe,
Die duftige Nelke in seiner Hand;
Die Lilie wie die Sehnsucht bleich;
Vergißmeinnicht, ihrem Auge gleich.

Ach, keiner von den holden, süßen,
Den zarten, glühenden Blumengrüßen,
Dringt mehr mit hellem Liebesschein
In Agnes züchtiges Kämmerlein.
Fest bleibt es verschlossen jeder Bitte,
Verschlossen jedem suchenden Schritte.

Vergebens auch in stiller Nacht
Umtönen ihr Fenster liebliche Klänge,
Der sehnenden Liebe süße Gesänge,
Mit herzbezwingender Zaubermacht.
Wie sie auch bitten, wie sie auch flehn,
Wie sie auch stürmen in heißem Verlangen,
Fest bleibt der kleine Raum verhangen,
Kein holdes Antlitz läßt sich sehn
Und winkt dem Ruf der bittenden Lieder
Mit mildem Blick Erhörung nieder.

In stiller Ruhe Agnes schaut
Umher nach jener Schmerzensstunde,
Aus ihrem Mund kein einziger Laut
Verräth die tiefe Todeswunde,
Und wie ihr schlägt das Herz so schwer,
Sie wandelt freundlich wie sonst einher;
Nur bleicher sind die zarten Wangen
Und inniger die Augen hangen
Mit wundersam verklärtem Licht
Auf ihrer Mutter Angesicht.

Nur emsiger regt sie die Hände
Und schmücket freundlicher das Haus,
Theilt reichlicher der Liebe Spende
An Arme und Betrübte aus,
Und öfterer mit frommem Knie
Sieht am im Kirchlein beten sie.

Und wenn die Mutter mit leisen Fragen
Rühret an ihres Herzens Klagen,
Dann lächelt sie zu ihr und spricht:
Sieh, Herzensmutter! ich weine nicht,
Und nennst Du mich dein geliebtes Kind,
So bin ich froh wie die Seligen sind.

Doch Nachts in ihrem Kämmerlein,
Wenn sanft der Mond am Himmel scheint,
Dann sieht ihr Engel es allein,
Wie sie in's Kissen schluchzt und weint,
Und möchte gern auf seinen Schwingen
Das arme, das betrübte Kind
Hinauf in den schönen Himmel bringen,
Wo keine Schmerzen und Thränen sind.
Doch ach, für sie ist's noch nicht Zeit,
Der Weg zum Himmel, wie ist er so weit!

O, diese Nächte ohne Schlummer,
Wo bei ihr sitzt der bleiche Kummer,
Wie fragt sie oft hinein so bang:
Warum, warum seid ihr so lang?
Und kommt kein heller Tag mir wieder?
Keine Ruh' auf meine Augenlieder?

Und wenn nun immer sehnender, heißer,
Und endlich immer bänger und leiser
Im Liebesklang des Geliebten Seele,
Wie eine klagende Philomele,
Eine blutende Taube, die sterbend girrt,
Um diese langen Nächte irrt,
Dann hebt sie Morgens sich so bleich
Und müde von ihrer Ruhestätte,
Als ob sie in des Grabes Reich
Dem Tod im Arme geschlafen hätte.
Dann wankend sie zum Fenster geht,
Um das die süßen Klänge schwebten,
Die hin nach ihren Herzen strebten,
Und unerhört von ihm verweht;
Dann auf die kalten Scheiben sich pressen
Sieht man das schöne, bleiche Gesicht,
Sie flüstert: warum sterb' ich nicht? -
Lehre, o lehre mich, Gott! vergessen! -

Vergessen! - ach, wer hat es gefühlt,
Wie dieses Wort im Herzen wühlt!
Vergessen, ach! was Tag und Nacht
In diesem Herzen pocht und wacht,
Und ohne Ruh' und ohne Rast
Einlaß begehrt, ein stürmischer Gast,
Der sich von seinem Blute nährt,
An seiner Lebensfülle zehrt,
Der nimmer darf darinnen bleiben
Und den man doch nicht fort kann treiben.

O Lethe! - warum gießest du
Nur um Elysiums Gefilde
Die kühlen Wellen sanft und milde?
Wie würden deinem Ufer zu
Viel tausend kranke Herzen eilen,
In deinem Himmelsthau zu heilen!

Der Jüngling aber, der so bang
Da draußen in der nächt'gen Stunde
Aushaucht sein Herz im Liebesklang
Und nährt die tiefe Liebeswunde,
Er ahnt es nicht, mit welchen Thränen
Ein Mädchenherz den Schlummer tauscht
Mit herber Qual, mit welchem Sehnen
Sie diesen Liebesbitten lauscht,
Und lieber wählte doch den Tod,
Als sich dem Zauber hinzugeben,
Weil strenger Tugend Machtgebot
Sie trennt von ihrem liebsten Leben,
Er glaubt sie kalt nur für sein Werben
Und möchte, wie sie, im Schmerze sterben.



Aus IX.

(...)
Und in dem Kreis, der so fröhlich lieget
Im weichen Moos und plaudert und lacht,
Und endlich auch zu lustiger Jagd
Im duft'gen Laub auseinander flieget,
Die letzten Schmetterlinge zu haschen
Die noch in den Waldesblumen naschen -
Sitzt Agnes still in sich versunken;
Es strahlt ihre Wange in holder Glut,
Ihr Auge glänzt, als ob sie getrunken
Aus einer berauschenden Zauberfluth,
Die ihr in goldenem Becher gereicht
Der Wald, der sich ihrer Schönheit geneigt.
Auch ihr aus ferner Kindheit Tagen
Erklingen wieder Märchen und Sagen
Von seltnen Schätzen und Wunderblüthen
Die Zwerge und Elfen des Waldes hüten.
Ihr ist als hörte den Bach sie sprechen
Von einer Blume mit strahlendem Schein,
Die ihre weiße Hand soll brechen;
Von einem seltnen Karfunkelstein,
Den sie im Walde suchen müßte -
Ach, wenn sie doch die Stelle wüßte,
Wo ihn verbirgt die holde Fee! -
Sie kann nicht länger ruhen und sitzen,
Ihr wird's im Herzen so seltsam weh;
Sie meint, sie säh' ihn im Grase blitzen,
Sie meint, als ob sie schon den Duft
Der Wunderblume in dieser Luft
Fühle brennen auf ihren Wangen -
Sie widersteht nicht dem Verlangen,
Das sie mit zwingender Gewalt
Tief, tief hinein zieht in den Wald,
Aus der Gespielen Kreise weit
In zauberhafte Einsamkeit. -

O, wie so schaurig, süß und bang
Sie diese Einsamkeit umschlang
Mit ihres dunklen Mantels Falten,
Sie flüsternd führte bald her und hin!
Horch! aus den tiefen Felsenspalten
Ruft ihr die Unkenkönigin!
Aus Farrenkräutern, die über den Grund
Sich weit und palmenartig breiten,
So heimlich hervor die Bächlein gleiten,
Und murmeln wie mit verworrenem Mund.
Aus alter grauer Steine Ritz
Zuckt's hier und da wie ein schneller Blitz,
Ein Nebel wallt von den moosigen Stufen
Als stiege Erlkönig zu ihr herab
Mit luftiger Krone und Zauberstab.
Sie meint, sie hör' ihren Namen rufen -
Und aus der Ferne sehnend klingt
Ein Echo her - ob wohl im Baume
Ein fremder Wundervogel singt?
Sie steht und lauschet wie im Traume;
Noch einmal - horch! - sie schaut sich um -

O, alter Wald! o sage, warum
Hörst du auf einmal auf zu rauschen?
Als müssest festgebannt du lauschen,
Und sähst ein Wunder, das still und groß
Erblühen wollte in deinem Schooß? -
O, wie durchblitzt ein Feuerstrahl
Dein ernstes Antlitz auf einmal
Und leuchtet sonnig und freudenhelle
Hin über jene dunkle Stelle,
Wo sich ein Jüngling, ein Mädchen fanden
Und sich mit süßem Schreck erkannten! -
Warum denn stehn sie so erschrocken? -
Hat sich verwandelt des Jünglings Reh
In diese Maid, die mit glänzenden Locken,
Wie eine blühende Waldesfee,
Mit leuchtenden Augen so herrlich steht
Von der Bäume säuselnden Zweigen umweht?
Hat sie erblickt den Edelstein,
Nach welchem in dem wilden Raume
Gesucht sie, wie im wachen Traume,
In jenes dunklen Auges Schein,
Das aus der tiefen Waldesnacht
Entgegen ihr leuchtet mit bannender Macht?
Sah sie die Wunderblume blühen,
Im Liebesschein entgegen ihr glühen
In dieser Hand, die nach ihr faßt,
Als ihre zarte Wange erblaßt,
Und zitternd ihre Kniee wanken,
Als schwänden hin ihr die Gedanken? -

O Wald! o Wald! deine Zaubermacht,
Soll ich verklagen sie? - soll ich sie loben? -
Zwei Herzen hast du zusammen gebracht,
Hast kühn den dichten Schleier gehoben;
Wie könnte in deinem bannenden Raum
Sich länger verbergen der sehnende Traum? -

Es stehen keine eiserne Schranken
Jetzt zwischen diesen Herzen mehr,
Nur zarte Blüthenzweige ranken
Sich hold verschlingend um sie her;
Die hohen, schützenden Bäume decken,
Die dichten, stillen Büsche verstecken
Das schöne zitternde Menschenpaar.
Nicht Spott und Neid sie hier umdüstern,
Nur reine Lüfte kosen und flüstern
Um ihre Wangen, in ihrem Haar,
Und Alles in diesem herrlichen Reich
Scheint sanft zu bitten: o, liebet euch!

O, arme Agnes! wie fühlest Du
Den Sturm in dieser seligen Ruh!
Wie klopft dein Herz, wie krampfhaft falten
Sich deine Hände zum Gebet!
Wie zitternd dein Auge zum Himmel fleht
Er möge in diesem Sturm dich halten!

O, laßt mich flieh'n! - ihre Lippen bitten -
Wie her ich gekommen, ich weiß es kaum -
Doch käm der Tod durch den Wald geschritten,
Nicht dürft' ich weilen in diesem Raum!
O, haltet nicht länger meine Hand,
Und seht nicht, wohin ich die Schritte gewandt. -

Doch fester des Jünglings Hand umfaßt
Des Waldes schönen, zitternden Gast,
Und bittender die Blicke heben
Nach ihrem weinenden Auge sich:
O, sage mir, Du süßes Leben!
Warum denn willst Du fliehen mich?
Nicht sichrer in der Engel Hut
Deine Hand wie in der meinen ruht.
O, Agnes! sage mir, warum
Verschmähst du meiner Liebe Werben,
Warum ist deine Lippe stumm
Und läßt mein Herz, das treue, sterben?

Er schweigt und eine Thräne sinkt
Herab von seinen kräft'gen Wangen -
O, diese Männerthräne, wie trinkt
Sie Agnes Herz mit zitterndem Bangen!
Wie sinkt des Weibes stolzer Muth
In dieser Welle, die überfließet
Den Rand der sehnenden Liebesfluth
Und glühend auf ihre Hand sich gießet!
Es rieselt, es zuckt durch ihre Glieder,
Sie stürzt zu Albrechts Füßen nieder,
Das schöne, das edle Haupt geneigt,
Wie eine Lilie vom Sturme gebeugt. -

Mein Herr, o, warum sprichst Du so?
Laß deine arme Magd von hinnen,
Im Leben werd' ich nicht mehr froh
Wenn deiner Augen Thränen rinnen!
Wie hat dein Klagen in stiller Nacht
Um meines Herzens Ruh' mich gebracht!

O, schone mein! ich darf ja nicht
Als Weib in deinen Armen liegen -
Uns trennt die ernste, fromme Pflicht,
Und stark muß ich mein Herz besiegen;
Dies Herz, das Alles Dir möchte geben,
Das ach, so gerne sein ganzes Leben
Nur Dir, nur deinem Dienste geweiht! -
O, zieh' mir an ein Sklavenkleid!
Ich will als niedre Magd Dir dienen,
Will betteln gehn von Thür zu Thür
Und fleh'n mit Worten und mit Mienen
Bis Hülfe tritt für Dich herfür;
Laß mich für Dich im Kerker schmachten,
Nicht Schmach und Ketten will ich achten;
Reiß' mich von meiner Eltern Heerd,
Von Allem, was mir lieb und werth,
Fern in des Fremden kaltem Land,
Dort, wo die höchsten Klippen ragen,
Durch wilder Wüsten heißen Sand
Will ich Dir nach den Mantel tragen!
Reich' mir ein Schwert und laß mich stehn
In deiner Krieger finstren Schaaren,
Durch Blut und Leichen will ich gehn,
Die schwache Hand soll Dich bewahren;
Es soll sich in mein Herzblut tauchen
Der Speer, der deinem Herzen droht,
Für Dich die Seele auszuhauchen,
Das wär' ein süßer, seliger Tod.
So, Albrecht! liegt in Lieb und Schmerz
Vor Dir des treusten Weibes Herz.
Doch Eines darf ich Dir nicht leh'n,
Darf ich Dir nimmer, nimmer geben,
Das, das gehört nur Gott allein,
Das steht mir höher als das Leben!
Das Leben, ach, das bald vergeht
Und wie ein flücht'ger Hauch verweht!
Nicht meiner Tugend Ehrenkrone,
Nicht meiner Unschuld weißes Kleid,
Das, das gehört dem Gottessohne,
Das muß ich bringen unentweiht
Vor seinen Thron, wenn er mir winkt,
Und meine Lebenshütte sinkt.
Wenn Du dies Kleinod mir geraubt,
Wie würde bald der Glanz verbleichen,
Den mir die Engel Gottes reichen
Zum Schmuck für dein geliebtes Haupt! -

Drum sieh mich Dir zu Füßen liegen
In dieser heil'gen Einsamkeit,
Mit Dir vereint nur kann ich siegen
In diesem schweren Lebensstreit.
Was hülf' es mir, wenn ich verhehle
Die stille Gluth der armen Seele,
Du siehst sie mir im Auge glimmen,
In meinen Thränen zitternd schwimmen. -
Es will das Wort sich mächtig drängen
Aus seiner engen Haft heraus,
Will flehend, hülferufend sprengen
Des Herzens sturmumbraustes Haus:
Ich liebe, liebe, liebe Dich!
Drum fliehe - fliehe, fliehe mich! -

Sie ruft's und heiße Thränengüsse
Benetzen Albrechts Kleid und Hand,
Als ob das Herz ihr brechen müsse,
In dieses Schmerzes Fluth und Brand;
Doch Albrecht stürzet neben ihr
In's Gras auf seine Kniee nieder -
Lang' ruht er still und betend hier
Und dann erhebt er froh sich wieder;
Sein Auge leuchtet, als wenn ein Sieg
Ihm winkte nach einem stürmischen Krieg,
Und zwischen Liebe und edlem Grimme
Schwankend erhebt er seine Stimme:

Ich soll Dich fliehen? - nimmermehr!
Und stände vor Dir der Hölle Heer!
An deiner Seite ist mein Platz,
Nichts soll mir stören diesen Glauben,
Jetzt erst erkenne ich den Schatz,
Den mir die arge Welt will rauben;
Von meinen Augen fiel die Binde,
In deine Seele sah ich hinein,
Und in dem seligen Lichte finde
Ich wieder die meine sündenrein.
Du hast sie gewaschen wieder hell,
Du Heilige! in deinem Thränenquell.
Komm! stehe auf, daß ich Dir sage,
Was ich für Dich im Herzen trage.

Er beugt sich nieder und hebet leise
Empor die Zitternde, Lilienweiße;
Von seinem Wort und Blick bezwungen,
Läßt sie ihm ihre bebende Hand
Die ehrfurchtsvoll er hält umschlungen
Den bittenden Blick nach ihr gewandt;
So stehen beieinander sie
Die wiedersehn sich wollten nie,
Der Wald hört ihre Herzen klopfen,
Sieht ihre Augen leuchten und tropfen.

O, Agnes! ruft der Jüngling aus,
Wie lieblich winket uns die Stunde!
Wie wölbet sich das grüne Haus
So schützend über unserm Bunde!
Fern, ferne liegt die kalte Welt,
Nur Gott schaut von dem Himmelszelt,
Sein heil'ger Odem wehet hier
Und flüstert zwischen Dir und mir.
Er sieht, er hört es, was ich will,
Er hat die Seele mir erhellet,
Wie fühl' ich sie so klar und still
Und doch von sel'gem Muth geschwellet,
Frei wie der Wind, der frisch und kühn
Durch diese mächt'gen Wipfel sauset,
Frei wie der Bach, der in das Grün
Der Matten über Felsen brauset.
Auf heb' ich meine Männerhand
In dieses deutschen Waldes Hallen,
Ab werf' ich all' den eitlen Tand,
Der zwischen Dich und mich will fallen;
Es höre meinen Liebesschwur
Die große feiernde Natur,
Die selbst jetzt will mit ihrem Segen
Ihr schönstes Kind an's Herz mir legen.
Was sind mir einer Krone Steine,
Auf einer Fürstin Haupt gedrückt? -
Das Licht, das Dich umstrahlt, Du Reine!
Das ist's, was mich allein beglückt!
Wohl hat mich deiner Schönheit Glanz
In süßen Liebestraum gewieget,
Doch deiner Tugend Ehrenkranz
Hat mich im Innersten besieget.
Du bist es, die ich mir erwähle,
Aus Millionen einzig Dich!
Du bist die Seele meiner Seele,
Mein süßes Du, mein trautes Ich!
Du bist die Blume, die mir lächelt
Auf steiler Höh', in tiefen Thal,
Der Abendwind, der leise fächelt
Mir Kühlung nach des Mittags Strahl,
Du bist die immer volle Quelle,
Die mich im heißen Durste tränkt,
Der Stern bist Du, der mild und helle
Sein Licht in meine Nächte senkt;
Das Wiegenlied, das leise singt
Mich in der Kindheit sel'gen Schlummer,
Die Harfe, welche siegend klingt,
Und mich befreit von Angst und Kummer;
Mein Frieden bist Du, meine Ruh!
Mein Hafen, dem auf wildem Meere
Eilt meines Schiffes Segel zu,
Daß es im Sturm geborgen wäre.
Du bist das gläubige Gebet,
Das für mich auf zum Himmel fleht,
Des Lebens Odem bist Du mir! - -
Agnes, wie könnt' ich lassen von Dir! -

Sprich, willst Du nun dies einz'ge Leben,
Willst Du dein treues Herz mir geben?
Die reine Seele, den reinen Leib? -
Agnes! - willst Du werden mein Weib? -
Darf ich die Erdenkrone drücken
In deiner Locken Sonnengold?
Mit meinem Fürstenpurpur schmücken
Dich Gotteslilie wunderhold? -
Willst Du in Glück, in Schmerz, Gefahr
Niemals von meiner Seite weichen?
Willst Du an Gottes Traualtar
Mir deine liebe Rechte reichen?

Er schweigt - der Jungfrau Angesicht
Erglänzet, wie im Morgenlicht
Der junge Tag nach dunkler Nacht
Mit frühlingsklarem Blick erwacht;
Mit einem Ja! so hell und laut,
Wie sich der Lerche Gruß erhebet,
Und jubelnd in die Lüfte schwebet,
Wirft sich die junge, schöne Braut,
Befreit von jedem Druck und Harme
In ihres Herzgeliebten Arme.

Nun stehn sie Mund an Mund gedrückt,
Der Welt vergessend und entrückt,
Die Herzen an einander klopfen,
Die Augen in einander tropfen,
Und nur das einzige: Du o Du!
Hauchen die trunk'nen Lippen sich zu.
Das leiseste Lüftchen will nicht säumen
Zu grüssen das junge, glückliche Paar,
Die Bächlein klingen in ihre Wonne,
Die Blumen nicken und lächeln hold,
Und leuchtende Kronen webt die Sonne
Zum Schmuck in ihrer Locken Gold;
Von allen Wipfeln das Brautlied schallt,
O, wie der treue, fromme Wald
Sich freut so recht aus Herzensgrunde
Daß ihm erblüht so schöne Stunde!
Daß sich in seinem Haus gefunden
So hold und minniglich umwunden
Der deutsche Mann, die deutsche Frau!
Frisch wie in seinem Moos der Thau,
Glänzt ihrer Liebe Seligkeit
In seiner grünen Einsamkeit.
Das war ein rechtes deutsches Suchen
Hier unter den hohen Eichen und Buchen;
Das war ein Finden, wonnig und süß,
Wie in der Vorzeit Paradies,
Wie in Walhalla Baldur der Gute
In Nanna's weißen Armen ruhte! -

Doch horch! - ein Jaghorn! - o wie dringt es
In ihre Wonne schmerzlich hinein!
Und von der andern Seite klingt es
Wie Mädchengeplauder hell und fein. -

Wir müssen scheiden - so bald, so bald!
So klingt es Beiden trüb' vom Munde,
Leb' wohl! du schöner, lieber Wald!
Hab' Dank für diese sel'ge Stunde,
Die hier gesenkt sich auf uns nieder!
Leb' wohl! mein Lieb! leb' wohl mein Herz!
Was jetzt uns trennt, es ist kein Schmerz,
Will's Gott, se sehn wir bald uns wieder!

So flüstern, so trösten, so scheiden sie Beide
In den Wald zur rechten und linken Seite.
(...)


Aus X.

Wie sorgenfrei sind die Gedanken,
Womit die Liebe schaut hinaus
Aus ihres Glückes stillem Haus!
Sie flattern hold wie Blumenranken,
Genährt von Licht und Himmelsthau
Erblüht auf goldner Sternenau.
O, brauste doch kein rauher Sturm
Heran mit schonungslosem Wüthen!
O, schliche doch kein gift'ger Wurm
Um euch, ihr leicht verletzten Blüthen!

Wie anders, ach, als sie geträumt,
Ist stets der Liebe die Welt erschienen,
Auf die mit verklärten Engelsmienen
Sie schaute aus Wolken, goldumsäumt!
Und dennoch ist ihr nicht erlassen
Der Kampf mit dieser rauhen Welt,
Fort aus dem stillen Rosenzelt
Zieht er sie durch die lauten Gassen
Voll Pöbelruf und Marktgeschrei,
Und reißt den Schleier ihr entzwei,
Der sie verhüllte zart und lind.

Auf, wappne dich, du Engelskind!
Im Kriegerharnisch mußt du gehn,
Die Feuerprobe mußt du bestehn,
Mußt zeugen von deiner Göttlichkeit,
Von deines Himmels Ewigkeit,
Und siegend aus dem Läutrungsbade
Aufschweben in den Schooß der Gnade! -
Das war nicht Liebe, die unterging,
Als sie des Lebens Streit umfing,
Die sich erschrecken ließ vom Spotte
Der rauhen, erbarmungslosen Rotte,
Die vor dem Leumund bebte zurück
Und schlauen Mäklern verkaufte ihr Glück,
Die etwas Andres noch suchen wollte,
Als das Herz, das sie beglücken sollte.

Auch jener stille Herzensbund
Erblüht im grünen Waldesgrund,
Auch jene Liebe, so treu und klar,
Wie Gottesweise auf dem Altar,
Wie stand sie vor den stolzen Thoren
Der Welt, so fremd und unbekannt,
Gleich einem Pilger aus fernem Land,
Der seines Weges Ziel verloren,
Und keine Herberg finden kann,
Gezeichnet wie von Acht und Bann!
(...)



Aus XI.

Wie schön ist's, daß die Liebe legen
In Gottes Hand darf ihren Schwur,
In diese Hand, die einzig nur
Verleihen kann den rechten Segen
Und über ihr im Sturme wild
Treu hält der Gnade festen Schild.
Wie bald im schwachen Menschenherzen
Trübt sich der frische Lebensquell,
Dort in der Wüste voll Sorg' und Schmerzen
Verrinnet er im Sande schnell,
Und hier in des Glückes berauschender Lust
Verweht er gleich flüchtigem Blumenduft.
Wie sehnt sich jede rechte Liebe,
Vereint zu sein in Gottes Schooß,
Auf daß sie hier geborgen bliebe
Vor der Vernichtung herbem Loos,
Und Kraft und Fülle stets auf's Neue
Empfängt von seiner ew'gen Treue.

O schöner Tag, als Albrecht geleitet
Die theure Braut vor Gottes Altar,
Nur von dem treusten Freund begleitet
Und von der Eltern geliebtem Paar!
In jenem Kirchlein still und enge,
Wo Agnes einst aus des Festes Gedränge
Geflüchtet zu des Heilands Füßen
Mit ihres Herzens bangem Streit,
Steht jetzt der Priester fromm bereitet
Mit Gottes Wort sie zu begrüßen,
Und mit der Kirche heil'gem Segen
Vereint ihre Hände zusammen zu legen.

O süßes Wort, mein Weib bist Du!
O schöner Trost: Du bist mein Mann!
Ihr Lebensstürme braust heran,
Mein Schifflein liegt in sichrer Ruh!
Das Friedensufer ist erreicht,
Wo alle heißen Wünsche schweigen,
Wo von des Lebensbaumes Zweigen
Die Frucht sich uns entgegen neigt,
Wo einmal noch dem leisen Hoffen
Stehn Edens goldne Pforten offen.
(...)



Aus XVI.

Komm, süßes Lieb! nicht länger decken
Darf Dich die hei'ge Einsamkeit
Und deiner Schönheit Herrlichkeit
Nicht mehr dem Blick der Welt verstecken;
Ich muß an's Licht das Kleinod ziehn,
Das mir ein guter Gott verliehn,
Nicht darf es länger allein mich freu'n,
Weit soll es glänzen und Segen streu'n. -

Laß mich den schönen Leib Dir schmücken
Mit Seide, Gold und Silber klar,
Laß mich Dir in das blonde Haar
Das Diadem der Fürstin drücken,
Wirf an des Bürgerkindes Kleid
Und hüll' Dich in den Purpurmantel,
Nur wahre treu und sonder Wandel
Mir deiner Liebe Seligkeit.

Also zu seiner Agnes spricht
Albrecht, nach jenem Banngericht,
Wo seine Liebe ward verhöhnt,
Und er sie trotz Schmach und Schande gekrönt!
Geschmückt, auf schimmernd weißem Zelter,
Als eine strahlende Königin,
Führt er sein Lieb durch Berg' und Felder
Zum hohen Schlosse Straubing hin;
Hier öffnet er ihr den fürstlichen Saal
Und giebt ihr Diener sonder Zahl,
Stellt sie in seines Volkes Mitte
Als Herrscherin des Landes dar;
Er will, daß jedem ihrer Schritte
Folgt eine Freuden- und Ehren-Schaar,
Er möcht' ein Zauberreich erschließen
Um sie, voll Glanz und Herrlichkeit;
Es sollen Blumen dem Boden entsprießen,
Den küßt der Saum von ihrem Kleid,
Er möcht' ihr legen die Welt zu Füßen
Als seine Königin sie zu grüßen!

Und Agnes, gehorsam ihrem Herrn,
Ist aus dem stillen Gottesfrieden
Der grünen Einsamkeit geschieden,
Wo sie mit ihm geweilt so gern,
Wo sie von ew'gen Glück geträumt,
Von Morgenroth und Licht umsäumt;
Doch schien es ihr, als ob dies Glück
Blieb unter diesen Blumen zurück.

Von trüber Ahnung ist erfüllet
Ihr frommes Herz und allzubald
Hat ihr die Welt, so rauh und kalt,
Den argen Bruch mit ihr enthüllet,
Den Albrechts Hand ihr zugedeckt
Mit seiner Liebe reichen Blüthen;
Nicht kann sein treues Herz verhüten
Was aus dem seligen Traum sie weckt;
Sie muß erfahren den schweren Streit,
In welchem sie Vater und Sohn entzweit.
(...)


Aus XXI.

Im hohen Saale versammelt war
Der Kläger und Richter große Schaar,
Agnes in ihrer Mitte stand
Wie eine scheue, bange Taube,
Die blut'gen Geiern ward zum Raube.
Gleich einer gift'gen Schlange wand
Die Lüge sich im list'gem Kreise,
Umstrickend eng die Reine, Weiße;
Oft trieb des edlen Zornes Glut
In ihrer zarten Wangen das Blut;
Doch groß und still sie überwand -
Auf's pochende Herz drückt sie die Hand
Und dachte wie Christus stand so mild,
Wie sanft er Schmach und Hohn getragen,
Als seine Feinde rauh und wild
In's heil'ge Antlitz ihn geschlagen!

Das Sündenregister verlesen war
Und Jedem schien das Scheußlichste klar,
Und Keiner las die reine Schrift,
Die in der edlen Dulderin Züge
Ohn' alles Falsch und ohne Lüge,
Geschrieben eines Engels Stift.

Der Richter erhob sich streng und kalt
Und redet' an die süße Gestalt:
Ich muß in des Herzogs Namen Dich fragen,
Ob seinem Sohn, den Ehgemahl
Du lästernd nennst, hier willst entsagen?
Dann wird Dir leuchten der Gnade Strahl
Und alle Deine große Schuld
Mit Schweigen bedecken die fürstliche Huld. -

Ich weiß von keiner Schuld, begann
Das edle Weib mit sanftem Munde,
Gott helfe mir in dieser Stunde!
Mein Herr und mein Gebieter kann
Mit seinem Willen einzig nur
Mich lösen heißen der Treue Schwur,
Den ich an Gottes Altar habe
Geleistet ihm, den ich empfing
Von ihm mit seiner Liebe Ring,
Der fest uns bindet bis zum Grabe;
Er weilt mir fern, doch über mir
Glänzt seiner Liebe Siegspanier
Sein Geist durchglüht mein armes Wort
Und lehrt mich, daß mit fester Seele
Ich nur in seinem Sinne wähle
Und weise eure Gnade fort.
Eh' mögt Ihr mich zum Tode jagen,
Eh' daß ich werde dem Trauten entsagen!

Ein schadenfrohes Lächeln stieg
Erschreckend in des Richters Züge,
Des Mitleids Himmelsstimme schwieg
Und frecher wagte sich die Lüge
Mit ihrem schwarzen Höllenplan
An's Haupt der Dulderin heran.

Wohlan! so bleibt Dir keine Wahl,
Dein wartet des nahen Todes Qual;
Du mußt die Zauberkünste nennen,
Womit Du listig, unerhört,
Des Herzogs Sinne hast verstört;
Du mußt den Höllenzwang bekennen,
Mit dem gefesselt Du seine Seele,
Den Zauberborn uns nicht verhehle,
Aus dem geschöpfet Du den Trank,
Der ihn gemacht so liebekrank,
Den Hexenstab, womit Du gehalten
Ihn hast mit teuflischen Gewalten.

Erwartend Alles im Kreise schaut
Hin auf die schöne Teufelsbraut;
Ein leises, seliges Lächeln schwebt
Um ihre Lippen, erröthend hebt
Empor sie das edle Angesicht,
So hell umglänzt von der Unschuld Licht.

Wie leicht wird's mir, auf solche Fragen
Der rechte Antwort Euch zu sagen:
Das Brünnlein sei Euch schnell genannt,
Aus dem der süße Zauber quillet,
Das selbst Gott Vater mir gefüllet
Mit Lebensthau bis an den Rand.
Es ist das tiefe Frauenherz,
In welchem stets voll Freud' und Schmerz
Der Liebe reiche Wogen schwellen
In immer neuen, frischen Wellen;
Aus diesem Born allein nur habe
Geschöpfet ich für meinen Herrn
Bei Tag und Nacht die frische Labe,
Die er empfing von mir so gern,
Die ihn erfrischt beim heitren Mahl,
Die ihn gestärkt beim heißen Strahl
Der Sonne, die seines Lebens Blüthen
Gepflegt für seiner Augen Lust,
Zur Zierde seiner Heldenbrust;
Des Himmels gute Engel hüten
Die ew'ge Fluth, daß selbst am Grabe
Sie noch ihm beut der Treue Labe.

Und soll den Wunderstab ich Euch,
Das Kleinod meines Lebens zeigen? -
O, falsche, wüste Hölle fleuch!
Und wolle Dich bezwungen neigen. -

Ein andachtsvoller Schauer flog
Um ihre Stirne, bebend zog
Sie aus des Kleides leichtem Flor
Ein Kreuz und hielt es fromm empor:
Das ist der heil'ge Wunderstab,
Zu welchem ich voll Glauben hab'
In jedem Sturm das Herz gerettet,
Wenn es die Sünde hielt umkettet;
Von ihm die Kraft des Himmels floß,
Die über des Geliebten Leben
Das segensreiche Manna goß,
Das Freud' und Fülle ihm gegeben;
Ihn pflanzt' ich vor seines Hauses Schwelle,
Da ward es drinnen schön und helle,
Da zogen die Engel bei uns ein
Mit ihres Friedens Himmelsschein.
Wenn betend zusammen wir ihn umwanden,
Die bösen Geister schnell entschwanden;
Wenn banges Zagen mich befallen,
Dann haucht' es zu mir neuen Muth,
Daß in der Liebe Himmelsgluth
Ich siegend konnte weiter wallen
Und des Geliebten Seele heben
Mit mir empor zum ew'gen Leben!
Auch jetzt, auch jetzt von ihm allein
Hoff' ich ein gnädiges Verzeih'n,
Und daß der helle Siegesstrahl,
Der leuchtet durch das Todesthal,
Von meinem Grabe segnend fließe
Und Trost in seine Seele gieße.
(...)


Da, sieh! ein junger Priester tritt
Zur Betenden mit leisem Schritt,
Sein dunkles Auge wehmuthvoll
Sich heftet auf ihre reine Schöne,
Und seine weiche Stimme schwoll
Zu ihr heran wie Glockentöne:

Und bist Du so von ihm durchdrungen,
Der aller Seelen Trost und Ruh,
Dann eil' ihm schnell auf immer zu
Und halte stets sein Kreuz umschlungen.
Das Kloster beut Dir einen Port
Und sichert Dir dein junges Leben,
O, woll' es ihm zu eigen geben;
Horch, wie Dir ruft sein Trosteswort!
Reiß ab, reiß an das sünd'ge Herz,
Reiß ab es von der ird'schen Liebe;
Kehr' ganz die Seele himmelwärts,
Auf daß sie dort gerettet bliebe!
Wasch ab des Lebens dunkle Schuld
Alltäglich in den stillen Mauern,
Wo unter heil'gen Wonneschauern
Dich grüßet deines Gottes Huld;
Komm - komm! die Kirche voll Erbarmen
Umschließet Dich mit ihren Armen!
Als Sünderin willst Du verderben?
Und kannst dereinst als Heil'ge sterben!

Still sinnend die Bedrohte stand
Und horcht dem Ruf - ob er gesandt
Von Gott, ihr zeigte die letzte Wahl
In ihrer bangen Todesqual -
Doch mehr noch ihre Wange blaßt
Und wie von Grabeshauch umfaßt,
Kehrt sie sich von dem Priester fort:

Weh mir! vergebens ruft dein Wort!
Du willst mit Himmelsgut mich locken
Von meiner süßesten Erdenpflicht -
O, bleibe fern - Dir glaub' ich nicht,
Falsch klingen deine frommen Glocken.
Wie könnt' ich beten, wo Sünde heißt,
Was sterbend noch meine Lippe preist? -
Es würde mein Herz der Lüge zum Raube
Und höhnte den Gott, an welchen ich glaube,
Wenn ich abschwüre wie eine Schuld,
Was er mir schenkte mit Vaterhuld. -
Im Kloster nicht, an des Gatten Seite
Ist meine Stelle im Lebensstreite,
Sein Herz allein ist der Altar,
Auf welchem bräutlich rein und klar
Die keusche Liebesflamme loht,
Die Gott als Opfer mir gebot.
Zu enge sind des Klosters Mauern
Für dieser Liebe mächt'gen Zug,
Sie würde sehnend dort vertrauern
Und siechen hin im frommen Trug;
Nein, lieber soll sie frei und groß
Auffahren in Allvaters Schooß,
Und hat die Erde sie verbannt,
Sich suchen dort oben ihr Heimathland.
Sie scheuet nicht, das ew'ge Gut
Den finstern Mächten abzuringen
Und in des letzten Kampfes Glut
Zu prüfen ihre Himmelsschwingen.
Wohl ist sie stärker als der Tod,
Fest wie die Hölle ist ihr Eifer,
Sie trotzet ihrem gift'gen Geifer
Und folgt dem mächtiger'n Gebot.
Denn, eine Flamme von dem Herrn,
Steigt sie hinauf, ein ew'ger Stern!
Nicht Ströme können sie ersäufen,
Nicht Wasser löschen ihre Glut;
Drum mögt Ihr mich von hinnen schleifen
Und stürzen in die Todesfluth,
Laut übertönt der Wogen Schwall
Des hohen Liedes Siegesschall!
Hell leuchtend schwebet über mir
Ihr starkes mächtiges Panier.
Mit ihm will ich es freudig wagen,
Es wird mich rettend aufwärts tragen -
Und schützend auf den Liebling schau'n
Werd' ich aus freien Sternenau'n! -
(...)
 

aus: Agnes Bernauer
Gedicht von Katharina Diez
Berlin 1857

_____





Mond und Schnee

Ein Märchen


Mond und Schnee, wie lieblich fließet
Euer sanfter Schein zusammen!
Stundenlang kann ich versenken
Aug' und Seele in die weißen
Lichtumflossenen Gefilde;
Doch ich hab' die stille Wehmuth
Manchmal nicht gewußt zu deuten,
Die aus ihnen mir entgegen
Wehet, wie ein leiser Zauber.
Heute, als ich stand am Fenster
Und in meinen Garten schaute,
Dessen weiß bereifte Bäume,
Feenhaft im Glanz des Mondes,
Wiegten ihre Silberzweige,
Schwebte zu mir ein's der Elfchen,
Die so oft mir Märchen bringen
Aus den hohen schlanken Wipfeln.

Mit dem kleinen Lilienfinger
Klopfte leise an das Fenster
Mir das goldbeschwingte Elfchen:
Oeffne mir! so sprach es bittend,
Und wie schnell hab' ich geöffnet!
Von den Flüglein erst behutsam
Schüttelte die feine Kleine
Ab des Schnees kalte Flöckchen,
Dann herein in's warme Stübchen
Huschte sie und wohlgefällig
Ließ sie zwischen duft'gen Blumen
Sich zu meinen Füßen nieder,
Und da hat sie mir vertrauet
Das Geheimniß, das so innig
Mond und Schnee zusammen einet.

Also sprach die kleine Elfe:
In dem Paradieses-Garten
Blühte eine selt'ne Blume,
Weiß und zart und glänzend schimmernd
Wie der Cherubinen Flügel,
Und gleich einer Weihrauchwolke
Wallten ihres Kelches Düfte,
Liebe spendend, Liebe hauchend.
An dem blauen Saphir-Thore,
Das verschließt den sel'gen Garten,
Stand die schöne weiße Blume,
Und wenn Nachts die Sterne zogen
In des Himmels weite Auen,
Reich geschmückt, im prächt'gen Reigen,
Grüßten freundlich sie die Zarte,
Und es hätte Mancher gerne
Länger wohl bei ihr geweilet
Und von Liebe ihr geflüstert;
Aber keiner von den vielen,
Glanz geschmückten, prächt'gen Sternen,
Rührte meine schöne Blume.
Nicht der Hesperus mit seinen
Sanften schwärmerischen Augen,
Nicht Orions Strahlenkrone,
Nicht des Schwanes Melodieen,
Nicht der Dioskuren Treue.
Machtlos senkte seinen Scepter,
Jupiter, der Glanz gekrönte,
Und die herrlichen drei Könige
Legten ach, umsonst ihr Opfer
Zu den Füßen ihrer Schönen.

Einem, einem nur erschlossen
War die reiche Blumenseele,
Einem nur, dem stillen Monde
Galt des schönen Hauptes Neigen,
Und der Mond, er neigte wieder
Huld'gend sich der weißen Blume,
Auf die zarten keuschen Lippen
Drückte er den Kuß der Liebe,
Manche stille Nacht belauschte
Das Geheimniß ihres Glückes,
Und die reinen Engel neigten
Gern die Flügel schützend nieder
Auf das sel'ge Liebespaar.
Ach, warum nicht ewig dauern
Konnten dieses Glückes Stunden!
Was denn hätte diese reine
Schöne Liebe wohl verbrochen?
Niemals werd' ich es begreifen
Warum feindlich man sie störte;
Welchen Schaden nur dem kleinsten
Wesen hätte bringen können
Das verborgne Glück der Beiden!
Wenn auch manchmal eine Stunde
Länger wohl der Mond geweilet,
Als er durfte, bei der Blume,
Hatt' er desto hell're Strahlen
Aus der Nähe seiner Lieben
Mitgebracht und sie ergossen
Auf die arme dunkle Erde;
Und die Blume hat erschlossen
Immer reicher ihre Blüthen
In dem Licht des holden Freundes;
Immer süßren Duft gespendet,
Allen, die sich ihr genahet.

Ach! die gute böse Sonne!
Nein! ich kann's ihr nicht vergeben
Was sie an dem Mond verschuldet
Und der schönen weißen Blume! -
Wie, die Sonne? - unterbrach ich
Staunend meine kleine Elfe,
Auf die Sonne kannst du schelten?
Auf die gute, große Sonne!

Ja, ich weiß wohl! sprach die Kleine,
Daß du ihr vor allen huldigst,
Lieder singst zu ihrem Preise
Und nach ihrem Licht sich neiget
Deine Seele, gleich der Rose.
Und gewiß, wer sollte lieben
Denn nicht auch die gute Sonne!
Ja, wohl ist sie gut und herrlich
Und sie pflegt am großen Herzen
Eine ganze Welt voll Liebe!
Aber, glaub mir nur - doch laß mich
Leise dir in's Oehrchen flüstern,
Daß nicht irgendwo ein Lüftchen
Hier im alten Dichterhause
Durch die morschen Wände lauschet
Und der Sonne hinterbringet
Was ich hab von ihr geplaudert.
Denn du kannst es wahrlich glauben
Unser armes Elfenvölkchen
Hat es manchmal schlimm bei ihr!
Unsre kleinen Schelmereien
Pflegt sie stets zu hintertreiben;
Oder streng und hart zu strafen.
Ach, wie manchen wunderschönen
Frühlingsball in heitren Nächten,
Wo der gute Mond so freundlich
Leuchtete zum lust'gen Tanze,
Hat sie uns nicht schon gestöret,
Wenn sie mit dem Flammenauge
Plötzlich in den Wald geblitzet,
Daß wir auseinander stoben
Mitten in der besten Freud'!
Und die kleinen Maitranksbecher,
Ach, an deren Rand so gerne
Nippen uns're rothen Mündchen,
Hat sie manchmal ausgegossen,
Weil sie meint: sie machten schwindlich
Und berauschten uns're Köpfchen.
O, ich mag davon nicht sprechen
Was sie uns nicht Alles, alles
Angethan schon hat, die Sonne!
Was für allerliebste Schwänkchen
Sie uns nicht schon hintertrieben!
Und vor Allem kannst du glauben
Ist sie abhold jeder Liebe.

Wie, der Liebe? rief ich wieder,
Sie, die allerfreu'nde Sonne
Könnte abhold sein der Liebe?
Geh, du bist ein albern Kindchen,
Das nicht weiß wovon es plaudert! -

Doch mit altklug wicht'ger Miene
Sprach das kleine Elfchen weiter:
Nicht der großen allgemeinen
Menschenlieb', hab ich gemeinet,
Daß sie abhold sei, die Sonne,
Nein! - wie könnt ich das behaupten?
Seh' ich nicht auf Gut' und Böse,
Reich' und Arme, Groß und Kleine
Ihren Mutterblick gewendet?
Doch ich glaub' weil sie so viele
Lieben muß und sie erhalten
Kann sie's nicht begreifen, wie man
Einem Einz'gen mag gehören,
Einem Einz'gen nur mag leben
Und in dieses Einz'gen Augen
Kann der ganzen Welt vergessen.
Siehst du nicht wie scheu sich bergen
Die Verliebten vor der Sonne?
In dem Schatten dichter Lauben,
In dem Dunkel stiller Wälder
Tauschen ihrer Liebe Schwüre?
Wie sie nur der Nacht vertrauen
Und dem sanften, bleichen Monde
Das Geheimniß ihrer Herzen?
Ja, der Mond! der kann's verstehen,
Denn er hat ja selbst geliebet
Und gelitten, darum schauet
Auch so wehmuthvoll sein Auge
Und so tröstend auf die Thränen
Jeder tiefbetrübten Liebe -
Höre! wie es ihm ergangen:

Eines Morgens hat die Sonne
Ihren schönen Sohn gefunden;
Zu den Füßen seiner Blume
Wo er sich ein wenig länger
Hat verträumt, als sonst gescheh'n,
Ha! wie zornig ward die Sonne!
Hab' es nur zu gut gehöret,
Denn mit den Gespielen saß ich
In dem schönsten Silberwölkchen,
Das uns trug auf einer Lustfahrt
Durch das blaue Meer des Himmels.
Wär' uns beinah' schlimm ergangen!
Denn ein solches Ungewitter
Wie an diesem unglücksel'gen
Morgen losbrach an dem Himmel -
Hab' ich niemals noch erlebet.
Ha! die Sonne! die kann stechen!
Damals hab' ich es erfahren. -
Nein, du kannst mir nicht verdenken,
Daß ich ihr ein wenig böse
Und den Mond viel lieber habe,
Mit den stillen sanften Blicken.
Ja, der Zorn der stolzen Kön'gin
War nicht klein, kann ich dir sagen!
Einen trägen Träumer schalt sie
Ihren Sohn, der Bess'res könne
Thun, als hier mit Blumen tändeln,
Wer erleuchten und erfreuen
Müsse eine ganze Erde,
Dürfe einer solchen kleinen
Engen Liebe niemals pflegen;
Auch sei ihr gar sehr verhasset
Alles Heimliche, Verborgne!
Gut und schön sei nur was offen
Ausgesprochen, unverschleiert
Zeige sich vor allen Augen.

Ach, wir losen Elfchen haben
In dem hübschen Silberkähnchen
Sehr gekichert und gezittert
Nebenbei wohl auch ein wenig,
Als die Sonne dieses sagte.
Wir, des Mondscheins luft'ge Freundchen
Lieben gerade das Geheimniß,
Und Verstecken, Suchen, Rathen
Sind uns stets die liebsten Spiele.
Hast du es nicht auch erlebet,
Mußt du selbst es nicht gestehen:
Wie so bald sind alle Reize
Eines Glückes, das die Stille,
Die's gepflegt und großgezogen,
Abgestreift, entstellt, verblichen;
Wenn der dreiste Blick des Tages
Preisgegeben es der Menge? -
Hätt' ich einen Schatz, ich wollte
Wahrlich besser ihn verstecken
Als der arme Mond gethan.
Nein, kein Blick, kein einz'ger dürfte
Seine Schönheit mir belauschen!
Ja, belauschen nur, um neidisch
Sie hernach mir zu zerstören!
Denn so ist die Welt, die schlimme! -
Bin zwar nur ein kleines Elfchen,
Aber hab' doch manche Dinge
Schon erfahren und belauschet,
Weil ich mit den ätherleichten
Flüglein allenthalben flatt're,
Und in manchen Winkel husche.

Nun, ich glaub' es hätt' am Ende
Doch beruhigt sich die Sonne,
Da den Mond so sehr sie liebet
Und auch wohl der weißen Blume
War gewogen still im Herzen;
Doch ihr Schelten hatte leider
Eine ganze Schaar von Basen
Plötzlich sich herbei gezogen,
Böse, graue, schwarze Wolken;
Ganz meschante alte Jungfern,
Die mit Höckern auf dem Rücken
Und mit langen, langen Nasen
Und von Neid und Haß und Galle
Aufgeschwollen, aufgeblasen;
Waren gräulich anzusehen!
Ja, sie bersteten vor Bosheit,
Und da gab es ein Geklatsche!
Gab's ein Schelten und ein Brummen
Und ein tückisch' wildes Blitzen
Aus den grauen, falschen Augen!
O, wie häßlich angeschwärzet,
Wie verdunkelt und verfinstert
Wurde da der Mond, der Reine,
Daß auch nicht ein einz'ges weißes
Fleckchen mehr an ihm zu seh'n!
Und die Wolken nicht alleine
Auch ein alter rauher Oheim,
Von den Blumen Sturm geheißen,
Kam herbei, der hat getobet,
Hat gebrauset und gewüthet
Durch des Paradieses Garten;
Daß ich wahrlich glaubt' er wolle
Ihn bis auf den Grund zerstören.

In dem leichten Silberkähnchen
Hab' ich mich zur Noth gerettet
Mit den freundlichen Gespielen,
Aus dem grausen Ungewitter.
Ach, ganz bleich und ganz erschöpfet
Kamen wir zur Erde nieder,
Die wir arg verwüstet fanden,
Denn es hatte selbst die Sonne
In des Sturmes wildem Toben
Ihres Feuers Kraft verloren,
Ach, mit trüben matten Blicken,
Sah sie auf die Erde nieder,
Und da mußten freilich welken
Ihre Blumen, alle Bäume
Senkten klagend ihre Zweige.
Auch wir armen, zarten Elfchen
Ließen hängen uns're Flüglein,
Uns're lust'gen kleinen Flüglein -
Wie's doch eigentlich recht seltsam,
Traurig zugeht in der Welt! -

Und das Ende der Geschichte?
Fragt ich, als die Kleine finster
Schwieg und vor sich nieder schaute.

Ja, das Ende der Geschichte,
Sprach sie wieder, leis' aufseufzend,
War, daß meine zarte Blume
Von dem schönen Freund getrennet
Durch die strengen rauhen Mächte,
Von dem Sturm hinausgetrieben
Aus dem Paradieses-Garten,
Ist zerknickt in diesem Kampfe,
Ach zerknickt recht in der Mitte
Ihres liebereichen Herzens.
Ihre weißen Silberblüthen
Lösten sich in tausend, tausend
Kleinen, zarten, bleichen Flöckchen,
Und so sank sie, noch im Sterben
Hold und lieblich anzuschauen,
Auf die dunkle Erde nieder,
Einen weißen Leichenschleier
Breitend über das Gefilde.
Achtlos gehen rauhe Füße
Ueber sie, der Staub der Erde
Hat die reine Himmelsfarbe
Schonungslos schon oft beflecket,
Ihre Wärme ist entschwunden,
Und der Duft, der lebensfrische,
Der ein Paradies durchwehte,
Ist entflohn im Todessturme.

Aus den schwarzen Wolkenschatten
Hat ihr schöner Freund sich wieder
Rein und glänzend aufgeschwungen,
Seine hohe Bahn durchwandelt
Still und groß er, ohne Klage;
Doch wenn seine Blicke fallen
Auf den weißen Leichenschleier
Seines hingeschwund'nen Glückes,
Zittern sie in Schmerz und Liebe,
Und im Glanze dieser Blicke
Scheint sie wieder aufzuleben
Die zerstörte bleiche Blume,
Schön wie einst im Paradiese
Schimmern ihre weißen Blüthen,
Mit des Mondes Himmelsflammen
In ein heil'ges Licht zusammen.

Sieh, wie schön die Erde ruhet
In der stillen Todtenfeier
Dieser treuen frommen Liebe,
Die der Sturm nicht konnte löschen;
Die kein Raum vermag zu trennen!

Also sprach die kleine Elfe,
Küßte mich, und still und leise
Flog sie durch das Fenster wieder.
Ihre gold'nen Flüglein sah ich
Einen lichten Schimmer werfen
Durch des Gartens Laubengänge.
Doch ich stand noch lang und schaute
Still, wehmüthig in die weißen,
Lichtumflossenen Gefilde.
(1853)

aus: Gedichte von Katharina Diez
und Elisabeth Grube, geb. Diez
Stuttgart 1857 (S. 60-73)


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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Katharina_Diez


 


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