Hermann Gorter (1864-1927)
      niederländischer Dichter
      
      
      
      
      
      Lenz
      
      Der Lenz kam von fern, ich hör' ihn kommen
      Und alle die Bäume haben's vernommen,
      Die hohen, die zitternden,
      Und die hohen Lüfte, die Himmelslüfte.
      Die Funkellichtlüfte, die Blau-und-weiß-Lüfte,
      Die flitternden.
      
      O, ich hör' ihn kommen,
      O, ich fühl' ihn kommen,
      Und da soll ich nicht bangen?
      Das bebende Verlangen
      Fühl' ich nun brechen . . .
      O der Lenz kommt, ich hör' ihn kommen,
      Hör' die Lichtwogen sich brechen
      Rings, rings um mein Haupt.
      Ich hab' es wohl immer geglaubt,
      Doch nun ist er kommen.
      
      Golden ist die Luft wie von goldenen Heiligen,
      Die nun in Wallelichtgewanden,
      Gleich Schiffen, flutdurchziehenden, eiligen,
      Hinsegeln über den Landen,
      Über den Luftmeeren
      Hingleiten in ihren duftschweren,
      Weichglatten Gewanden,
      Rastend und eilend,
      Hastend und weilend;
      Umwallt von den weichen, hohen Lichtgewanden,
      Segeln sie hin und wieder
      Und blicken nieder,
      Wo sie sich zarter und blasser
      Spiegeln im blauen durchwärmten Wasser.
      
      O hört ihr ihn kommen
      Mit den Fingern, den warmen, weichen,
      Hoch zitternd in den blumenduftreichen
      Lüften, die tönend rings erglommen,
      Mit den flutenden Haaren,
      Mit den leuchtenden, klaren,
      Blau verfließenden Augensternen
      In den hochhohen Fernen,
      Das hochheilige, luftige, goldduftige Licht?
      Hört ihr ihn kommen, zart, still und licht?
      
      Laßt, o laßt uns nun lachen,
      Lachen, lachen, lachen
      In sein Gesicht, das erwachen,
      Das tagen läßt den Tag!
      Laßt uns nun Thränen weinen,
      Weinen, weinen, weinen,
      Auch er besprüht uns mit seinen
      An jedem Schneefunkentag.
      
      Lenzlicht ist nun gekommen.
      Endlich ist es gekommen, -
      O laßt uns, laßt uns lachen,
      So licht wie der Tag erwachen,
      Denn er ist, er ist!
      Und du, unser Gram, unsre Frohnde,
      Wie bleiche, fallende Monde,
      In funkelnden Lichtthränen fall
      Still in das lichtvolle All!
      
      Wie zwei lenzrote Blumen, in einem Lichtmeer
      Auf hohen Stengeln erglommen,
      Fühlen wir hehr:
      Der Lenz ist gekommen! 
      
      (S. 115-117)
      _____
      
      
      
      Tot war mein Lieb
      
      Tot war mein Lieb,
      Durch alle Welten trieb
      Dahin mich mein Loos,
      Ich fand: die Welt ist groß,
      Doch tot war mein Lieb.
      
      Ich fand wohl, die Welt ist groß,
      Und viele saßen in der Nacht,
      Winkend mit weißen Fingern; die Macht
      Meiner Toten war ganz groß.
      
      Auf einen Acker kam ich hierauf.
      O meine Liebste, wach auf!
      Du lagst da so dunkel - o Schmerz! -
      Traumasche, verbrannt dein Herz.
      Zu lange warst du dem Feuer nah,
      Jede Tag-, jede Nachtstunde da
      Sahst du es kleiner werden, mein Lieb,
      Als raubte dir's ein Dieb.
      Und als das Feuer, das rote, so bald
      Zu sterben drohte, - so kalt
      War's, - da hast du's genährt
      Mit eigener Seele und sahst sie verzehrt.
      Sahst knisternd die Funken springen
      Und glinsternd den Rauch durchdringen.
      Das Feuer küßte, wie kleine Mädchen küssen,
      Schmatzend das Holz und hat doch erlöschen müssen.
      Wach auf, o mein Lieb, wach auf zur Stund!
      Deine Asche ist so schwarz im Grund.
      
      In meinem Bangen
      Bin ich hingegangen
      Ein ganzes Stück über Ackergründe,
      Dann fandt' ich die roten Liedermünde,
      Um zu rufen die matten,
      Tagscheuen, nachtsiechen Schatten, -
      Ihre Seele, die bei den Feuern der Wacht
      Die Stunden verwachte, die teuern, der Nacht,
      (Als fühle sie noch das rasche
      Schwinden der Zeit in der Gruft),
      Um zu schüren in der Asche,
      Um zu locken aus der Luft,
      Wo sie oft zerfloß in Duft,
      Daß sie käme trostesreich,
      Zu mir spräche und wieder weich
      Ihre Lippen an meinen Wangen warm bewegte,
      Um mich die Arme legte,
      Mein Haupt mit den Fingern streichelte,
      Mit Gurren mein Ohr umschmeichelte
      Und flüsternd mir sagte, daß sie immerdar
      Lieb mir war.
      
      Und die Münde gingen,
      Wie Glocken hört' ich sie singen:
      "Von roter Seide, roten Stoffen
      Steht ein großer Weg dir offen,
      Leuchtendlicht, o komm, o komm,
      Lieb, fein Lieb, wir bitten fromm!
      Roten Atlas für die roten Glieder,
      Rote Blumen für die Locken dein,
      Rote Blätter, wie am Fenster nieder
      Wilder Wein.
      Strahlend bestreuten wir alles weit,
      Haben die Welt für dich befreit
      Von allem nicht brennenden, allem nicht roten:
      Kehr, arm und bloß, nun zurück von den Toten!
      
      "Von rotem Mohn und roten Tulpen flammt's
      Über die breite Flut des roten Sammts,
      Blüten auf Blüten fallen hernieder;
      Leuchtend dringen rote Lieder
      Aus roter Vögel Kehlen; Wein,
      Ein Teich, überpurpurt den Marmelstein, -
      Und Er sitzt einsam und allein,
      Sitzt in Karmin mit heißen Lippen;
      Rote Jungfraun halten die Schlippen
      Des Mantels ihm - komm, für die er wacht!
      Ringsum düstert die purpurne Nacht.
      
      Ringsum düstert die purpurne Nacht, -
      Komm wieder, für die er wartet und wacht!
      Ich bin sein treuer roter Trompeter,
      Ziehe weit für ihn umher; ein steter
      Gedanke weht mich fort und lacht
      Aus meinem roten Mund,
      Lacht nur von Widerpein, -
      Die brennt seine Flamme ein
      In meinen armen roten Mund.
      Wo bist du, sprich! O würde mir's kund!
      Komm wieder, fein Lieb, er wartet und wacht
      In purpurroter glühender Nacht."
      
      Die rote Kerze glühte und sank,
      Vergeblich strömte der rote Trank,
      Die List war umsonst in der öden Nacht,
      Hat mir den Vogel nicht wiedergebracht. 
      (S. 118-121)
      _____
      
      
      
      Nun atmet der Abend . . .
      
      Nun atmet der Abend ein goldgrünes Licht -
      Wo ist dein Gesicht? wo ist dein Gesicht? -
      Auf Erden ragt ein Altar, rot und licht
      Brennen die Zweige so grün und dicht -
      Wo ist dein Gesicht? wo ist dein Gesicht?
      
      Nun atmet der Abend um goldgrüne Bäume -
      O wirst du nun kommen? Wer sagt dir noch: Säume?!
      Hell brennt das Kupfermoos und Wasserschäume
      Strömen auf grüne Trensen und Zäume -
      O wirst du nicht kommen? Wer sagt dir noch: Säume!?
      
      Grüne Reiter ziehn im Trab,
      Huf- an Hufschlag, Höhen ab,
      Abendhöhen.
      
      Grüne Trosse reiten vor,
      Schwerbestämmte Höhn empor,
      Dunkle Höhen.
      
      Sie blasen da laut ihre Kupferklaronen,
      Grüne Fähnchen flattern voraus den Baronen,
      Im Abendlicht stehn sie und blasen ihr Lied,
      Das weit in den Westen zieht -
      Die Welt noch im Tode labend
      Sinken Sonne und Abend,
      Tot, o tot - und wo ist dein Gesicht?
      Es wird schon so dunkel unter den Bäumen,
      Wirst du nun kommen, wirst du noch säumen?
      Wo ist dein Gesicht?
      
      Hinzogen die Reiter unter den Bäumen,
      Jeder nach seines Schlosses Räumen,
      Schon hat in den Schlössern die Nacht sie bedeckt,
      Und Sie hat der Abend nicht geweckt. 
      (S. 122-123)
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      Winter
      
      Die Thorwächter bliesen auf goldenen Hörnern,
      Auf das Eis draußen perlte das Licht im Frost,
      Es blitzte an Bäumen, an Hecken und Dörnern,
      Blinkend die Sense schlug der Ost.
      
      Deine Füße schoben den weißen Schnee beiseite,
      Dein Haar war ein Goldgewebe sonnig und weich,
      Deine Augen brannten die blaue Himmelsweite,
      Deine Hände irrten umher, einem Raubvogel gleich,
      
      Und deine Augen, sie funkelten jugendgolden,
      Dein Blut flog raublüstern durch die Adern hin,
      Die Augen der Luft antworteten dir so golden,
      Oben trieben Eisschaumwolken hin.
      
      Eiskalt war es - lagen die Wasser, die weiten,
      Spiegelnd nicht unter der Sonne, klingend von Eis,
      Knirschte das Licht nicht, das heiße, beim Übergleiten, -
      Um den Frost zu vertreiben, war das schnelle so heiß.
      
      Hell blies die Luft mit voller, blauer Wange
      Ins goldne, mit der Faust umspannte Horn,
      Und barst und brach bei dem weiten Widerklange,
      Und blauer Schnee flog nieder Korn an Korn.
      
      Ein blauweißer Saal, sah das All auf uns nieder,
      Da stand ein Schneebett Funkelschnee mittenin;
      Dein Goldhaupt sank auf das weiche Schwanengefieder,
      Lachend lagst auf dem Feld du,
      schwanweiche, zahnweiße, minnige Königin. 
      (S. 127)
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      Siehst du, ich hab' dich lieb . . .
      
      Siehst du, ich hab' dich lieb,
      Ich finde so lieb dich und licht,
      Deine Augen sind so voll Licht,
      Ich hab' dich lieb, ich hab' dich lieb!
      
      Deine Nase, dein Mund und o!
      Deine Augen und dein Hals, wo
      Das Bändchen sitzt und dein Ohr
      Mit dem Haar davor!
      
      Siehst du, ich wär' gern du,
      Aber wie ginge das zu?
      Licht ist um dich und du bist
      Nun doch, was du einmal bist.
      
      O ja, ich hab' dich lieb,
      Ich hab' dich so furchtbar lieb,
      Allemal wollt' ich es sagen, -
      Kann's aber doch nicht sagen. 
      (S. 128)
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      übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)
      
      Aus: Die niederländische Lyrik von 1875-1900
      Eine Studie und Übersetzungen von Otto Hauser
      Verlegt bei Baumert & Bonge in Großenhain 1901