Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik


 

Michelangelo Buonarroti (1475-1564)
italienischer Dichter



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Sonette

7.
An Luigi del Riccio (1544)
Die Liebe birgt, ein Schleier, alle Wunden,
Die man dem Leben und der Ehre schlug,
Ihr Trost ist Süssigkeit für uns genug,
So dass wir kaum mehr wünschen zu gesunden.

Doch wenn uns heimlich dann in spätern Stunden
Die Hand ein Netz gestellt, die erst zum Flug
Uns Schwingen lieh', löscht sich'rer nur der Trug
Die Liebe aus, je tiefer wir empfunden.

Treu bleibe mir der ersten Gnade Licht,
Die mich vom Tod gerettet; lass den Strahl,
Luigi, nicht vergeh'n, wenn Stürme toben!

Gerechter Zorn besiegt des Dankes Pflicht,
Und irr' ich nicht, wird auch nicht eine Qual,
Durch tausend Freuden wieder aufgehoben.
(S. 163)
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12.
An Vittoria Colonna
O sel'ger Geist, du dessen starker Wille
Mein Herz belebt, das nah' dem Tode war,
Der mich erwählt aus aller Edlen Schaar,
Der um mich sorgt in seines Daseins Fülle,

Erscheine mir zum Trost, mein Leiden stille,
Wie einst dem Blick, erschein' der Seele klar.
Die Hoffnung bringe, dass des Grames baar,
Bald Schmerz nicht mehr, nur Sehnsucht mich erfülle!

Da du bei dir mein Anwalt bist, (o Liebe,
O Huld, die mein noch denkt im Sorgendrange),
So huld'ge für die Huld ich dir ohn' Ende.

Ach welch' ein Wucher, schenkt' ich, schlau wie Diebe,
Dir schlechte Bilder, dass ich dann empfange,
Gestalten von dir wahr und schön als Spende!
(S. 173)
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13.
An Dieselbe
Mich wen'ger unwerth machen deiner Güte,
War meines schwachen Geistes heiss Verlangen;
Wie gern wär' ich entgegen dir gegangen
Auf halbem Weg, sieh wie ich mich bemühte!

Doch ach das Ziel, für das mein Herz erglühte,
Aus eigner Kraft werd' ich es nie erlangen;
Vergieb mir denn mein kühnes Unterfangen,
Durch Irren wird nun weiser mein Gemüthe.

Wer kann mit deiner Gnade je vergleichen,
Die auf uns niederträuft wie Gottes Segen,
Ein schwaches Werk, das ich geschaffen habe.

O sieh: Verstand, Gedächtniss, Kunst erbleichen;
Nie zahlt aus eignem Geist man und Vermögen
Mit tausend Spenden Eine Himmelsgabe.
(S. 175)
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14.
An dieselbe (1550)
Wenn wahre Kunst, mit Zügen und Geberden
Des Menschen Bild erfasst und aufgenommen,
Dann formt sie bald, vom Schöpfungstrieb entglommen
Als Erstgeburt ein schlicht Modell aus Erden.

Doch erst im Stein wird wahr nach viel Beschwerden,
Was uns der Hammer einst verhiess; vollkommen
Erscheint das Bild, die feinsten Züge kommen;
Unsterblichkeit giebt erst das zweite Werden.

Auch ich, als mein Modell ward ich geboren,
Und wie der Stein vom Meissel, hoff' ich täglich
Vollendung mir durch deine heil'gen Hände.

Doch willst du füll'n die Lücken, willst mich Thoren
Von Unform läutern, ach dann muss unsäglich
Ich dulden, eh' gedämpft des Herzens Brände.
(S. 177)
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17.
Wie kann es sein, was doch Erfahrung kündet,
Dass ein lebendig Bild aus Stein gemacht
Den Meister überlebt, der es erdacht!
Das Bild besteht, wenn er zu Asche schwindet.

Sieh, wie das Bild den Bildner überwindet!
Es weichet die Natur der Kunst an Macht;
Mich lehrt's die Bildnerei, was sie vollbracht,
Nicht Zeit und Tod zerstören es verbündet.

So könnt' im Stein ich oder auch in Farben
Uns langes Dasein leih'n, dass unser Wesen
Und unser Antlitz treu bewahret bliebe;

Dann sieht man tausend Jahr, nachdem wir starben,
Wie schön du warst, wie traurig ich gewesen,
Doch thöricht nicht, dass ich dich maasslos liebe.
(S. 183)
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19.
Ich bin jetzt vor mir selbst an Werth gestiegen,
Bin lieber mir, seit dich mein Herze hegt;
So wird erst auf den Stein ein Werth gelegt,
Wenn ihn der Künstler formt' mit edlen Zügen.

Und wie der Blick am Blatt sich mag vergnügen
Mit Schrift und Bild geziert, nach dem nicht frägt,
Das leer und kalt, so kann erst, seit geprägt
In meinen Geist dein Bild, ich mir genügen.

Als wären Zauber, wären Waffen mein,
So zieh' ich, ohne dass Gefahr mich trifft,
Mit solchen Schutzbrief aus nach allen Winden;

Stark gegen Feu'r und Wasser werd' ich sein,
Mit meinem Hauche tilg' ich jedes Gift,
Und mache sehend durch dein Bild die Blinden.
(S. 187)
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20.
Auf goldnem Haar wie glänzet vor Entzücken
Der Blumenkranz, wie dränget sehnsuchtsreich
Die Blüthe sich der Blüthe vor am Zweig,
Den ersten Kuss auf deine Stirn zu drücken.

Die Brust umschliessend freut sich dich zu schmücken
Dein wallend Kleid und deine Locke weich,
Die dem Gewebe goldner Fäden gleich,
Will nimmermüd' dir Wang' und Hals umstricken.

Doch gröss're Lust noch dieses Band geniesst
Mit goldner Spitze, das am Mieder presst
Die holde Brust, dir darf am Busen ruhen.

Der Gürtel schön verknüpft, der dich umschliesst,
Mich dünkt, er spricht: hier halt' ich ewig fest!
Was würden da erst meine Arme thuen?
(S. 189)
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21.
Für And're gütig, nur sich selber hassend,
So lebt ein niedres Thier; mit sanftem Leide
Giebt sterbend es sein Kleid, dass es uns kleide,
Und adelt sich, so schön sein Leben lassend.

Gern liess die todte Hülle ich erblassend,
Für die lebend'ge dir, den Leib, zum Kleide,
Denn wie die Schlange ihre bunte Scheide
Streif' ab ich mein Gewand, die Welt verlassend.

Ach wäre mein nur jenes dichte Vliess,
Aus dem das Kleid gewebt, das dich umwallt,
So blieb' ich bei dir bis zum Tagesschlusse!

Selbst dir als Schuh zu dienen, o wie süss!
Denn Basis wär' ich, Säule der Gestalt,
Und mindestens dir nah im Regengusse.
(S. 191)
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22.
Wenn man die Seele kann im Antlitz schauen
Hast du von meiner Liebe sich're Kunde!
O lass sie dir genügen, dass zur Stunde
Du dich erbarmst, du edelste der Frauen!

Von keuscher Gluth gerührt, mit mehr Vertrauen
Als ich erhofft, magst du zum Liebesbunde
Mir dann vielleicht dich nah'n. Wer aus dem Grunde
Des Herzens bittet, dem wird Gnade thauen.

O sel'ger Tag, der dieser Hoffnung Schimmer
Mir einst erfüllt! Dann haltet ein Ihr Zeiten,
Auf altem Pfade stehe stille, Sonne,

Dass ich, obgleich nicht werth der Huld, dir immer
Die sel'gen Arme darf entgegenbreiten,
Dich Süsse zu umfah'n in ew'ger Wonne.
(S. 193)
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23.
Dir können nah' und fern auf allen Wegen
Die Augen folgen, wo dein Antlitz tagt,
Die Füsse nicht; sie tragen unverzagt
Nur selten Arm' und Hände dir entgegen.

Der Geist, bestimmt sich fessellos zu regen,
Hat stets durch's Auge hohen Flug gewagt,
Doch ach, wie auch die Liebe fleht, versagt
Ist unserm Leib des gleichen Vorrechts Segen.

Nicht folgt, wer Flügel noch entbehrt, zur Höhe
Dem Fluge eines Engels; von der Erde
Folgt nur der Blick ihm, nur das Aug' ist fröhlich.

Hast Macht im Himmel du wie hier, so flehe,
Dass ganz zum Auge dieser Körper werde,
Und Nichts in mir, dass nicht im Schauen selig.
(S. 195)
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24.
Du edler Geist, in dessen keuscher Hülle
Natur und Himmel spiegeln ihre Macht
Und zeigen, was im Menschen sie vollbracht,
Besiegend jedes Werk an Schönheitsfülle!

O holder Geist, in deines Herzens Stille
Wohnt Mitleid, wohnt was dir im Antlitz lacht,
Die Liebe auch; nie eint der Schönheit Pracht
Sich Treue wie bei dir und edler Wille.

Mich fing die Liebe, und die Schönheit hält
In Banden mich, doch Rettung aus der Noth
Mit süssem Blick dein Mitleid mir verspricht.

O welch Gesetz zum Jammer dieser Welt,
O welche Grausamkeit verwehrt dem Tod,
Zu schonen solch ein liebliches Gesicht!
(S. 197)
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25.
"Sprich Amor, ist es Wahrheit, ist's ein Wähnen,
Dass Götterpracht der Herrin Antlitz schmückt,
Vielleicht hat mich ein inn'res Bild entzückt
Vielleicht sah ich ein Ideal des Schönen?"

"Du weisst es, denn du kamst mit ihr; mein Sehnen
Entfachst nur du, nur du hast mich berückt;
Doch fleh ich, trotz der Qual, die mich bedrückt,
Nicht mindre diese Flammen, diese Thränen!"

""Die Schönheit, die du siehst, entstammt der Erde,
Doch wächst ihr Glanz, steigt sie zu höhern Sphären;
Durch deine Augen tritt sie in die Seele;""

""Und diese, dass gleich ihr unsterblich werde
Die Schönheit, nimmt sie auf, sie zu verklären;
So laut're Schönheit siehst du, ohne Fehle!""
(S. 199)
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26.
Wie grosser Schmerz, wird tödtlich grosse Freude!
So bringt der Gnade jäher Ruf dem Diebe,
Der starr und kalt den Nacken beugt dem Hiebe
So schnell den Tod, als wie des Schwertes Schneide.

O Lust, o Schmerz, Ihr droht dem Leben Beide!
Auch ich, der wähnte, dass kein Trost mir bliebe,
Empfand, als plötzlich mich beglückt die Liebe,
Dass leichter tödtlich Lust uns wird als Leide.

Was neu, ob herb, ob süss, bringt rasch enthüllt,
Durch Gegensatz den Tod; des Busens Haft
Zersprengt die Lust, Gram schnürt das Herz zusammen.

Drum willst du, dass ich lebe, dämpfe mild
Dies Glück, für das es mir gebricht an Kraft!
Mein Geist vergeht in solchen Freudenflammen!
(S. 201)
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27.
Kein Bild, sei es entstammt aus höhern Sphären,
Sei es ein irdisch Wesen, schafft mein Geist,
Das deinem Zauberkreise mich entreisst,
Mir Waffen leiht, um deinem Reiz zu wehren.

Denn dein beraubt fühl' ich den Gram sich mehren,
Mein Geist sinkt hin, dem du die Kraft verleihst,
So nimmt nicht ab, wenn du mich von dir weis'st
Die Qual, ach nein, sie wird mich ganz verzehren.

Nicht kann zur Rettung rasche Flucht mir taugen,
Die Feindin Schönheit folgt mit schnellen Füssen,
Dem Raschen ist der Schwache nie entronnen,

Doch Amor trocknet lächelnd mir die Augen,
Verspricht mir jedes Leiden zu versüssen,
Denn niedrig ist kein Preis, so schwer gewonnen.
(S. 203)
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28.
Im Herzen nicht ist meiner Liebe Leben;
Das Herz, das irdisch, sterblich ist, enthält
Die ew'ge Liebe nicht, sie lebt gesellt
Dem Wahn, der Sünde nicht, von Schuld umgeben.

Mir hat die Liebe klaren Blick gegeben,
Die Schönheit dir beim Eintritt in die Welt,
So dass ich selbst in dem, was einst zerfällt,
In deinem Reiz erkenn' der Gottheit Weben!

Vom ewig Schönen trennt in mir sich nimmer
Die Liebe, wie die Wärme nie vom Feuer;
Was ihm entstammt und gleicht, das möcht' ich schauen!

Du trägst in deiner Augen sel'gem Schimmer
Das Paradies, wo du zuerst mir theuer,
Und seine Pforten sind mir deine Brauen!
(S. 205)
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29.
Zuerst, als meine Augen an dir hingen,
Da wähnt' ich stark mich, festen Blick's zu schauen
Der Schönheit Glanz; so blickt der Aar im Blauen
Die Sonne an; mir sollt' es nie gelingen!

Wer Engeln sucht zu folgen ohne Schwingen,
Gleicht jenem, der die Saat dem Stein, dem rauhen,
Und seine Worte mag dem Wind vertrauen,
Mit Menschenwitz will Gottes Geist durchdringen.

Ach duldet mich in ihrer Sonnennähe
Die Schönheit nicht, ertrag' ich nicht die Blitze,
Und ist doch, fern von ihr, mir Trost verwehret,

Was wird alsdann mit mir? wo find' ich, wehe,
Den Führer und den Helfer, der mich schütze,
Da Gluth ihr nah, ihr fern mich Schmerz verzehret?
(S. 207)
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30.
Mit deinen Augen seh' ein Licht ich tagen,
Das meine blinden Augen nie erblicken,
Mit deinen Füssen trägt die Last mein Rücken,
Die ich mit meinen lahmen nie getragen.

Mit deinen Schwingen kann ich Flügel schlagen,
Mit deinem Geist kann ich zum Himmel blicken,
Du färbst mich weiss vor Schmerz, roth vor Entzücken,
Machst heiss im Frost mich, kalt in Sommertagen.

Dein Wille, hohe Frau, ist auch der meine,
Aus deinem Herzen sprosset mein Empfinden,
Aus deinem Geiste meine Worte stammen.

Dem Monde gleich' ich, arm an eignem Scheine,
Den uns're Augen nie am Himmel finden,
Strahlt Sonne ihn nicht an mit ihren Flammen.
(S. 209)
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32.
Wenn in zwei Liebenden des Schicksal's Walten,
Wenn keusche Lieb' sich gleich und Frömmigkeit,
Wenn Einer weinet bei des Andern Leid,
Ein Will' und Geist in beiden Herzen schalten,

Wenn eine Seele lebt in zwei Gestalten,
Verklärt in Beiden, sie zu gleicher Zeit
Mit einem Flügel trägt zur Seligkeit,
Ein goldner Pfeil zwei Busen hat gespalten;

Wenn Beide für einander liebend brennen,
Doch keiner selbst sich liebt, wenn Jeder täglich
Zum höchsten Ziel den Andern will begeistern,

Und wenn dies schwacher Abglanz nur zu nennen
Von unsrer Liebe, sag' mir, ist's dann möglich,
Dass Groll das Band löst zwischen solchen Geistern?
(S. 213)
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33.
Auf dass in mild'rem Wesen hier verbleibe,
Als meine Herrin, ihrer Reize Zier,
So fleh' ich: nimm, Natur, sie wieder dir,
Wenn sie die Zeit entreisst dem schönen Leibe.

Aus diesen Reizen bild' dem hehren Weibe
Ein himmlisch Wesen nach, und für und für
Sei Liebe nun bemüht, zu formen ihr
Ein Herz, das sie zu Huld und Mitleid treibe.

Ach! sammle meine Seufzer auch und Thränen,
Und gieb sie Jenem, der in künft'gen Tagen
Bestimmt, der Theuren Ebenbild zu lieben;

Vielleicht rührt einst das Herz er seiner Schönen
Mit meinem eignen Gram, mit meinen Klagen,
Dann strahlt ihm Huld, die mir versagt geblieben.
(S. 215)
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36.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie himmlisch Sehnen läutert alle Triebe,
Du strenge Herrscherin im Haus der Liebe,
Du würdest mich vielleicht vom Gram erlösen;

Doch da zur Ewigkeit der Geist erlesen,
Der Leib zum Tod, wie soll der Sinn, der trübe,
Wie soll der Leib den Geist durchschaun, wie bliebe
Kein Räthsel ihm des Geistes tiefstes Wesen?

So wird mir nie mein keusches Sehnen frommen,
Das heimlich glüht; es seh'n ja nur mit Klarheit
Was sinnlich ist, die Sinne, leicht betrogen;

Mir ist der Herrin Gnadenlicht genommen,
Die falschem Schein vertraut; doch sieh', wer Wahrheit
Nicht glauben will, der hat sich auch belogen.
(S. 221)
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37.
O wie bezahlt der Mensch wohl eine Gabe,
So gross als Rettung aus des Todes Händen?
Nicht löst der Schuldner sich mit tausend Spenden,
Und böt' er zum Ersatz die ganze Habe.

Doch könnt' er auch vergelten, welche Labe,
Welch' Glück würd' er dem Geber dann entwenden,
Das höchste: frei die Gnaden auszuspenden;
So bleib' ich gern dein Schuldner bis zum Grabe.

Ja lieber mag mich denn mein Undank drücken,
Als dass zum Wohlthun fordre gleiche Rechte
Dies Herz, bereit dich dienend zu erhöhen.

Und könnt ich dich so wie du mich beglücken,
Wärst du dann Herrin noch, passt' ich zum Knechte?
Bei gleicher Macht kann Herrschaft nicht bestehen.
(S. 223)
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38.
Den Augen gebt zurück, o Fluss, o Quelle,
Das Wasser nicht entsprungen Euren Bronnen,
Die Thränen, die in Eure Fluth verronnen,
Zu wilder Höhe trieben Eure Welle!

Du trübe Luft, die mir das Licht, das helle,
In Nebel hüllt, verdunkelnd meine Wonnen,
Gieb wieder, um die Blicke neu zu sonnen,
Die Seufzer mir, dass es kein Dunst entstelle!

Die Schritte, Erde, gieb zurück den Füssen,
Es sprosse neu das Gras auf meinem Wege;
Gieb, Echo, heut zurück mir Klag' und Stöhnen,

Gebt meinem Aug', Ihr Sterne, o Ihr süssen,
Die Blicke wieder, dass ich lieben möge
Ein andres Weib, da Euch verhasst mein Sehnen.
(S. 225)
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39.
Es trauert die Vernunft, dass liebentglommen,
Auf Glück ich rechne, mahnt an Schmerz und Schande,
Bis ich erröthe über solche Bande;
Was kann dir, fragt sie, deine Liebe frommen?

Von deiner Sonne wird nur Tod dir kommen,
Und nicht des Phönix Tod! - Umsonst, dem Brande
Wehrt Niemand! Hat je an des Abgrunds Rande,
Wer fallen will, des Retters Hand genommen?

Ich seh' mein Elend, hör' der Wahrheit Bitte,
Doch wohnt ein Feind im Busen mir, der schlimmer
Mich nur versehrt, je williger ich leide.

Du Herrin stehst in zweier Tode Mitte,
Den einen fürcht' ich und begreife nimmer
Den andern; so stirbt Seel' und Leib durch beide.
(S. 227)
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40.
Was ist es, das die Seele mir entzündet?
Ahn' ich der Gottheit Glanz, die Strahlen krönen,
Sah ich auf Erden je ein Bild des Schönen,
Das meine Seele zitternd nachempfindet?

Blieb mir ein Himmelsstrahl, der nie erblindet,
Von jener Seligkeit, nach der mit Thränen
Sich die verbannten Menschenherzen sehnen,
Die niemals ganz aus dem Gedächtniss schwindet?

Das was ich fühl' und schau', das was mich leitet,
Ist nicht in mir noch weiss ich wo es finden!
Zeig' Du es mir, denn seit ich Dich erschaue

Fühl ich, wie sich in meinem Busen streitet
Ein Ja und Nein, ein bittersüss Empfinden;
Gewiss Dein Auge ist es, holde Fraue!
(S. 229)
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46.
Wird schon ein junges Herz von kleiner Gluth,
Die offen flammt, verzehrt, was wird dem Herzen,
Das oft geglüht und heimlich trägt die Schmerzen,
Gescheh'n von nie gestillter Flammen Wuth?

Schon zahlte meine Kraft der Zeit Tribut;
Aus der Lebend'gen Schaar mich auszumerzen
Naht schon der Tod, da hat mit wildem Scherzen
Die Gluth entzündet Amor's Uebermuth!

Staub bin ich bald, grausam vom Sturm entrafft,
Der dennoch mild, dem Wurm den Leib entreisst;
Da mäss'ge Flamme so mein Herz verbrannt,

Als ich dem grünen Holz noch glich an Kraft,
Wie hoff' ich, dürrem gleich, dass jetzt mein Geist
Den Leib mir friste in dem jähen Brand.
(S. 241)
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47.
O käm' der Schönheit deiner Augensterne
Das Feuer gleich, das sie ringsum entzünden,
Dann flammte wohl die Welt aus Feuerschlünden,
Es schmölzen selbst des Poles eis'ge Kerne.

Doch hat der güt'ge Himmel, der sich gerne
Erbarmt des Schwachen, dass wir nicht erblinden,
Die Augen uns umflort und wir empfinden
Den Glanz nur wie ein Licht in weiter Ferne.

Nie wird wie's deinem Reiz gebührt entbrennen
Der Liebe Gluth; nur Stückwerk schaun wir Thoren,
Des Ew'gen, lieben Das nur, was wir sehen.

Mich auch bewahrt mein mangelhaft Erkennen,
Die Schwäche nur, dem Menschen angeboren,
Für dich im Flammentode zu vergehen.
(S. 243)
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48.
Wird Huld mir mehr als sonst die Liebe zollet,
Weil längre Prüfung ich ertrug als Viele,
So wein' ich doch, dass erst am Lebensziele
Ihr Liebeswonnen mir erblühen wollet!

Der Himmel, denkt er wirklich unser, grollet,
Dass wir erglüh'n zur Zeit der Winterkühle,
Und ich zähl' meine Jahre nach und fühle,
Wie rasch dem Alter Zeit und Glück entrollet!

Ziemt Lieb' uns nur in unsres Lebens Fülle,
Und glüh' ich dennoch in den letzten Stunden,
Da schon die Sonne ist im Untergehen,

Die Welt sich taucht in kalter Nebel Hülle,
Dann, Herrin, hast die Zeit du überwunden
Und führst zurück mich auf des Lebens Höhen!
(S. 245)
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49.
Ich tauschte kurzen Frieden ein für langen,
Ein Schmerzenslächeln ach für süsse Zähren,
Doch wo die Wahrheit schweigt mit ihren Lehren,
Gibt sich Vernunft der Sinnlichkeit gefangen.

Ist schuld mein Herz, dein Antlitz schuld am Bangen,
Am Gram, den umso zärtlicher wir nähren
Je mehr er wächst, ist schuld der Glanz der Sphären,
Den du in deinen Augen aufgefangen?

Unsterblich ist ja deiner Schönheit Wesen;
So göttlich wurde sie für uns geschaffen,
Dass mir ein Trost das Leid versüsst, das herbe:

Ich kann nicht anders sein, als ich gewesen!
Gab dir der Himmel mich zu tödten Waffen,
Wer darf der Schuld dich zeihen, wenn ich sterbe?
(S. 247)
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50.
Hätt' ich, als du zuerst dem Blick erschienen
Geahnt, dass ich in deiner Sonnensphäre
Verjüngt einst würde, wie die Fabellehre
Vom Phönix sagt, dass du mich willst entsühnen, -

Dem Hirsch, dem Luchs, dem Panther gleich, dem kühnen,
So rasch mein Ziel verfolgend, von der Schwere
Des Alters nicht gehemmt wie jetzt, so wäre
Ich hingeeilt Dir, Lieblichste, zu dienen.

Doch nein, wozu den Gram noch länger nähren,
Da eines Engels Augen Frieden bringen?
Hätt' ich Dich auch geschaut in früher Jugend,

Nicht könntest du wie heut solch' Heil gewähren,
Denn jetzt erst, mit von dir verlieh'nen Schwingen,
Im Flug gleich schnell schweb' nach ich deiner Tugend!
(S. 249)
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51.
Versetz' in jene Zeit zurück mich heute,
Wo zaumlos toben mochte blinde Gluth!
Gieb mir das Antlitz wieder engelgut,
Dem alle Jugendkraft gewelkt zur Seite;

Die Schritte ohne Zahl in alle Weite,
Die schwer und mühvoll nur das Alter thut,
Dem Busen Feuer gieb und Thränenfluth,
Willst du noch einmal, Amor, mich zur Beute!

Denn lebst von Zähren wirklich du, vergossen,
In Leid und Lust, was macht den Greis dir theuer,
Der fast am andern Ufer angekommen?

Schon wehrt der Geist mit himmlischen Geschossen
Sich gegen deinen Pfeil. Das stärkste Feuer,
Es zündet nicht im Holz, das schon verglommen.
(S. 251)
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52.
Als mir dein Augenstern zuerst erglühte,
Da war's kein irdisch' Licht, das mich getroffen,
Schon sah mein Geist entzückt den Himmel offen,
Ein ew'ger Friede zog in mein Gemüthe;

Denn nimmer stillt mein Herz der Anmuth Blüthe,
Erzeugt aus dieser Erde niedren Stoffen;
Der Schönheit Ursprung ist sein Ziel und Hoffen,
Es fliegt der ew'gen Schönheit zu und Güte.

Nie hoffe denn ein weises Herz den Frieden
Von jener Blüthe, die zu Staub verkehren
Die rauhe Zeit und Tod, der uns beschieden;

Wohl mag der Sinne Gluth den Geist verheeren,
Die Liebe nicht, sie heiligt uns hienieden,
Doch erst der Himmel wird uns ganz verklären.
(S. 253)
_____


53.
Für grosse Schönheit grosse Lieb' empfinden
Ist Sünde nicht, wenn diese Gluth erweicht
Und milde stimmt das Herz, sodass nun leicht
Der Gottheit Liebespfeile Eingang finden.

Die Liebe weckt und ruft den Geist, den blinden,
Beflügelt ihn, dem sie die Pfade zeigt,
Sie ist dem Pilger, der zum Himmel steigt,
Die erste Stufe aus dem Thal der Sünden.

Die Liebe, Herrin, die ich mir erkoren,
Sie zieht zum Himmel, sie ist reine Minne,
Nicht ziemt dem edlen Mann' ein lüstern Spielen;

Die wahre Liebe wird im Geist geboren,
Die andre ist die Sklavin nur der Sinne;
Sie richtet ihren Pfeil nach niedren Zielen.
(S. 255)
_____


54.
Was ich in deinem Antlitz sah, beschreibe
Mit Worten nimmer ich; doch was es kündet
Hob oft den Geist, den noch der Körper bindet,
Zu Gott empor mit diesem Erdenleibe.

Dien' ich dem Spott des Pöbels auch zur Scheibe,
Zeiht er der Regung mich, die er empfindet,
So hoff' ich doch, dass Treue festgegründet,
Dass keusche Gluth so werth wie einst dir bleibe!

Die ird'sche Schönheit, für den Blick des Weisen
Gleicht sie dem Liebesquell, dem wir entstammen;
Vom Himmel hat die Welt nicht andre Proben,

Nicht andre Früchte kann die Erde weisen;
Sind treu und keusch nur meiner Liebe Flammen,
Ist süss der Tod und frei mein Flug nach Oben.
(S. 257)
_____


55.
Du weisst, dass ich es weiss, wie dir mein Lieben
Nicht mehr verborgen ist; ich weiss, es kennt
Dein Herz den, der dir folgt und für dich brennt,
Und dennoch sind wir fremd und stumm geblieben!

Ist Wahrheit diese Ahnung, darf ich lieben?
Hast du die keusche Hoffnung mir vergönnt,
So spalte sich die Mauer, die uns trennt;
Verhehltes Leid muss doppelt uns betrüben.

O zürne nicht! ich liebe ja zumeist
In dir, was selbst du liebst; mein Geist verehret
Dich Edle, flammt empor zu deinem Geist.

Doch ganz zu fassen ist uns hier verwehret,
Das was dein Antlitz ahnungsvoll verheisst,
Es sterbe erst, wer das zu schau'n begehret!
(S. 259)
_____


56.
Dein Geist stieg in des Leibes Kerkerzelle
Von dort herab, wohin er einst enteilt;
Dass sich ein Engel, der die Seele heilt
Und Ruhm der Welt verleiht, uns zugeselle.

Dein Wesen, nicht die Schönheit sonnenhelle,
Entflammt mich, denn ein Herz, wo Tugend weilt,
Baut niemals seine Hoffnung übereilt
Auf das, was rasch entführt der Zeiten Welle.

Doch lebt solch' edler Geist in schöner Hülle,
Dann fasst ihn Jeder, wie man an der Scheide
Die Klinge kennt, eh' eine Hand sie zückte.

Nichts in der Welt lehrt so wie Schönheitsfülle
Den Schöpfer lieben! Sieh es streiten Beide,
Natur und Himmel, wer zumeist dich schmückte.
(S. 261)
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57.
Ein Augenblick genügt, dass in die Seele
Mir durch die Augen jede Schönheit gleite;
Ich wette, dass für Hundert nicht an Breite,
Für Tausend nicht an offnem Weg es fehle.

Und ich, der ich mit Eifersucht mich quäle,
Ich weiss nicht, der ich jeder Schönheit Beute,
Ob Eine wohl, und welche, die mich freute
Von Allen, mich mit ew'ger Lieb' beseele.

O wer entwindet sich der Schönheit Ketten!
Ein Irrlicht ist die Gluth, ein blindes Sehnen
Der Welt verliehn, auf dass sie fortbestehe.

Welch' Elend, wenn nicht Gott, um uns zu retten,
Den Geist emporzieht zu dem ewig Schönen,
Welch Elend, Mensch zu sein, welch endlos Wehe!
(S. 263)
_____


58.
Kaum sah' ich, der ich zittre bald, bald streite,
Im Geist entzückt den Abgott meiner Seele,
Tritt zwischen uns der Tod aus seiner Höhle,
Und scheucht, da ich verzage, ihn ins Weite.

Willkommen heisst die Seele, die befreite,
Vielmehr als Lust dies Grau'n, dass sie sich stähle
Zum letzten Kampf und sühne ihre Fehle;
Doch Amor lässt nicht ab von seiner Beute;

Er spricht: "Ihr sterbt nur einmal und ersteht
Aufs neu geboren nie im Erdenland;
Wer stirbt in meiner Gluth, was ist sein Loos?

Hat sich in Liebesgluth, die der Magnet
Der Herzen ist, die Seele reingebrannt
Wie Gold, kehrt froh sie heim in Gottes Schoss!"
(S. 265)
_____


60.
Mit reiner Liebesgluth mag wohl im Bunde
Die Hoffnung, die nicht trügt, zum Himmel flammen,
Denn wollte jede Regung Gott verdammen,
Wozu erschuf er dann die Weltenrunde?

O kann ich lieben dich aus bessrem Grunde,
Als um dem güt'gen Schöpfer, dem entstammen
Die hohen Reize, die durch keusche Flammen
Mich läutern, Lob zu weihn mit Herz und Munde!

Die Hoffnung hat nur jenes Herz betrogen,
Das sich verkauft der Schönheit eitlem Schimmer,
Der mit der Stunde abnimmt und verschwindet;

Doch hat sie nie ein keusches Herz belogen,
Denn ob die Hülle wechselt, welkt doch nimmer
Die Liebe, die schon hier den Himmel findet.
(S. 269)
_____


62.
Auf den Tod der Vittoria Colonna
Da einst der Welt und meinem Liebessehnen
Der Tod die Herrin meiner Seufzer nahm,
Blieb die Natur, die sie uns gab, voll Schaam
Und Schmerz zurück und jedes Aug' voll Thränen.

Doch darf sich hier der Tod nicht Sieger wähnen,
Der Sonnen Sonne raubend uns zum Gram,
Weil Liebe ihn bezwang, die siegreich kam,
Sie hier und dort mit ew'gem Glanz zu krönen.

Schon dacht' er deinen Nachruhm zu vernichten,
Dass er so rasch wie Andrer Ruhm verblühe,
Schon sann er auf dein ewiges Verderben,

Und doch lebst mehr in Liedern und Gedichten
Du heut im Tod, als einst im Leben, siehe
Das ew'ge Leben fandest du im Sterben.
(S. 273)
_____


63.
Auf den Tod der Vittoria Colonna
O wär' ich doch von dieser Welt geschieden
Als Phöbus noch beglänzte meine Bahn,
Als mir vergönnt zu schweben himmelan
Mit seiner Federn Kraft, dann hätt' ich Frieden!

Ach meine Sonne schwand! Wenn mir hienieden
Viel lichte Tage einst versprach mein Wahn,
So fasst nun Angst, ob Zeit mir bleibt, mich an,
Ob offen noch das Himmelsthor dem Müden.

Die Feder war einst Flügel, Treppe war
Die steile Bahn mir, Phöbus Wandrers Licht,
Der Tod kein Schreckbild, nein des Trostes Quelle!

Jetzt steigt mein Geist, der solcher Hülfe baar,
Nicht mehr empor, Erinn'rung stärkt mich nicht;
Wer räth, wer hilft mir an des Grabes Schwelle?
(S. 275)
_____


64.
Auf Vittoria's Tod
Was Wunder, dass einst in des Feuers Nähe
Ich flammend schmolz, da jetzt noch, wo verglühte
Der off'ne Brand und still nur im Gemüthe
Verglimmt, ich doch durch ihn zu Staub vergehe.

So glorreich schlug die Flamme in die Höhe
Die tausend Schmerzen mir entgegensprühte,
Dass mir, der bei dem Anblick trunken glühte,
Wie Fest und Spiel einst dünkten Tod und Wehe.

Seit mir des Grossen Feuers Herrlichkeit,
Das mich mit Gluth genährt, der Himmel nahm,
Glimm' stil, versteckt wie Kohlen ich im Heerde.

Bringt Amor neues Holz nicht noch zur Zeit,
Das Flammen giebt, dann sprüht aus mir, o Gram,
Kein Fünkchen mehr, da schon ich Asche werde.
(S. 277)
_____


79.
Ein Mittel heilt die Wunde nur, die schwere:
Durchbohr' dies Herz, das schon dein Blitz zerschlagen!
Doch dir ist eigen, Leben so wie Plagen
Zugleich zu steigern, dass sich Beides mehre.

Du sandtest mit dem ersten Pfeil, du Hehre,
Den Liebesboten mit; ich hört' ihn sagen:
"Erglühe, Herz, denn Liebesflügel tragen
Allein den Sterblichen zur Himmelssphäre."

"Ich bin es ja, der deine blöden Augen
Schon in der Jugend auf das Schöne lenkte,
Das uns lebendig in den Himmel führet."
. . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 307)
_____


80.
Flieht, Liebende, den Amor, flieht den Brand,
Die Gluth ist furchtbar, tödtlich ist die Wunde,
Auch nützt die Flucht nur in der ersten Stunde,
Sonst hilft nicht Trennung, Kraft nicht, noch Verstand.

Flieht, denn wie scharf sein Pfeil, wie stark die Hand
Zeigt Euch mein Beispiel! Eurer Schmerzen Kunde
Lest mir im Antlitz, lernt aus meinem Munde,
Wie grausam Amors Spiel und wie gewandt.

Flieht! säumet nicht gleich mir! Beim ersten Blicke
Hielt ew'gen Friedens ich mich auch versichert,
Nun fühl ich's und Ihr seht's, unheilbar brenn' ich!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 307)
_____


81.
Dein Antlitz, meine einz'ge Lust im Leben,
Wo treibt's mich hin? Ich steig' in Fleisch und Blut
Zu sel'gen Geistern auf! Welch gröss'res Gut
Kann Menschenhuld dem Sterblichen wohl geben!

Gerechtigkeit, was soll ich vor dir beben?
Wenn so das Werk dem Schöpfer gleicht, ist Gluth
Der höchsten Liebe schuldiger Tribut,
Da Gottideen in ihm verkörpert leben.
. . . . . . . . . . . . . . 
(S. 309)
_____


82.
Durch dich o Liebe, nährt' ich lange Zeit
Die Seele und zum Theil auch ihre Hülle,
Und Wunsch und Hoffnung machten in der Stille
Mich tüchtig zu der Kunst, der ich geweiht;

Doch jetzt entfalt' ich meine Flügel weit,
Zum höhern Ruhehafen strebt mein Wille,
Ich fleh' nur Eins, dass meiner Sünden Fülle,
Die viele Blätter deckt, mir Gott verzeiht!
. . . . . . . . . . . . . . 
(S. 309)
_____


83.
Hier war's, wo ich mit ihrer Huld verloren
Mein Herz und Leben, wo sie Heil versprach
Mit ihren schönen Augen und mir ach
Durch diese nahm, was sie mir still geschworen!

Hier schlang, hier löste sie das Band dem Thoren,
Von diesem Stein sah ich ihr weinend nach,
Als sie entschwand, um die das Herz mir brach,
Die mich mir nahm und doch mich nicht erkoren!
. . . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 311)
_____


103.
O welche Wonnen träufet jene Kraft
Durch's Aug' in's Herz, die selbst der Zeiten Schwere
Und selbst den Tod besiegt, die Schmerzen schafft
Und Trost zugleich; wer ist die Macht, die hehre?

Die Liebe ist es, hold und tugendhaft,
Der Edlen Ziel und Streben, Preis der Ehre;
Sie spricht: Wie Todte ohne Lebenssaft
So geht der Mensch dahin, der liebeleere.
. . . . . . . . . . . . 
(S. 329)
_____



Madrigale


6.
Beim Tode der Vittoria Colonna
1547

Der Himmel, müde einst, der Schönheit Gaben
Von all' den Menschen, denen sie verliehen,
Im Tode einzuziehen,
Lieh dir die Summe ganz, um mit der Fülle
Der Güter zu begaben
Den holden Geist und seine klare Hülle.
Jetzt nimmt des Gebers Wille
Dich und der Schönheit Summe
In einem Hauch uns wieder!
Doch ob der süsse Leib zu Asche wird zerfallen,
Ob uns dein Mund verstumme,
Es leben deine Lieder!
Grausame Huld, du zeigst, dass wenn uns Allen
Vereinzelt zugefallen
Der Herrin Reize, wir sie heimzugeben,
Auch Alle heute büssten mit dem Leben.
(S. 41)
_____


7.
Die Schönheit ward als Vorbild mir auf Erden
Für meinen doppelten Beruf geschenket;
In beiden Künsten sollte sie mir strahlen,
Ein Spiegel, eine Leuchte mir zu werden;
Sie ist es, die zu jenem Ziel mich lenket,
Für das ich einzig meisseln mag und malen.
O thörichter, vermessener Gedanke,
Die hohe Schönheit Sinnenlust zu schelten!
Gesundem Geiste zeigt sie Himmelspfade,
Am Staube aber klebt der Blick, der kranke;
Ein reines Auge nur sieht jene Welten,
Die einzig uns erschliesst der Strahl der Gnade.
(S. 43)
_____


8.
Die Augen, stets der Schönheit zugethan,
Der Geist ihr hold und auf sein Heil bedacht,
Sie dringen durch die Nacht
Nur an der Hand der Schönheit himmelan;
Denn aus der Sternenbahn
Strömt Glanz vom Firmament,
So klar, dass ihm zu nahn,
Die Menschenseele brennt,
Und solch Empfinden nennt
Man Liebe hier; ein edles Herz beflügelt,
Entflammt der Blick nur, der den Himmel spiegelt.
(S. 43)
_____


9.
Ein frohes Herz verschönt, und hässlich macht
Ein traurig Herz; so werd' ich umgestaltet
Durch dich, die meins verwaltet;
Nur Eins begreif' ich nicht: du müsstest glühen,
Da du die Gluth entfacht!
Ein Auge klar und helle
Hat für das Schöne mir mein Stern verliehen,
Drum, willst du mir entziehen
Des Trostes letzte Strahlen,
Wirst du dir selbst nur schaden, denn ich meine,
In jedes Bildniss malen
Zugleich mit dem Modelle
Wir Künstler uns hinein; wie wird das deine,
Wenn ich so trostlos weine?
Beglücke mich, dann mal' ich ohne Thränen,
Und du wirst schön und wirst auch mich verschönen.
(S. 45)
_____


10.
Oft gleicht ein Bild dem Bildner mehr, o Jammer!
Als dem Modell; so bilde
Ich jetzt nur schmerzlich wilde,
Entstellte Züge, klägliche Gestalten!
Dich formen will mein Hammer,
Und formt mich selbst, die Stirn voll Schmerzensfalten;
Was könnt' ich auch gestalten,
Da Liebe mich vernichtet,
Als diesen müden Leib voll Angst und Trauer?
Gleicht nicht dem Stein, dem kalten,
Aus dem ihr Bild errichtet,
Die strenge Herrin? Felsen sind nicht rauher!
Die Kunst allein giebt Dauer,
Drum, willst du, dass dein Reiz dich überlebe,
Beglücke mich, dass ich dir Schönheit gebe!
(S. 45-47)
_____



11.
Nach langen Jahren, nah den Lebensmarken
Wird es dem weisen Meister erst gelingen,
Mit Mühen und mit Ringen,
Das inn're Bild treu in den Stein zu prägen,
Ach allzuspät erstarken
Zu grossen Werken wir! kurz ist der Segen!
Natur auf ihren Wegen
Bemühte sich, das Ideal, das frühe,
Umsonst, gleich uns, in Formen auszusprechen,
Jetzt erst, im Alter, schuf sie Deine Hülle,
Sie steht am Ziel, und siehe
Nun muss ihr Auge brechen!
Mit welchem Trost, mit welcher Speise stille
Den Zweifel ich? enthülle
Was besser sei, was schlimmer mir, o Liebe:
Ihr Anblick, oder dass die Welt zerstiebe?
(S. 47)
_____


12.
Wie sich ein Bild der Phantasie im Steine
Verbirgt und erst zu Tage
Mit jedem Hammerschlage
Allmählig tritt, wenn jener fortgehauen,
Dass endlich es erscheine,
So birgt in einer rauhen
Und harten Schaale sich der Geist, der hehre;
Der Stoff umschliesst ihn wie den Baum die Rinde.
Nimm, gütigste der Frauen,
Mir ab die Erdenschwere,
Da in mir selbst ich Kraft dazu nicht finde.
(S. 49)
_____


13.
Wenn Kunst, im Stein gestaltend,
Erschaffend und erhaltend,
Dir dauernd Leben giebt durch Menschenhände
Bis an der Zeiten Ende,
Wie könnte erst der Himmel dich verklären,
Der Himmel, göttlich waltend,
Der höhrer Schönheit Spende,
Als Menschenkunst verleiht, wollt' er dir Hehren
Auf Erden schon Unsterblichkeit gewähren;
Doch ach, dein Bild besteht, und du musst sterben!
Wer rächt hier dein Verderben?
Dich räche die Natur, denn sieh es bleibet
Der Menschen Werk, indess ihr Werk zerstäubet.
(S. 49)
_____


14.
Es sehnt die Form, die leere,
So heiss sich nach des Goldes Feuerfluss,
Umschlingt so fest den Guss,
Dass von dem Bilde sie nur lässt im Sterben,
Zerschlagen ganz zu Scherben.
Ich auch mit heissem Lieben,
Mit Flammenströmen sätt'ge ich den Schmerz,
Die Wünsche stillend, die sonst leer geblieben.
Du meiner Hülle Seel' und Kern, wie Erz
Dringst du mir in das Herz
So unentrinnbar fest, dass dich zu lösen
Nur der vermag, der ganz zerstückt mein Wesen.
(S. 51)
_____


15.
"Ihr Sel'gen, die Ihr Lohn im Himmel droben
Für Thränen erntet, ungestillt hienieden,
Trübt Lieb' auch dort den Frieden?
Wie, oder hat der Tod der Qualen Euch enthoben?"
""So wandellos hier Oben
Ist unsres Friedens Wonne,
Dass Neid und Angst die Liebe niemals trüben!""
Warum, im Licht der Sonne,
Wo Leiden mich umtoben,
Warum nur leb ich noch? ist reinen Trieben,
Ist denen, die da lieben,
Der Himmel also freundlich,
Die Erde aber feindlich,
Wozu ward ich erzeugt zu langer Dauer?
Wie lang währt ach schon kurze Zeit in Trauer!
(S. 51)
_____


16.
Der Tod, ja schon die Todesfurcht kann retten
Aus strenger Schönheit Ketten,
Kann vor der Stolzen Waffen mich beschirmen;
Ja in den Liebesstürmen,
Die mehr als je die Gluth in mir entzünden,
Werd' ich nur Hülfe finden,
Wenn ich des Todes Bild in's Herz mir präge,
Denn Amor flieht des Todes dunkle Wege.
(S. 53)
_____


17.
Der Tod allein, der Gluth in Eis verkehret,
Und Lachen wandelt, ach, in bittre Thränen,
Nur er, den einst vertrieb das Bild der Schönen,
Löst der Erinn'rung Zauber unverweilt;
Er bannt jetzt, graunbewehret
Das Bild, das mich beherrschte ungetheilt.
Nun wähn' ich mich geheilt?
Ach schweift zum alten Ziel ihr Blick, dann wehe,
Bin ich wie trocknes Holz in Flammennähe!
(S. 53)
_____


18.
Kann von der Welt, der bösen,
Den Geist die Schönheit lösen,
So bist nur du hienieden,
Aus deren Blick voll Frieden
Verklärt zurück mir strahlt mein eignes Wesen,
Zu solchem Werk erlesen!
Was Wunder, dass der Einen
Ich folge unwillkührlich?
Auch bin ich's nicht allein, dem eigen solch Verlangen,
Nein Allen, die gewesen
Und sind, ist es natürlich,
Die Seele will sich einen
Der gleichgestimmten Seele, Augen hangen
An Augen wie gefangen,
Wenn im Geschöpf den Schöpfer sie enthüllen.
Den Diener ehrt man um des Meisters willen.
(S. 55)
_____


19.
Obgleich aus deinem Antlitz, edle Fraue,
Uns wiederstrahlt des Schöpfers Gnadensonne,
Doch dünkt zur ew'gen Wonne
Dem Geist im Pilgerkleide,
Zu weit der Pfad, der rauhe,
Mich fesselt deiner Schönheit Augenweide!
So zwischen Lust und Leide
Theil' ich die Zeit; den Tag geb' ich den Augen,
Die Nacht dem Herzen, Wasser geb' ich jenen,
Und diesen Feu'r. Wo bleiben die Secunden,
Die zwischen Schmerz und Freude
Zur Pilgerschaft mir taugen?
Ja mein Geschick hat seit den ersten Stunden
Mich so an dich gebunden,
Dass nie mein Geist sich schwingt zu Himmelshöhen;
Schwer liebt das Herz, was nicht die Augen sehen.
(S. 57)
_____


20.
Ach meine Zuflucht, meine einz'gen Waffen
Sind Thränen und Gebet! doch wächst mein Leiden,
Da Liebe mich zugleich und Grausamkeit
Belagern und die Kräfte mir entraffen,
Da diese droht vom Leben mich zu scheiden,
Und jene stets das Leben mir erneut.
Ach nur der Tod befreit!
Wie oft versuchte, müde ich vom Ringen,
Mich dahin aufzuschwingen
Wo Fülle höchster Schönheit webt und wallt,
Gebunden nicht an weibliche Gestalt;
Doch hält mit Allgewalt
Mich fest der Theuren Bild auf dieser Erde,
Damit der Tod nicht Amors Sieger werde.
(S. 59)
_____


21.
Dein leuchtend helles Diadem erringen,
Auf steilem Pfade rauh und lang,
O das vermag im Liebesdrang
Ein Herz voll Demuth nur und edler Sitte.
Dir wächst die Kraft, mir werden lahm die Schwingen,
Versagt der Odem auf des Weges Mitte;
O höre meine Bitte:
Obgleich mein Herz sich freut an deiner Ehre,
Und jauchzt, dass deine Tugend so erhaben,
So fleht es dennoch: lenke deine Schritte
Ein wenig nur herab zu mir und wehre
Mir Schwachem nicht, den Geist an dir zu laben;
Wenn minder gross, du hehre,
Mein Herz dich wünscht, nicht höhren Flug will dulden,
O so vergieb dir selber mein Verschulden!
(S. 59)
_____


22.
Am grössern Licht, am hellern Stern entzünden
Die kleinen Sterne sich in jeder Nacht,
Doch du mehrst deine Pracht
Durch Sterne, die vor deinem Glanz erblinden.
So lass mich Mitleid finden,
Dass wenn in Amors Bränden
Ich glühe, nicht zu Eis du wirst in ihnen;
Denn sieh, mit leeren Händen
Kann, was mir fehlt, ich spenden,
Dem Antlitz Schönheit, Anmuth Blick und Mienen
Als Folie kann ich dienen
Für dich, die mehr wird strahlen,
Sobald auch ich erschienen.
Du fliehst, du mehrst die Qualen!
O müsstest heim du zahlen
Was uns der Himmel nahm für dich zur Spende,
Dann wüchse unser Glanz und deiner schwände.
(S. 61)
_____



23.
Sprich, Amor, wär' so mild die Frau, die hehre,
Als schön sie ist, wo gäb' es einen Thoren,
Der gerne nicht verloren
Sein eignes Selbst, dass ihr er ganz gehöre?
Noch gröss're Lieb' und Ehre,
Wär' hold sie mir, weiht' ich ihr spät und frühe,
Denn für die Feindin glühe
Ich mehr schon als selbst erlaubt mir wäre.
(S. 61)
_____


24.
Wo find' ich Muth zu leben,
Da ich um Kraft und Hülfe, dich zu meiden,
Dich ach! nicht bitten darf vor meinem Scheiden!
Die Seufzer und die Thränen, die ich sende,
Die gleichsam meinem Herzen das Geleite
Zu dir, Geliebte, geben, künden heute
Dir meine Qualen und mein nahes Ende.
Ist's wahr, dass der Entfernten wir vergessen,
So lass ich, dass Erinnrung sich erneue,
Dir, was nicht mein mehr ist, dies Herz voll Treue.
(S. 63)
_____


25.
Wie ist es möglich, dass ich nicht mehr mein?
Wer nahm mich mir? ach wer
Vermag in mir denn mehr
Als ich vermag, wer kann mir näher sein?
Und wie durchbohret mich,
Wer nie mich angefasst?
Was ist die Liebe? sprich!
Durch's Aug' kommt sie mit Hast
In's Herz, wächst ohne Rast
Im engen Raum und quillt auf's Neu' an's Licht.
(S. 63)
_____


26.
Mich tödten Amors Blitze,
Wenn nicht zu Schirm und Schilde
Dein Herz sich neigt der Milde,
Doch wenn in dir ich mich verberg' und schütze,
Dann zagt der blinde Schütze
Und zittert, bang verdrossen,
Dass er auch dich verwundet,
Denn träf' die ehrne Spitze
Mein Herz, das dein's umschlossen,
Du stürbst, Geliebte, dann mit mir im Bunde.
O sel'ge Todesstunde -
Mir süss, doch bitter dir! lass frei mich heute,
Wenn du es willst, dass mich der Tod erbeute!
(S. 65)
_____


27.
Sie spielt mit meiner Seele,
Sie höhnt der Sehnsucht Triebe,
Sie harten Herzens, freundlich nur zum Scheine.
Sagt ich's vorher nicht, Liebe,
Dass ich mich nutzlos quäle?
Wer Andrer Gut begehrt, verliert das Seine!
Und will sie, dass ich weine,
Ja, dass ich sterbe, mein ist Schuld und Schande;
Blind glaubt' ich ja und heischte zu viel Gnade.
(S. 65)
_____


28.
O wenn zertheilt der Brand, den du erreget,
In tausend Herzen würde,
Erträglich wär' die Bürde,
Die jetzt erdrückend Einem aufgeleget.
So wie im Schacht geheget
Am stärksten glüh'n die Flammen,
Zu Kalk die Steine schmelzend, dass die Fluthen
Den festen Bau im Augenblicke lösen,
So rasen hier zusammen
Ach vieler Herzen Gluthen
Im engsten Raum und zehren auf mein Wesen.
Weh! soll ich nie genesen,
Willst Du, dass Thränenfluth mein Herz zernage,
Dann endet, endet, unheilvolle Tage!
(S. 67)
_____


29.
Betrog dein Wankelmuth auch mein Vertrauen,
Lass dennoch, dass nicht mehre sich mein Leiden,
An dir den Blick mich weiden!
Ja, starb auch das Erbarmen im Gemüthe,
Süss bleibt es doch zu schauen
Im schönen Antlitz diesen Schein der Güte.
Ach, was im Blick dir glühte,
Ich weiss, ich werd' es nicht im Herzen finden;
Doch lass' mich's nie ergründen,
Denn wem versagt des Glückes voller Klarheit,
Der zweifelt gern, da tödten muss die Wahrheit.
(S. 67)
_____


30.
Ich suche dich mit herzlichem Vertrauen,
Je mehr mich selbst ich fliehe und mich hasse,
Ja, wenn ich dich umfasse
Fühlt vor sich selbst die Seele mindres Grauen.
O seligste der Frauen,
Das sei allein mein Teil,
Was Gott verheisst durch deiner Augen Licht!
Denn Alles, was wir schauen,
Gleicht nicht an Kraft und Heil
Dem Blicke, der von Herz zu Herzen spricht.
Ihr Sterne klar und licht,
Ihr strahlt so selten mir! ach, solch ein Meiden,
Dünkt fast so hart mich als ein ewig Scheiden.
(S. 69)
_____


31.
Genöss' ich mindre Gnade,
Dann reichte wohl zum Leben meine Kraft,
Nun aber ist erschlafft
Durch Zähren, die in Doppelbächen fliessen,
Mein Herz und krank vom Thränenbade.
So muss das hohe Glück die Schwäche büssen!
Kein Weiser will geniessen,
Wozu die Kraft ihm fehlet,
Denn Wonne ohne Maass erdrückt hienieden.
Ein stilles Glück wird spriessen,
Vom Friedenshauch beseelet,
Dem Herzen, das in Demuth sich beschieden.
Nicht bringt, was Andern ziemt, auch mir den Frieden;
Giebst dem, der nur um kleinen Lohn gebeten,
Das Höchste du, so wird das Glück ihn tödten.
(S. 69)
_____


32.
Wenn sie sich freuen kann an meinen Leiden,
Und du von meinem Gram dich nährest, Liebe,
Ich selbst, in gleichem Triebe,
Von Thränen lebe, die mir Nahrung werden,
Dann, Amor, brächt' uns Beiden
Ein Weib, das wiederliebt, den Tod auf Erden.
Willkommen denn Beschwerden!
Wird je die Schmerzensnahrung uns genommen,
So sterben wir und ihre Freude endet!
Ja, nah und näher kommen
Seh ich den Tod, je mehr sie Gnade spendet.
O Seele, angstverblendet,
Du wählst ein banges Leben voller Sorgen
Statt höchster Lust, in der der Tod verborgen?
(S. 71)
_____


33.
Ins Joch beug' ich den Nacken demuthvoll,
Beug' lächelnd vor dem Missgeschick dies Haupt,
Dies Herz, das liebt und glaubt,
Vor meiner Feindin. Wider diese Qual
Bäum' ich mich nicht mit Groll,
Mir bangt vielmehr, sie lindre sich einmal.
Wenn deines Auges Strahl
Dies Leid verwandelt hat in Lebenssaft,
Welch' Leid hat dann zu tödten mich die Kraft?
(S. 71)
_____


34.
Du hobst mich himmelan
Weit über meine Bahnen,
So hoch, dass kaum ich's ahnen,
Viel wen'ger noch es jemals sagen kann.
Ich bin nicht ich fortan!
Du liehst mir deine Schwingen,
Warum denn öfter nicht gleich raschen Pfeilen
In deine Nähe dringen?
O lass, wenn es kein Wahn,
Dass Geist und Leib vereint zum Himmel eilen,
Bei dir mich ewig weilen!
Doch täuscht die Liebe mich, vom Leib dann scheide
Die Seele gleich, dass ew'gen Tod sie meide.
(S. 73)
_____


35.
Kannst Amor, du dich nur an Thränen laben,
Dann triff mich lieber gleich mit jenem Pfeile,
Der Tod bringt ohne Weile!
Zwar du verlierst, wenn Treuverliebte sterben,
Der Zähren Opfergaben,
Doch uns erlösst dein Bogen vom Verderben.
Nicht für den Schmerz, den herben,
Doch wohl für raschen Tod dank' ich von Herzen,
Denn wer da tödtet, heilt von allen Schmerzen.
(S. 73)
_____


36.
Wenn Todesfurcht gebunden
In ihrer Höhle bliebe,
Wenn sie nicht stets zu drohn ihr Haupt erhoben,
Dann schlüge tief're Wunden
Dem Herzen noch die Liebe,
Und härter wären noch die Feuerproben!
Doch, da die Seele droben,
Durch Gnad' und Tod soll ew'ge Freude erben,
Wird Todesfurcht ihr lieb, denn es erblassen
Vor ihr die andern Plagen,
Es schweigt der Liebe Toben
Vor ihrem Dräun, dem herben,
So dass wir nun gelassen
So Huld wie Zorn der Schönen still ertragen.
Ihr Zweifler lasst Euch sagen:
Vor ihr, die lacht der Thränen, schützt mich Armen
Nur der, der mich durchbohret aus Erbarmen.
(S. 75)
_____


37.
Nie werden deine Augen aus den meinen,
Wie ich aus deinen höchste Wonne saugen,
Denn ich bring' deinen Augen
Für süsses Lächeln nichts als bittres Weinen.
O Wahn der Liebenden! wie konnt ich meinen,
Für meine Armuth soll dein Glanz so fühlen
Wie ich für dich, die strahlt gleich den Gestirnen!
Ach Amor sieht mit Zürnen
Wie ungleich wir in Sitten und Gefühlen,
Er steht gelähmt und wagt kaum mehr zu zielen;
Ihm fehlt die Kraft, Mitleid für meine Schmerzen
Dir abzuzwingen, denn er steigt zwar nieder
Wie Flammen stark zum Herzen,
Doch kehrt er schwach wie Thränenwasser wieder.
(S. 77)
_____


38.
Trittst du mir plötzlich gut und hold entgegen,
Dann halten nicht im Herzen
Nach so viel bittren Schmerzen
Die Lebensgeister Stand dem Himmelssegen;
Fern von gewohnten Wegen
Aus seiner Bahn getrieben
Strömt fort mein Geist, als müsst ich rasch verscheiden,
Der höchsten Lust erlegen.
Entziehst du mir dein Lieben,
Kehrt schnell mein Geist zurück und meine Leiden,
Darf dann aufs neu' ich weiden
Den sel'gen Blick an dir, dann flieht er wieder;
So flattr' ich auf und nieder!
Mich tödtet deine Huld wie dein Verschmähen
Und in Verzweiflung muss ich untergehen!
(S. 77)
_____


39.
So rasch, so kühn, mit Lug und Trug im Bunde
Ist meine Feindin, dass sie Huld versprochen
Im Augenblick, da sie mein Herz durchstochen,
Und schon das Eisen steckte in der Wunde.
Ach zu derselben Stunde
Durchwärmt mich Leben, da mich Tod durchschauert!
Die bange Seele trauert,
Denn wem dies Schwanken dauert,
Besiegt der Tod das Leben. Mehr vernichtet
Das Böse, als das Gute heilt und schlichtet.
(S. 79)
_____


40.
Mir raubst du jene Blicke,
Die du umsonst verschwendest;
Und darfst du auch vergeuden deine Habe,
So mein' ich, Raub und Tücke
Sei's dennoch, wenn du spendest
Der kalten Welt die mir versagte Labe.
Warum nimmst du die Gabe,
Amor, dem der sie schätzet,
Dass sich ein Thor ergötzet?
Erschaffe du auf's Neue
Die Stolze und verleihe
Ihr milden Sinn und hässliche Gestalt,
Dann liebt sie mich, und ich, ich bleibe kalt.
(S. 79)
_____


41.
Es wohnt kein zweiter Geist in solcher Hülle,
Die süss ist gleich der deinen,
Und doch so spröd und kalt. Mehr Strafe leiden
Muss einst dein Widerwille,
Durch Schönheit zu beglücken die da weinen,
Als mir zum Trost gebühren ew'ge Freuden.
So theile zwischen Beiden
Das Schicksal denn, und kannst du nicht auf Erden
Die Meine sein, sei's auf des Abgrunds Schwelle!
Doch will dein Groll schon hier zur Milde werden,
Dann fliehn wir Arm in Arm zur Freudenquelle.
Wem süss erscheint die Hölle
Mit dir, was ist für den erst Himmelswonne!
O Doppelglück! ich sonne
Mich dort in ihr, die hier mein Gott gewesen,
Und in dem ew'gen Gotte aller Wesen.
(S. 81)
_____


42.
Auf dass in reifen Jahren
Die Flamme nicht ersterbe,
Spannt Amor jetzt den Bogen mit Gewalt,
Er, der es wohl erfahren,
Dass nie sein Pfeil, der herbe,
Von nie edlen Busen abgeprallt.
Durch ihre Huldgestalt
Wird Lenz mein Winter; ach so tief verletzte
Der erste nicht der Pfeile, als der letzte!
(S. 81)
_____


43.
Feind sind sich mein Geschick und deine Güte,
Damit ich klar verstehe,
Wie Lust sich eint mit Wehe
Und Bitterkeit mit Wonnen im Gemüthe.
Steht deine Huld in Blüthe,
Bist du so gut wie reizend,
Dann stürmt das Schicksal tückisch mir entgegen;
Wie wenn's in Neid erglühte,
Mit jeder Wonne geizend
Kreuzt es mein Liebesglück auf allen Wegen;
Und wenn sich endlich seine Stürme legen,
Ist deine Huld entschwunden!
So soll ich nie gesunden,
Da bald der Lust ich, bald des Jammers Beute,
Was giebt uns Trost in solchem Widerstreite?
(S. 83)
_____


44.
Ihr Augen seid gewiss:
Die Zeit vergeht, die Stunde naht, die ach!
Der Thränen Ausgang schliesst! O Lieb', ich flehe:
Gewähre mir nur dies,
Lass offen sie und wach,
So lang die Freundin lebt, dass ich sie sehe
Bis sie zur ew'gen Höhe
Entrückt durch Gottes Gnade;
Erlischt auf meinem Pfade
Ihr Sonnenbild, wozu noch sollt' ihr taugen,
Was schaut Ihr dann auf Erden, arme Augen?
(S. 83)
_____


45.
Der Seele eine Hälfte
Fliegt auf zur Himmelshöhe.
Ein schönes Weib hält, wehe,
Der Seele and're Hälfte, der entzweiten,
Auf Erden fest, dass heiss im Kampf ich stehe;
So rauben ach, einander sie im Streiten
Den Frieden, den zu Zeiten
Der eine Theil mir doch gewähren sollte.
Wenn die Geliebte mir dereinst gewogen,
Und drob der Himmel grollte,
Dann kommt, zerstreute Wünsche, heimgeflogen
Zu ihr vom Sternenbogen!
Dann, wenn der Himmel mich verstösst, dann werde,
Nicht halb, nein ganz ich dein sein auf der Erde.
(S. 85)
_____


46.
Dein Auge es besiegte
Den hellsten Glanz, es schmilzt mit Feuerblicken
Den härt'sten Sinn; ach tödtet das Entzücken,
Geschieht's in Augenblicken,
Wo dem Gebot der Huld sich Schönheit fügte!
Ein Blick von dir genügte,
Wär' nicht im Feuer ich gewohnt zu leben,
Mir Tod zu bringen durch zu grosse Wonne.
Verbrennst du ganz mich, Sonne,
Doch darf des Jammers Schuld ich dir nicht geben,
Mein Blick nimmt mir das Leben;
Er ist mein Feind, er tödtet mich durch Schauen!
Je grösser sind der Lieb' und Schönheit Spenden,
Als um so mehr nur blenden
Die Augen sie und wenden
Nur um so wen'ger ab der Blindheit Grauen.
(S. 85)
_____


47.
Wird Feuer, allen schädlich,
Nur mir allein nicht tödtlich,
Denkt nicht, dass seine Kraft vermindert wäre,
Und meine Kraft sich mehre;
Nein, Salamandern gleich, dau'r ich im Brand.
Wer hat zu diesen Flammenqualen mich erlesen?
Nicht ich, nicht du sind Schuld an diesem Leide!
Schuf ich mein Herz und Wesen?
Und bildet deine Hand
Dein Antlitz selbst? Kann lösen
Ich oder du dies Band?
Ach der, der uns verband,
Der dir mich gab, ist mächt'ger als wir beide!
Wie ich geduldig leide,
Trag du mein Lieben! giebt es härt're Plagen
Als Schmerzen ohne Tod, die endlos nagen?
(S. 87)
_____


48.
Ach neben dir, die durch zu grosse Wonne
Das Leben mir entreisst,
Wie arm bin ich an Geist,
An Kraft und Kunst! ja deinen Strahlensegen
Flieht, wie der Blick die Sonne,
Mein blöder Geist; die Flügel möcht' er regen
Weit über sein Vermögen;
Er übertrifft sich selbst, nur deiner kleinsten Spende
Auch werth zu sein, bald aber, ach zum Schaden,
Erlahmt sein Flug und klar sieht er am Ende,
Nie kann der Dankesschuld er sich entladen,
Für so viel Gnaden!
Je mächt'ger lodern deiner Seele Flammen,
Je mehr sink' ich in todten Staub zusammen.
(S. 87)
_____


49.
Wenn Geister nach dem Tod in andrer Hülle
Für uns geboren werden,
Zu leben auf der Erden,
Dass neu des Daseins Kreislauf sich vollende,
Kommst dann in Schönheitsfülle
Du auf die Erde wieder,
Kommst du so hart wie jetzt zurück uns Armen?
Ach, wär' Gesetz mein Wille,
So schwebtest sanft du nieder
Mit holdem Sinn voll Liebe und Erbarmen,
Wenn einst in Todes Armen
Dein Auge bricht, dann fühlst du meine Schmerzen
Und kehrst für mich zurück mit mildem Herzen.
(S. 89)
_____


50.
Vertheilte meine Sinnlichkeit an Viele
Die Liebe, die doch einzig dir gehöret,
Würd' ihre Kraft zerstöret;
Theilst du den Strom, so schleicht er matt zum Ziele.
Das Herz hasst solche Kühle,
Denn mit der Gluth wächst Stärke ihm und Leben.
Der Geist jedoch, erfüllt von Himmelssehnen,
Flieht diese Gluth und Schwüle
Und hofft sich zu erheben,
Wenn Seufzer sind versiegt und Liebesthränen.
Vernunft theilt zwischen Jenen
Der Leiden Maass, doch einig sind die Viere,
Dass ew'ge Liebe dir allein gebühre.
(S. 89)
_____


51.
Nicht schön zu sein, unmöglich ist's dir Schönen,
Nicht gut zu sein, dir Guten! Dein Erbarmen
Verderblich ist's mir Armen
Es schmilzt mein Herz in deiner Gnadensonnen,
Auflösend sich in Wonnen!
Stirbt eh'r nicht deines Herzens Liebesfülle
Als deine süsse Hülle,
So duld', ich fleh's mit Thränen,
Dass ich bei dir verweile
Bis du der Welt entronnen!
O dann entrückt mein Sehnen
Der Erde mich, ich eile
Empor zum ew'gen Heile;
Giebt uns der Schöpfer einst am jüngsten Tage,
Den Leib zurück, zu Wonne oder Plage,
Dann nimm mich auf, ob unschön ich geblieben,
Dort gilt ja mehr als Schönheit treues Lieben!
(S. 91)
_____


52.
Was ich auch sehe, treibt mich, zwingt und ziehet,
Dass ich dir liebend folg' auf allen Wegen,
Denn das, was du nicht bist, hat keinen Werth.
Die Liebe, die verschmäht und die da fliehet
Jed' and'res Wunder, will mein Herz bewegen,
Dass es dir, Einz'ge, einzig angehört.
So lähmt die Kraft sie mir zum Aufwärtsstreben.
Und nicht nur soll ergeben
Ich dir, nein Dem auch sein, was gleich dir siehet,
Sei's nur ein Blick, sei's in der kleinsten Miene!
Ach, wenn mir nicht mehr schiene
Dein Auge, dann wär' alles Licht mir fern,
Nacht ist mein Himmel ohne diesen Stern!
(S. 93)
_____


53.
Was treibt mich mit Gewalt zu deinen Füssen;
O weh mir Armen, wehe!
Da Bande nicht den freien Leib umwinden,
Kannst ohne Ketten du in Ketten schliessen,
Kannst ohne Hände du und Arme binden?
Wo werd' ich Schutz vor deinem Antlitz finden?
(S. 93)
_____


54.
Wenn auch durch der Gewohnheit Macht besieget,
Das Auge sich verwirret,
Und so das Urtheil irret,
(Wer sich zu viel vertraut, der täuscht sich immer)
Dass uns als schön genüget,
Was dann erbleicht vor and'rer Reize Schimmer,
So bin doch ich es nimmer,
Den täuschend die Gewohnheit überwindet;
Nicht schwelgt mein Aug' in deinem, das erhaben,
Dem Wunsch erreichbar kaum, strahlt in der Ferne;
Ein Blick hat mich entzündet,
Nur Einmal sah ich deiner Augen Sterne.
(S. 95)
_____


55.
Ich sehe mich in deiner Augen Rahmen,
Mir winkt mein Bild zu jenem Himmelskreise,
Und lockt zu dir mich, meine Seelenspeise,
Wie man den Fisch am Faden zieht zum Hamen.
Da deine Augen mir zur Hälfte nahmen
Das Herz im Busen, und getheilt zu leben
Unmöglich ist, so nimm was mir geblieben,
Die andre Hälfte auch; nun ist mein Wesen
Ein leeres Nichts, und da es unser Streben,
Von Zweien stets das Beste zu erlesen,
So darf ich mich nicht mehr, nein dich nur lieben.
(S. 95)
_____


56.
Wie weise sorgt Natur in allen Dingen!
Nicht einen durfte deinem spröden Sinne
Sie mind're Schönheit, wollte sie die beiden
In's Gleichgewicht durch Gegensätze bringen.
Dein Blick kann mir durch eine Spur von Mienen
Zur leichten Bürde machen schwerste Leiden.
(S. 97)
_____


57.
Es spricht ein Mann, es spricht ein Gott mit Kraft
Aus eines Weibes Munde,
Und was sie sprach, die Kunde
Hat mich mir selbst für alle Zeit entrafft,
Seit ich in ihre Haft,
Mir selbst durch sie genommen,
Fühl' Mitleid ich mit mir, den sie betrauert.
Tief schweigt die Leidenschaft;
Ihr Reiz nur ausgenommen,
Dünkt hohl die Schönheit mich; in Rosen lauert
Der Tod, vor dem mich schauert';
Du, die durch Feu'r und Wasser führt zum Frieden,
O gieb mich nie mir selbst zurück hienieden.
(S. 97)
_____


58.
Es senden einen Strahl von solcher Macht
In meine Augen deine, dass ins Herz
Er selbst durch die geschloss'nen Lider dringt;
Sieh nun, wie Liebe hinkt
Mit ihren Gaben, denn das ist mein Schmerz:
Du giebst mir Licht und ich dir dunkle Nacht.
(S. 99)
_____


59.
Wenn sich die Schmerzen, die mein Antlitz trüben,
Dir, theure Herrin, zeigen,
So scheinen sie zu steigen
In gleichem Maass wie in dem deinen lieben,
Das frei von Gram geblieben,
Die Reize sich erhöh'n; durch meine Leiden,
Will Amor dich Geliebte noch verschönen;
Da Ruhm dir bringt solch' Lieben,
So duld' ich denn mit Freuden.
Macht schon mein Gram dich schön, wie erst mein Sterben!
Und doch, wenn meine Thränen,
Die Glanz und Reiz erhöh'n in deinen Zügen,
Einst durch den Tod versiegen,
So bringt mein Tod statt Ehre dir Verderben.
Nun will ich nicht mehr sterben,
Nein dulden will ich gern in deiner Nähe,
Denn süss ist Gram, der solche Schönheit nähret;
Wem sie zu schau'n bescheeret,
Der trägt ja leicht zugleich ein grosses Wehe.
(S. 99)
_____


60.
Nicht halt' ich mich zurück, ich kann nicht schweigen,
Wenn Amors Plagen steigen.
O strenge Liebe höre,
Ich sag' es dir, ich schwöre,
Je länger du mir weigerst das Erbarmen,
Je mehr wirst du mich Armen
Verhärten, dass im Kampfe ich mich stähle.
Willst du dann plötzlich trösten,
So dünkt dem Gramerlösten,
Dass mit dem langgefühlten Schmerz ihm fehle
Die glückentwöhnte Seele.
Ihr heil'gen Augen, soll ich stets entbehren,
So lern' ich denn zum Heil, Nichts zu begehren!
(S. 101)
_____


61.
Nur dir erblüh'n aus meinem Jammer Freuden;
Wohlan, da ich nach deinem Glück nur frage
Und dir der Tod als Ende jeder Plage
Zu süss erscheint für mich, so will ich leiden!
Ja, deinen Stolz zu weiden
Ertrag' ich Schmerzen, die an Grösse gleichen
Dem Hochmuth deiner Seele!
O, da ich so mich quäle,
Lass ab grausame Hülfe mir zu reichen,
Entreiss' mich nicht dem Arme
Des Todes, dessen Qual nicht zu vergleichen
Mit diesem langen Harme!
Ein Trost nur bleibt mir bei des Schicksals Streichen:
Wer schuldlos muss erbleichen,
Dem wird gerechter Lohn für die Beschwerden
Im Jenseits werden;
Den Preis des Schmerzes zahlt kein Mensch auf Erden.
(S. 101)
_____


62.
Da ich dein Bild so lang im Busen trage
Und schon der Tod auf mich gelegt die Hände,
Mag Liebe jetzt am Ende
Als höchste Gunst es in den Geist mir prägen!
Dann kann am letzten Tage
Ich fröhlich meine Bürde niederlegen;
Ja wie des Kreuzes Segen,
Der die Dämonen blendet,
So schützt dein Bild in mir mich vor Gefahren;
Zum Himmel, dem dich die Natur entwendet,
Kehrt's heim mit mir, ein Beispiel jenen klaren
Erhabnen Engelschaaren,
Dass sie ein Wesen neu gleich dir gestalten;
Dann stirbst du, doch dein Abbild wird erhalten.
(S. 103)
_____


63.
Wenn uns der Schmerz, wie Mancher sagt, verkläret,
Mag neues Leben mir aus Zähren sprossen,
Die ich für dich vergossen;
Dann wird zum Segen der Verlust des Schönen;
Nur Sinnenlust begehret
Das Bittersüsse, dessen Ende Thränen;
Auch kann nicht über Jenen
Der sich bescheiden lernt, der Siege
Das Glück sich rühmen, darf nicht neidentglommen
Den einst Beglückten höhnen.
So ist als Sporn und Rüge,
Als Geissel mir des Schicksals Wuth willkommen;
Mir wird die Armuth frommen,
Heilsamer als im Kampf nicht triumphiren,
Ist's doch der Seele, Alles zu verlieren.
(S. 103)
_____


64.
Wenn in die theure Hülle
Am jüngsten Tag die Seele wiederkehret,
Sei es zum Heile, sei's zur ew'gen Plage,
Und deiner Schönheit Fülle
Den Höllenschlund verkläret,
So schweigt bei deinem Anblick jede Klage.
Wenn du am jüngsten Tage
Zum Himmel fliegst, dann mindern
Durch deine Reize sich die ew'gen Wonnen.
Da sie mich Schwachen hindern,
Der ich dir nie entsage,
Mich einzig in der Gottheit Glanz zu sonnen;
Und doch hab' ich gewonnen,
Denn besser, auf des Himmels Seligkeiten
Verzichten als auf Trost im Höllenleiden!
(S. 105)
_____


63.
O hätten nicht die Augen, die mir theuer,
So selten ihren Blick zu mir erhoben,
Welch' heiss're Feuerproben
Müsst' ich nicht noch durch Amors Macht ertragen!
Wie wüchse dieses Feuer,
So stark schon jetzt, da jene selten tagen!
Und doch, hört ich nicht sagen,
Der Lust entbehr' am Spiele,
Wer nie verlor, wer Sieger stets geblieben?
Ach ungewürzt durch Plagen,
Welkt bald die Lust am Ziele,
Und sprosst nicht wieder auf mit grünen Trieben.
Nein, also nicht mein Lieben!
Denn würde mir die Fülle auch des Schönen,
Doch stillt kein Glück mein unbegrenztes Sehnen.
(S. 105)
_____


66.
Was deine Augen, Herrin, offenbaren,
Denn in das Herz dringt nimmer ja mein Blick,
Das lässt auf Fried' und Glück
Mich Müden hoffen. Ach vielleicht zum Segen
Hab' ich nicht mehr erfahren,
Denn Grausamkeit magst du im Innern hegen,
Und Stolz dein Herz bewegen!
Stimmt aber ganz zusammen
Dein Herz mit deinen mitleidsvollen Zügen,
Dann eile mir entgegen,
Da meinen keuschen Flammen
Die Gaben, die dein Blick verspricht, genügen.
Doch wenn die Augen lügen,
Die mich beglücken, ach dann üb' Erbarmen
Und lass mich träumen in der Täuschung Armen!
(S. 107)
_____


67.
Ein rascher Tod ist bessres Loos als täglich
Viel tausend Tode für ein Wesen sterben,
Von dem als Liebestod wir Tod erwerben!
O unaussprechlich Leiden,
O Qual, zu denken, dass der kalten Seele,
Die heiss ich liebe, jede Liebe fehle!
Wie soll ich Unheil meiden?
Und sagt sie nicht, noch mehr mich zu betrüben,
Sie könne nicht einmal sich selber lieben?
Ist ihr, die selber sich nicht liebt, es möglich
Sich eines Andern zu erbarmen? wehe,
Nun ist's bestimmt, dass ich zu Grunde gehe!
(S. 107)
_____


68.
Michelangelo und ein Florentiner
"Ich sage, dass verhängt, o mächt'ge Götter!
Vom Schicksal uns, jedwede Schmach zu tragen!"
""Wenn Ihr gestorben seid an Euren Plagen,
Dann kommt in späten Tagen
Die Rache endlich, dass für Euch einst glühe,
Die Ihr jetzt liebt und die verschmäht Eu'r Beten.""
"""Weh Armer, der du harrst in bittren Nöthen
Und schiltst, dass ich zu helfen dir verziehe,
Bedenk es recht und siehe,
Ein edles Herz darf Rache nicht begehren,
Durch Liebe nur soll es den Feind bekehren."""
(S. 109)
_____


69.
Seh ich getrübt die Harmonie des Schönen
In einem Weib auf Erden,
Dann frag' ich ängstlich, werden
Die Reize mit den Fehlern mich versöhnen?
Und wenn ich zwischen Thränen
Und Lust solch' Weib betrachte,
Dann rufen ihre Fehle
Zu Hülfe die Vernunft; durch sie bekehret
Soll ich den Blick gewöhnen
An das, was Pein ihm machte;
Doch Amors stolze Seele
Will nicht, dass man in seinem Reich sie höret;
Der Himmel aber lehret
Mit Liebe aufzunehmen alle Schwächen,
Denn die Gewohnheit wird den Blick bestechen.
(S. 109)
_____


70.
Wem ward ein Loos verhängt so schwer wie meines,
Vom ersten Seufzer herbe
Ach bis zum letzten, in dem bald ich sterbe,
Verhängt durch dich, mein Stern, so kalt wie licht?
Ja kalt, doch böse nicht,
Denn fehlt' es dir an Güte,
So heilte die Verachtung mein Gemüthe,
Dann wär' Befreiung möglich!
Doch jetzt verheissen täglich,
Obgleich du mich nicht liebst, die sanften Züge
Mir Mitleid zur Genüge.
Erhabner Stern, nur niedre Seelen können
Dich seh'n und nicht entbrennen,
Ich aber, trotz der Qual segn' ich die Stunden,
Wo meine Augen deinen Reiz empfunden;
So, Liebe, magst du mich denn ganz besiegen,
Da Kraft und Tugend doch dir stets erliegen!
(S. 111)
_____


71.
Amor, die Zeit ist hin, mich zu entzünden,
Da ist kein Reiz, der freue, der verwunde,
Es kam die letzte Stunde,
Die dunkle Zeit, wo kostbar sind Minuten.
Ach deine Qualen schwinden
Und minder schmerzt die Wunde,
Je mehr mich Todesschatten überfluthen.
Zu Wasser werden Gluthen,
Die einst entfacht von meiner Herrin Huld,
Von Worten anmuthvoll, -
Denn Gott befiehlt, ich soll
In Thränen hier ertränken meine Schuld.
(S. 111)
_____


72.
Nicht ein besondres Band war ja vonnöthen,
Um festzuhalten mich an deiner Seite,
Denn ich ward schon zur Beute
Dem ersten Blick; vielleicht weil schlecht sich wehret
Der leidensmüde Kämpfer,
Der jeder Kraft zum Widerstand entbehret.
Doch eins wird nie erkläret,
Dass sich ein Holz - wen find' ich, der es glaubt -
Dürr und verkohlt, auf's Neue frisch belaubt!
(S. 113)
_____


73.
Wenn nahe mir die klaren
Geliebten Augen schimmern,
Seh' ich mein Bild drin flimmern,
So wie du deins in meinen kannst gewahren.
Gebeugt von Leidensjahren,
Ganz treu, so lassen deine mich erscheinen,
Und meine dich hell wie ein Stern im Blauen,
Das Spiegelbild des Wahren.
Der Himmel zürnt, dass in den schönen deinen
Ich hässlich bin und du in meinen grauen
So reizend bist zu schauen.
Im Busen steht's noch schlimmer,
Denn unter meinen Brauen
Dringst du in's Herz mir immer,
Und öffnest deins doch nimmer.
Mein Unwerth macht noch spröder deine Tugend,
Da Liebe Gleichheit will an Werth und Jugend.
(S. 113)
_____


74.
Nur sie und was da gleicht dem holden Weibe
Ist wie ein Spiegel mir für Herz und Blicke,
Gleich einer todten Lücke
Ist andre Schönheit, ist kein Spiegel, wehe,
Nein eine hohle Scheibe,
In deren Leere ich kein Bild erspähe.
Wenn ich beglückt mich sehe
Am Schluss der Lebenspfade,
Der Jugend ich und Muth schon längst verloren,
Dünkt solcher Trost im Wehe
Ein Wunder mir der Gnade;
Ja wenn du mich, der ich zum Leid geboren,
Zum höchsten Glück erkoren,
Und wenn mein Unstern deiner Huld erlieget,
Dann hast du Himmel und Natur besieget!
(S. 115)
_____


75.
Des Todes Bild, das fahle,
Vertreiben Amor's Pfeile
Der Seele nicht zum Heile,
Da Amor mehr verwirrt als Todesschrecken.
Es fiel die Frucht und trocken ist die Schaale,
Was süss mir war, wird bald mir bitter schmecken.
Muss ich nicht zagen, da ich zum Genusse
So grosse Lust, doch kleine Frist nur habe?
Bald kann das Grab mich decken!
Ach Glück wird Qual zum Schlusse,
Und Tod dem Leib bringt Amors späte Gabe;
Doch dank' ich ihm am Grabe,
Da er herbeigeführt mein Lebensende
Durch höchstes Glück, nicht durch des Todes Hände.
(S. 115)
_____


76.
O wär' auch dies Herz, das oft durchglühte,
Nicht schon verbrannt, matt von der Jahre Bürde,
Dies letzte Leiden würde
Es tödten, selbst in seiner Jugendblüthe.
Wie sehnet mein Gemüthe
Nach jenem Tage, hier dem letzten, sich,
Dem ersten dort im ew'gen Morgenroth.
Entreisst dem ew'gen Tod,
Der Tod des Leibes mich,
Willkommen sei mir dann sein hart Gebot!
Den Tod zwingt nur der Tod,
Und jede Hülfe bringt ja dem Verderben,
Der Leben einzig nur erlangt im Sterben!
(S. 117)
_____


77.
Die Zeit ist da, o Liebe,
Sich still zurückzuziehen,
Denn meinem Alter ziemt nicht deine Thräne!
Doch blind und taub verhöhne
(Du Amor kennst die Triebe!)
Ich meiner Jahre Fliehen,
Und du zeigst mir im Tode noch die Schöne!
Doch riss auch deine Sehne,
Zu heftig angezogen,
Zersplitterte dein Bogen,
Doch fleh' ich, spare deiner Pfeile keinen,
Denn sieh, wir leben ja, so lang wir weinen.
(S. 117)
_____


80.
Der Tod treibt, Amor, dich hinweg mit Drohen
Von jener Stätte, wo du triumphirtest,
Wo, selbst der Waffen baar, Sieg zu erringen
Dir leicht gelang; er löscht mit Eis die Lohen,
Die süsse Gluth, die du zu kurz nur schürtest;
In reifen Herzen kann er rasch dich zwingen.
O hast du noch die Schwingen,
Die mich verfolgen, heb' zur Flucht sie wieder,
Denn Jugend sind und Alter sich zuwider.
(S. 121)
_____


82.
Mir giebt zur Friedensstatt
Die Schlüssel Gottes Gnade,
Dahin auf jedem Pfade
Streb' ohne Rasten ich des Lebens satt,
So wie nicht Ruhe hat
Der Stein in seinem Flug,
Bis er im Centrum ruht; mir schliesst mit jenen
Mein Herz, das müd und matt,
Die Liebe auf, vom Fluch
Der Schuld mich lösend, spornt mein Sehnen
Und trägt zu Göttersöhnen
Mich himmelan; sie lohnt mein heilig Streben,
Denn wer für sie gestorben, der wird leben!
(S. 123)
_____


84.
Wie gross sind die Gefahren,
Dein Antlitz anzuschauen,
Für mich, dem Todesgrauen
Im Nacken sitzt! Dass ich Euch widerstehe,
Ihr Augen, ach Ihr klaren,
Bewaffn' ich mich und sinn' auf Rath, doch wehe,
Selbst in des Todes Nähe
Löst Ihr nicht meine Bande!
Wie wärt Ihr's auch im Stande?
Kann eine Stunde, sei's auch nah der Bahre,
Vernichten die Gewohnheit langer Jahre?
(S. 125)
_____


85.
Amor hat noch so spät,
Da schon mein Herz verschmäht
Den Pfeil und Bogen, aus der Liebsten Augen
Die alte Kraft erneut sich und erhöht.
Mein Blick, der offen steht
Dem Schönen, lüstern stets es einzusaugen,
Nimmt auf, ach nur zu leicht
Den Todespfeil. Nicht Schaam, nicht Furcht verscheucht
Die Liebe, die nicht weicht,
Denn eine Stunde, sie vermag mit nichten
Gewohnheit langer Jahre zu vernichten.
(S. 125)
_____


86.
Indess die Zeit mein Leben aufgezehret,
Werd' ich noch mehr zerstöret
Durch Amor's Macht, o sehet,
Er hat für Jahre, ihm geweiht, am Ende
Kein Stündlein Ruh' gewähret!
Die bange Seele flehet,
Und schreit gleich dem, der fiel in Mörderhände;
Sie klagt, dass ich vollende
Ihr ewiges Verderben. Selbst mich quälend,
Bald Tod, bald Liebe wählend,
So schwank' ich, bis ich endlich Amors Beute, -
Denn die Gewohnheit siegt zuletzt im Streite.
(S. 127)
_____


87.
Den Strom der Zähren drängt
Die Seele rasch an's Licht,
Dass er die Flammen nicht,
In die sie selbst verwandelt ist, ertränkt,
Im Busen eingeengt.
O wer erlöst mich, da der Zähren Thau
Mich stärkt zum Ausharr'n in des Feuers Wuth,
Und auch das Schicksal nicht wie sonst mich kränkt,
Aus Mitleid minder rauh;
So tödtet weder Feuer mich noch Fluth.
Ach innen heg' ich Gluth,
Die aussen ich beweine, und mich nähret
Das Feu'r, das Andre tödtet und verzehret.
(S. 127)
_____


88.
Hätt' ich geachtet dieser Feuerzungen,
Als sie mich nur gestreift in frühen Tagen,
Die jetzt im Innern nagen,
Dann löscht' ich gleich sie aus mit Thränengüssen.
Und wär's mir nicht gelungen,
Dann hätt' ich aus der Brust dies Herz gerissen.
Unseel'ger ich, mir sagt es mein Gewissen,
Wer Anfangs sich nicht wehret
Mit tapferen Entschlüssen
Wird von der Gluth verzehret!
Wen sie zur Zeit der Jugendkraft zerstöret,
Die Licht und Spiegel ist dem Greis, vergebens
Wehrt der selbst mindrem Brand am Ziel des Lebens.
(S. 129)
_____


89.
Je schneller ach des Lebens Rest vergeht,
Nur um so heft'ger sprühet
Der Brand, der doppelt glühet,
Beschränkt auf einen Zeitraum wen'ger Tage.
Umsonst kämpft selbst so spät
Der Himmel gegen der Gewohnheit Plage,
Die nicht mit einem Schlage,
Nein mühsam auszumerzen.
Schürst, Amor, du den Brand, der ohne Mühe
Selbst Steine, wie erst Herzen,
Zerschmilzt und löst, so sage
Ich Dank dir trotz der Qual, denn so verglühe
Ich endlich doch und siehe:
Das Schlimmste wird zum Besten in dem Streite,
Denn unter Todten machst du keine Beute.
(S. 129)
_____


90.
Noch heilte nicht die kleinste Wunde zu,
Die Amor ich von deinem Pfeil empfangen,
Und schon spür' ich mit Bangen,
Mir wird von dir noch herbres Leid geboten.
Bist schwach im Greise du,
Entkomm' ich wohl, du kämpfst ja nicht mit Todten!
O Wahn des Schwerbedrohten!
Nackt bin ich ja und hinkend,
Und du fügst deinem Pfeile
Noch Schwingen bei, lässt Augen vor dir flammen,
Wie Siegspaniere winkend,
Die ganz das Herz durchbohren.
Ach mir dient nichts zum Heile,
Nicht Helm, noch Schild! den Flammen
Entrinn' ich nicht, da Kraft mir fehlt zum Fliehen!
Auch soll wer siegt durch Flucht, zu Feld nicht ziehen.
(S. 131)
_____


91.
Mich treibt die neue Schöne,
Sie spornt mich, peitscht und zügelt,
Und doch entschwand beflügelt
Der Mittag schon und Abend, bald besieget
Die Nacht den Tag; ich höhne
Mit Sinnen aufgewiegelt
Durch Liebeslust mein Alter, doch genüget
Mir nicht, was mich vergnüget,
Was mich berauscht. Ich hatte mich bequemet
Den Jahren, nahm das Handgeld schon vom Himmel,
Das Reue sich erwirbt, doch wer da glaubt
An eig'ne Kraft, beschämet
Sieht er im Weltgetümmel,
Sich bald auf's Neu besiegt. So lang dem Haupt
Gedächtniss nicht geraubt,
Steht Aug' und Ohr der Liebe auf; was nützet
Das Alter, wenn uns nicht die Gnade schützet.
(S. 133)
_____


92.
Ach, grausam von Gemüth,
Sieht flammen mich und sterben
Die Wilde, sieht mich werben
Um kleine Gunst, die keine Unze wiegt,
Und Pfund um Pfund entzieht
Sie mir das Blut, dass Leib und Seele siecht;
Dann eilt, die mich besiegt
Zum Spiegel, sich zu schmücken,
Dass sie ein Paradies von Reizen schaue,
Mir aber zeigt vergnügt,
Zu höhnen mich, voll Tücken,
Als Folie neben sich die schöne Fraue
Mein Haupt, das altersgraue.
Und doch will um mein Alter ich nicht klagen,
Da kurze Qualen leichter sich ertragen.
(S. 135)
_____


93.
Bist du ein Gott, wohlan
O Liebe, so erfüllst,
So kannst du, was du willst;
O kannst du's, thu' an mir, ich fleh dich an,
Was ich für dich gethan,
Wär' ich an deiner Stelle!
Wenn nicht das Alter Liebeswünsche kleiden,
Wie ziemt Erfüllung dann
Mir auf des Grabes Schwelle,
Wie Liebeshuld? Im voraus werden Leiden
So kurz gegönnte Freuden!
Ach doppelt schwer wird uns in Wonnetagen
Der Tod, vor dem wir selbst im Elend zagen.
(S. 135)
_____


94.
Dem Manne gleich, der wider eignes Wollen
Zum Richtplatz geht, so schreite
Ich fort, den Tod zur Seite
Und nahe mich wie jener schnell dem Ziele,
Wenn träger nicht entrollen
Die letzten Tage mir. In frevlem Spiele
Lässt dennoch der Gefühle
Mir keine Ruh die Liebe!
Ach zwischen zwei Gefahren schweb' ich immer;
Denn bange ahnend fühle
Ich schon des Todes Hiebe
Zugleich mir Amors Qual; ich weiss ja nimmer,
Was besser sei, was schlimmer,
Doch fürcht' ich mehr als Tod der Liebe Waffen,
Die, kommt sie spät, uns doppelt leicht entraffen.
(S. 137)
_____


95.
Obgleich die Zeit mich drängt, dass mit dem Leben
Ich diese müden Glieder
Der Erde gebe wieder,
So will doch Jener noch nicht von mir scheiden,
Der mir so viele Freuden,
Doch Noth der Seele bringt. Du, dem zu schliessen
Mein Herz, die Macht gegeben
Und es zu öffnen wieder,
Lässt du beim letzten Scheiden,
Wo andre Welten sich vor uns erschliessen,
Mich Frieden nicht geniessen?
Und wächst noch die gewohnte Sünde, wehe,
Je näher ich der dunklen Zukunft stehe?
Zu spät ist Hülfe jetzt, denn wenn am Ende
Auch die Vernunft verlöscht der Liebe Brände,
So ist dies Herz, so lang der Flammen Raub,
Kein Herz mehr, sondern Asche nur und Staub.
(S. 139)
_____


96.
Die schöne Frau, die milde,
Verspricht mir Wonnen heute
So gross, dass ihr zur Seite
Die Jugendtage mir erneuert scheinen.
Doch drängt der Tod, der wilde,
Dem kaum ich noch entronnen,
Sich zwischen ihren heitern Blick und meinen,
Den Gram umflort; in Weinen
Verkehrt die Freude sich, die mich befeuert,
So lang sein Bild verschleiert!
Und kehr ich heim zur Stätte, die ich liebe,
Dann löscht des Todes Eis die süssen Triebe.
(S. 141)
_____


98.
Bist du ein sterblich Wesen?
Du musst es sein, du lebst und webst ja hier,
Isst, trinkst und schläfst wie wir,
Doch ist im Blick der Gottheit Strahl zu lesen.
Ach folgt' ich, wenn sich lösen
Die bangen Zweifel, dir nicht voll Vertrauen,
O dann genügt für mich der Strafen keine,
Die je verhängt den Bösen.
Doch wie dich ganz durchschauen
Aus eigner Kraft? Mir fehlt der Blick, der reine;
Sieh, wie ich rohem Steine
Und leeren Blättern aufgeprägt die Seele,
So bild' auch mich, dass mich dein Geist beseele.
(S. 143)
_____


99.
Die Schöpferkraft zu üben,
Hat die Natur so viele Fraun geschmückt,
Bis sie in dir vereint, was uns entzückt,
Die Gaben, die vereinzelt sonst geblieben.
So ist sich zu betrüben
Um dich in grossen Schmerzen
Natürlich nur dem Herzen,
Denn mächt'ge Wirkung haben mächt'ge Gründe.
Schau her, wie ich empfinde,
Wenn mehr ich litt als Alle, fühl' auch Wonne
Ich mehr als Alle unter dieser Sonne.
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
(S. 143)
_____


100.
Erinnrung zeigt mir deine Augen stündlich,
Und Hoffnung zeigt sie mir, die mich lebendig
Nicht nur, nein selig macht; so drängt und lehret
Mich Urtheil und Natur unüberwindlich,
Lieb' und Gewohnheit treibt mich, dass beständig
Ach diese Augen nur mein Herz begehret;
Und würd' ich selbst verkläret,
Doch müsst' im Schloss des Lebens, fern von ihnen
Ich sterben! ja entsühnen
Wird ohnedies mich Armen
Dein Blick nur voll Erbarmen.
Wer nicht durch Euch lebt, ist noch nicht geboren;
Und die da später kommen,
Wenn sie dereinst verglommen,
Die sterben bald, weil schon dies Licht verloren,
Eh Jene nur geboren.
Der lebt ja nicht, wer Euch nicht liebt, Ihr Augen!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(S. 145)
_____


101.
Da endlich dieses Sehnen,
Ein Blind und taub Begehren,
Die Jahre jetzt zerstören,
Schliess Frieden mit dem Tod, ihn zu versöhnen
Ich vor dem letzten Stöhnen.
Mich warnt wie vor Gefahren,
Vor deinem süssen Antlitz jenes Sehnen,
Mit dem ich suche, was ich nie erblickte;
Doch Liebe, feind dem Wahren,
Mit Gluth und Hoffnungsthränen
Lockt sie mich schmeichelnd, sagt was mich entzückte
Nicht sterblich sei's fürwahr.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(S. 147)
_____


102.
Schmuck, Bänder, Perlen, wer mag Euch betrachten,
Wer Menschenwerk beachten,
Wo göttlich von Geberden naht die Holde,
Die durch ihr Licht dem Golde
Und Silber Glanz erst leiht, aus deren Augen
Juwelen Schimmer saugen,
Durch sie mehr leuchtend als durch eignes Feuer.
. . . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 147)
_____


Terzinen


4.
An meine Herrin (Unvollendet)
Nur dich erfreut mein Gram! Sieh, solch Erbarmen
Bewegt die holden Fraun, dass Qual und Sterben
Zu süss du noch erachtest für mich Armen.

Wo ist denn Mitleid? wen zum Schützer werben
Und zum Vermittler? einen Mann? mit nichten.
Der Mann ist Feind dem Mann und bringt Verderben.

Du Amor sollst wie immer heut auch richten!
Und reiche nur den Bogen ihren Händen;
Bin schuldig ich, dann mag sie mich vernichten,

Der, welcher schmachtet zwischen Kerkerwänden,
Der, den zum Tod man schleift in wilder Hetze,
An welch' ein Tribunal soll der sich wenden?

Was nützen ihm und mir Recht und Gesetze?
Doch sag', warum lehrt dich mein Lieben hassen?
Wer fasst es, dass dich Fleh'n in Wuth versetze!

Dem Schatten gleicht dein Reiz, in dem erblassen
Die dir sich nah'n; das Herz das liebewarme
Muss glühend sein Verderben hier umfassen.

Ihr stolzen, stets zum Mord bereiten Arme,
Ihr Augen spottend der im Netz Verstrickten,
Ihr Hände höhnisch deutend auf uns Arme,

Ihr Gaben all, verliehen der Beglückten,
Des Himmels Ruhm, nicht schuf Euch Gottes Wille
Um Tod und Schmach zu bringen uns Entzückten!

Ihr sollt im Spiegel Eurer Schönheitsfülle
Den Glanz uns ahnen lassen jener Sphären,
Die noch uns birgt des Staubes Schleierhülle.

Die ird'sche Schönheit soll uns glauben lehren
An ew'ge Schönheit, göttliche Vollendung;
Und du lebst nur zu tödten, zu verheeren!

Ein Himmelsbote, spottend seiner Sendung
Verdient den Untergang noch mehr als Jene,
Die ihm gefolgt in menschlicher Verblendung.

Die Liebe zeigt dein Ende mir, du Schöne,
Dass meine Warnung deinen Stolz vernichtet
Und dir ins Auge lockt die Reuethräne.

O fühle doch der Welt dich auch verpflichtet,
Für die so schön geschaffen du; gefallen
Lass dir die Lieder, dir zum Ruhm gedichtet.

Die Tugend nützt sich selbst nicht nur, nein Allen,
Der Sonne gleich, die Licht am meisten spendet,
Wo sich am dunkelsten die Schatten ballen,

Du aber hast dich geizig abgewendet;
Wir sterben, du bleibst ungestraft auf Erden;
Nun seht Ihr, dass nicht hier das Dasein endet,

Und dass Gerechtigkeit geübt muss werden
In andern Welten. Weh, dass treue Dienste
Man lohnt durch Qual und tödtliche Gefährden!

. . . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 367-371)
_____


5.
An meine hingeschiedene Herrin
Vertrocknet lägen Quellen schon und Flüsse
Von Seufzern ausgedörrt, ein Wüstenfeld,
Erneut' ich sie nicht stets durch Thränengüsse.

Zwei ew'ge Leuchten sind am Himmelszelt,
Die eine Wärme bringt, die andre Kühle;
Verlöschte eine, siechte hin die Welt.

So müsste auch vergehn in Brand und Schwüle
Ein liebend Herz, wenn nicht die Thränenfluth
Wie Thau zur Erde auf die Gluthen fiele.

Doch mir stärkt Tod sogar den Lebensmuth,
Denn er verheisst mir Seligkeit in Fülle,
Nun tödtet er mich nicht, da wohl er thut.

Stoss ab, mein Nachen, Wind die Segel fülle,
Trag mich zu ihr, zum Strand, dem keiner naht,
Der nicht zurückliess hier die Erdenhülle.

Doch ach der Schmerz kürzt mir nicht ab den Pfad,
Die Andern sind voraus, ich schleiche trübe,
Fern scheint das Ziel, ich weiss nicht Trost noch Rath.

O grausam Mitleid, dass ich leben bliebe,
Und leben ohne sie, das wolltest du?
Zerreissen, tödten nicht kannst du die Liebe!

. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . 
(S. 377)
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6.
Bruchstück
Verglühn will ich wie trocknes Holz im Feuer,
Verlieren will ich Seel' und Leib zusammen,
Ist je ein andres Weib als du mir theuer.

Durchhauchten je mich neue Liebesflammen,
Dann wende ab, dass mir kein Leben bleibe,
Die Augen, denen Kraft und Heil entstammen.

Nimm alle Hoffnung mir, verjag', vertreibe,
Wenn das geschieht, die fröhlichsten Gedanken,
Die Dir so fest vertrau'n, dem besten Weibe!

. . . . . . . . . . . 
(S. 379)
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Stanzen

II.
An meine Herrin (Fragmente)

1.
Wärst du von Stein, ich wollte dich beleben,
Du solltest gleichen Schrittes mit mir gehen,
Sogar im Liebesflug voraus mir schweben,
Ja wärst du todt, ich liess dich auferstehen,
Die Sprache würde ich dir wiedergeben,
Vom Himmel selbst zög' dich herab mein Flehen;
Nun da du lebst in Fleisch und Blut, welch Hoffen,
Welch Glück steht da erst meiner Liebe offen!

2.
Dir folg' ich und mich reut nicht solch' Beginnen,
Denn du bist keine Puppe, die durch Räder
Getrieben wird von Aussen und von Innen,
Des Schneiders Werk, regiert von einer Feder;
Nein, süssen Lohn hofft noch von dir mein Minnen,
Da Mitleid fühlt für solche Treue Jeder.
Ein Liebesdienst stumpft ab, so ist der Glaube,
Der Schlangen Zahn, wie unsern Saft der Traube.

3.
Der Demuth müssen alle Kräfte weichen,
Die Liebe kann die Härte selbst versöhnen,
Und Güte wird die Grausamkeit erweichen,
Wie Freude trocknet alle Schmerzensthränen.
Und sollte nicht dein Herz im Busen gleichen
Der Hülle, die ein Urbild alles Schönen?
Stets findet sich in einer graden Scheide
Die Klinge grad', von gleicher Art sind Beide.

4.
Und sollte nicht ein wenig lieb dir werden,
Nur nach und nach der Dienst, den ich dir weihe?
Bedenk' es recht, du findest nicht auf Erden
An jedem Ort die seltne Freundestreue.
. . . . . . . . . . . .

5.
Seh ich an einem Tag dich nicht, du Schöne,
Kann ich an keiner Stelle ruh'n und rasten,
Erscheinst du dann, fühl' Schmerzen ich wie Jene,
Die Speise nehmen nach zu langem Fasten.
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .

6.
Vergang'ne Jahre seh' ich wie im Spiegel,
Ich seh' mich selbst, eh' Liebe mich belehret;
Die Zeit verträumt' ich, ohne Zaum und Zügel
Schweift ich dahin, gekannt nicht, noch geehret.
Hofft' ich vielleicht mich auf der Künste Flügel
Dem Pöbel zu entringen? Sieh jetzt höret,
Seit dein ich bin, im Guten oder Schlimmen
Man meinen Namen doch von allen Stimmen.

7.
Durch's Auge kamst du, das der Thränen Quelle,
Auf engem Pfad in's Herz; seit jener Stunde
Wächst hier dein Bild. So schlüpft durch enge Schwelle
Die Traube in die Amphora, die runde,
Und dehnt sich dann an einer weitern Stelle.
Es quillt dein Bild in mir; zum Herzensgrunde
Kamst durch so engen Pass du, dass kein Mühen
Dir fruchtet, wolltest du zurück dich ziehen.

8.
Warum wird nie des Einen Lob genügen
Den schönen Frau'n? Weil ja ihr Reiz und Name
Erstirbt sobald der Eine Mund geschwiegen.
Und so genügt dir nie mein Lob, das lahme;
Ich habe ja zu minder hohen Flügen
Als deiner ist kaum Kraft, ich matt vom Grame.
Die Schönheit macht es wie die Sonne, scheinen
Für Alle will sie, nicht allein für Einen.

9.
Du kamst durch meiner Augen Thränenschleier
In's Herz, das du durchglühst mit Flammenhitze;
Ach löschte denn ihr Wasser nicht dein Feuer?
Welch' Bollwerk, welche Waffe ist mir nütze,
Dem Schmerz zu wehren, der mir dennoch theuer!
Wenn Wasser noch entfacht der Liebe Blitze,
Dann hilft nur Feu'r; o Räthsel schwer zu lösen,
Durch Feuer nur kann man vom Feu'r genesen.

10.
Kein Tag vergeht, wo deiner ich vergessen,
Wo ich dich fühle nicht im Geist und sehe.
Wie auch die Flamme rast im Heerd und Essen,
Mein Seufzen trieb' sie noch zu grössrer Höhe.
Dem Eisen gleich ich, das man glüht, indessen
Du liebe Herrin weilst in meiner Nähe.
Dann möcht' ich offenbaren dir die Seele
Und zwinge doch kein Wörtchen aus der Kehle.

11.
Und lächelst du mir zu mit holden Mienen,
Ein wenig nur, und grüssest auf der Gasse,
So brenn' ich auf wie Pulver in den Minen;
Sprichst du mich an, dann beb' ich und erblasse,
Die Stimme stockt, sobald du nur erschienen,
Sodass ich mich zur Antwort nimmer fasse.
Es stirbt der Wunsch, mein Inn'res dir zu zeigen,
Vor meiner Ohnmacht muss mein Hoffen schweigen.

12.
Die Liebe trägt mich bis zum Sternenbogen,
So gross erscheint sie mir, so kühn ihr Walten;
Und doch will sie, die heimlich ich gepflogen,
Aus Licht ich ziehn, im Wort sie zu gestalten,
Dann schrumpft sie ein, ihr Zauber ist verflogen.
Ach Gnade ist es, redend zu entfalten
Was uns durchglüht; doch wer im Wort der Wärmste,
Ist an Gefühlen, glaub' es mir, der Aermste.

13.
Ich kaufte Wohlgeruch zum Angebinde
Für dich von seltner Art und hohem Preise,
Dass schon von fern der süsse Duft mir künde
Wohin du gingst. Nun fliehe nur ganz leise,
Verstecke dich, ich weiss, dass ich dich finde;
O du entgehst mir nicht auf diese Weise;
Da stets den Duft du trägst, könnt' blind ich werden,
Ich fände doch dich überall auf Erden.
(S. 399-407)
_____


III.
An seine Herrin
Nicht Glück, nicht Gnade wird dem Uebelthäter,
So sagt das Volk, das auch für mich es sprach,
Denn seit am eignen Selbst ich ward Verräther
Um dein zu sein, floh mich das Glück, und ach
Die Zeit verbeut's, dass gleich dem Phönix später
Zu neuen Sonne ich mich schwingen mag.
Eins ist mein Trost, dass mehr ich mir gehöre,
Wenn dein ich bin, als wenn nur mein ich wäre.
(S. 407)
_____


Canzonen

1.
Was willst du mir, was kannst du neu gestalten
Aus längst verkohltem Holz? sag' mir's o Liebe!
Aus Herzen bang und trübe
Was schaffst du? dass ich weiss, wie mich verhalten!

O sieh nur, meine Jahre sind am Ziele
Wie Pfeile in der Scheibe angekommen;
Nun lösche ich die Flammen aus in Eile;
Verziehn sind Amors Wunden, weil ich fühle
Dass sie dem oft durchbohrten Herzen frommen,
Da hier kein Platz mehr ist für neue Pfeile;
Ich spotte ihrer, denn zu meinem Heile,
Wenn selbst mein Auge Schönheit blenden sollte,
Will nicht mehr, was es wollte
Dies müde Herz; stark, ward es deine Beute,
Und grad durch seine Schwäche siegt es heute.

Du hoffst vielleicht durch eine neue Schöne
In jenen Strudel mich zurückzuziehen,
Wo sich der Weiseste am schlechsten wehret;
Doch sieh, wie flüchtig ist dein Rausch für Jene,
Die schon so lange lebten; mehr nicht glühen
Werd' ich als Eis im Feu'r, das sich verzehret
Und schmilzt, doch niemals flammt; auch wehret
Der nahe Tod mir ab den wilden Schützen
Der trifft mit seinen Blitzen
An jedem Ort, an allen Lebenstagen,
In jedem Stande, ihn den Quell der Plagen;
Mein Geist, den neue Zweifel stets erfassen,
Beräth sich mit dem Tod und sucht den Frieden;
Erlöst hofft täglich er, sich zu verwandeln
Und diese Erdenhülle zu verlassen.
Voll Furcht und Hoffnung muss er schon hienieden
Des Todes Schattenwege ahnend wandeln.
Du aber, Amor, stark und rasch im Handeln,
Wirst kühn bewehrt dem Tode dich entgegen,
Du scheuchst sein Bild verwegen,
Um neue Blätter, neue Blüthenflocken
Dem abgestorb'nen Baume zu entlocken.
(S. 413-415)

2.
Was kann ich mehr noch thun, was soll noch werden?
Dein ist mein Leben ja seit vielen Jahren,
Du warst mein Herrscher, mein war keine Stunde!
Giebt's eine Kraft, giebt's eine List auf Erden,
Die mich zurückführt zu dem Undankbaren,
Der Tod im Herzen trägt und Lieb' im Munde?
O wenn zu solchem Bunde,
In dem den Tod ich fand, je wiederkehret
Mein auferstand'ner Geist, ist er entehret.

Das Grab steht offen jedem Erdenkinde,
Von Stund' zu Stunde welkt der Schönheit Blüthe,
Und wer da liebt, löst sterbend nur die Bande.
Die grosse Rache geht mit grosser Sünde
Wie Hand in Hand, dem thörichten Gemüthe,
Das eignem Elend nachjagt, wird nur Schande.
Willst du am Grabesrande
Den letzten Tag, der sonst zum Heil mir bliebe,
Zum Tag der Schande machen? Fluch dir, Liebe!
(S. 415)


übersetzt von Sophie Hasenclever (1824-1892)

Aus: Sämmtliche Gedichte Michelangelo's
In Guasti's Text
Mit deutscher Übersetzung von Sophie Hasenclever
Eingeführt durch M. Jordan
Leipzig Verlag vom Alphons Dürr
MDCCCLXXV [1875]


 



 

 


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