Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Zygmunt Krasinski (1812-1859)
polnischer Dichter



Allwärts und allezeit

O, sage nicht, wenn ich erlöst vom Leid,
Daß ich nur dich mit herber Pein beschwert -
Ich hab' ja auch den Wermuthskelch geleert
Allwärts und allezeit!

O, sage nicht, wenn ich erlöst vom Leid,
Daß ich nur dir das Lebensglück vergällt -
Vergiftet hab ich ja auch mir die Welt
Allwärts und allezeit.

O sage nur, wenn ich erlöst vom Leid,
Daß Gott zur rechten Zeit mich zu sich nahm -
Ich schuf ja dir wie mir nur Qual und Gram
Allwärts und allezeit.

O sage nur, wenn ich erlöst vom Leid,
Daß dich mein Herz, ob's auch im Wahn getobt,
Trotz bittern Wehs, geliebt, wie es gelobt,
Allwärts und allezeit.


Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)

Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889 (S. 419)

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Letzter Wunsch

Gern stürb' ich heute, morgen, jeden Tag,
Der ich seit Jahren schon im Sterben lag!
Die Fäden ohne Schmerz, mit leichter Hand
Zerschnitt ich, die mein Herz der Welt verband,
Zum Abgrund sänk' ich ohne Laut und Spur,
Verrinnend, wie ein Nebel auf der Flur,
Wie eine Thrän' im Strom! - Doch eh' zum Glück
Ich kehr' in Gott, von dem ich komm, zurück,

Möcht' ich bei Dir im letzten Stündlein sein,
Und schlummern sanft in Deinen Armen ein!
Und legt' ich meines Kummers Bürden ab,
So bette meinen Körper Du ins Grab!
Nur kein Gewölbe dumpf und klösterlich,
Laß über meine Stirn erheben sich;
Genug im Kerker lag ich auf der Welt, -
Im Tode laß mich ruhn auf freiem Feld!

Im Mattengrün auf blüthenreicher Au
Bett' unter Gottes weitem Himmelsblau
Mein träumend Herz! Gönn' ihm die letzte Ruh',
Und deck' es leicht mit weißem Marmor zu.
Pflanz' um den Marmor Epheu, Busch und Strauch,
Daß sie mir Schatten spenden, Duft und Hauch!
Reih' aneinander Ros' und Nelke dicht,
Märzveilchen, Immergrün, Vergißmeinnicht,
Maßliebchen, Myrth' und Alpenveigelein,
Maiglöckchen auch aus unsrem Buchenhain!
Die lebend einst ich pflanzte Dir zu Lieb',
Die Blümlein alle Du - dem Todten gieb:
Bedenke, wie gehofft ich und geglaubt,
Daß sie bekränzen einst mein schlummernd Haupt,
Bis ich gebeugt von all der Blumenlast, -
Der letzten Liebesgabe - sink' in Hast

Zur Ewigkeit, bis daß an meiner Statt
Dereinst ersprießt Gezweig und Kelch und Blatt,
Bis daß aus mir ein stilles Blümlein ward,
Das Dir sein Herz nur öffnet, duftig, zart,
Das, ob von Todesnacht auch rings umgraut,
Zu Dir im Lenz mit tausend Aeuglein schaut,
Dein Füßchen weich umschlingt, wie Seidenband
Und Dir nur blüht in sonnig heitrem Land.

Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)

Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889
(S. 420-421)
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O, bet' für mich!

O, bet' für mich! - mir will Verzweiflung nahn
Um meiner Väter, meinen eignen Wahn!
O, bet' für mich! - daß nicht des Grabes Nacht
Nach dir die Sehnsucht mir zur Hölle macht.
O, bet' für mich! - daß ich nach all dem Weh',
Bei Gott im Himmel einst dich wiederseh',
Um aufzuathmen dort mit dir einmal,
In all der Trübsal, all der Herzensqual.
O, bet' für mich! mein Leben ist nur Tand,
Seit du von mir dein Herz hast abgewandt!
O, bet' für mich! - der dich so treu geliebt,
Mit Inbrunst, wie es größer keine giebt!
O, bet' für mich! - der ich ins Unglück lief;
Mein Herz ist grad, mein Lebenspfad ist schief!
O, bet' für mich! - Verdamme du mich nicht,
Sprich, wie vom Bruder eine Schwester spricht!
O, bet' für mich; - kein Andrer lenkt mein Herz
So im Gebet, wie du, mir himmelwärts!
O, bet' für mich! - Der auf der weiten Welt
Niemand mehr hat, der ihn noch aufrecht hält,
Und gar nichts mehr, wonach der Sinn ihm steht,
Als daß einst Seel' in Seele sich ergieß',
Uns Beiden und in Eins zusammenfließ'
O, bet' für mich, für deinen Bruder, bet'!

Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)

Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889
(S. 422)
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Mein Ideal

Ob duft- und blütenleer die Winterwelt
Das Menschenherz in Eises Banden hält,
Bist du mein Lenz, wird immerdar erblühn
In meiner Seele noch der Hoffnung Grün.
Bist du mir treu, im trübsten Mißgeschick,
Noch in mein Leben strahlt ein Sonnenblick.

Ich glaubte Menschen, die - des Geistes bar,
Der Menschheit, die - nichts als Verwesung war,
Der Zukunft, die - mich auf die Folter spannt',
Da mir nicht Heimat blieb, noch Vaterland:
Die ganze Welt ist Lug und Trug und Schein -
Nur du bist Wahrheit immer, du allein!

Nur deine Stimme, deiner Augen Licht,
Und deine Huldgestalt, sie lügen nicht:
Ein Engel ist es, der aus ihnen spricht!
Ein Traum war alles, was ich je geseh'n;
Nur du bist Wirklichkeit, wirst nie vergeh'n,
Als Ideal mir stets vor Augen steh'n!

Laß mich die Kniee beugen denn vor dir,
Den Saum des Kleids dir küssen noch einmal
Mit schmerzdurchzuckten Lippen, und als Zier
Dies Blümlein reichen, dir, mein Ideal!


Übersetzt von Albert Weiß (1831-1907)

Aus: Orient und Occident Eine Blütenlese aus den vorzüglichsten Gedichten
der Weltlitteratur in deutschen Übersetzungen
Nebst einem biographisch-kritischen Anhang
Herausgegeben von Julius Hart
Minden i. Westf. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 434)

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