Albert Giraud (1860-1929)
belgischer Dichter
Aus: Pierrot Lunaire
Der Dandy
An Herman Bahr
Mit einem phantastischen Lichtstrahl
Erleuchtet der Mond die krystallnen Flacons
Auf dem schwarzen, hochheiligen Waschtisch
Des schweigenden Dandys von Bergamo.
In tönender, bronzener Schale
Lacht hell die Fontaine, metallischen Klangs.
Mit einem phantastischen. Lichtstrahl
Erleuchtet 'der Mond die krystallnen Flacons.
Pierrot mit dem wächsernen Antlitz
Steht sinnend und denkt: wie er heute sich schminkt?
Fort schiebt er das Rot und des Orients Grün
Und bemalt sein Gesicht in erhabenem Stil
Mit einem phantastischen Mondstrahl.
(S. 3)
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Colombine
An Heinrich Rickert
Des Mondlichts bleiche Blüten,
Die weissen Wunderrosen,
Blühn in den Julinächten —
O bräch ich eine nur!
Mein banges Leid zu lindern,
Such ich am dunklen Strome
Des Mondlichts bleiche Blüten,
Die weissen Wunderrosen.
Gestillt wär all mein Sehnen,
Dürft ich so märchenheimlich,
So selig leis — entblättern
Auf deine braunen Haare
Des Mondlichts bleiche Blüten!
(S. 10)
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Galgenlied
Die dürre Dirne
Mit langem Halse
Wird seine letzte
Geliebte sein.
In seinem Hirne
Steckt wie ein Nagel
Die dürre Dirne
Mit langem Halse.
Schlank wie die Pinie,
Am Hals ein Zöpfchen —
Wollüstig wird sie
Den Schelm umhalsen,
Die dürre Dirne!
(S. 17)
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Enthauptung
An Alfred Oehlke
Der Mond, ein blankes Türkenschwert
Auf einem schwarzen Seidenkissen,
Gespenstisch gross — dräut er hinab
Durch schmerzensdunkle Nacht.
Pierrot irrt ohne Rast umher
Und starrt empor in Todesängsten
Zum Mond, dem blanken Türkenschwert
Auf einem schwarzen Seidenkissen.
Es schlottern unter ihm die Knie,
Ohnmächtig bricht er jäh zusammen.
Er wähnt: es sause strafend schon
Auf seinen Sünderhals hernieder
Der Mond, das blanke Türkenschwert.
(S. 24)
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Rot und Weiss
Kalte, feste, starrende Brüste,
Scharf umrahmt von schimmerndem Purpur!
Lüstern zittert Pierrot, der Feigling,
Vor seiner Herrin dräuender Nacktheit.
Siech und lechzend wirft er zu Boden sich,
Kniet und schaut empor zu den schneeigen
Kalten, festen, starrenden Brüsten,
Scharf umrahmt von schimmerndem Purpur.
Ernst und schweigend streckt die Gebieterin
Nach Pierrot die geschmeidigen Hände aus.
Langsam wühlt sie die Finger ins lockige
Haar und presst sein fieberndes Haupt an
Kalte, feste, starrende Brüste.
(S. 25)
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Rote Messe
An Felix Hausdorff
Zu grausem Abendmahle,
Beim Blendeglanz des Goldes,
Beim Flackerschein der Kerzen,
Naht dem Altar — Pierrot!
Die Hand, die gottgeweihte,
Zerreisst die Priesterkleider
Zu grausem Abendmahle.
Beim Blendeglanz des Goldes.
Mit segnender Geberde
Zeigt er den bangen Seelen
Die triefend rote Hostie:
Sein Herz — in blutgen Fingern —
Zu grausem Abendmahle!
(S. 29)
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Gebet an Pierrot
An Otto von Grote
Pierrot! Mein Lachen
Hab ich verlernt!
Das Bild des Glanzes
Zerfloss — zerfloss!
Schwarz weht die Flagge
Mir nun vom Mast.
Pierrot! Mein Lachen
Hab ich verlernt!
O gieb mir wieder,
Rossarzt der Seele,
Schneemann der Lyrik,
Durchlaucht vom Monde,
Pierrot — mein Lachen!
(S. 31)
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Pantomime
An Johannes Schlaf
Leuchtend glüht Italiens blauer Himmel,
Einem bunten Lügenzelt vergleichbar:
Spannt sich über eine seltne Bühne,
Duftig — wie ein wunderliches Traumbild!
Er verschwimmt in unbestimmte Fernen,
Wie verhüllt von luftgewobenen Gazen.
Leuchtend glüht Italiens blauer Himmel,
Einem bunten Lügenzelt vergleichbar.
Colombinchen trippelt auf die Bühne,
Horcht bald rechts, bald links in die Coulissen:
Irgendwo, versteckt in Lorbeerbüschen,
Singt Pierrot sein schwermutreiches Locklied . . .
Leuchtend glüht Italiens blauer Himmel.
(S. 37)
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Das heilige Weiss
An Ernst von Wolzogen
Das Weiss der Schwäne und des Schnees,
Das Weiss der Lilien und des Mondes
Galt zu Pierrots entschwundnen Zeiten
Als vierfach heiliges Symbol.
Es herrschte mit geweihten Zeichen
In seinen mystischen Feerien
Das Weiss der Schwäne und des Schnees,
Das Weiss der Lilien und des Mondes.
Verachtung alles niedren Glücks,
Verachtung aller Sklavenseelen
Gebot mit hehrer, stummer Macht,
Durch eigne Reinheit triumphirend,
Das Weiss der Schwäne und des Schnees!
(S. 40)
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Parodie
Stricknadeln, blank und blinkend,
In ihrem grauen Haar,
Sitzt die Duenna murmelnd,
Im roten Röckchen da.
Sie wartet in der Laube,
Sie liebt Pierrot mit Schmerzen,
Stricknadeln, blank und blinkend
In ihrem grauen Haar.
Da plötzlich — horch! — ein Wispern!
Ein Windhauch kichert leise:
Der Mond, der böse Spötter,
Äfft nach mit seinen Strahlen —
Stricknadeln, blink und blank.
(S. 42)
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Moquerie
Der Mond gleicht einem blassen Horn
Am duftig blauen Himmelszelte,
Cassander mit dem Kahlkopf schaut
Misstrauisch zu ihm auf.
Verstimmt schiebt er im Weitergehn
Sein letztes Haar mehr in die Stirne —
Der Mond gleicht einem blassen Horn
Im duftgen Himmelsblau.
Mit ängstlich scheuem Aug bewacht
Er Colombine, seine Frau,
Die neben ihm, an seinem Arm,
Oft nach Pierrot zur Seite schielt . . .
Der Mond gleicht einem Horn.
(S. 43)
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Souper
An Julius Hart
In einer müden Gondel
Auf dunkelblauer Flut
Sitzt traut mit Colombine
Pierrot beim roten Wein.
Johanniswürmchen leuchten
Als ihres Haars Demanten —
In einer müden Gondel
Auf dunkelblauer Flut.
Der Mond in seiner Güte
Giesst all sein Gold hernieder!
Und ihr zu Füssen duften
Die Veilchen — welk, verstreut
In einer müden Gondel.
(S. 48)
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Die Estrade
Auf den Marmorstufen der Estrade,
Flüchtig raschelnd, wie mit seidnem Kleide,
Tanzt der Staub in bläulich weissem Schimmer,
Wirbelnd in den Kanten jeder Stiege.
Denn die Mondesgöttin wandelt leise,
Leichten Schrittes die gewohnten Wege —
Auf den Marmorstufen der Estrade,
Flüchtig raschelnd, wie mit seidnem Kleide.
In den Staub vor seine bleiche Fürstin
Wirft Pierrot sich — im Gebet ersterbend.
Und da liegt der grosse, weisse Körper,
Aufgerankt und in die Höh gebreitet —
Auf den Marmorstufen der Estrade.
(S. 49)
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Böhmischer Krystall
An Hans Heilmann
Ein Strahl des Mondes, wohl verschlossen
Im Glas von böhmischem Krystall,
Ein Kleinod, wundersam und selten,
Ist dieses versetolle Buch.
Ich hab mich als Pierrot verkleidet —
Ihr, die ich liebe, bring ich dar
Den Strahl des Mondes, wohl verschlossen
Im Glas von böhmischem Krystall.
In diesem schimmernden Symbole
Liegt Alles, was ich hab und bin.
Gleichwie Pierrot im bleichen Schädel,
Trag ich in Herz und Sinnen nur
Den Strahl des Mondes — wohl verschlossen.
(S. 50)
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übersetzt von Otto Erich
Hartleben (1864-1905)
Aus: Albert Giraud Pierrot Lunaire
Deutsch von Otto Erich Hartleben
Im Verlage der Deutschen Schrifsteller-Genossenschaft Berlin 1893