Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Charles van Lerberghe (1861-1907)
belgischer Dichter




Erwartung

Wer führt mich aus dem Morgenschimmer
Zurück der unsichtbaren Welt,
Wo ich den Engeln war gesellt!
Es tagt! Ich träume hier noch immer.

Der über Rosen zog daher,
Der Zauberhauch aus holder Ferne,
In die azurnen Augensterne
Kommt er wie Frühschein tief im Meer.

Die Stunden, alles will verschwimmen;
Weit in himmlischem Gartenflor
Singen die Schwestern noch im Chor,
Ich lausche ihren fernen Stimmen.

In Freud' und Bangen beb' ich hier,
Von Blondhaar nur umhüllt die Glieder.
Flösse doch Sonne auf mich nieder,
Fiele ein Schatten doch von mir!
(S. 83)
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In den Wasserlilien

Steht sie auch nicht vor Augen dir,
Wiß in die Seele, sie ist hier,
Himmlisch, weiß, wie sie einst erschienen.

Auf diesem Strand ruht ihre Hand,
Sie streift im Gehn der Büsche Rand,
Ihr Haupt ist zwischen den Jasminen.

In diesen Zweigen hält sie Ruh,
Die Augen zu, die Lippen zu,
Wie für den Atem selbst versiegelt.

Wach nur erscheint sie manchesmal
Des Nachts in einem Blitzesstrahl,
In den Augen den Blitz gespiegelt.

Ein kurzes Leuchten blau und klar
Zeigt sie in ihrem langen Haar;
Sie erhebt sich vom Schlummersitze.

Und eines ganzen Gartens Pracht
Leuchtet auf in der tiefen Nacht
In eines Traumes raschem Blitze.
(S. 84)
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Das Glück

Siehe, das Glück. Es kommt so still,
Man weiß es stets, wenn es kommen will.
Bereitet ist ihm der Tisch zum Mahl,
Die Abendlampe, der Festpokal.
O, wie schön sind des Glückes Schritte!
Es tritt wie ein Gott in unsre Mitte.
Mit Rosengewinden schmücket die Thür,
Daß es hier weile für und für!
Es blickt uns an, so mild, so groß,
Es spricht kein Wort, es lächelt blos.
Hier ist Brot und hier ist Wein
Und die Gartenfrüchte hier sind dein.
Schweigender, holder Wandersmann,
Bleib lang bei uns, wir flehn dich an.
Halte nur diese Nacht noch Rast,
Bleib bei uns, o lieber Gast!
(S. 85)
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Die Gleichen

Die eine neigt sich zur andern hold,
Da fließt in einander Haar und Haar.
Das eine ist blond, das andere gold.
Die beiden Köpfchen, einander so nah,
Träumen zusammen denselben Traum;
Mehr ähnelt Blume der Blume kaum.
In gleicher Jugend einander so gleich
Sprechen sie liebereich.

Die eine sagt:
Es tagt!
Die andre erwidert verträumt:
Die Sonne säumt!
Bin ich denn wirklich, o sprich!
Bist du der Schatten oder ich?
Welche von uns erblicken die Augen,
Die uns bewundern, dich oder mich?

Sie schweigen. Was noch sagen?
Aus einsamen Tagen
Kamen sie hier zusammen
In ihrer Liebe stillen Flammen
Und wurden beid
Zu einer neuen Einsamkeit.
(S. 86)
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Das goldene Boot

In einem Boot aus dem Morgenland
Kamen zurück drei Mädchen jung.
Drei Mädchen jung aus dem Morgenland
Kamen zurück in goldnem Boot.

Die eine war schwarz von Haaren,
Sie war es, die am Steuer stand:
Sie brachte auf rosenduftigen Lippen
Uns Mären her so fremd und eigen
In ihrem Schweigen.

Die andre war braun von Haaren,
Sie hielt das Segel in der Hand
Und ihre Füße trugen Schwingen:
Sie brachte uns Engelgeberden zu
In ihrer Ruh.

Die dritte war blond;
Sie schlief am Bug, und es schien ihr Haar,
Das in die Wogen gesunken war,
Wie Sonnenleuchten am Horizont:
Sie brachte, unter dem Schatten der Lider,
Das Licht uns wieder.
(S. 87)
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Abendgebet

Wie gute Engel wiegten ein
In meiner Kammer mich die Glocken.
Doch kann nicht jemand nahe sein,
Mir unsichtbar? frag' ich erschrocken.

Weiß ich, wer mir im Dunkel gut?
Sich spreiten seh ich Schattenschwingen.
Engel, nimm meinen Traum in Hut,
Bewahr mich vor des Abends Schlingen!

Schließ die Lippen, die Augen klar,
Falte die Hände mir gelinde,
Raste in meinem stillen Haar, -
Daß ich die vollste Ruhe finde.

Daß mir kein Hauch die Locken regt,
Die Hände streift kein Schwingenfächeln,
Nichts meinen dunklen Mund bewegt,
Ich einsam bin mit meinem Lächeln!

Komm, o komm, doch berühre nicht
Mein gestrig Kleid, nun schwarz von Kummer,
Komm und zeichne mit deinem Licht
Die Träume, die mir bringt mein Schlummer.
(S. 88)
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Frühlingsahnen

Ein Morgendämmern im April.
All deine Schwestern, die dir gleichen,
O traute Liebe, all die bleichen,
Zu dir die Pfade gehn sie still.

In Laubenschatten birgst dich du,
Im Hagedorn- und Myrtenschweigen,
Doch eine Pforte in den Zweigen
Führt sie geheimnisvoll dir zu.

Langsam beschreiten sie die Schwelle,
Die unbestimmte, Hand in Hand,
Ein Zug in langem Saumgewand.
Da wird die Nacht zu Morgenhelle.

Die erste späht. Ein leiser Schrei.
Ihr Blick hat deinen Blick getroffen.
Nun strahlen ihre Augen offen
In goldnem Lächeln bangenfrei.

Die Schwestern beben allesamt.
Du küssest sie mit holdem Munde
Und bis zum tiefsten Herzensgrunde
Sind sie von deinem Kuß durchflammt.
(S. 89)
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Spiel

Ein Kinderpaar spielt mit dem Amorkind.
Das eine ist taub, das andre blind.
Das eine, das ihn sieht im Schweigen,
Erspäht, so süß und rätseleigen,
Ein Wort auf Amors Lippenpaar,
Es sieht, wie das göttliche wunderbar
Auf seinen Lippen bebt und feiert,
Von einem Geheimnis ewig umschleiert.
In Sehnsucht sind die Lippen gewellt.
Ist es ein Hauch, wie er Blumen schwellt,
Oder ist es nicht, als würde eben
Ein leiser Kuß auf ihnen beben,
Wie Sammet weich, wie Seide lind?
Ein Kinderpaar spielt mit dem Amorkind.
Das andre, das ihn hört im Dunkeln,
Erlauscht wohl das Wort, doch sieht nicht funkeln
Die göttlichen Augen strahlendlicht
Des Unbekannten, der es spricht.
Seine Schönheit ist ihm in dunkler Seele
Ein Murmeln blos auf ferner Flur
Wie Rosen- und Atlasflüstern nur,
Ein Meeresrauschen, ein Wasserklingen,
Wo fallende Perlen untergingen,
Ein Klang, der kaum erlauscht, zerrinnt . . .
Ein Kinderpaar spielt mit dem Amorkind.
(S. 90)
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Zwischenspiel

Träume noch, o lichte Seele,
Mit deiner Augen blassem Azur,
Daß nichts hienieden fehle,
Daß alles Liebe nur.
In unsern Einsamkeiten,
In menschenfernen Weiten
Webe der Friede nur.
Schon sinkt der Dämmerflor.
Vergiß und komm in die wonnigen Gärten,
Wo leichter Stunden Chor
Unter Lächeln, unter Träumen
Das Leben entzaubert von seinen Härten.

Um einer runden Zisterne Rand
Schlingt sich mit Hin- und Wiederneigen,
Wie um die Stirn ein Rosenband,
Von blonden Mädchen ein Reigen,
Um einer Zisterne Rand.
Dann wieder zurück, und heiter
Giebt eine der andern die kleine Hand,
Und singend wandeln sie weiter,
Eine Krone um der Zisterne Rand.
Und ihre blonden Spiegelbilder
Schwimmen zwischen
Den goldenen Fischen
Im Silber
Der Flut.
(S. 91)
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Canticum Evae

Widmung
Deinem Schatten diese Blumen - verschmäh sie nicht -
Denn die Blumen sind Licht,

Deinem Herzen, das schläft, deinen Augen, die zu,
Denn die Blumen sind Ruh,

Deiner Stimme, verklungen im Lebensreigen,
Denn die Blumen sind Schweigen.


Erwachen

"Erwache!" sagt der weiße Morgen
Zu meinem Traum, "die Sonne lacht!"
Die Lider, die mir sie verborgen,
Erheb' ich still zu ihrer Pracht.

Der blauen Augen blasse Blüte
Berührt ihr Strahl mir wunderbar,
Mein Mund erwacht, der warmerglühte,
Ein linder Hauch erweckt mein Haar.

Die Seele selbst erwacht mit Beben,
So thut sich eine Rose auf,
Erwacht in all dem reichen Leben
Und geht in all der Liebe auf.

Zu meinem goldnen Lächeln sag' ich,
Staunend ob allem, was ich traf:
So wie ein Kind im Schlummer lag ich
Und Gott wiegt wieder mich in Schlaf.
(S. 94)
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Die Engel

Sie krönen meine Träume,
Die Engel licht und blond,
Sie sind der Horizont
Meiner Gedankenräume.

O wenn sie still und hold
Meine Seele umringen,
Strahl' ich rosig und gold
Inmitten ihrer weißen Schwingen.

Und bebe dann in süßem Schmerz
Wie das geheimnisvolle Herz
Einer Blüte, hienieden erblühend
So tief und o! so glühend.
(S. 95)
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Der Tod

Umflossen vom blassen Schimmerkleide,
Wie eine Sommernacht so hold,
In den Haaren weich wie Seide
Und blond wie Gold
Blumen aus der andern Welt,
So kommt auf Wolken vom Himmelszelt
Der Engel, der rasten darf an keiner Statt,
Zu dem Schläfer herab.

Ein frommer lieber Bote,
Gleich einem fernen Morgenrote
Naht er ihm zögernd und bebend.
Auf den strahlenden Füßen dann
Sich ein wenig erhebend,
Blickt er ihn an,
Blickt in den Schlummer tief hinein,
Noch immer von Träumen durchflüstert,
Blickt in das Licht der Seele so klein,
Das flackernd noch wacht
In der Nacht.

Dann mit seines Atems Hauch
Löscht er Flamme und Flüstern aus,
Und auf den Mund, noch lächelnd so eigen,
Küßt er seines Mundes Schweigen
Und legt
Auf das Herz, das still und stiller schlägt
Blütenleicht und weich wie Sammt
Seine Hand.
(S. 96)
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Die Wogen

O meine Engel, ihr Wogen,
Ihr kalten, hellen,
Eilenden Wellen,
Lippen und Schwingen,
Lachen und Singen,
Die ich in Träumen
Höre umschäumen
Mich und die Welt!

O meine Engel, ihr Wogen,
O meine Engel, ihr Wasser,
In denen mein Angesicht
Sich spiegelt in lauter Licht
Zwischen dem Schilf am Strand,
Den Blumen am Uferrand
Und dem Laubgesträuch!
In eurem Zittern und Flittern
Schau ich mich und höre euch.
Eure Lippen singen rings um mich;
Ihr seit mein flüchtiger Sang
Und eure Stimme ich,
Und ich komme zu euch und spreche:
O meine Engel, ihr Wogen,
O meine Engel, ihr Bäche,
Blaues Lachen in meinem Paradies!
O löst' ich mich auf, verlör' ich mich ganz
In eurer Reinheit stillem Glanz,
Taucht' ich in eure kühle Flut
Wie eines Sommerhimmels Glut!

Trinkt meine Lippen, erfüllt meine Seele,
Stillet den Durst meiner Augen mir,
Löschet der Locken stumme Flammen,
Die um die Glieder mir lodern zusammen:
Daß ich werde in euch mein Traum von mir, -
Ein Glanz, der in den Wellen,
Den dunklen Murmelquellen
Sacht
Vergeht in der Nacht,
Der noch im Entgleiten singt sein Lied,
Nackt und schauernd flieht
Unbekannten Meeren zu
In des großen Rauschens ewige Ruh.
(S. 97-98)
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Die Erste

Hier wo die Vögel und die frommen
Tiere des Waldes zu mir kommen,
Mir fressen aus der Rosenhand,
Wo nie ein Wort noch ward vernommen,
War ich's, die endlich Sprache fand.

Hier wo die Blumen blühn im Moose
Und Früchte leuchten fern und nah
In steter Weltmetamorphose
War ich es, eine Menschenrose,
Die man zum ersten lächeln sah.

Hier wo die Himmel weit sich dehnen,
Wo Strom und Flur und Bergeslehnen
Im Lichte lächeln unbewußt,
War ich es, die zum ersten Thränen
Vergoß in übergroßer Lust.
(S. 99)
_____


übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)

Aus: Die belgische Lyrik von 1880-1900
Eine Studie und Übersetzungen von Otto Hauser
Verlegt bei Baumert & Ronge in Großenhain 1902



 

 


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