Komm zu mir in der Nacht -

wir schlafen engverschlungen . . .

Else Lasker-Schüler (1869-1945) - Bilder / Gedichte / Prosa
 


Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Die Töchter des Emirs von Afphganistan




Die weiße Georgine
 

Manchmal finde ich eine noch unaufgeblühte Blume am Fuß eines Hauses auf dem Trottoir oder auf dem Markplatz liegen, meist zusammengekehrt mit Abfällen von Gemüsen und wurmstichigem Obst. Es ist etwas so recht Trauriges, eine geknickte Rose oder eine glühende Nelke oder von seinem Stengel gelockerten, noch gesunden, gelben Löwenzahn zwischen faulgewordenen Nahrungsmitteln zu finden. - Und - erst ein flehendes Vergißmeinnicht! Ich hebe heimlich die arme verlorene Blume auf und trage sie in mein Zimmer. Manchmal bemerkt es ein Mensch und dann trifft mich regelmäßig - der selbe und erstaunte und fragende Blick und das überlegende, wohlwollende Lächeln eines Auges, das gutmütig darüber zu schweigen verbürgt. Ich aber bin beglückt die liebe Blume in meiner Hand zu tragen - wie man sich auch eines verirrten Kindleins erbarmt oder einen Vogel aufhebt und ihn zurücklegt in sein Nest. Ich liebte die weiße Georgine, die ich fand, verschmachtet am Rinnstein der Gasse. In meiner Hand bräunlicher Schale trug ich sie heim - und oft lächelten wir uns an - ich und die Georgine. Wärme wehte um mein sehr entlaubtes Herz, in der Zeit sich die kleine Blume erholte. Ach - ich fühlte mich ja so vereinsamt unter den vielen Spaziergängern und wünschte so manchmal zwischen Sonnenstrahl und Sonnenstrahl . . . wenn doch nur eine Dolde wieder am Zweig meines Lebens aufgolden möchte! Mit besonderer Obhut badete ich, in meinem Zimmer angelangt, die weiße Georgine. Prüfte den Grad des Wassers gewissenhaft mit den feinnervigen Fingerspitzen; mir war die schon arg mitgenommene Blume anvertrautes Gut. Ich stellte sie in mein weites Wasserglas und das Wasserglas über mein Waschbecken zu den Dingen, die ich benötigte am Morgen, mich für den Tag zu erfrischen und zu stärken. Mein großer Schwamm neben der Seife im Hochparterre, zwischen Bassin und Glasscheibe, glotzte mit seinen vielen Augenlöchern heimlich und heilig empor zu meiner Findelblume weißer Glorie. Ich beobachtete es mit Genugtuung; ebenso den, wenn auch etwas steifen Knicks meiner kleinen Zahnbürste. Mein Kamm jedoch hatte sich auf den ersten Blick in meine weiße Georgine verliebt. Ich weiß noch von dem Gespräch zu erzählen, das zwischen der netten Verkäuferin und mir, sich an den mir erstandenen Saphir knüpfend, entspann. Ich anvertraute dem jungen Fräulein, daß für mich der kleinste Laden einer Stadt oder eines Dorfes - ein Spielladen bedeute, dessen Ware, und handle es sich auch um Scheuertücher und Besen, Staubwedeln - sich in Spielsachen zum Verweilen zwingt. Ich sehr oft sogar Mühe habe, mich weiter zu bringen von dieser oder jener Ladenweide. "Müssen Sie noch glücklich sein können, liebe Dame!" So meinte das Fräulein, und wir kamen überein, daß Menschen mit erwachsenen Augen sich doch schrecklich langweiligen. - Ich habe es sehr, sehr begrüßt, da sich meine weiße Georgine für meinen blauen Kamm ebenfalls innig zu interessieren schien. Und selbst empfand ich ja eine so große Freude, wenn ich ihn durch meine dunklen Haare gleiten ließ. Nur die Seife schäumte heftiger! Das viele Geflüster machte sie nervös. Ich aber lauschte gespannt über den Alltag aller reinigenden Dinge gelehnt, den Worten des blauen Kamms und seiner Georgine. Sagte ich es einmal - oder sagte es ein anderer? Alle Dinge, mit denen man sich liebend umgibt, beginnen zu leben. Und wie erst - mag Gott seine Welt und alle Geschöpfe geliebt haben. - In den runden Mond guckte ich eine Weile und war keineswegs, wie die beiden Verliebten annahmen, ins Cinema spaziert, um so bald nicht wieder heimzukommen. Aber ich glaubte wirklich auf dem Mond zu sein - - da ich meinen Kopf zurückbog und in meinen Raum schaute die Georgine aus dem Wasserglase gestiegen . . . .  oder gerade im Begriff, es zu verlassen. Nur die Taube, die am Abend sich ihr Brotgoulasch noch spät von meinem Fensterbrett holt, ist mein geflügelter Zeuge. Aber einem Vogel glaubt ja kein Mensch. Darum beteure ich, es war die süßeste Stimme, an die sich je mein Ohr erinnerte, als meine Georgine zu sprechen begann. "So blau wie du bist" - sagte sie zu meinem Kamm, "denke ich mir das Paradies." . . . Darauf wagte der blaue Kamm in aller Bescheidenheit zu entgegnen: "Und so weiß wie du bist, liebe Georgine, wünschte ich mir immer eine Hand, die mich durch die seidige Flut lieblicher Staubfäden gondeln ließ." "Meine Mutter kam im Paradies zur Welt, erzählte Georgine dem Kamm. Ganz nah am Meerbusen, am Meerbusen" . . .  Wiederholte poetisch meine schwärmerische Blume. Mitten auf dem Rasen in Eden hatte der Gärtner meine Mama gesäet. Mein Kamm zeigte seine tiefblauen Zähne, bevor er wagte seine Scheheresade zu unterbrechen: "Ich bin nur ein Kamm, wenn auch ein blauer - und es kommt mir gewiß nicht zu, eine Georgine, dazu noch eine weißduftende, in ihrer Erzählung zu unterbrechen, aber wissen möchte ich doch, zumal ich in deinen Worten keinen Zweifel hege, welche Magie dich aus dem überirdischen Lande deiner hochverehrten Frau Mutter hier in das irdische Leben verpflanzte?" Ich habe meinem Kamm trotz seiner Bläue diese vollendete Sprache und Geste nicht zugetraut. "Lieber Kamm", lächelte schwermütig die geschmeichelte Georgine, "frage nur immerhin, aber blicke mal schnell empor in die Wolken! Gerade fallen ein paar Sterne auf die Erde! Und wie denen, - erging's meiner schönen Mama.

Und stände ich im Paradies
Und könnte dichten -
Ich reimte heute ein Gedicht wie dies."

"O"! Rief der blaue Kamm begeistert und weiter sagte er nichts. Und da die weiße Georgine nicht ganz zufrieden mit der kurzen Aeußerung ihres verliebten Nachbars zu sein schien, fragte sie der Kamm, welche unter den Blumen wert, ihre liebste Freundin zu sein? Da erinnerte sich Georgine an ihre liebste Vertraute, an die Fingerhutblüte. "Die Elfen setzen sie auf ihren zarten Finger, wenn sie sich aus Spinngeweben und Pusteblumenhaar ein Kleid nähen." "Wie schön du zu erzählen weißt", komplimentierte ohne aufzuhören der Kamm und er sah im Geist die weiße Georgine - ein weißes Silberstäubchen aufsteigen. "O!" Rief zum zweiten Mal der blaue Kamm. Und meine Georgine begab sich, wieder scheints etwas ermüdet, doch huldvoll und huldigend in ihr Wasserglas, in ihren kleinen gläsernen Wohnraum. Und beide kamen überein, der Kamm und seine Georgine, Sterne zu werden - und solche, genau solche, die man durch das geöffnete Fenster am Himmelszelt glitzern sehen konnte. "Es muß schön sein," meinte Georgine, "ein Lebenlang zu glitzern" . . . . .  "Und nie würden wir vom Himmel fallen, ich noch du, meine weiße Milchstraße . . . .  Die Menschen mögen sich gefälligst auch ohne unser Zutun etwas wünschen."

Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe Kritische Ausgabe
Band 4: Prosa 1921-1945 Nachgelassene Schriften
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 (S. 273-276)

 

 


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