Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Girolamo Fracastoro (um 1476/78-1553)
italienischer Dichter



Die Geburt der Geliebten
(Sonett)

Es waren Engel, Sonne, Mond zugegen
Im Paradiese an der Urkraft Quelle,
Als in dir schlug des Lebens erste Welle,
Und schon umstrahlt' dich holder Schönheit Segen.

Hell war der Tag, kein Lüftchen ließ sich regen;
Es lächelt Zeus in seiner Himmelszelle,
Und Amor, süßer Grazien Geselle,
Schaut nur auf dich, die einst ihn sollte hegen.

Ein hohes Wunder ist darauf geschehen:
Der Schönheit Form stieg von dir auf nach oben,
Als aller Schönheit Urbild dort zu leben.

Sind holde Reiz' an Andern auch zu sehen,
Sind Auge, Hand und Antlitz auch zu loben,
Die Schönen kann dein Vorbild nur beleben.
(S. 330)
______



Madrigal

Die Schäferin, die mich zu Lieb' entzücket,
Kehrt freundlich heim zu ihrer Hütte,
Wenn Helios sich ins Meer verfügt,
Und drückt den Kranz, den sie gepflücket,
Dann meinem Widder auf des Hauptes Mitte,
Der stolz ihn auf den Hörnern wiegt,
Und andere im Schmucke so besiegt,
Daß Phryxus Widder, heller Stern der Nächte,
Mit meinem Kranz und Vließ vertauschen möchte.
(S. 330-331)
_____



Die Schönheit der Geliebten
(Sonett)

Tritt unter holde, seltne, kluge Frauen,
Die aller Anmuth Reize süß umweben,
Die Liebliche, den Stern von meinem Leben,
So gleicht ihr nichts auf Erd- und Himmels-Auen,

Und Alles ist ihr unterthan zu schauen;
Wie wenn Sols Strahlen sich dem Meer' entheben,
Die alte Bahn des Glanzes zu erstreben,
Die Stern' entweichen aus des Himmels Gauen.

Lucrezia und Helena mögen nahen,
Und alle Frauen alt und neu gepriesen,
Sie wird vor Jeder sich den Preis erringen.

Drum muß vor Jovis Lieb' mich Furcht umfahen,
Er wolle sich die Schöne auserkiesen,
Sie neben sich auf goldnen Thron zu bringen.
(S. 331)
_____


Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]


 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite