Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Francesco de Lemene (1634-1704)
italienischer Dichter



Ein Traum
(Sonett)

Seltsamer Traum! Mir ist es vorgekommen,
Ich sei mit der Geliebten in der Hölle,
Daß Strafe unsrer Sünde sich geselle
Hätt' uns die Marterstätte aufgenommen.

Verwegne Höh' war strafbar ich erklommen,
Daß Liebesnetz' ich einer Göttin stelle,
Sie fehlt' als grausam, da des Herzens Zelle
Im schönen Busen Härte eingenommen.

Doch kaum erblickt' ich mich im Höllenschlunde,
Da wandelte sich mir im Augenblicke,
Geliebte, dieser Ort zum Paradeise.

Ich selbst erfreut, sah Freud' an deinem Munde,
Mich freut', daß deine Schönheit mich entzücke,
Und dir sind meine Qualen süße Speise.
(S. 478-479)
______



Die Rose und der Hiacynth
(Canzonette)

In einem Garten, den geschmücket
Natur mit holder Schönheit Reiz,
Hat, da er eine Ros' erblicket,
Der Hiacynth sein Leid geklagt.
Ein West, der dort umhergespielet,
Verrieth's in seiner Sprache mir,
Wie sie den Schmerz, der sie zernichtet,
Im Wort einander ausgetauscht.
"Du seufzest, Ros'?" - Und du mußt klagen,
O Hiacynth? - "Ach Schmerz!" - O Tod! -
"Welch' hartes Loos drückt dich mit Plagen?" -
Was seufzest du im Klageton? -
"Den harten Schmerz will ich dir künden,
O Rose, der mich wild verzehrt,
Mich dünkt, ich müss' ihn leichter finden
Schickt' ihn das Herz zur Lipp' empor." -
Auch meine Noth sollst du erfahren
Die schwer mein ganzes Sinnen drückt,
Der Wand'rer mag dann offenbaren:
Ob's Kummer, gleich dem meinen, gibt. -
"So sage, Ros', in süßer Weise
Die Ursach' mir von deinem Leide." -
Nein, Hiacynth', sprich du, denn leise
Zerrinnt indeß der Zähren Strom. -
"Kann dir's, o Königin, behagen,
Will ich erneuen meinen Gram;
Von allen Blumen, die hier ragen,
War ich der Sonne Lieblingskind.
Wenn sie, in göttergleichen Strahlen,
Vergoldete des Berges Stirn,
Und bunt die Flur begann zu malen,
Sollt' ich nur ihr Gefährte sein.
Ich füllte mit geliebtem Lichte
Den trunknen Geist mir reichlich an
Genoß des Traumes goldne Früchte,
Schlief ich an ihrem Busen ein.
Durch jene Frucht dem Tod verfallen,
Die Adam einst verboten aß,
Sah' ich zum Tod die Sonne wallen,
Die heiße Liebe zu mir trägt.
Ein Ach! muß meinem Kelch entgehen,
Das meine Blätter trübe regt,
Ich traur' ums Weh von ihren Wehen,
Um ihren Schmerz in eigner Pein." -
O Hiacynth, ich kann mit Zagen
Dir nun vertrauen meinen Schmerz.
Nicht hab' ich Zungen ihn zu sagen,
Empfinden nur kann ihn mein Herz.
Schau an: im Thränenthaue baden
Sich meine Blätter weich genetzt,
Wie eine Mutter, schmerzbeladen,
Den todten Sohn begraben läßt.
Schau her, mit den barmherz'gen Blicken
Schau an die Jungfrau ohne Trost,
Sieh, wie mich überall durchzücken,
Ich weiß nicht, ist es Schwert, ist's Dorn.
Dir gleichend, makellos geboren
Ist fleckenfrei der Blüthen-Kelch,
Auch ich ward von der Sonn' erkoren:
Sie wollte völlig rein mich sehn.
Die Sonne, die mir Leben schenket,
Die nämliche gibt mir den Tod.
Da sie das Herz zum Sterben kränket
Wenn sie von uns sich scheiden will.
Ich Glückliche! da sie entbrannte,
Mich traf der Neid der Blumenflur,
Daß mich beglückt ein Jeder nannte,
Doch stirbt sie, gleicht nichts meiner Noth.
Sie gehet auf in einem Garten,
Sie gehet auf zugleich mit mir,
Und in des Niedergangs Erwarten
Sterb' ich, so bald sie selbst erlosch.
Wie muß ein dunkler Schlei'r umweben
Mit schwarzer Nacht die ganze Welt,
Wie muß die Erd' im Innern beben!
Wie fährt ein Schau'r durchs Himmelszelt.
Ach! meine Sonne ist im Neigen,
Nun schaue meinen Jammer an,
Mein Tod muß ihrem sich verzweigen,
Ich eile elend in den Tod!
Hier sank die Rose im Erkalten,
Und neigt' zur Erde ihren Kelch.
Als wenn ein Sohn sie aufgehalten
Fängt sie der Hiacynth jetzt auf.
Wenn die Geschicht' im Dichtungskleide
Mit Trau'r und Mitleid schon euch füllt,
Wie wird euch werden, wenn ich scheide
Die Wahrheit vom erfundnen Schlei'r.
Eu'r Mitleid minder hart zu wecken,
Webt' ich in Dichtung was geschah.
Zwei Blumen mußten d'rum verstecken
Das Leid, so offen tief euch schmerzt.
Mein Lied - verschleiernd euch begann es -
Zieh' nun des Mitleids Hülle ab:
Es war der Hiacynth Johannes,
Die Rose ist Marias Bild.
(S. 479-481)
_____


Aus: Handbuch der Geschichte der
Italiänischen Litteratur
Erläutert durch eine
Sammlung übersetzter Musterstücke
Herausgegeben von Dr. Fr. W. Genthe
Zweite Abtheilung: Die Italiänischen Dichter
Magdeburg Verlag von Ferdinand Rubach 1834
[Übersetzer sind nicht explizit genannt]


 


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