Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Arturo Colautti (1851-1914)
italienischer Dichter




Der jungfräuliche König

"Zu mir, beschwingte kriegerische
Töchter des Sturms! Zu mir aus den Waldungen
Germaniens, ihr Jungfräulichen!
Bleiche Undinen, zu mir! Einen Weiberkuß

Von Lippen, welche sterblich sind,
Verschmäht' ich stets und das Fleisch, das ersättiget.
Der Lohn der unvergänglichen
Schönheit gebühret mir!" - So an dem schattigen

Gestad des Sees, des schlummernden,
Unter den Schauern des leise erglimmenden
Halbmondes, während über ihm
Die leichtbeweglichen Platanen säuselten,

Den Schlummer störend zärtlichen
Tauben, der rieselnden Waldbäche Klagelied,
Lachender Wellen Plätscherlaut,
Rief Nachts ein blühender Fürst voll Begeisterung.

Lebt wieder auf der Dänenprinz,
Der Sohn der Dämmerung, der kranke Grüblergeist,
Im Wandrer, dem phantastischen,
Am Seestrand? Oder ist noch einmal Faust erwacht

Und wagt von Mephistopheles
Zu fordern weißere Jungfraun voll Sinnenglut?
Wie, oder ist der sächsische
Sänger des Minnelieds, von Rom zurückgekehrt

Ohn' Ablaß, und die ewige
Venus, vergessend den Schmerz einer anderen
Unglücklichen Elisabeth,
Fleht er um brennende Küsse? Doch hörten schon

Des Sees wachsame Genien
Den Ruf; es öffnen schon den zarten Blütenkelch
Die Blumen rings dem Falterkuß,
Und auf den Wellen hin zittert das Lockenhaar

Der Trauerweiden. Schwermuthsvoll
Rudert im Schatten der Vogel des Lohengrin.
Zu mir, zu mir! so tönen rings
Stimmen des Wiederhalls. Sieh, wie die Wolke dort

Den Mond verfolgt, den Wanderer,
Im milden Hasten, den stolzen Walkyren gleich.
Den Wald durchbeben wundersam
Uralt melodische Sagen von Heldenkraft,

Wie Siegfried sie begleiteten
Gegen die Drachenbrut, die feuerspeiende,
Zur schlafbefangnen Jungfrau hin,
Trotz Odin's Vaterzorn. Und bei dem dürftigen

Lichtschimmer des verwittweten
Gestirns, ätherischem Schneeglanz und mystischer
Umflorung, nehmen menschliche
Gestalt die Stürme, die Ufer und Felsen an.

Wie durch den Trank der thörichte
Unschuld'ge Parzival dorten im Zauberhain
Glaubt' in den Büschen blühende
Gestalten, tanzende Weiber zu schauen, die

Ihm winken, während unsichtbar
Musik ertönt, und der Hymnus an Venus, der
Verlockt zu toller Sinnenlust,
Den zwischen Ketten von Rosen Tannhäuser einst

Anstimmte, - von verborgenen
Spiegeln, von grünenden Pfaden und Betten, die
Feucht sind, wie sie die Willis liebt,
Erhebt, verbreitet sich, herrscht ein Triumpfgesang.

Und sieh, bei diesem Feierklang
Auf einmal spaltet sich tatsächlich stahlblanke Seeflut;
Drei Jungfraun tauchen hüllenlos
Herauf. Ihr Lockenhaar umflutet umbrafarb

Die glatten Schultern, triefend von
Silbernen Tropfen, auf schmiegsamen Hüften ruhn
Gleich Henkeln einer Amphora
Die Arme, Epheulaub kränzet die strotzenden

Brüste, und wie die freudigen
Töchter des goldenen Rheins zwischen Strudeln einst
Gethan dem tückischen Nibelung,
Mit Winken laden den arglosen Buhlen sie,

Und "Steig hernieder!" singen sie.
"Herab, jungfräulicher König, du keuschester,
In unser grünes Bette komm!
Die Seefraun lieben dich, o Ludwig Wittelsbach!"
(S. 183-186)
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Helena

Wie ein Altar dampft Ilion empor,
In das voll Blut Achäerrache zieht.
Priamus starb, sein frommer Sohn entflieht,
Helena blieb, die jeden Freund verlor.

Ihr grimmer Gatte stürmt vom skäischen Thor
Und ruft nach ihr, die ehrlos ihn verrieth.
Voll ist der Sieg erst, wenn auch sie verschied,
Die über Hellas so viel Weh beschwor.

Dem Windeshauch den stolzen Busen offen,
Dem Schicksal trotzend, steht die Wunderschöne
Hoch aufrecht auf dem rauchenden Felsengrund.

Der Wilde stutzt, von diesem Glanz betroffen,
Denkt nicht des Tods so vieler Hellassöhne,
Und statt des Schwerts trifft ihre Brust sein Mund.
(S. 186)
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Eva

Die du zuerst zu lügen dich erfrecht,
Geheime Wollust in der Sünde spürtest,
Und gottlos die verbotne Frucht berührtest,
Dich zeichnete der alte Seher schlecht.

Falsch ist der Bibel Wort. Erwäg' ich's recht:
Dein Liebreiz war's, mit dem du Flammen schürtest,
So weit die Erde reicht, und du verführtest,
Die schöne Schlange, deines Willens Knecht.

Nicht von dem blöden Adam stammen wir,
Den schreckt' ein Äpfelchen; nein, wir entsprossen,
Ein unstät lüsternes Geschlecht, dem Teufel.

Du hast nach allem Schönen die Begier
Uns eingeflößt, die Lust an süßen Possen,
Sodann den frevlen Hochmuth und den Zweifel.
(S. 186-187)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)

Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang Neue Folge
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 5
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 2002
(Nachdruck der Ausgabe Stuttgart Berlin 1905)


 

 


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