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      Hannes Hafstein (1861-1922)isländischer Dichter
 
 
 
 Das Hirtenmädchen
 
 Ich weiß noch, wie ich zum erstenmal
 den klarsten Beweis gefunden,
 daß "er" und "sie" nicht dasselbe ist,
 wie ich's ahnte in manchen Stunden.
 
 Einst ging ich, nach den Pferden zu schaun,
 so vormittags ziemlich zeitlich;
 ich schlenderte langsam den Fluß hinauf
 und wandte sodann mich seitlich.
 
 Ich kam zu den Hürden der Schafe, blieb
 wie immer ein Weilchen dort stehen,
 und sah ein Mädchen nicht weit von mir;
 das mußt' ich mir näher besehen.
 
 Sehr üppig war sie, erhitzt und rot,
 und hatte Schafe zu weiden;
 sie knüpfte eben das Hemd sich auf,
 um weniger Hitze zu leiden.
 
 Breit fiel das Haar auf die Schultern herab,
 halb offen die Lippen stunden,
 die Unterlippen war blutrot, feucht,
 und es glühten die Wangen, die runden.
 
 Das Leibchen, das ihr zu enge fast,
 war oben geöffnet: es drangen
 die Brüste vor, und das schließende Band
 war vorne ihr aufgegangen.
 
 Die nackten Arme leuchteten hell,
 beschienen vom Sonnenglanze;
 dies alles sah ich genau mir an,
 und seltsam fand ich das Ganze.
 
 Der Morgenwind, der ihr entgegenblies,
 legte den Rock in Falten
 und zeigte, dicht geschmiegt an den Leib,
 die Formen, die wohlgestalten.
 
 Da schämte ich mich und eilte davon
 und spähte nach ihr doch daneben.
 Ich wußte es nicht, doch weiß ich es jetzt:
 dies hatte erweckt mich zum Leben. - 
      (S. 193-194)
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 Sonnenuntergang
 
 Mit offnem Goldhaar und den Tag im Arm
 will nun zum Freudenbett die Sonne schreiten;
 von ihrem Busen läßt sie licht und warm
 den güldnen Mantel leise niedergleiten
 und breitet ihn auf ihres Lagers Rand.
 Errötend lächelt sie mit letztem Blinken
 noch "gute Nacht" dem Meer zu und dem Land,
 um liebreich dann in Aegirs Arm zu sinken. 
      (S. 197)
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 Segelfahrt
 
 O Lust, so im Boote zu sitzen
 mit ihr ganz allein
 und zärtlich zu sein!
 Sie scheut nicht das Schaukeln - und spritzen
 Sturzseen uns an,
 so lacht sie nur dann.
 
 Und voll ist das Segel gleich schwellenden Brüsten,
 bewegt ist die See, wie mein Blut nun pulsiert.
 Die Luft ist so warm wie der Hauch, wenn wir küßten,
 und jüngferlich scheu und empfindlich
 das Boot vor der Brise sich ziert.
 
 So fährt es sich gut, meine Liebe!
 Hei, sieh, wie der Mast
 sich biegt wie ein Ast!
 O, wenn nur die Brise so bliebe!
 Wie wohl ist mir hier
 allein so mit dir!
 Ich will mit der Rechten das Steuer nun halten
 und drück' mit der Linken dich fest an die Brust
 und küsse dich, während die Wogen wir spalten.
 Der Kraft, die ich jetzt in mir fühle,
 war früher ich niemals bewußt.
 
 Schmieg fester dich an! Hei, wie mächtig
 die Wogen jetzt sind!
 Hörst pfeifen den Wind?
 Sag, segelt mein Schiff nicht ganz prächtig?
 Es teilt auch die Flut
 bei Gegenwind gut.
 Und sieh, wie die Wogen sich brechen am Kiele!
 Sie gleiten dann schmeichelnd die Seiten entlang,
 sie flüstern und wiegen sich neckisch im Spiele,
 um küssend aufs blauklare Meerbett
 zu sinken in sehnendem Drang.
 
 Komm, leg nun dein Haupt, meine Teure,
 hierher, wo erregt
 mein Herz für dich schlägt.
 Und Brust so an Brust nun erneure
 den Liebesschwur hier
 ich wieder mit dir!
 
 So innig, wie hier sich die Wogen umfangen,
 sei unserer Herzen holdseliger Bund,
 und heiß, wie die Strahlen des Morgens oft hangen
 an lieblichen Wellen der Brise,
 laß pressen uns Mund auch an Mund!
 
 Doch laß auf die Insel uns gehen,
 wo Wäldchen ich weiß,
 recht schattig, nicht heiß,
 weil kühlende Lüftchen dort wehen.
 Ein Wasserfall saust
 hernieder und braust;
 sein Rauschen wird locken, sein Bächlein uns kühlen.
 Ein flüsterndes Sausen den Laubwald durchzieht
 ein Sausen, wie's unsere Herzen nun fühlen . . .
 dort wollen wir ausruhn und singen
 der Liebenden süßestes Lied. 
      (S. 199-201)
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 Erinnerungen
 
 Ich seh' dich; die Augen lachen,
 die Wangen sind glühend heiß;
 doch bist du noch gar zu schüchtern
 und sprichst nur wenig und leis.
 Still such' ich deine Hände
 und neige mein Haupt dir zu;
 du blickst verlegen zur Seite,
 dabei aber lächelst du.
 
 Ich seh' dich; den Hals dir umflutet
 das offene Lockenhaar.
 Wie blinkt der wogende Busen,
 der fesselnden Bande bar!
 
 Auflohen die Augen, es beben
 die Lippen, so rot wie Blut.
 Wir flüstern leise von Liebe
 und tauschen Küsse voll Glut.
 
 Ich seh' dich; wie sind deine Augen
 so seltsam müde und matt;
 und leichte Runzeln durchziehen
 die Stirne, die einst so glatt.
 Wir halten uns noch bei den Händen,
 doch neigen wir nicht mehr uns zu:
 ich denk' an ein andres Mädchen,
 an andre Dinge du . . . 
      (S. 201-202)
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 übersetzt von Josef 
      Calasanz Poestion (1853-1922)
 
 Aus: Eislandblüten Ein Sammelbuch neu-isländischer Lyrik
 von J. C. Poestion
 Mit einer kultur- und literarhistorischen Einleitung
 und erläuternden Glossen
 Leipzig und München 1904 Verlag von Georg Müller
 
 
 
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