Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Gabriello Chiabrera (1552-1638)
italienischer Dichter



Die Geliebte mehr als Aurora

Wenn Auror' in Osten strebt
Hold die Sonne zu enthüllen,
Seh'n wir, wie aus Meeres Stillen
Sie im Strahlenkleid' sich hebt,
Wie vor ihrem Feuerbecken
Scheu die Sterne sich verstecken.

Ew'ge Ros' und Lilie schmückt
Funkelnd ihr die schönen Haare,
Deren Gold in heller Klare
Uns die schwarze Nacht entrückt;
Frischer Lüfte sanftes Wehen
Läßt im Geist nicht Trau'r bestehen.

Doch der schöne Wagen zeigt
Luft entzündende Rubinen,
Und die Ross' hat Gold beschienen
Das vom Zügel niedersteigt;
Wiehern tönt mit muth'gem Rufe
Und der Himmel dröhnt vom Hufe.

Hin und her geschüttelt wallt
In der Linken rasch ihr Zügel;
Werden laß der Rosse Flügel,
Hebt die Geißel sie alsbald;
Doch wie sie's nur klatschen hören
Kann nichts ihrem Laufe wehren.

Fährt sie so in hoher Pracht,
Muß vor ihr der Weh erblühen,
Gold die Wolken überziehen
Und der Thau im Rasen lacht;
Wenn die Himmlischen sie schauen,
Füllet Neid die Götterfrauen.

Vor Aurorens Schönheit weicht
Was am Höchsten wird gehalten;
Doch wird von der Göttin Walten
Meine Huldin nicht erreicht,
Du, Aurora, wirst verdunkelt,
Wenn ihr Feu'r in's Herz uns funkelt.
(S. 414-415)
_____



Frühlingslied

Der Schnee zerschmilzt, der Frühling kommt
Mit seiner Blumen Schar,
Und Busch und Baum ist jung und grün
Und blühend, wie er war.
Von Bergen rauscht der Strom nicht mehr
Mit wilder Fluthen Fall;
In seinen Ufern murmelt er,
Ein schleichender Kristall.

O Ewigkeit hienieden sei,
Zeigt Jahr's- und Tages-Lauf;
Die Sonne die jetzt niedergeht
Steht morgen wieder auf.
Was steiget, fällt; in kurzer Frist
Kommt wieder auf was fällt;
Der Mensch, der einmal drunten ist,
Sieht nimmermehr die Welt.

Und was sein Gut hienieden sei?
Ist, der's ihm sichern kann?
Schnitt Lachesis nicht heute ab
Was Klotho gestern spann?
O Elend, o Gebrechlichkeit,
Auf Tand und Nebel baun!
Des Todes zu gewissem Streich
Im Ungewissen traun.

Nur Traum, nur Traumglückseligkeit
Ist nieden unser Theil!
Müh' ist das Leben, ach! und fleucht
Wie ein verschoß'ner Pfeil.
Des Himmels Wohnungen, o ihr,
Mein ew'ges Vaterland,
Ein matter Fremdling auf der Welt
Streck' ich nach euch die Hand.

Wer leiht mir Flügel? ach! wer gibt,
Zu schwingen mich von hier,
Dem kranken Geiste neuen Muth
Und neue Kräfte mir?
Wohlan, kein Erdgedanke mehr
Keim' in dir auf, o Herz!
Zeit ist's, auf's Beste nur zu schau'n,
Zu denken himmelwärts.
(S. 415-416)
_____


Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]


 


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