Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Nikolai Platonowitsch Ogarjow (1813-1877)
russischer Dichter




Noch immer fleht mein Herz um Frauenliebe,
Um heiligreiner Gegenliebe Gluth,
Die nicht im Sturm des Stundenflugs zerstiebe,
Die nicht erkalte in des Lebens Fluth;
Noch immer heischt es Küsse, Wonnethränen -
Und holde Wahngebilde zeugt mein Sehnen.

Allein umsonst! Kein Echo weckt die Klage;
Scheu wendet der Gedanke sich, sucht Glück
In der Erinnerung geschwundner Tage ...
Doch was vergangen, kehrt nicht mehr zurück!
Verstummte Klänge können nie mehr tönen -
Nur quälen können sie das Herz, nur höhnen!

Gestorben glaub' ich mein Gefühl - erschrocken
Schlägt mir das Herz so öd, so kalt, so schwer ...
Gestorben ist der Herr des Hauses - stocken
Bleibt Alles, Alles wird so stumm, so leer;
Der Priester steht am Sarg, Gebete spricht er
Und blickt in bleiche, traurige Gesichter ...
(S. 125)
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Eine alltägliche Geschichte

Es war im Lenz. Ein junges Paar
Saß in des Ufers Blüthenprangen;
Der Bach rann still und silbern klar,
Die Sonne schien, die Vögel sangen.
Ein junger, grüner Dornbusch stand
Im Rosenschmucke. Dunkler Linden
Allee warf Schatten. Ferne schwand
Das Thal mit seinen Blumengründen.

Es war im Lenz. Ein junges Paar
Saß in des Ufers Blüthenprangen:
In Ringen fiel herab ihr Haar
Und streifte ihre Purpurwangen.
O, hätte Jemand sie belauscht,
Ihr junges Lebensglück gesehen,
Wie sie dort saßen liebberauscht -
Er bliebe fromm zur Seite stehen;
In sein verdüstertes Gemüth
Wär' warmes Sonnenlicht gefallen,
Sein welkes Herz wär' aufgeblüht
Bei dieser reinen Liebe Lallen! .....

Dann sah ich sie im Ballgestrahl:
Sie - eines Andern Frau indessen,
Er - einer Andern Ehgemahl ...
Was einst gewesen, war gewesen!
Sie sprachen das Begrüßungswort
Mit höflich steifer Kopfesneigung;
Die Nacht verging, sie fuhren fort
Mit eisig lächelnder Verbeugung .....

Und dort, am grünen Uferhang
Stand blüthenvoll der Dornstrauch wieder,
Aus morschen Böten scholl Gesang
Der wehmuthsvollen Fischerlieder.
Und Niemand auf der Welt erfuhr,
Wer selig einstmals hier gesessen,
Getauscht der ewigen Liebe Schwur
Und ihn nach kurzer Zeit vergessen! .....
(S. 126-127)
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Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)
Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]




 

 


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