Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Der Frühling - Wandmalerei aus Stabiae

 


Kritzeleien aus Pompeji



(Durch ihre Volkstümlichkeit und völlige Datierbarkeit
- Zeit des Titus [Kaiser Titus 39-81 n. Chr.] - wichtig)

1.
Heil sei den Liebenden gegönnt!
Tod dem, der keine Liebe kennt!
Zwiefachen Tod wünsch' dem ich still,
Der Liebe gar verbieten will.

2.
Wer immer liebt, nur rasch herein:
Ich schlag' der Venus die Rippen ein
Mit derbem Knüttel und zugleich
Hau' ich die Lend' ihr windelweich.
Ist sie imstand, mir derb und hart
Zu schlagen auf die Brust so zart,
Wird nicht mein Knüttel imstande sein,
Ihr zu schlagen den Schädel ein?

3.
O daß mir doch gestattet wär',
Um deinen Hals die Hände her
Geschlungen stets zu halten und
Zu küssen deinen zarten Mund.
Geh, nun mein Püppchen, und verkünd'
All unser Glück dem luft'gen Wind.
Leichtsinnig seid ja von Natur
Ihr Männer alle, glaub' es nur.
Oft wenn in Liebeskummer bang
Ich wache halbe Nächte lang,
[Bis aus dem Aug' die Träne brach,]
Ich bei mir sinnend also sprach:
"Wie manche hochhebt das Geschick
Und dennoch wieder sie zurück
Zur Erde plötzlich stürzen senkt
Und die Gestürzten tritt und kränkt -
So einigt wohl die Wollust schnell
Der Liebenden Leiber. Doch wenn hell
Der Tag erscheint und trennt sie, dann -
Geh' ich allein - was fang' ich an?"


4.
Wer Verliebte schelten kann,
Binde eher Lüfte an,
Sehe, wie der Wasserquelle
Er ihr Rieseln abbestelle.
(S. 479-481)
_____

 

Übersetzt von Josef Maria Stowasser (1854-1910)

Aus: Römerlyrik
In deutsche Verse übertragen von J. M. Stowasser
Heidelberg Carl Winters Universitätsbuchhandlung 1909
 




 

 


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