Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Kopf einer Thrakerin (von der Akropolis in Athen - gegen 470 v.Chr.)

 


Aus dem Kranz des Meleagros von Gadara

(In der Übersetzung von August Mayer)




Eilt es dich abzuwerfen deine Ranken,

O Weinstock, nieder auf die dunkle Bahn,

Weil früh die schimmernden Plejaden sanken?

So zitterst du schon vor des Winters Nahn?


O warte noch, bis auf Antileon

Ein süßer Schlummer unter deinen Zweigen

Herniederfällt; denn oft gefiel's dir schon

Den Schönen alles Liebe zu erzeigen.
(S. 89)

Mnasalkas (um 250 v. Chr.)

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Was bist du, Flöte, mir davon gegangen?

Wer war es, der hierher dich kommen hieß

Zur Schaumgebornen? Trägst du kein Verlangen

Mehr nach des Hirten Mund, der auf dir blies?


Sieh, wie hier Kypris' Heer sein Wesen treibt,

Grausam und kühn - wie fern sind Wald und Flur!

Versteckt im Frieden ihres Berges bleibt

Die Muse, deren Atem dich durchfuhr.
(S. 91)

Mnasalkas (um 250 v. Chr.)

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Wir wollen, wo sich bitt're Flut ergießt,

Hintreten an des Meeres flachen Strand,

Um hinzublicken nach dem heiligen Land,

Dem Hain der Kypris, den die See umschließt.


Dort strömet eine Quelle überschattet

Von schwarzen Pappeln; mit geneigten Köpfen

Daraus sich reine, klare Flut zu schöpfen,

Meervögeln, hell beschwingten, ist's gestattet.
(S. 91)

Mnasalkas (um 250 v. Chr.)

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Nichts süßer als die Liebe ist,

Nichts andres neben ihr besteht:

Was Glück euch heißt, wird leicht vermißt,

Den Honig selbst mein Mund verschmäht.


Ich, Nossis, bin's, die dieses spricht.

Der Kypris gnädig nicht gesinnt,

Die Arme kennt die Blumen nicht,

Und weiß nicht, welche Rosen sind.
(S. 99)

Nossis (um 310 v. Chr.)

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Auf Mädchen! laßt uns hin zum Tempel gehen,

Um dort der großen Göttin, die uns hold,

Der Aphrodite Standbild anzusehen,

Wie's kunstreich ist verziert mit lauterm Gold:


Die Polyarchis hat es schön bekleidet,

Denn durch der Göttin Gunst ist sie gelangt

Zu großem Reichtum, den ihr jede neidet,

Den sie der Schönheit ihres Leibes dankt.
(S. 101)

Nossis (um 310 v. Chr.)

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Gewiß hat Aphroditens Herz gelacht,

Als sie die Locke hier entgegennahm,

Die von Samythens Haaren dargebracht

Als Weihgeschenk in ihren Tempel kam.


Denn sieh nur an: sie ist in Glanz getaucht

Und süße Wohlgerüche ihr entfließen,

Wie Nektar, den die Göttin selber braucht,

Ihn auf Adonis' schönes Haupt zu gießen.
(S. 101)

Nossis (um 310 v. Chr.)

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Den Silbergürtel mit des Eros Bild

Sowie der beiden Füße Knöchelspangen,

Purpurgewind, das Haar ihr einzufangen

Getreu dem Brauche, der auf Lesbos gilt,


Dies Band - durchsichtigen Gewebes spannte

Es ihre Brust - des erznen Spiegels Stolz

Und ihn, der ihrer Haarflut Tiefen kannte,

Den breiten Kamm, geschnitzt aus Buchsbaumholz,


Dies alles, Kypris, die auf Kreta wohnt,

Legt Kallikleia hin in deiner Halle:

Sie ist am Ziel und dir sei es gelohnt,

Denn du gewährtest ihre Wünsche alle.
(S. 129)

Leonidas von Tarent (310-240 v. Chr.)

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Wüchsen Flügel dir an deinen schmalen

Schultern, wäre Pfeil und Bogen dein:

Nimmer Eros, sondern dich allein

Würde man als Sohn der Kypris malen.
(S. 137)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Hier vor der Türe, Kränze, bleibet hangen,

Daß ihr mir nicht zu früh die Blätter regt;

Ihr tranket ja die Tränen meiner Wangen,

Zu weinen ist Verliebten auferlegt.


Bis er heraustritt, sollt dies Naß ihr hüten,

Von keinem Winde sei es euch geraubt,

Dann aber schüttelt eure zarten Blüten,

Gießt meine Tränen auf sein blondes Haupt.
(S. 137)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Ganz klein und zart noch und ganz leicht zu fangen,

Flog ich aus meiner Mutter Armen fort,

Ein kleiner Liebesgott, und bin gegangen

Zu Damis' Haus und mir gefällt der Ort.


Hier küss' ich ihn, er küßt mich, unserm Küssen

Schaut keines Eifersüchtigen Auge zu,

Mich freut's, nicht in die Welt hinaus zu müssen,

Allein mit ihm in ungestörter Ruh.
(S. 137)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Noch ohne Bogen, noch nicht bösgesinnt,

Verbirgt der Eros, den ich mir ersehe,

Sich bei der Kypris als ein harmlos Kind

Und heimlich wächst er groß in ihrer Nähe.


Ein Blatt in seiner Hand, ein goldenes:

Draus liest er lallend Psyche meiner Seele

Den Liebeszauber des Antigenes

Und den, kraft dessen mich Diaulos quäle.
(S. 139)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Ja! Eros weiß zu einem schönen Ding

Ein andres schönes Ding hinzuzufinden,

Schmückt mit Smaragd nicht einen goldnen Ring,

Ungleichen Glanz und Schimmer zu verbinden,


Gesellt nicht Ebenholz dem Elfenbein -

Denn nimmermehr verträgt sich Schwarz und Weiß -

Doch schloß er euch in Liebesfesseln ein:

Der Anmut Blüte und der Liebe Preis.
(S. 139)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Nicht zähl' ich zweiundzwanzig Jahre noch

Und bin es müde schon so fortzuleben.

Eroten weg! Wie seid ihr grausam doch,

Was habt ihr mir dies heiße Leid gegeben.


Und sterb' ich nun, was werdet ihr beginnen?

Ich weiß es wohl, Eroten: wenn ich fiel,

So setzt ihr fort mit kindlich heitren Sinnen

Wie sonst das unterbrochne Würfelspiel.
(S. 139)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Asklepiades, was hast du? Warum Tränen? schenk dir ein!

Andere auch sind Aphroditens Beute, nicht nur du allein,

Nicht auf dich allein nur richtet sie den Bogen und den Pfeil.

Was bedeckst du dich mit Asche? Bist ja noch gesund und heil.

Bitter freilich ist die Liebe - her den ungemischten Becher!

Denn ein Tag ist kurze Spanne für den niegestillten Zecher.

Sollen wir bis abends warten, bis das stille Licht entfacht?

Nein! In einer kleinen Weile ruhen wir die lange Nacht.
(S. 141)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Nehmt euch in acht, Verliebte, vor dem Wein.

Verschwiegne Liebe bringt er an den Tag:

Nikagoras schwur, nicht verliebt zu sein,

Und nun verriet er sich beim Trinkgelag.


Sein Kopf hing schwer, als wäre er bezecht,

Am Boden ruhte seines Auges Glanz,

Und - rückt er ihn auch hundertmal zurecht -

Nicht hielt auf seinem Haupte fest der Kranz.
(S. 141)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Einst hielt ich dich so fest in meinen Armen,

Archeades, gepreßt an dieses Herz,

Und nun kommst du nicht einmal mehr zum Scherz

Zu mir unseliger Frau! o hab' Erbarmen -


Du süßer Eros, der's nicht immer ist:

O wie du die doch quälst, die dich erflehn -

Doch oft hat einer schon nach kurzer Frist

Den Gott, der zürnte, wieder hold gesehn.
(S. 141)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Die sich so gern den Jünglingen gesellt,

Die Dorkis, weiß gleich einem schlanken Knaben,

Wie man die Kypris rasche Pfeile schnellt,

Die süßeste von allen bittern Gaben.


Und Liebessehnsucht flammt mit Blitzeskraft

Aus ihrem Auge und der Chlamys Wehn

Trägt auf der Schulter sie zusammgerafft

Und läßt ihr Bein nackt bis zu Hüfte sehn.
(S. 143)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Was ihr von meiner Seele übrigließt,

Verschont um Gotteswillen, laßt mich heilen!

Eroten hört! Ihr wollt nicht? Nun so schießt

Mit Pfeilen nicht, trefft mich mit Donnerkeilen!


Ihr dürft zu Kohle mich und Asche brennen,

Schießt nur! Schon hat die Sorge mich verzehrt

Durch eure Schuld! Nichts will ich mein mehr nennen,

Was ihr als letzte Gnade mir gewährt.
(S. 143)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Tausendmal mit heiligem Eide

Schwur sie mir's mit frecher Stirne:

"Ja, ich komme diese Nacht" -

Niko, die verruf'ne Dirne.


Dächte sie den Eid zu brechen?

Ach, kein Laut im ganzen Haus,

Stund' um Stunde geht vorüber,

Sklaven, löscht die Lampe aus.
(S. 143)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Der holden Nikarete süße Wange,

Die wie von Eros sich berührt gezeigt

Mit frischem Rot, sooft sie gern und lange

Aus ihrem hohen Fenster sich geneigt,


Sie welkte hin, vom heißen Strahl verbrannt,

Und Kleophon ist schuld, daß es geschehn:

Er war's, der unten an der Türe stand,

Er hat mit süßem Blick nach ihr gesehn.
(S. 145)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Ich hab' einst mit Hermione gespielt,

Und einen Gürtel trug das traute Kind,

Aus Blumen mannigfach ein reich' Gewind,

Der eingegraben eine Schrift enthielt.


Des Gürtels muß ich immer noch gedenken;

Mit gold'nen Lettern war darauf geschrieben:

"Du sollst mich ewig sonder Wanken lieben,

Liebt mich ein and'rer, sollst du dich nicht kränken."
(S. 145)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Schnippisch hat mich Philänis verwundet,

Und ist auch nicht von der Wunde zu sehn,

Fühl ich den Schmerz, von dem keiner gesundet,

Bis in die Fingerspitzen mir gehn.


Ach, ich bin tot, ganz tot, habt Erbarmen,

All ihr Eroten, o welche Pein,

Schlaftrunken wollt ich ein Mädchen umarmen

Und griff mitten ins Feuer hinein.
(S. 145)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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O Nacht, dich rufe ich als Zeugin an,

Dich ganz allein, du sollst mir d'ran gedenken,

Was heute Pythias mir angetan,

Der Niko Tochter, reich an schlimmen Ränken.


Nicht ungerufen wollt' ich sie besuchen,

Sie rief mich selbst! So soll's auch ihr ergehn:

Vor meiner Tür' soll sie vergebens stehn

Und warten, hehre Nacht, und dich verfluchen!
(S. 147)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Nachts war's; vom Himmel rieselte der Regen,

Der Liebe dritte Plage war der Wein,

Der kalte Nordwind wehte mir entgegen

Und all dies zu bestehn war ich allein.


"Doch Moschos' Schönheit hatte größere Macht." -

Aus eigener Erfahrung weißt du dies,

Der auch umhergeschwärmt trotz Sturm und Nacht

Und keines Mädchens Tür in Ruhe ließ.


Doch dies' Mal rief ich selber: "Zeus laß sein!

Wie lange noch?" So sehr ward ich gebadet.

"O lieber Zeus, du siehst doch selber ein

(Du kennst ja Liebe), daß ihr Wasser schadet."
(S. 147)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Süß ist in Sommersglut ein Trank von Schnee,

Den ausgedörrten Gaumen zu erquicken,

Süß ist's dem Schiffer, nach des Sturmes Weh

Das Blühn der Heimatküste zu erblicken.


Doch süßer noch als alles dieses scheint

Es mir zu sein, wenn zu vertrautem Bunde

Zwei Liebende die Decke heimlich eint

Und Kypris' Lob erklingt aus beider Munde.
(S. 147)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Du wachst mit Eifersucht auf deine Tugend:

Was nützt es dir? So leistest du Verzicht?

Wozu denn Mädchen? Nutze deine Jugend,

Im Hades findest du den Liebsten nicht.


Nur den Lebendigen erblüht Genuß,

Nur auf der Erde ist der Liebe Ort,

Dann kommt das Ende und der Totenfluß

Reißt uns als Staub und Knochen mit sich fort.
(S. 149)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Bitto und Nannion, die Samierinnen,

Sie sind es, die es beide stolz verschmähn,

Zur Aphrodite also einzugehn,

Wie sie uns selbst befahl, sie zu gewinnen.


Sie wandten anderem sich zu, was nicht

Uns ziemlich heißen kann: o Kypris, hassen

Sollst du, die also schnöd von dir gelassen,

Entlaufend, Herrin, deines Lagers Pflicht.
(S. 149)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Die Nacht auf langem winterlichen Pfade,

Die schon vom höchsten Scheitel seiner Bahn

Herniederführt das Sternbild der Plejade,

Trifft mich vor ihrer Türe harrend an.


Im Regengusse geh ich hin und her,

Noch hoffend, daß sie meine Wunde heile -

Was Kypris sendet, ist nicht Liebe mehr:

Aus Feuersgluten schießt sie ihre Pfeile.
(S. 149)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Mit einem Zweig zog sie zu sich mich hin

Und fing mich ein: ich fühle mich zerfließen -

Dem Wachs am Herd ist solches noch verliehn -

Bei ihrer Schönheit schauendem Genießen.


Ihr Haar ist schwarz, ich muß es einbekennen,

Doch weshalb nicht um Schwarzes sich bemühn?

Schwarz sind auch Kohlen, aber wenn sie brennen,

So sehn wir sie wie Rosenkelche glühn.
(S. 151)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Laß Schnee, laß Hagel niedergehn,

Laß alle deine Stürme wehn,

Ball' auch das Nachtgewölk zusammen,

Bedeck mit Finsternis die Erde,

Laß strahlen deines Blitzes Flammen

Und mach' des Donnerers Gebärde,

Verfolge mich mit allen Nöten,

Du bist ja Meister, mich zu töten.

Und ist es so dein Götterwille,

So triff mein Haupt, dann bleib' ich stille.

Doch wenn du mir das Leben läßt,

Soll mich dein Toben wenig härmen,

So will ich doch von Fest zu Fest

Allnächtlich durch die Gassen schwärmen.

Denn der mich also mich sich reißt,

Der Gott beherrscht selbst dich,

Und lenkt er deinen großen Geist,

Nun, so gehorch' auch ich.
(S. 151)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Dreimal schwur Herakleia - hast's vernommen,

O Lampe, schwur sie doch bei deinem Licht,

Vor dich hintretend - ganz gewiß zu kommen;

Sie schwur es mir bei dir und kommt nun nicht.


Doch hast du wahrhaft göttergleiche Macht,

So räche mich, und wenn sie an der Brust

Des Freundes liegt in stiller Mitternacht,

Verlisch und leucht' nicht länger ihrer Lust.
(S. 153)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Hol' mir zwölf Krabben, aber ausgesuchte,

Und bring auch gleich fünf Rosenkränze her!

Was soll dies "schon genug, Herr"? Der Verfluchte!

Jetzt sagt er gar, er hat kein Kleingeld mehr.


Ich bin verloren, auf das Rad mit dir!

Du bist kein Diener, sondern ein Pirat!

Du nennst dich ehrlich? Zeig' die Rechnung mir!

Lauf, Phryne, hol' der Rechenapparat!


Laß sehen! Hier fünf Drachmen gleich für Wein

Und zwei für Würste, fünf für Schweinsohr, schau!

Dann trägt er Fische, Kuchen, Honig ein -

Nun morgen prüf' ich all dies ganz genau!


Jetzt lauf nur schnell zur Salbenhändlerin

Und laß auf meine Rechnung dort dir reichen

- Die gute Aischra kennt mich ohnehin -

Fünf Silberfläschchen! als Erkennungszeichen


Sag' dies: mein Herr heißt Bakchon, der dein Gast

Erst neulich war und dir sein heißes Lieben

Fünfmal bewies - wenn du's vergessen hast:

Das Lager ward als Zeuge aufgeschrieben.
(S. 153)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Geh auf den Markt, Demetrios, und bringe

Drei Heringe mir von Amyntas' Stand,

Zehn Krabben, vierundzwanzig Höckerlinge

(Er zählt sie dir schon selber auf die Hand)


Und damit kommst du dann hierher zurück.

Dann hol' noch von Thauborion Kranzgewinde

Aus Rosen und recht frische, sieben Stück -

Ruf im Vorbeigehn Tryphea geschwinde.
(S. 155)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Lysidike weiht diesen Sporen dir,

O Kypris, die du immer ihr so hold,

Des spitzen Reiterstachels blanke Zier,

Ihn trug ihr schöner Fuß, er ist von Gold.


Mit diesem Sporne lehrte sie zu siegen

Des edlen Rosses aufgebäumten Mut,

Es trug sie leicht dahin mit sanftem Wiegen,

Nie färbte ihren Schenkel je sein Blut.


Denn ohne Stachel eilte hin zum Ziele

Das gute Pferd und endete den Lauf.

Drum hing sie dies Gerät, daß dir's gefiele,

Jetzt an des Tempels Mittelpforte auf.
(S. 155)

Asklepiades von Samos (um 285 v. Chr.)

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Längst, Doricha, sind Staub schon deine Knochen

Und deiner Haare aufgebundne Flut,

Der Umwurf, der nach Myrrhen süß gerochen,

In dem du bei Charaxos einst geruht.


Voll Anmut lag er da, zärtlich, geborgen,

Du hülltest ihn ins eigene Gewand,

Die Haut an seiner Haut; am hellen Morgen

Hielt noch den vollen Becher deine Hand.


Wo ist dies alles hin? - Doch Sapphos Ode,

Der teuren Dichterin, ist uns geblieben

Und ewig bleibt sie - über allem Tode

Erklingt, was auf dem weißen Blatt geschrieben.


Drum scheint dein Name selig mir zu preisen

Und treu wird hier dein Naukratis ihn wahren,

Solang die weiten Meere zu bereisen,

Die Schiffe aus des Niles Mündung fahren.
(S. 167)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Den überreichen Tau von Bakchus' Reben

Des Kekrops Flasche uns ergießen mag.

Zum Liebesmahle, das wir Freunde geben,

Betau' er fröhlich unser Trinkgelag.


Heut schweigt von Zenon, jenem weisen Schwan,

Auch von Kleanthes' Muse sollt ihr schweigen,

Uns wandeln andere Gedanken an,

Der bittersüße Eros führt den Reigen.
(S. 167)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Du darfst, Philänion, nicht etwa meinen,

Mit deiner Tränenflut zu täuschen mich;

Ich weiß, woran ich bin: ich liebe keinen

In aller Welt, so sagst du, mehr als dich.


Solang du bei mir liegst, das läßt sich hören,

Doch wenn mein Nebenbuhler zu dir schlich,

So wirst du ihm mit tausend Eiden schwören,

Ich wette drauf, du liebst ihn mehr als mich!
(S. 169)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Nachtschwärmer still, was weckt mich euer Toben?

Ich schlief so sanft und habe kaum geruht,

Weckt mich zu neuem Schmerze, neuer Glut

Und bin doch noch der alten nicht enthoben.


Nie finde ich der Liebe mehr ein End',

Denn unaufhörlich neu kommt, mich zu quälen

Sehnsucht, die ewig blind und ohne Wählen

In alte Narben frische Wunden brennt.
(S. 169)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Was macht sie, Sklave, ließ sie jemand ein?

So will ich weitergehn von diesen Stufen,

Doch möge sie, schläft sie vielleicht allein,

Ein wenig nur, bei Gott, mich zu sich rufen.


Und als Erkennungszeichen sage ihr:

Der draußen wartet, fand durch Räuberhorden

Hindurch, durch Nacht und Rausch den Weg zu dir,

Geführt von Eros ist er kühn geworden.
(S. 169)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Schießt nur, Eroten, schießet nur auf mich,

Allen auf einmal biet' ich mich zum Ziele.

Wollt ihr mich schonen? Welche Torheit - ich

Bin doch nur einer und ihr seid so viele.


Denn sollt' ich nun von euren Pfeilen fallen,

Erwerbt als Schützen ihr euch großen Ruhm;

Dann heißt's von euch bei den Olympiern allen:

"Ein großer Köcher ist ihr Eigentum."
(S. 171)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Die Grille, der die Muse gab zu singen,

Hat Sehnsucht auf ein Dornenbett gespannt

Und Feuersglut ist drunter heiß entbrannt,

Den liederfüllten Mund zur Ruh' zu bringen.


Doch hat nach langen Mühn des Dichters Seele

Auf Kunst allein ihr ganzes Heil gestellt,

Nichts andres kümmert sie auf dieser Welt,

Nur klagen kann sie, daß sie Liebe quäle.
(S. 171)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Die Kypros du, Kythera und die Stadt Milet

Besuchst und Syriens schöne Flur, vom Hufschlag tönend,

Komm gnädig zu Kallistion auch, die niemals höhnend

Den Jüngling abweist, der vor ihrer Türe steht.
(S. 171)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Wüchsen große Flügel goldnen Scheines

Dir zu Häupten und erglänzte dir

An der silberhellen Schulter eines

Schönen Köchers pfeilgefüllte Zier,


Und du trätest hin zum Gott der Liebe,

Hin zum Eros, teurer Aglaon,

Ja beim Himmel, Kypris selber bliebe

Starr und fragte: welcher ist mein Sohn?
(S. 175)

Poseidippos (um 275 v. Chr.)

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Zur Hälfte atmet meine Seele noch.

Wer wohl die andre Hälfte weggenommen?

Ob's Eros oder Hades war? Jedoch

Das eine weiß ich nur: sie ist entkommen.


So ist sie wiederum am Ende gar

Zu einem von den Knaben mir entsprungen?

Und doch gebot ich strenge ihrer Schar:

"Laßt die Entlaufene nicht ein, ihr Jungen!"


Macht ich damit zum Gärtner nicht den Bock?

Denn jetzt weiß ich so ziemlich schon Bescheid:

Sie will nach jenem Hause - Rad und Stock

Für sie! - getrieben von dem alten Leid.
(S. 219)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Schwärmt' ich vor deiner Türe diese Nacht

Freiwillig, magst, Archinos, du mich schelten,

Doch kam ich willenlos, laß nimmer gelten

Dein vorschnell Urteil, laß, was unbedacht.


Mich zwang des ungemischten Weines Macht

Und Eros auch; der erste von den zwein

Zog durch die Straßen mich, der Liebe Pein,

Sie ließ mich lassen nicht, was unbedacht.


Und da ich kam, schrie ich nicht ungeduldig:

"Wer da?" wie es die Art der Zecher ist;

Der Türe Pfosten nur hab' ich geküßt -

Ist dies schon eine Schuld, so bin ich schuldig.
(S. 219)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Schon lang verbarg er eine tiefe Wunde,

Der fernher zu uns kam: mit welcher Qual

Er doch den Atem - saht ihr's in der Runde? -

Heraufzog: eben jetzt das drittemal,


Wie er den Becher hob, daraus zu trinken,

Die Rosen aber, seines Hauptes Kranz,

Sie ließen alle ihre Blätter sinken

Und deckten so zuletzt den Boden ganz.


Ich weiß es: einer großen Liebe Gluten

Verzehren ihn; bei allem, was mir lieb,

Ich weiß es: brauch's nicht gradhin zu vermuten,

Die Diebesspuren kenn' ich, selbst ein Dieb.
(S. 221)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Noch glühet unter dieser Aschendecke

Ein heimlich Feuer fort, dem nicht zu trau'n.

Beim großen Pan! ach, daß ich's nur nicht wecke,

Schling nicht den Arm um mich, mich faßt ein Graun.


Man sah schon Holz und Stein dem Wasser weichen

Durch ruhiger Strömung heimlich stummes Wühlen:

Seh' ich den Knaben leise zu mir schleichen,

Denk ich voll Angst: bald werd' ich Liebe fühlen.
(S. 221)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Eine treffliche Zauberbeschwörung

War es doch, die Polyphemos erfand

Gegen der Liebe Sinnesbetörung.

Ja! der Zyklop ist nicht arm an Verstand.


Teurer Philippos, der Liebenden Qual

Können der Musen Gesänge vermindern

Und als Mittel für jeglichen Fall

Weiß Poesie alle Schmerzen zu lindern.


Kunst und Hunger, so glaub' ich, sie haben

Bei allem Übel dies einzige Gut,

Daß sie vertreiben die Liebe zu Knaben,

Löschen die brennende Fieberglut.


Und vor den kleinen Eros, den Frechen,

Mitleidslosen darf ich voll Hohn

Kühn hintreten und also sprechen:

"Stutze dir nur deine Flügel, mein Sohn,


Droh' nur! kein Bröselchen mach' ich mir draus;

Hab' ich doch gegen die böse Wunde

Beide Beschwörungszauber im Haus:

Dichten und Hungern zu jeder Stunde."
(S. 223)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Vier Göttinnen der Anmut gibt es jetzt;

Denn zu den dreien, die es früher gab,

Hat man ein neues Standbild hingesetzt,

Daran noch Myrrhensalbe strömt herab.


Und preist man dich die Seligste von allen,

So ist es Wahrheit, Herrin, was man spricht;

Denn, Berenike, ohne dich gefallen

Der Anmut Göttinnen uns selber nicht.
(S. 227)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Theokritos, der lieblich Dunkelbraune -

Wenn er mein Feind ist, wirf ihm vierfach zu

Haß, Ingrimm, Zorn und jede böse Laune,

Doch liebt er mich, so liebe ihn auch du.


O tu's bei Ganymedes' schönen Haaren,

O Zeus (dein ist des Himmels Glanz und Zier);

Auch du hast einst der Liebe Macht erfahren:

Kein Wort mehr, Vater, zwischen mir und dir.
(S. 227)

Kallimachos von Kyrene (um 305-240 v. Chr.)

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Wenn Demophilos einst in den Jahren,

Wo in Liebessachen man erfahren,

Solche Küsse gibt verliebten Knaben,

Wie er jetzt mich küßte unbedacht,

Dann, o Kypris, wird in keiner Nacht

Seiner Mutter Türe Ruhe haben.
(S. 267)

Dioskorides (um 225 v. Chr.)

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Den schönen Freund, so wie du ihn bekommen,

Bring ihn von seiner Festgesandtschaft linde

Zu mir zurück, Euagoras den Frommen,

O Zephyros, du mildester der Winde.


Miß ihm nicht zu mit überreichem Maß

Die Zeit der Fahrt und führ uns bald zusammen;

Denn bis ein Sandkorn fällt im Stundenglas,

Steht ein Verliebter tausend Jahr' in Flammen.
(S. 267)

Dioskorides (um 225 v. Chr.)

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Dem Gott der Liebe schwuren wir zu drei'n

Mit einem Eid, bei dem ich Zeuge war:

Arsinoe gelobte, nur allein

Sosipatros zu lieben immerdar.


Doch sie ward untreu, eitel ihre Schwüre,

Und er hat seine Liebe treu bewahrt:

Er harrt noch stets vor der verschloss'nen Türe -

Der Götter Macht hat sich nicht offenbart.


So mögst denn du, o Hymenäus, Jammer

Statt deines frohen Brautgesangs und Klagen

Vernehmen aus des Mädchens Hochzeitskammer

Und der Verräterin Brautbett dich versagen.
(S. 269)

Dioskorides (um 225 v. Chr.)

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O lieblicher Adonis, an der Bahre,

Worauf verhüllt dein schöner Leichnam ruht,

Schlug sie die Brust und raufte sich die Haare,

Und ihre Trauer weckte meine Glut.


Will sie beim Scheiden gleiche Gunst mir geben,

Darf ich wie du mich rühmen solcher Treu,

So nimm mich nur beim Wort: nimm hin mein Leben,

Dein Totenschiff besteig' ich ohne Reu.
(S. 269)

Dioskorides (um 225 v. Chr.)

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Zu meinem Unglück sang Athenion

Das Lied von Trojas Fall durch jenes Pferd,

Es stand die ganze Stadt in Flammen schon,

Und mir war auch der Feuertod beschert.


Ich fiel zum Opfer ohne Kampf und Ruhm,

Und jene kämpften doch zehn Jahre lang:

Ach! eine Flamme schuf dem Heldentum

Und meine Schwäche gleichen Untergang.
(S. 269)

Dioskorides (um 225 v. Chr.)

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O Vater Zeus, zu Pisa steht dein Thron!

Laß den Peithenor heut' den Kranz erringen,

Des Eros Bruder, Kypris' zweiten Sohn,

Gib unterm Kronoshügel ihm Gelingen.


Doch nimmer mögest du mit Flügelrauschen,

O Herr, dein eigner Adler, niederschweben,

Um ihn als deinen Mundschenk eintauschen

Anstatt des schönen troischen Epheben.


Und wenn ich jemals eine Musengabe,

Ein schönes Lied, o Vater, dir geschenkt,

So neig' dich gnädig, daß der schöne Knabe

So, wie ich seiner, liebend meiner denkt.
(S. 303)

Alkaios von Messene (um 200 v. Chr.)

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Den Eros hass' ich, weil er grausam ist,

Denn statt auf wilde Tiere Jagd zu machen,

Zielt er mit seinem Pfeil voll arger List

Nur auf mein Herz und wählt als Feind den Schwachen.


Ist's denn so viel, wenn er mit seinen Strahlen

Den Sterblichen, ein großer Gott, verzehrt,

Mit meinem Kopf als Siegespreis zu prahlen?

Wird er, wenn er mich schlug, denn mehr geehrt?
(S. 303)

Alkaios von Messene (um 200 v. Chr.)

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Bring endlich meine Sehnsucht doch zur Ruh'

Und laß mich, Eros, friedlich schlafen wieder,

Ich fleh' dich an, hör' meinen Bitten zu,

Es spricht für mich die Muse meiner Lieder.


Und ihrer Bitte mußt du gnädig sein,

Denn sonst, ich schwör' es dir bei deinem Bogen,

Aus dem auf keinen sonst, auf mich allein

Die leicht beschwingten bittern Pfeile flogen -


Ich schwör' es, soll der Dichter selbst vergehn,

Und hast du auch der Muse Flehn verachtet,

So soll auf meinem Grab geschrieben stehn:

"Sieh, Wandrer, Eros hat mich hingeschlachtet."
(S. 325)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Bei der Timo herrlichen Haaren,

Ihrer Locken reizenden Pracht,

Ja, bei der Demo wunderbaren

Duftigen Haut, die betört zur Nacht,


Ja, bei der Ilias Scherzen der Liebe,

Ja, bei der Lampe, die alles sieht,

Immer gewacht, wie toll ich's wohl triebe,

Nie noch die nächtliche Weihe verriet -


Schwör' ich dir, Eros: auf meinem Munde

Liegt nur ein kärglicher Lebenshauch,

Willst du, befiehl - noch in dieser Stunde

Laß ich verströmen den letzten auch.
(S. 325)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Kein Wunder ist's, daß Liebe tödlich endet,

Daß Eros Männer würgt wie in der Schlacht,

Und wenn er seine Feuerpfeile sendet,

Dazu mit Schelmenblicken höhnisch lacht.


Sitzt nicht die Mutter an Hephaistos' Herd,

Und liebt sie Ares nicht zu gleichen Zeit?

So ist sie denn dem Feuer und dem Schwert

In gleichem Maße immer dienstbereit.


Sie selber doch stammt aus den Tiefen her,

Wo mit Geheul der Wind die Geißel schwingt,

Die Mutter seiner Mutter ist das Meer,

Doch niemand weiß, woher das Meer entspringt.


Drei große Götter machten ihn zum Erben:

Hephaistos schenkte ihm der Flamme Glut,

Der Krieg der Pfeile blutiges Verderben,

Und von den Wogen lernte er die Wut.
(S. 327)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Der Liebe Ruf dringt an mein Ohr mit Macht,

Von meinem Aug' will nicht die Träne weichen,

Mir bringt der Tag nicht Ruhe, nicht die Nacht,

Mein Herz trägt kenntlich schon der Liebe Zeichen.


Ein Liebeszauber hat es krankgemacht;

Auf Flügeln wußtet ihr mich zu erreichen,

Eroten federleicht und flatterhaft,

Doch wegzufliegen habt ihr keine Kraft?
(S. 327)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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O schöne Demo mit den weißen Wangen,

Wer wird wohl heut' von deiner Gunst beglückt,

Dieweil das Herz mir seufzet voll Verlangen,

An dich gepreßt entzückend und entzückt?


Und ist dir auch ein Judenknabe teuer,

Nimmt mich auch dieses weiter wunder nicht:

Erlischt am kalten Sabbat auch das Feuer,

In stiller Kammer brennt der Liebe Licht.
(S. 329)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Es gleicht dein helles Aug' dem grünen Meer,

O Liebste, wenn es still und spiegelnd ruht,

Und alles ziehst du mächtig zu dir her

Hinunter in der Liebe tiefe Flut.
(S. 331)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Hehre Nacht und Lampe du, Vertraute,

Unseres Eids Mitwisser waret ihr,

Keiner hörte zu und keiner schaute,

Keine andern Zeugen nahmen wir.


Und er schwur mir, mich treulich stets zu lieben,

Und ich schwur, von ihm zu lassen nie -

Seine Eide sind hinweggetrieben

Und im Meere, sagt er, schwimmen sie.


Seinen Schwur, der unvergänglich deuchte,

Bricht entzwei sein frevelhaftes Tun,

Und du siehst ihn nächtlich, liebe Leuchte,

An dem Busen einer andern ruhn.
(S. 331)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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O Morgenstern, den Liebenden verhaßt,

Früh nahst du meinem Bett und störst mein Glück,

Da eben Demos' Leib ich heiß umfaßt -

Tritt wieder in die Dämmerung zurück,


Sei Abendstern! nimm rückwärts deinen Lauf,

O süßes Licht, wie bitter trifft dein Strahl;

Zeus hielt den Tag einst durch zwei Nächte auf,

Drum flieh! Es ist ja nicht das erstemal.
(S. 331)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Beim Pan, der in Arkadien geboren,

Dein Saitenspiel singt mir ein süßes Lied,

Du spielst so schön, beim Pan, ich bin verloren -

Zenophila, sag', wie man dir entflieht?


Denn überall umdrängen mich Eroten

Und lassen keinen Augenblick mich ruhn,

Das Atemholen selbst ist mir verboten,

Nicht retten kann ich mich, was soll ich tun?


Quält mich dein Anblick mehr, mehr deine Kunst?

Weckt mir dein Reiz so quälendes Verlangen?

Was sag' ich? Alles wecket meine Brunst,

In heißen Flammen bin ich aufgegangen.
(S. 333)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Du schläfst - o sänk' ich jetzt auf dich hernieder

Leicht wie ein Hauch,

Darf doch des Schlafes Flügel deine Lider

Berühren auch.


Und schließt er selbst dem Zeus die Augen zu

Und wiegt ihn ein,

Dir bleib er fern - ich hüte deine Ruh',

Ich ganz allein.
(S. 333)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Mücke, zu der Liebsten fliege,

Mit Gesumm umschweb' ihr sanft das Ohr,

Sag' ihr, daß ich einsam liege,

Ihrer harrend, Ruh' und Schlaf verlor.


"Auf, so schlaf' auch du nicht länger,

Trägheit, scheucht die Liebe, holdes Kind!"

Mücke, Bote sei dem Sänger,

Warst ja stets den Dichtern wohlgesinnt.


Daß ihr Buhle nicht erwache,

Flüstre leise, nur von ihr gehört;

Von des Eifersüchtigen Rache

Werde sonst ich schmerzlich aufgestört.


Kannst du mir das Mädchen bringen,

Schaffst du rasch die Teure mir zur Stell',

Deine Feinde zu bezwingen,

Geb' ich Keule dir und Löwenfell.
(S. 335)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Schon blühn die Levkojen, schon blühn die Narzissen,

Von des Frühlings reichlichem Regen geweckt,

Mit Lilien sind, ein duftiges Kissen,

Der Berge grünende Halden bedeckt.


Und die Blume der Blumen ist aufgegangen,

Sie reizend vor allen und wunderbar,

Zenophila wecket der Liebe Verlangen,

Die süßeste Rose der ganzen Schar.


Was lachen die Fluren? Vergeblich funkelt

Die blumige Wiese in strahlendem Glanz:

Des Mädchens Schönheit euch alle verdunkelt

Und leuchtet mir mehr als ein duftiger Kranz.
(S. 335)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Hellstimmige Mücken, ihr schamlose Brut,

Ihr nächtliches Geflügel-Ungeheuer,

Die ihr so gierig saugt der Menschen Blut,

Verschonet doch die Liebste, die mir teuer.


Gewährt ihr ruhigen Schlaf nur kurze Zeit,

Ich fleh' euch an, biet' euch die eig'nen Glieder,

Die fresset auf, sie seien euch geweiht -

Allein vergebens! Ach, da sind sie wieder,


An ihrer zarten Haut sich recht zu weiden,

Ihr Bestien, meine Langmut ist zu Ende,

Ich sag's zum letzten Male, seid bescheiden,

Sonst spürt ihr meine eifersüchtigen Hände.
(S. 337)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Sie nenne mir, schenkst du den Becher ein,

Ruf' Heliodora, ruf' es klagend laut,

Und stets aufs neu dem unvermischten Wein

Vermisch' den Namen, der mir süß vertraut.


Und setze mir den Blumenkranz aufs Haupt,

Den noch von gestern Myrrhendüfte tränken;

Wohl ist er schon verwelkt und halb entlaubt,

Doch bei dem Kranze muß ich ihrer denken.


Du Festgenossin aller, welche lieben,

Dir biet' ich Tränen, Rose, statt der Lust:

Heut' ist sie fort, wir sind allein geblieben,

Du wirst sie nicht mehr sehn an meiner Brust.
(S. 337)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Wohlan, schenk' mir auf Heliodora ein,

Die Peitho mir zugleich und Kypris ist,

Und wieder leer' ich auf ihr Wohl den Wein,

Der süßen Charis voller Zauberlist.


Von allen Göttinnen sie ganz allein

Erkenn' ich an - allein in meiner Brust

Ihr Name steht; ich misch' ihn in den Wein,

Trink' ihn hinab mit sehnsuchtsvoller Lust!
(S. 339)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Nur um dies eine bitt' ich dich, o Nacht,

O liebe Nacht, du Mutter aller Götter,

Ehrwürdige, die über alle wacht,

Verliebte Schwärmer und betrunkne Spötter:


Wenn irgeneiner heimlich und vertraut

Mit Heliodora jetzt im Bette ruht,

An sie geschmiegt, an ihrer zarten Haut

Sich wärmet, die im Schlafe Wunder tut,


So soll das Licht mit einem Mal vergehn:

Gleich dem Endymion sei ihm nicht erlaubt,

Das Antlitz der Geliebten anzusehn,

Nacht sei um ihn wie einst um jenes Haupt.
(S. 339)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Auf Heliodorens Haupte welkt der Kranz:

Nicht schmückt er sie, nein, sie dient ihm zum Ruhme,

Sie leuchtet draus hervor mit höchstem Glanz,

Der eig'nen Krone wunderbarste Blume.
(S. 339)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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O Nacht, wie füllst du mich mit Liebessehnen,

Schlaflose Nacht, schon zieht der Tag herauf,

Und auch das Morgengrau'n entlockt mir Tränen

Und stachelt tückisch meine Qualen auf.


Wahrt sie die Pfänder meiner Liebe alle,

Spürt sie den Kuß noch, Denkmal unsrer Lust,

Netzt sie ihr Bett mit reichem Tränenschwalle,

Drückt sie vom Traum getäuscht mich an die Brust?


Wie? oder hat sie sich verliebt aufs neue?

O Lampe, die ich selber ihr geschenkt,

Zum Wächter machte ich dich ihrer Treue:

Verlisch, sobald sie nicht mehr mein gedenkt.
(S. 341)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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O Biene, die du dich an Blumen nährst,

Was ließest du des Lenzes frische Dolden,

Daß du mir jetzt der Liebsten Haut versehrst?

Willst du mir sagen, daß sich bei der Holden

Ein Stachel birgt, der süß und bitter ist?


Dies, glaub' ich, sagst du mir mit kluger List,

Doch bin ich nicht so töricht, wie du denkst -

Flieg zu den Blumen, wo du heimisch bist,

Was du mir kündest, wußt' ich selber längst!
(S. 341)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Leimruten möcht' ich deine Küsse nennen,

Dein Aug' hält' Feuersgluten angeschürt;

Denn wen du angeschaut, der muß verbrennen,

Gefesselt liegt, wer deinen Mund berührt.
(S. 341)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Daß nun erreicht der Rolle letzte Wende,

Dies vielverschlungene Zeichen kündet's dir;

Und also steh ich an des Buches Ende

Beschriebne Blätter treu bewachend hier.


Ich nenn' ihn dir, der dieses Werk vollendet,

Das nun vereinigt aller Dichter Müh'

In diesem Buch, dem Diokles gespendet

Als Musenkranz, der ewiglich erblüh:


Den Meleagros. - Schlangengleich gewunden

Gekrümmt, so viel es möglich war, gewann

Ich diesen Ort mir: also wert befunden

Geweihter Grenze in der Schönheit Bann.
(S. 343)

Meleagros von Gadara (130-60 v. Chr.)

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Übersetzt von August Oehler (Ps. von August Mayer) (1881-1920)

Aus: Der Kranz des Meleagros von Gadara
Auswahl und Übertragung von
August Mayer
Mit gegenübergestelltem Urtext
Berlin Im Propyläen Verlag 1920


 

 

 


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