Edmund Dorer (1831-1890) - Liebesgedichte

Edmund Dorer



Edmund Dorer
(1831-1890)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 

 



Nachtgesang

Hab' dein gedacht
Die lange Nacht.
Ein Sternlein nur
An der Himmelsflur
Glänzt noch und wacht
In stiller Nacht.

Wie mir dein Bild
Gleich dem Stern so mild,
So freundlich lacht,
Doch bleibst du fern,
Mir gleich dem Stern
In dunkler Nacht.

Hab' dein gedacht
Die lange Nacht;
Bald geht wie du
Der Stern zur Ruh;
Mein Herz nur wacht
Die ganze Nacht.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 1)

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Gleich der Rose

Gleich der Rose auf den Auen,
Bist du Liebste anzuschauen!
Lieder preisen dich und Rose;
Zwar nicht wie im Abendgrauen
Rosenlob der Nachtigallen
Tönt mein Lied; doch auch im rauhen
Klang ist süß das Lob der Liebe.
Kann ich doch auf Nachsicht bauen,
Denn wer schwiege, dich erblickend
Gleich der Rose auf den Auen?
Daß dir nichts zu der genauen
Gleichheit mit der Rose fehle,
Seh' ich ach! im Aug' dir tauen
Thränen gleich dem Tau der Rose,
Und wie sie, betaut vom lauen
Äther, sich zur Erde wendet,
Schlägst du nieder, Frau der Frauen,
Auf den Boden deine Blicke.
Möge gleich dem Hauch, dem lauen,
Der vom Tau befreit die Rose,
Milder Glanz von schönen blauen
Augen dir die Thränen trocknen,
Daß wir immerdar dich schauen
Gleich der Rose auf den Auen.


Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 4-5)

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Worte und Thräne

Sprachst du viel von Lieb' und Treue,
Doch den Reden traut' ich nicht:
Täuschend sind gar oft die Worte,
Täuschen den sogar, der spricht.

Aber als in deinem Auge
Eine heiße Thräne stand,
Fühlt' ich bald, daß ihre Sprache
Meinen Zweifel überwand.

Aus dem Herzen kommt die Thräne,
Und sie täuscht die Herzen nicht;
Glänzt doch hell in ihr die Wahrheit,
Wie im Tau der Sonne Licht.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 5)

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Täuschung

Siehst du nicht am Seesstrande
In dem Zauberschloß die Fee?
"Nur ein Garten ruht am Lande
Und erblühet, wie ich seh."

Siehst du nicht des Herzens Wonne,
Ihrer Augen goldnes Licht?
"Ich erblicke nur die Sonne,
Die an weißer Wand sich bricht!"

Siehst du purpurn nicht die Wangen
Und die schönen Lippen glühen
Wie vor liebendem Verlangen?
"Bäume sind's, die rötlich blühen."

Siehst du nicht die Holde winken
Mit der Hand, so weiß wie Schnee?
"Silberflieder ist's; es sinken
Seine Blüten in den See."

Ach in meinem Aug' die Thräne
Sagt: Dein bittrer Mund spricht wahr;
"Was ich jetzt zu sehen wähne,
Sah ich einst vor manchem Jahr."

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 5-6)

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Unverbesserlich

Fast bezwang dich Liebesschmerz
Und von neuem glüht dein Herz?
"Eher liebend untergehen,
Als den Tod des Herzens sehen."

"Kaum entflohn dem Wellentod,
Steigt der Seemann in das Boot,
Zieht es vor im Meer zu sterben,
Als am Lande zu verderben."

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 6)

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Dunkel und Licht

Düstre Wolken, Wetterleuchten
In der schwülen Sommernacht;
Doch durch Dunkel und durch Blitze
Dringt des Mondes helle Pracht.

Liebste, wie ein Wetterleuchten
Zuckt in dumpfer Brust die Qual,
Aber in die dunklen Gluten
Lächelt deines Auges Strahl.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 6)

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Der Toreador

Junge Pappeln kann ich biegen,
Daß ihr Stamm in Splitter bricht,
Einen Stier kann ich bezwingen,
Doch dein Herz, Geliebte, nicht.

Schmettert, eherne Trompeten,
Öffnet schnell dem Stier das Thor!
Dir zu Ehren wird ihn fällen,
Spaniens kühner Toreador.

Sehe dort den Nebenbuhler
Glücklich ach! an deiner Brust,
Bin nun meines Sieges sicher,
Bin nun meiner Kraft bewußt.

Stürzt auf mich der Stier, der wilde,
Denk ich nur an den Rival,
Und ich bohre fest und sicher
In die Brust ihm meinen Stahl.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 6-7)

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Hoffnungsloser Schmerz

Bald beim Klang der Glocken, Liebste,
Führt mein Feind dich zum Altare;
Aber dann in stiller Kammer
Ruh' ich auf der Totenbahre!

Purpurn werden dir die Rosen,
Schöne Braut, das Haar bekränzen,
Während auf mein bleiches Antlitz
Traurig weiße Kerzen glänzen.

Fallen Blüten auf dich nieder
Bei dem Schall der Hochzeitslieder,
Wirft der Priester leise betend
Staub der Erden auf mich nieder.

Kommst du einst zu meinem Grabe,
Wirst du: Ruhe sanft! wohl sprechen
Oder meines Grabes Blumen,
Wie mein Herz, gefühllos brechen?

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 7)

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Der Wasserträger

Wasser bring' ich vom Gebirge,
Von des Berges reinstem Quell,
Kalt wie Schnee sind Quell und Wasser;
Kauft das Wasser klar und hell!

Aus dem Fenster schaut mein Liebchen
Mit den Augen licht und hell,
Wie das Wasser, mit den Augen
Kalt, wie auf dem Berg der Quell.

Aber ach! mein Herz, es flammet,
Und kein Wasser und kein Quell
Löschen meiner Liebe Gluten!
Wie sie lodern licht und hell!

Traun! Durch meiner Liebe Flammen
Wird am Ende noch der Quell,
Wird das Wasser Feuer fangen.
Kauft das Wasser, kauft es schnell!

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 8)

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Klage des Verliebten

Kopf, mein Kopf, wie warst du einstens
Wohlgeordnet, ruhig, friedlich!
Warst gar ähnlich einer Stube,
Wo die beste Ordnung waltet;
Alles liegt an seinem Platze,
Jegliches in seinem Fach.
Anders ist es, ach! geworden,
Ganz das Gegenteil von damals.
Seit die Liebe mich berückte
Und mir in den Kopf gestiegen,
Herrscht darin nun eine wahre
Tolle Junggesellenwirtschaft;
Alles liegt nun durcheinander,
Buntgemengt wie Kraut und Rüben
In der schrecklichsten Verwirrung;
Und dahin ist alle Stille,
Lärmen hört man es und poltern,
Just als würde jemand eiligst
Seinen Reisekoffer packen -
Und ich fürchte, dieser jemand,
Der sich abzureisen rüstet,
Ist am Ende mein Verstand.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 9)

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Der Epheu

Wie eine Rose, taugeschmückt, die Strahlen
Des neuen Morgens grüßt, erwachtest du,
Melitta; lächelst froh dem Tag entgegen,
Halb Kind, halb Jungfrau, blumenselig.
Der Frühlingsmorgen lockt dich in den Wald,
Bald hält sein kühles Dunkel dich umfangen,
Durch das nur flücht'ge Spuren lichten Goldes
Auf deinen Pfad der sonn'ge Himmel streut.
Und freudig grüßt dich der Gesang der Vögel;
Willkommen nicken dir die bunten Blumen,
Die aus dem Grün mit klaren Augen schauen.
Der Erde holder Frühling grüßt den Frühling,
Der dir im Herzen und im Antlitz glänzt.
So wandelst du dahin; da trifft dein Blick
Den stolzen Eichbaum, der zum Himmel ragt,
Indes um seinen Stamm des Epheu Ranken
Sich liebend winden, gleich als wollten sie
Mit zärtlichen Gekose fest ihn halten.
"Wie schön muß so ein Kranz von Epheu lassen,"
So sprichst du und die schönen Blätterranken,
Die glänzendgrünen, brichst du von dem Baum,
Und scherzest froh - du hörst die Klage nicht
Des Epheus, der mit schmerzlich bangem Flüstern
In seiner stillen Waldessprache trauert:
"Auf kalter Erde lag ich dumpfen Sinns,
Doch mich ergriff im Staub geheime Sehnsucht,
Zu suchen ihn, den Baum, den schönen, starken.
Ich fand den Hort, ich hielt ihn fest und fester
Und schmiegte innig mich an seinen Stamm.
Mit aller Kraft wand ich an ihm empor
Zu seinem Gipfel mich, der in der Sonne
Sich wiegt; so teilt' ich Licht mit ihm und Freude.
Sein Leben war das meinige geworden;
Mit ihm begrüßt' ich froh des Frühlings Nahen,
Der Kraft ihm gab, zu grünen und zu blühen,
Und freudig glänzten, seinen Schmuck zu mehren,
Die hellen Blätter, die mir reich entsproßten.
Und wenn der grimme Winter ihm geraubt
Des Sommers grüne Tracht, und seine Zweige
Der Schnee umfing, da schmückt' ich stets
Den kahlen Baum mit immergrünen Blättern
In fester Treue, die kein Unglück bricht.
Nun bin ich, ach! von meinem Hort getrennt,
Du hast gebrochen mich vom Baum der Liebe,
Und wenn ich nun zu flüchtig eitlem Schmuck
Die Locken dir, die jugendlichen, ziere,
So werd' ich bald verwelken und vergehen -
Mit meinem Tode ende bald mein Schmerz!
O möge, Maid, dir gleiches nie geschehen!
O möge nie des Schicksals kalte Macht,
Wie jetzt mich deine Hand, vom Freund dich trennen,
Dem sich dein Herz, dein Leben wird verbinden!
O fühle nie, was jetzt ich schwer empfunden!"
So spricht der Epheu leise; doch Melitta,
Die grünen Ranken sich zum Kranze windend,
Vernimmt in Lebenslust die Seufzer nicht;
Der Dichter nur, er hört die Stillen Klagen,
Dem stummen Schmerze will er Worte leihen;
Denn wie die Freude soll das Leid verklären
Sein Lied; es gleicht dem Tau, der strahlend schmückt
Die welken Blätter, wie die farb'ge Blüte.

* * *

So schrieb ich einst vor langen, langen Jahren.
Wie oft hat sich seit jenem Frühlingsmorgen
Der Baum im Lenz zu neuer Pracht verjüngt!
Wie oft hat wieder das Gewand, das grüne,
Der Winter ihm mit eis'gem Hauch geraubt!
Wie fest hat neuer Epheu ihn umschlungen
Im Lenz zum Schmuck, zum Trost in Wintertagen!
Nun lacht ein Frühlingsmorgen wie vor Jahren,
Und wieder gehst, Melitta, du im Wald,
Und wieder trennest du des Epheus Ranken
Vom Stamm der Eiche: aber keinen Kranz
Willst für das längstverbleichte Haar du flechten;
Nicht scherzend nahst du, nein, in stillem Ernst;
Es scheint der Epheu deinen Gram zu ehren
Und läßt von deiner Hand sich schweigend brechen.
Mit deinem Funde eilst du aus dem Dunkel
Der Wälder zu der off'nen Bergeshalde,
Wo in dem Morgenstrahl auf dunklen Gräbern
Die Kreuze reich im Schmuck des Goldes schimmern.
Dort stehst du still und weinst an einem Grabe,
Auf dem ein Kreuz auf weißem Marmor ruht.
Am Fuß des Denkmals gräbst du ein den Epheu,
Indessen deine Thränen ihn betauen;
Dann sprichst du seufzend zu den grünen Schossen:
"Hier an dem Marmor, unter dessen Stein
Mein Liebstes ruht, mein Glück, mein Leben,
Sollst wurzeln du, und neue Blätter treiben
Und aufwärts mit den grünen Zweigen ranken.
Und halte fest das Kreuz, des Trostes Zeichen,
So fest wie es mein Herz im Gram umfaßt!
So strebe auf zum Licht aus Grabesdunkel,
Gleich dem Gedanken, der aus Erdenweh
Zum fernen Himmel hoffend sich erhebt!"

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 9-12)

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Gleiches

Es fliegt mit sehnendem Verlangen
Der Falter in die Glut;
Ob ihn die Flammen auch umfangen,
Er stirbt mit frohem Mut.

Der Mensch begehrt mit gleichem Triebe
Zu enden seine Not.
Und seine Sehnsucht sucht dich, Liebe,
O Liebe, süßer Tod!

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 12)

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Schneeflocken

Sieh, Liebchen, im Feld die Linde!
Sie klagte gehüllt in Schnee;
Doch wie du gingst vorüber,
Verschwand ihr Winterweh.

Schneeflocken streute sie freudig
Wie scherzend zu deinen Füßen;
Sie glaubte, dir Blüten zu streuen,
Sie wähnte den Frühling zu grüßen.

Sie kam nicht eher zu Sinnen,
Bis du vorübergegangen;
Nun trauert sie wieder und fröstelt,
Mit kaltem Schnee behangen.

Aus: Edmund Dorer's Nachgelassene Schriften
Herausgegeben von Adolf Friedrich Graf von Schack
Erster Band Dichtungen - Übersetzungen
Verlag von L. Ehlermann Dresden 1893 (S. 14)

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Der Sieg der Liebe

Mit Waffe nicht, die an die Waffe klingt,
Will Liebe je, um was sie kämpft, entscheiden;
Sie wird sich nicht in nied're Täuschung kleiden,
Mit dem die Schwachheit mit der Stärke ringt.

Weil aber Kampf erst wahren Frieden bringt,
Kann sie zwar nicht der Trennung Streit vermeiden;
Doch will sie siegen nur durch eig'ne Leiden,
Da sie allein ihr eigner Wille zwingt.

Die Liebe nimmt vom Haupt die Sternenkrone,
Weil Mitleid steht an ihrem ew'gen Throne,
Und nahet menschlich sich dem Erdensohne.

Doch dieser, von der Eigensucht verwöhnt,
Hat stets mit frechem Witze sie verhöhnt,
Mit Dornenkränzen spottend sie gekrönt.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 5)

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Wahres Eigen

Die Liebe deucht uns arm nach äußerm Schein,
Doch liegt in ihr des Reichthums Schatz verborgen;
So taucht aus bleicher Luft der gold'ne Morgen
So ruht in dürft'gem Grund der Edelstein.

Nur, was du liebest, nennst mit Recht du dein;
Was Denken dir errang, was dir in Sorgen
Der Arm erschafft, hat dir Natur geborgen,
Das wird Besitz, nicht Eigenthum dir sein.

Was du gedacht, das magst du schätzbar finden;
Was du erwarbst, das magst du froh empfinden,
Doch was du liebst, das kannst du überwinden.

Und was du liebst, muß ganz sich dir ergeben;
Es waltet fort und fort in deinem Leben,
Wie Sonnengluth im Feuersaft der Reben.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 6)

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Offenes Geheimniß

Das Herz ist stumm dem spähenden Gehöre,
Noch zweifelnd, ob es jemals kann genesen;
Doch schweigend offenbart es mehr sein Wesen,
Als wenn es Redekunst zum Hort erköre.

Daß nicht ein Laut des Schatzes Hebung störe,
Sucht Liebe stets in Blick und Ton zu lesen;
Sie sehnt sich nicht nach Redeantithesen,
Weil sonst an Kraft des Schweigens Kunst verlöre.

Wie könnte auch des Rhetors schwache Kunst,
Im Redeprisma jene Strahlen sammeln,
Die in der Brust der Liebenden sich brechen!

Drum ringe schweigend um der Liebe Gunst,
Dann deucht die Sprache nur ein eitles Stammeln,
Wenn Blick und Auge dir zum Herzen sprechen.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 8)

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Nähe und Ferne

Vergleiche ich, was ich von dir gedichtet,
Mit deiner Anmuth, deiner holden Nähe,
Scheint's mir, als ob ein leichter Hauch verwehe
Des Liedes Leben, das von dir berichtet.

Von deiner Schönheit wird mein Lied gerichtet,
Und keine Kunst verhindert, wie ich sehe,
Daß ihm es besser, als dem Monde gehe,
Den stets der Sonne nahender Strahl vernichtet.

Doch wie der Mond, dem ich das Lied verglich,
In Klarheit leuchtet, wenn in Westens Dunkeln
Die Tageskönigin in Schlummer ruht,

So scheint's mir, hält die finst're Ferne mich
Von dir getrennt, das blasse Lied zu funkeln,
Es glänzt in ihm ein Strahl von deiner Gluth.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 9)

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Die Sprache des Schweigens

So süß, wie oft aus dicht verschlung'nen Zweigen
Der Sterne Huld die gold'nen Strahlen streute,
Und irrem Wandrer Heil und Tröstung beute,
Erschienst du mir, des Glückes Pfad zu zeigen.

Ich mußte freudig deinem Glanz mich neigen,
Weil sich mein Blick in deinem Licht erneute;
Doch schwieg der Mund, wie sehr das Herz sich freute;
Verwundert sah ich dich und mußte schweigen.

Und wenn ich jetzt, begeistert von der Minne,
Auf Bild und Worte dich zu schildern sinne,
Daß mein Gedanke neu dich stets gewinne,

Kann jede Silbe nur, warum ich schwieg, beweisen,
Wie könnten Worte, Bild und Liederweisen
Dich inniger, als jenes Schweigen preisen?


Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 10)

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Dezember

Es herrscht Dezember wolkenfeucht und rauh;
In Nebelschleiern, die sich rings ergossen,
Liegt jetzt der Schöpfung bunter Schein verschlossen;
Das Auge kränkelt in dem Nebelgrau.

Entbehrt der Blick des Himmels süßes Blau,
Verlangt er nach den glühenden Geschossen
Des Frühlings, ihren blühenden Genossen,
Und was sie beide stärkt, dem Morgenthau.

Doch wenn mein Blick in deinem ruhen könnte,
Indem er lebt, wie in der Lüfte Fächeln
Die Brust, er würde nicht in Sehnsucht glühen.

Wenn solches ihm die Huld des Schicksals gönnte,
Vermißte willig er der Sonne Lächeln
Und was ihm Antwort giebt, der Erde Blühen.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 12)

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Pilgerfahrt

Was kann die Erde mir noch weiter geben,
Seit in der Liebe sich mein Geist gefunden?
Ich fand sie nicht allein, denn fest verbunden
Sind Liebe, Schönheit, Poesie und Leben.

Seit diesen Mächten huldiget mein Streben,
Hab' ich des Daseins tiefen Sinn empfunden,
Ich schaue wie im Traum vergang'ne Stunden,
Und Schmerz und Irrthum muß sich mir ergeben.

Gleich einer Pilgerreise voll Beschwerde
Erscheint das Leben mir; um sie zu finden,
Betrat mein Geist den Boden dieser Erde.

Jetzt darf ich froh der Wallfahrt Ziel empfinden,
Und ob ich bald zu nicht'ger Asche werde,
Wird mir kein Tod das stolze Glück entwinden.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 13)

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Metamorphose

Der Sterne Reich, die irdischen Gefilde
Beherrschte einst der Märchengeist; als Blüthe,
Als Stern verschied das Herz, das schmerzlich glühte,
Zum Menschen ward der Rose Duftgebilde.

Des Märchenschicksals launigbunte Milde
Hegt noch Natur im innersten Gemüthe,
Die Wunder einer längstverklung'nen Mythe
Erblickt die Gegenwart in klarem Bilde.

Der Sehnsucht Macht entfesselt von den Schranken;
Des Staubs Genosse wird vom Staub sich trennen,
Bald ruht der Schmetterling im Duft der Rosen.

Zum Liede werden liebende Gedanken,
Das Lied verstummt im Kuß, daß wir erkennen
Der Liebe liebliche Metamorphosen.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 14)

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Der Frühling

Der Götterknabe naht auf blühenden Schwingen;
In seinen Anblick ist die Welt versunken;
Aus Aetherblau, aus Blumen und aus Funken
Der neuen Sonne webt er Zauberschlingen.

Bald wird sein Zauber jedes Herz durchdringen,
Bald feiert ihn die Erde wonnetrunken;
Doch mag er auch mit tausend Siegen prunken,
Der Liebe Kunst kann seinen Stolz bezwingen.

Die Liebe kann mit stärkerm Zauber binden;
Aus sanften Blicken, sehnendem Verlangen,
Weiß sie das allerstärkste Band zu winden.

Sie hält dich fest und fester; es verschwinden
Dem Aug' der Sonne und der Blumen Prangen;
Ein schön'rer Frühling hält dein Herz umfangen.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 15)

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Der Liebe Ruhm

Die Liebe ist's, die hier zum Streite ruft;
Der Held gehorcht, er will im Kampf gesunden,
Ihr Lächeln ist der Balsam seiner Wunden,
Und mit dem Lorbeer schmückt sie seine Gruft.

Dort küßt sie in der Rosen üpp'gem Duft
Des Sängers Mund; er hat den Gott empfunden;
Des Schweigens ist die Lippe jetzt entbunden
Und von Gesängen tönt die Frühlingsluft.

Kein Spott kann ihrer Hoheit Ruhm erniedern;
Ihr Athem nährt der Lieder gold'ne Saaten,
Der Held muß handelnd ihre Gunst erwiedern.

Drum kann der Liebe nie die Welt entrathen;
Im Buch des Lebens glänzt in leichten Liedern
Ihr Ruhm, und spiegelt sich in schweren Thaten.

Aus: Sonette von Edmund Dorer
Dresden 1858 Druck von B. G. Teubner (S. 16)

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Edmund_Dorer




 

 


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