Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Kopf einer Thrakerin (von der Akropolis in Athen - gegen 470 v.Chr.)

 


Meleagros von Gadara (um 130. v. Chr. - um 60. v. Chr.)


(In der Übersetzung von Wilhelm Ernst Weber)




Kranz der Schönen


Pflückend die Blüthe der Knaben mit eigener Hand hat den reichen,

Seelenbethörenden Kranz Eros dir, Kypris, gefügt.

Denn Diodor drein flocht er, die wonnige Lilie, flocht auch

Asklepiades drein, holdes Levkoiengebild:

Auch Herakletos wahrlich, als einzige Rose von Dornen

Frei; doch als Weinstock schlank blühete Dion empor.

Krokos band er hinzu, goldblühenden Haares, den Theron,

Quendels ein Zweiglein auch legt' er, Udiades, bei;

Dann den Myskos mit weichem Gelock, stets grünendes Oelreis,

All', ausnehmenden Sinns Zweige sie, brach er sich ab.

Hoch vor den Inseln beglückt ist die heilige Tyros, dieweil sie

Balsamduftend ein Hain reizender Knaben umblüht.
(S. 19)

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Zweierley Liebe


Kypris, die weibliche, schleudert für Weiber bethörende Brände,

Männliche Sehnsucht lenkt Eros mit eigener Hand.

Halt' ich zum Kind nun zur Mutter mich? Mein' ich doch, Kypris

Selbst sagt: keck, wie es ist, bleibet dem Bürschchen der Sieg.
(S. 19-20)

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Verführte Augen


O ihr Verräther der Seel', auflauernd den Knaben, ihr Augen,

Denen in Kypria's Leim ewig bekleidet der Blick:

Lämmer den Wolf, wie die Krähe den Skorpion, wie die Asche

Glimmendes Feuer, so singt wieder den Eros ihr ein.

Macht, was immer ihr wollt: was laßt ihr mir rieselnde Thränen

Träufeln, und stürzt in den Glanz eiligen Laufes von selbst?

Laßt euch rösten vom Reiz, und geheizt von der Lohe nunmehr glüht.

Denn brät' Seelen er, ist Eros ein eifriger Koch.
(S. 20)

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Arznei der Liebe


Trinke nur, Liebebedrängter, und Bromios, süßes Vergessens

Geber, er schläfert die Gluth sehnender Miene dir ein.

Trinke nur Wein, und schlürfend den schäumenden Becher der Rebe

Stoße den düsteren Harm dir von dem Herzen hinweg.
(S. 20)

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Reise des Geliebten


Günstig den Schiffenden führt', o ihr Liebebedrängten, des Westes

Hauch mir die Hälfte des Seyns, meinen Andragathos, weg.

Dreimal selig die Schiff' und die Fluth hochheilig gepriesen!

Viermal aber beglückt der ihn enttragende Wind!

Wär' ich ein Delphin doch, daß auf er genommen von meinen

Schultern, er Rhodos' Flur sähe, der Reizenden Land.
(S. 20)

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Neues Eros


Kypris verneint, daß Eros ihr Sohn sey, seit in der Freunde

Kreis sie Antiochos sah, Himeros Doppelgestalt.

Ehre nun, blühende Jugend den jungen Beherrscher: ein Eros

Kam, der den Eros weit hinter sich lässet an Macht.
(S. 21)

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Deßgleichen


Trüge Eros die Chlamys, und hätt' an den Schultern die Flügel,

Köcher und Armbrust nicht, sondern ihn deckte der Hut:

Wahrlich, ich schwör's bei der zarten Gestalt, Antiochos wäre

Eros, und Eros dafür könnt' uns Antiochos seyn.
(S. 21)

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Kraft des Kusses


Als ich im Durste des Sommers den wonnigen Knaben geküsset,

Sprach ich, da frei ich sofort dörrenden Durstes mich sah:

Sicher, du trinkst Ganymedes mit Nektar getränkete Küsse,

Vater Zeus, und er schenkt dir mit den Lippen sie ein!

Denn ich trank, da ich küsst' Antiochos, welcher so herrlich

Vor den Gespielen erglänzt, lauteren Honig in's Herz.
(S. 21)

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Abermals neuer Eros


Zwar Praxiteles schuf, der Gestaltungen Meister, des Eros

Parisches Bild, wie er sich dachte der Kypria Sohn.

Doch jetzt formete Eros, der schönste der Himmlischen, selber

In Praxiteles Reiz athmend und lebend sich nach

Daß bei den Sterblichen dieser er selbst in dem Aether mit Tränken

Füll', und auf Erden wie dort führe den Scepter die Lust.

Selig der Meroper heilige Stadt, die der Jugend den neuen

Eros gezeugt, der ein Gott waltet in Knabengestalt.
(S. 21-22)

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Deßgleichen


Wenn Praxiteles einst, der Gestaltungen Meister, ein zartes

Abbild bloß nur der Form stummes Gepräge gemacht,

Züg' eindrückend dem Fels, tribt lebenden Zauber anjetzo

Dieser, den dreifachen Schelm Eros uns bildend in's Herz.

Wahrlich er gleicht in dem Namen ihm bloß, weit höher an Thaten,

Nicht umschaffend nur Stein, sondern beseeleten Geist.

Mög' er das Herz mir in Huld dann schmeidigen daß es in meinem

Busen sich form', und sodann Tempel des Eros ihm sey!
(S. 22)

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Macht der Schönheit


Still selbst sagt Herakleitos den Schauenden dieß mit den Augen:

Ich wohl sengte noch Zeus donnerversendende Gluth.

Aber fürwahr hinwieder die Brust Diodoros - sie redet:

Ich selbst schmelze den Fels, der mir zu Seiten erwarmt.

Mehr, wer lodernden Brand von den Augen des Einen empfangen.

Oder vom Andern am Reiz wonniger Gluthen vergeht!
(S. 22)

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Liebesverzweiflung


Hold nahet der Morgen; doch dort haucht Damis, im Vorhof

Schlaflos harrend, den Rest bänglichen Athems dahin,

Da Herakleitos der Arme gesehn; da unter der Augen

Blitz hintretend erschien Wachs er, zu Kohlen gelegt.

Wache mir auf, mein Damis, Verzweifelnder: weih' ich doch deinen

Thränen die meinigen leicht, selber von Eros verletzt.
(S. 22-23)

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Liebestod


Geh' ich dahin, Kleobulos (wie sollt' ich nicht? schmolz in der Knaben

Gluthen ich doch zu dem Rest weniger Asche bereits),

Fleh' ich dich: tränke die Urne mit Lauterem, eh' sie die Erde

Decket, und schreibe darauf: Eros dem Tod zum Geschenk.
(S. 23)

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Leichte Verwechslung


Führte die Wehr nicht Eros und Fittige, trüge der Sehnsucht

Bolzen im Köcher er nicht über die Schulter gehängt:

Bei dem Geflügelten selber beschwör' ich es, nicht zu erkennen

Wär's, wer Zoïlos, wer Eros, dem Aeußeren nach.
(S. 23)

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Ruf nach Hülfe


Die die bethörende Flamm', in der Lieb' Unglückliche, schöner

Knaben ihr kennt, und den Schmack bitteren Honigs erfuhrt:

Eisiges Wasser sogleich, bringt ebengeschmolzenen Schnees

Eisiges Wasser, und gießt solches mir über das Herz.

Denn Dionysios wagt' ich zu seh'n: doch Genossen der Knechtschaft,

Eh' es das Innre berührt, löschet das Feuer mir aus.
(S. 23)

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Desgleichen


Helfet, o helft, ihr Leute! So eben nur lass' ich die Meerfluth

Hinter mir, setze den Fuß kaum an das trockene Land:

Zerret mich dorthin Eros, der herrische, da er des Knaben

Minnige Schöne voran lässet als Fackel erglühn.

Und auf dem Fuß nun folgend, wie hold in der Luft die Gestalt mir

Vorschwebt, press' ich im Raub küssende Lippen ihr rauf.

Steur' ich nun nicht, entflohen den bitteren Wogen, zu Lande

Durch viel bittrere Fluth hin in der Kypria Dienst
(S. 24)

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Desgleichen


Nehmt, Weintrinker, mich auf, denn jetzt, da ich Wogen und Räubern

Glücklich zum Ufer entkam, bringet Verderben das Land.

Denn kaum setz' ich so eben den Fuß von dem Schiffe zur Erde,

Haschet und schleppt dorthin Eros, der herrische, mich,

Wo ich den lieblichen Knaben dahin sah lenken die Schritte,

Und mich Sträubenden nun tragen die Füße von selbst.

Feuer jedoch, nicht Wein, füllt itzt, wo ich schmauße, den Sinn mir:

Auf, Gastfreunde, darum, helfet ein wenig dem Freund!

Helfet dem Freund, Gastfreund', und dieweil in der Fremde mich Eros

Umbringt, nehmet dahier schützend den Flehenden auf.
(S. 24)

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Der Geliebte gesteht


Wehrlos gab mich, Theokles, der Sehnsucht waltende Göttin,

Gab mich dir Eros dahin, leise nur schwebend genaht,

Fremd auf fremden Gebiet, mit unlösbarem Zügel mich dämpfend:

Und nun wünsch' ich mir Treu' ohne zu wanken bescheert.

Doch du stößest hinweg den Ergebenen; aber es söhnt dich

Weder die Zeit, noch der Geist gleicher Besonnenheit aus.

Dennoch, o Fürst, sey gnädig! Es machte zum Gott dich das Schicksal.

Über das Leben, den Tod ist dir gegeben die Macht.
(S. 24-25)

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Gefährliche Reize


Auf Aristagoras ruhten, ihr Chariten, euere Augen,

Und in dem schwellenden Arm habt ihr den Holden gewiegt:

Denn Gluth facht er mit seiner Gestalt, und die sinnige Rede

Tönt holdselig, und süß plaudert des Schweigenden Blick.

Ferne von mir nur wall' er! Doch ach, was hülf' es? Der Knabe

Schnellet, wie Zeus vom Olymp, weit in die Ferne den Blitz.
(S. 25)

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Neue Liebessorge


Sorge beginnt mein Herz zu beängstigen, das mit des Nagels

Spitze nur tändelnd geritzt Eros, der sengende Gott.

Aber er sagte mit Lächeln: du hast nun wieder die süße

Wunde, vom Honig der Lust, Liebebedrängter, entloht.

Und nun wenn mit den Freunden das blühende Reis Diophantos

Wandelt, versagt mir zur Flucht, gleich wie zum Bleiben, die Kraft.
(S. 25)

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Unauslöschbare Gluth


Wandeln um Mittagszeit an dem Weg hin sah ich Alexis,

Als sich der Feldfrucht Haar eben der Sommer entschor.

Doppelte Strahlen versengten mich da: von den Augen des Knaben

Diese, durch Eros gesandt; jene von Helios Licht.

Doch die brachte zur Ruhe die Nacht: hingegen die andern

Ließ nur heller im Traum lodern die holde Gestalt.

Und so bringt mir der Schlaf, die er anderen löset, die Sorgen,

Senkend der Schönheit Bild, athmende Gluth, in die Brust.
(S. 25-26)

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Überflüssige Strenge


Ja, ich bin hin. Tritt auf den Nacken mir, grausamer Dämon!

Ja, bei den Göttern, ich weiß noch zu ertragen die Last;

Weiß von den glühenden Pfeilen. Nur immer die Brände geschleudert!

Nicht mehr sengst du das Herz: Asche noch ist es allein.
(S. 26)

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Seefahrt der Liebe


Schiffsherr ist mir die Kypris, und Eros sitzet am Steuer,

Der, in den Händen den Griff, scharf mir die Seele regiert.

Aber die Sehnsucht stürmet mit schwerem Geschnaube, dieweil sie

Auf vielländrigem Meer blühender Knaben mich trägt.
(S. 26)

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Passende Mischung


Süß ist's, lauteren Wein mit der Bienlein Seime zu mischen;

Süß, in der Schönheit Glanz reizenden Knaben zu nahn,

Wie zartlockiger, dich, Kleobulos, liebet Alexis,

Wahrlich ein Weinmeth, den Kypria selber gemischt!
(S. 27)

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Drohender Verruf


Stille mir, Eros, ich flehe, das Sehnen nach Heliodora,

Welches den Schlummer mir raubt, ehrend der Muse Gesuch.

Wahrlich, bei deinem Geschoß, das keinen, wie mich, zu erreichen

Weiß, und einzig auf mich leert den gefiederten Pfeil:

Wenn du mich tödtetest selbst, Buchstaben doch ließ' ich für mich noch

Reden: o Fremdling, sieh Eros verwogene That!
(S. 27)

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Alles in Einem


Schau' ich den Theron, erblick' ich das Weltall: seh' ich das Weltall

Aber, und Theron nicht, schwindet mir Alles dahin.
(S. 27)

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Nemesis


Was kein Gott sich vermäße, bei Kypria, kecklich entfuhr's dir,

Frevelndes Herz: nicht schön dünkte dir Theron zu seyn.

Nicht schön dünkte dir Theron zu seyn. Du gelobetest vorlaut:

Selbst nicht bebst du vor Zeus' donnerversendenden Gluth.

Siehest du wohl? Den zuvor Mundfertigen stellet zur Warnung

Dreisten Geredes nunmehr strafend die Nemesis auf.
(S. 27)

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Preis des Einen


Tyros ist reich, bei'm Eros, an Reizenden: aber Myiskos

Löscht, aufleuchtend, sie aus, Helios sternigen Glanz.
(S. 28)

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Vergeltung


Der ich in voriger Zeit der von Liebe Bedrängten so manchmal

Lacht' in der Jünglinge Kreis, wurde gefangen nunmehr.

Und mich stellet, Myiskos, der Gott mit den Flügeln an deinen

Vorhof, schreibend hinzu: Beute vom nüchternen Sinn.
(S. 28)

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Begreifliches Wunder


Den kein Sehnen noch traf, mir sandt' aus den Augen Myiskos

Unter das Herz das Geschoß, rufend das höhnende Wort:

Ich denn brach ihm den Trotz, und die scepterregierende Weisheit,

Die auf den Braunen stolziert, tret' ich mit Füßen anjetzt.

Ihm, aufathmend nur eben, erwiedert' ich: Holder, was staunst du?

Nahm vom Olympos doch selbst Eros gefangen den Zeus!
(S. 28)

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Licht der Schönheit


Lohet der blühende Reiz: o sieh, wie er blitzt mit den Augen!

Wollte des Donners Gewalt Eros dem Knaben verleihn?

Freude dir, der du den Menschen der Sehnsucht Strahlen, Myiskos,

Spendest, und leucht' in der Welt mir als ein hold Meteor!
(S. 28)

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Alles in Einem


Eines nur kenn' ich als schön, eins lediglich kennet mein lüstern

Auge, Myiskos zu schaun. Anderes findet mich blind.

Alles stellt jener mir vor. Sind etwa die Augen

Schmeichler geworden, und sehn, wie es die Seele sich wünscht?
(S. 29)

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Des Liebenden Furcht


Ist Zeus jener annoch, der hinauf vordem Ganymedes

Liebreiz führet', um ihm Schenke des Nektars zu seyn:

Ziemt auch mir den Myiskos am innersten Herzen zu bergen,

Daß er den Schönen einmal heimlich umfittige nicht.
(S. 29)

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Desgleichen


Zeus selbst würd' ich mich stellen zur Wehr, wenn solcher, Myiskos,

Wollte dich rauben, um ihm Schenke des Nektars zu seyn.

Zwar selbst hat er mir öfters gesagt: was bist du so bange?

Fürchte dir nichts: Mitleid hat mich das Leiden gelehrt.

So nun spricht er; doch ich, selbst wenn nur die Fliege vorbeischwirrt,

Aengstige mich, daß Zeus werde zum Lügner an mir.
(S. 29)

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Eros selbst verwundet


Sinnenverheerer, du weinst? Hast grausamen Bogen und Pfeile

Von dir geworfen, das Paar fiedriger Schwingen gesenkt?

Sengt dich vielleicht auch selber der siegende Blick des Myiskos?

Endlich erfährst du es selbst, was du an andern verübt.
(S. 29)

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Unvermeidliches


Lieblich und huldreich ist und im Namen mir wonnig Myiskos

Völlig, und kein Vorwand, ihn nicht zu lieben, besteht.

Denn schön ist er, bei Kypria, schön; und macht er mir Schmerzen,

Eros mischte von je Galle dem Honige zu.
(S. 30)

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Alles in Allem


An dich sind mir, Myiskos, des Daseyns Taue gebunden,

Und was von Seele mir blieb, athmet noch einzig in dir.

Sey dein Auge mir Zeuge, das selbst Taubstummen beredt ist;

Zeuge die Stirne, die hell über den Brauen sich wölbt.

Wirfst du verfinsterte Blicke mir zu, dann seh' ich nur Winter;

Lächelst du heiter mich an, blüht mir ein lieblicher Lenz.
(S. 30)

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Der Liebenden Seefahrt


Winterlich wehet die Luft; doch der Gott süßrinnender Thränen

Trägt in der Ständchens Gebraus dir, o Myiskos, mich zu.

Aber die Sehnsucht stürmt schwerathmend dazwischen. Im Hafen

Nimm den in Kypris Dienst Meere Durchschiffenden auf.
(S. 30)

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Pan beklagt den Liebling


Nicht mehr will ich mit Zickchen zusammen leben, und nicht mehr

Ich bocksfüßiger Pan wohnen auf waldigen Höhn.

Was ist süß, was erwünscht in den Bergen mir? Schied ja doch Daphnis,

Daphnis, der liebende Gluth uns in dem Herzen erzeugt.

Künftig bewohn' ich die Stadt. Zu der Thierjagd mögen sich Andre

Rüsten; das Frühere ist nimmer erfreulich dem Pan.
(S. 30-31)

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Natürliche Gründe


Staunst du, wenn Eros, das Grauen der Sterblichen, lodernde Pfeile

Schleudert, und höhnisch dich anlachet mit trotzigem Blick?

Er, deß Mutter dem Ares entbrannt und dem Gotte der Gluthen

Bräutlich vermählt, furchtlos Flammen und Schwertern sich naht?

Welchem die Mutter der Mutter, das Meer, vor den Streichen der Windsbraut

Heult, der erzeugerlos keinen Erzeuger sich nennt?

Darum führt von Hephästos die Fackel er, liebt sich der Wogen

Laun', und des Ares von Blut träufendes Jammergeschoß.
(S. 31)

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Wunderlich


Furchtbar, furchtbar ist Eros! Doch ach, ob ich's wieder und wieder

Sag', oft seufzend dazu, furchtbar ist Eros: was hilft's?

Darob lacht nur ein Knab', und ergötzet sich, wenn er mich schelten

Hört, und schimpf' ich ihn gar, wird er nur frecher darum.

Traun, nicht fas' ich, wie du, die aus bläulichen Fluthen emporstieg,

Kypris, aus feuchtem Gewog Gluth zu gebären vermocht!
(S. 31)

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Vergebliche Drohung


Nein, bei Kypria, Eros, ich werfe dir Alles in's Feuer,

Bogen und Skythischen pfeilschwangeren Köcher, in's Feur

Alles hinein! Was lachst du so albern noch? Warum verziehst du

Rümpfend die Nase? Gar bald sollst du mir büßen den Hohn!

Wahrlich, ich schneide die Schwingen, die süßes Verlangen in's Herz wehn,

Und um die Füße dir her schling' ich ein ehernes Band.

Und doch wär's ein verderblicher Sieg, dich zu wahren im Hause,

Nahe der Seele gesperrt, zwischen die Ziegen den Luchs.

Geh', Unbezwinglicher, lege noch an leicht hebende Sohlen,

Daß du dir andre geschwind nehmest zum Ziele des Fluchs!
(S. 31-32)

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Zu untersuchen


Mir dröhnt immer und immer des Eros Laut in den Ohren,

Und aus dem Auge sich schleicht leise die Zähre der Lust.

Weder die Nacht, noch die Helle beruhigt sie, und von der Sehnsucht

Hat wohl längst in das Herz kenntliche Spur sich geprägt.

O ihr geflügelten Götter, verstehet den Flug ihr zu lenken

Herwärts, aber hinweg auch um das Mindeste nicht?
(S. 32)

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Dreifache Liebe


Drei sind Chariten, drei sind süß jungfräuliche Horen,

Und mir wirbelt von drei reizenden Mädchen der Kopf.

Hat drei Bogen mir Eros gespannt, als dächt' er der Herzen

Nicht eins, sondern zugleich drei zu verwunden in mir?
(S. 32)

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Warnung


Thränenverkümmertes Herz, weßhalb doch bricht die geheilte

Wunde des Eros dir tief in dem Innersten auf?

Rege doch, rege, bei Zeus, ach rege doch, willig bethörtes,

Nicht die Flammen, die still unter der Asche noch glühn!

Denn hat Eros wieder, du leidenvergeßlicher Flüchtling,

Spielet er übel gewiß dir als Entlaufenem mit.
(S. 32-33)

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Widerspruch


Liege der Würfel! Wir gehn. Steck' an! - Auf, fasse dir Muth doch. -

Trunkener, was in dem Sinn führst du? - Zum Ständchen zu gehn. -

Ständchen zu gehn? Wo denkest du hin? - Kennt Liebe Besinnung?

Stecke nur an! - Wo denn bleibet der früh're Bedacht? -

Fort mit der grämlichen Mühe der Weisheit! Eines nur weiß ich:

Dieses, daß Eros gelähmt selber den Willen des Zeus.
(S. 33)

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Götterzwang


Tragen werd' ich dich, Bakchos, du herrischer. Auf, zu dem Ständchen

Führe mich! Sterblicher Herz lenket der Himmlischen Hand.

Selber geboren in Gluth bist hold du der Flamme des Eros,

Und nun fesselnd mich neu führst du den Flehenden hin.

Bist du doch traun ein Verräther und Schelm, und gebietend zu hehlen

Deine Geheimnisse, willst meine du machen bekannt.
(S. 33)

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Die Gefangene des Eros


Rief ich es nicht, o Seele, dir zu, bei Kypris, du fängst dich

Als um den Leim so herum, Liebebedrängte, du flogst?

Rief ich es nicht? Nun hält dich die Schling: in den Fesseln was zappelst

Jtzt du umsonst? Fest band Eros die Schlingen dir selbst,

Stellte zum Feuer dich dann und besprengte mit Salben die matte,

Und der Verdurstenden gab glühende Thränen er ein.

O schwerleidende Seele, nun glühest du bald von dem Feuer;

Bald dann athmest du auf, sammelnd den fliehende Hauch.

Weßhalb weinest du? Als in dem Busen du nährtest den harten

Eros, wußtest du nicht, daß du ihn nährtest als Feind?

Wußtest du's nicht? Nun lerne der nährenden Treue Vergeltung,

Da du zusammen empfängst Feuer und eisigen Schnee.

Selbst dir wähltest du dieß: nun trag' es auch. Würdiges Deiner

Thaten erfährst du, in Gluth kochenden Honigs getaucht.
(S. 33-34)

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Drohung


Wenn du die Seele so oft, die in Gluth schon schwimmende, brennest,

Wird sie dir, Eros, entfliehn: sie auch hat Flügel, o Thor.
(S. 34)

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Zweifel


Sterne, den Freunden der Lieb' holdleuchtende hohe Selene,

Nacht und du Werkzeug auch; schweifender Ständchen Geleit,

Werd' ich die lockere Schöne noch schlaflos treffen auf ihrem

Lager, indem sie der Lamp' allerlei klagend erzählt?

Theilet es einer mit ihr? In dem Vorhaus bind' ich die Kränze

Ab, und vor Thränen gewelkt lass' ich sie flehen für mich,

Dieses nur schreibend hinzu: Dir Ständchen begehend, o Kypris,

Hing Meleagros hier Reste der Zärtlichkeit auf
.
(S. 36)

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Wahrscheinlichkeit


Nein, bei der Timo, dem Schuhe der Heliodora,

Bei der Demarion Hof, immer mit Salben besprengt;

Bei Antikleia's Lächeln, der schmachtenden, farrengeaugten,

Und der Dorothea stets frisch sie umduftendem Kranz:

Nicht mehr kann dir der Köcher geflügelte Pfeile noch bergen,

Nicht mehr, Eros: sie sind alle verschossen an mir.
(S. 36)

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Zu Befehl


Traun, bei der zärtlichen Timo sich süß hinringelnder Flechte,

Demo's duftendem Leib, wonnig berückend den Schlaf;

Auch bei der Isias lieblichem Tand, und der Leuchte die meinen

Nächtlichen Ständchen geflammt, Zeuge so manchen Gesangs:

All mein Rest noch von Athem, er sitzt auf den Lippen mir, Eros.

Willst du es aber, auch ihn, sprich, und ich spuck' ihn hinweg.
(S. 36)

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Bedenkliche Frage


Bitter ist Eros Wog', und die eifersüchtigen Sorgen

Wehn schlaflos, und es stürmt lärmender Stäubchen Gebraus.

Wohin trägt mich die See, da des Urtheils Steuer dahin sind?

Soll ich noch einmal - noch Skylla die üppige schaun?
(S. 37)

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Süße Lockung


Blau, wie das ruhige Meer, so laden Asklepias Augen

Ein, gleich jenem, zur Fahrt, unter des Eros Geleit.
(S. 37)

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Treulosigkeit


Heilige Nacht, und Lampe, zu unserer Schwüre Vertrauten

Haben wir niemand sonst beyde, wie euch nur, erwählt.

Und er, mich nur zu lieben, und ich, ihn nie zu verlassen,

Schwuren wir; beyde zugleich waret ihr Zeugen dabei.

Und nun lässet den Eid in der Fluth hingleiten der Falsche;

Lampe, doch du siehst itzt andern am Busen ihn ruhn!
(S. 37)

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Frühes Geschick


Noch an dem Busen der Mutter, als einst am Morgen mit Würfeln

Eros der Knabe gespielt, setzte mein Leben er ein.
(S. 38)

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Vogelgesang


Leim, Timarion, ist dein Kuß und die Augen sind Feuer.

Blickst du, so steckst du in Brand: rührst du, so bindest du fest.
(S. 38)

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Reiz der Schönheit


Eros im Aether sogar, der geflügelte, ward ein Gefangner,

Weil dein Aug' ihn herab, süße Timarion, zog.
(S. 38)

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Wunder


Der auf die Jünglinge Flammen geschnellt, Diodoros der holde,

Wurde Timarions schmachtenden Augen zum Raub,

Durch süßbittre Geschoße des Eros getroffen. Ein neues

Wunder gewahr' ich: es wird Feuer vom Feuer verbrannt.
(S. 38)

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Das Fackelchen


Nicht mit dem Bogen mich traf, wie zuvor wohl, Eros; noch hat er,

Zündend die Leuchte, mir Gluth unter dem Herzen entfacht.

Sondern er trug bei'm Ständchen ein Fäckelchen, minnig von Salben

Sprühend, und setzte damit arg mir die Augen in Brand.

Dieß Licht schmelzte mich weg, und das niedliche Fäckelchen zeigte

Bald sich als mächtige Gluth, welche das Herz mir verzehrt.
(S. 39)

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Dasselbe


Vor zwar hatt' ich, den Eros zu fliehn: doch er, in der Asche

Fachend ein Fäckelchen an, fand mich in meinem Versteck.

Und nicht krümmend die Wehr, zwei Nägelchen nur an den Fingern,

Knippt' er am Feuer, und schnellt' heimlich ein Fünkchen auf mich.

Davon schlugen um mich her rings Flammen: o mächtig

Feuer, von Phanions Glanz mir in dem Herzen entloht!
(S. 39)

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Auftrag


Leichtdahinschwebende Schiffe der Meerfluth, die ihr der Helle

Sund, willkommenen Nord fangend im Segel, befahrt:

Wenn an den Ufern etwa ihr erseht auf Koischem Eiland

Phanion, wendend den Blick über das blaue Gewog,

Meldet die Worte: zu dir zieht, liebliche Braut, mich die Sehnsucht

Nicht auf Schiffen allein, selber zu Fuße dahin.

Richtet ihr dieses mir aus. Dann wird alsbald und in Zukunft

Zeus meerwaltender Hauch günstig die Linnen euch blähn.
(S. 40)

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Zu erneuendes Wunder


Morgen, warum, da so eben der reizenden Demo zur Seite

Erst ich erwarmt, brichst schon, Feind du der Liebenden an?

Daß du, sogleich umkehrend, doch schleunig zum Abende würdest,

Da du so herb auf mich breitest dein liebliches Licht!

Gingst der Geliebten des Zeus, Alkmene's, willen du einst doch

Rückwärts auch: du verstehst wohl zu verkehren den Lauf!
(S. 40)

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Ungleiches Maaß


Morgen, was drehst, unholder, du träg um den Himmel dahin dich,

Da sich in Demo's Arm labet ein Anderer jetzt?

Aber, als ich noch die schlank' umfing an dem Busen, da warst du

Rasch, als strahlte dein Licht, froh an dem Schaden, mich an.
(S. 40)

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Gaben der Götter


Eros gab Schönheit der Zenophila, Zauber des Lagers

Dankt sie der Kypris, und Reiz hauchten ihr Chariten an.
(S. 41)

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Bild der Geliebten


Wer hat Zenophila mir, die melodische Freundin, geschildert?

Wer von den Dreien gebracht eine der Chariten mir?

Traun ein fürwahr holdseliges Werk vollbrachte derselbe,

Da er die Göttin der Huld reichte zum holden Geschenk.
(S. 41)

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Die Geliebte von Göttern bedacht


Lieder der Musen zur Harf', anmuthiger Geist, der Beredung

Seel' und der Schönheit Sieg, welchen dir Eros verliehn,

Sprachen der Neigungen Scepter dir zu, Zenophila; denn dir

Haben der Huldinnen drei dreifaches Hold geschenkt.
(S. 41)

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Der Geliebten zauberische Gaben


Süß, wahrhaftig, bei Pan, dem Arkadier, spielst du die Harfe;

Süßer, Zenophila, noch webst du melodischen Laut.

Wohin flieh' ich vor dir? Allwärts mich umdrängen Eroten,

Lassen ein weniges Zeit, Athem zu schöpfen, mir kaum.

Denn bald reizet mich deine Gestalt, bald deine Talente,

Bald - was sag' ich? - Genug - Alles: ich lodre von Gluth.
(S. 41)

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Eifersucht


Liebliche Blüthe, du schläfst, Zenophila: könnt' ich als Schlaf doch

Eingehn, fittigelos, und auf den Wimpern dir ruhn;

Daß selbst dieser dir nicht, der sogar Zeus' Augen bewältigt,

Nahet, sondern allein ich nur dich hätt' im Besitz!
(S. 42)

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Abermals Göttergaben


Drei Huldgöttinnen schmückten mit Preis dreifältiges Reizes

Meine Zenophila aus, schenkend der Gaben ihr drei.

Eine verlieh ihr die minnige Lust, und die andre der Schönheit

Zauber, die dritte des Worts lieblichberedende Kunst.

Dreifach Glückliche, deren Umarmung feiete Kypris,

Peitho das muntre Gespräch, Eros die schöne Gestalt!
(S. 42)

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Geflügelte Botschaft


Eile mir, Mückchen, ein flüchtiger Bot', und dem Rande des Ohres

Leisanrührend genaht flüstre Zenophilen zu:

Wachend noch harret er dein: du aber, der Liebenden achtlos,

Schläfest so tief! Nun fleuch! Musenbefreundete, fleuch!

Sachte nur sprich, daß nicht, auch den Lagergenossen erweckend,

Ihm du ob meiner des Neids eifernde Qualen erregst.

Bringst du mir aber das Mädchen, so will ich dir, Mückchen, des Leun Haut

Anziehn, und in die Hand geben die Keule dazu.
(S. 42)

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Der versteckte Liebesgott


Eros, den Wildfang, rufet mir aus: denn eben noch, eben

Flog er mir weg, ganz früh, leise vom Lager entwischt.

Süß kann weinen der Knab', ist ein ewiger Plauderer, flink, dreist,

Spöttisch, am Rücken beschwingt und mit dem Köcher bewehrt.

Wer sein Vater, das weiß ich nicht recht: denn weder der Luftraum,

Weder die Veste, noch Fluth wollen ihn kennen als Sohn.

Allwärts ist er und Allem verhaßt. Habt aber genau Acht,

Daß nicht anderswo itzt Garne den Seelen er stellt!

Aber o sieh, da lauscht er im Neste ja! Warte nur, Schütze!

Seh's wohl, daß du im Aug meiner Zenophila steckst.
(S. 43)

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Der Blumen Preis


Lieblich erblühn Levkojen bereits, es erblühet des Regens

Freund, der Narkissos, es blühn Lilien auf dem Gebirg.

Aber die minnige Blume, des Frühlings holdeste Blüthe,

Peitho's Rose, wie blüht meine Zenophila süß!

Matten, was lacht ihr umsonst ob eueres Schmuckes so fröhlich?

Denn mein Mädchen beschämt jeglichen duftenden Kranz.
(S. 43)

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Eifersucht auf die Mücken


Ihr hell summenden Mücken, verwegene, saugend der Menschen

Blut, Unholde der Nacht, doppeltbeschwingtes Gewürm,

Gönnet Zenophilen doch, ich beschwör' euch, friedlichen Schlummers

Ein klein wenig, und zehrt mir an den Gliedern indeß.

Aber wozu denn red' ich vergebens? Selber die rohen

Thierlein schwelgen im Reiz ihrer ambrosischen Haut.

Nochmals sag' ich indeß: unnützes Geschmeiße, bescheidet

Euch; sonst fühlt ihr der Hand eifererregeten Neid.
(S. 43-44)

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Beneidetes Glück


Freude beseelet den Becher; er sagt, daß er meiner Geliebten,

Meiner Zenophila, Mund, jenen beredten, berührt.

Seliger! o daß sie mir die Seel' austränke mit Einem

Zug', an die Lippen mir fest pressend die ihrigen an.
(S. 44)

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Drohung


Fort zum Verkaufe mit ihm, wie er schläft in dem Schooße der Mutter:

Fort zum Verkauf! Was soll nähren den Rangen ich da?

Rümpft er die Nase doch immer, der Flatterer, kneippt mit den Nägeln

Boshaft, und wenn er weint, lachet er zwischenhinein.

Außerdem ist er so barsch, schwatzt ewiglich, spähet umher stets,

Ist halsstarrig, und fügt selber der Mutter sich nicht.

Kurz, nur ein Unband ist er. Hinweg mit ihm! Will vor der Abfahrt

Etwa ein Krämer sich ihn kaufen, so komm' er heran.

Aber er bittet o sieh, voll Thränen mich. Laß es nur gut seyn:

Bleibe nur da, ein Gespiel sollst du Zenophilen seyn.
(S. 44)

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Tiefster Eindruck


Tief in's innerste Herz die gesprächige Heliodora

Hat als Seele der Seel' Eros mir selber geformt.
(S. 44)

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Ballspiel


Ball spielt Eros mit mir: als Ball schlägt, Heliodora,

Dir mein klopfendes Herz, liebliche Freundin, er zu.

O gib Acht, und empfange das sehnende. Wenn du mich von dir

Wirfst, nicht trag' ich den Schimpf, der die Palästra verletzt.
(S. 45)

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Feier der abwesenden Geliebten


Schenke mir ein, und rufe nur immer mir: Heliodora!

Immer, den lieblichen Klang mischend mit lauterem Wein.

Und den mit Salben genetzeten Kranz, obschon er von gestern,

Als Andenken an sie leg' ihn mir dennoch um's Haupt.

Siehe, die Rose, die Freundin der Liebenden, weinet, dieweil sie

Jene wo anders, und nicht mir an dem Busen erblickt.
(S. 45)

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Die Eine


Schenke mir ein auf Kypris und Peitho in Heliodora,

Und dann wieder auf süßredenden Charis in ihr,

Denn sie ist mir die eine, die Himmlische, deren ersehnten

Namen ich trinke, gemischt unter den lauteren Wein.
(S. 45)

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Nagel der Geliebten


Eros nährte dich auf, scharf Nägelchen Heliodora's;

Denn ein Kniffchen von ihr - wahrlich das dringet in's Herz.
(S. 45)

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Neidisches Gebet


Eins, Allmutter der Götter, du freundliche, fleh' ich dich, Nacht, an;

Ständchendurchschwärmete, dieß fleh' ich dich, heilige Nacht:

Labet sich einer, bedeckt von dem Kleide der Heliodora,

Während des herrlichen Leibs Wonnen ihm scheuchen den Schlaf,

Laß ihm die Lamp' auslöschen, und ihn an dem Busen der Holden

Fühllos liegen als Kloß auf des Endymion Art.
(S. 46)

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Des Liebenden Bedenken


Nacht du und waches Verlangen nach Heliodora, und du auch,

Thränenerquickete Pein, wenn mir die Frühe verzieht:

Wahrt sie mir wohl noch Reste der Zärtlichkeit? Heget den Kuß sie

Auch in der Einbildung kaltem Gepränge noch wohl?

Gehen zu Bette mit ihr noch die Abschiedsthränen und drückt sie

Tröstlich im Traume getäuscht meine Gestalt an die Brust?

Oder vertreiben ihr Andre die Zeit? Nie mögest du, Lampe,

Sehn dieß! Hüte mir die, die ich zum Schutz dir vertraut.
(S. 46)

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Besserer Kranz


Matt hinwelket der Kranz um die Scheitel der Heliodora;

Aber als Kranz vor dem Kranz leuchtet sie selber hervor.
(S. 46)

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Des Liebenden Kranz


Flechten Levkojen und flechten den zarten Narkiß zu der Myrte

Will ich, und flechten zugleich lachende Lilien ein,

Dann auch lieblichen Krokos; dazu Hyakinthos in seinem

Purpurnen Glanz, und zuletzt Rosen, der Liebenden Strauß:

Daß um die Schläfe der duftigumlocketen Heliodora

Blumen verstreue der Kranz über das wallende Haar.
(S. 46-47)

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Der Geliebten Stimme


Traun, beim Eros, zu hören die Stimme der Heliodora

Ist mir lieber, wie selbst Phöbos Apollons Gesang.
(S. 47)

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Derselben Gespräch


Selbst Huldgöttinnen wohl wird Heliodora im süßen

Wechsel beredten Gesprächs hinter sich lassen an Huld.
(S. 47)

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Lehre der Biene


Blumenbewohnende Biene, was rührest du Heliodora's

Haut, von der Frühlingsflur Kelchen dich wendend hinweg?

Zeigest du an, daß Eros uns schwer zu verschmerzendes Bittre

Neben dem Lieblichen stets flößet am Stachel in's Herz?

Ja, das sagtest du, mein' ich. Enteile nur, Liebender Freundin,

Wieder; denn die Botschaft haben wir lange gewußt.
(S. 47)

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Der Geliebten Tod


Thränen noch, Heliodora, hinab auch unter die Erde

Bring' ich, der Zärtlichkeit Rest, dir in den Aïdes dar;

Thränen des bittersten Harms, und am reichlich befeuchteten Hügel

Gieß' ich der Sehnsucht sie, gieß' ich der Treue sie aus.

Schmerzlich ja, schmerzlich beklagt dich, o du, auch im Tode noch Theure,

Dein Meleagros, und beut Liebes den Schatten umsonst.

Weh, weh, wo ist mein wonniges Reis? Hinrafft' es der Hades,

Rafft' es dahin: es verheert Staub ihm den blühenden Glanz.

Doch dich fleh' ich, o Erd', Allnährerin: nimm die Beweinte,

Sanft sie umarmend, dahin, Mutter, an's liebende Herz.
(S. 47-48)

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Übersetzt von Wilhelm Ernst Weber (1780-1850)

Aus: Griechische Anthologie
Metrisch übersetzt von
Dr. W. E. Weber
Erstes Bändchen
Stuttgart Verlag der J. B. Metzler'schen Buchhandlung
1838


 



 

 


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