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      Alexander 
Puschkin (1799-1837)
 russischer Dichter
 
 
 Lied
 1812
 
 O Delia, du Holde,
 Wo weilst du? Säume nicht!
 Schon strahlt in lautrem Golde
 Des Liebessternes Licht.
 Der Mond macht seine stille Runde,
 Dein Argus traut der späten Stunde
 Und Schlaf umspinnt sein Angesicht.
 
 Es träumt, gehüllt in Schatten,
 Geheimnisvoll der Hain,
 Der Bach spült über Matten
 Die Fluten silberrein;
 Süß klagt der Philomele Flehen.
 Zum Hain der Liebe laß uns gehen -
 Geleit giebt uns der Mondenschein.
 
 Wir ruhn im stillen Dunkel,
 Nur unsres Glücks bewußt;
 Des Venus-Sterns Gefunkel
 Lauscht unsrer Liebeslust.
 Die Stunden eilen! Meine Wangen
 Erglühn in fieberndem Verlangen -
 O Delia, komm an meine Brust! 
(S. 9)
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An eine 
tabakschnupfende Schöne
 Wie? Anstatt Rosen, die dem Gott der Liebe eigen,
 Statt Tulpen, die sich vornehm neigen,
 Statt Lilien, Jasmin und Blütenreis,
 Die deinen Sinnen so gefallen,
 Die du getragen hast vor allen
 An deines Busens Marmorweiß -
 Was seh ich, reizende Climene?!
 Wie seltsam wechselt den Geschmack das Schöne!
 Du riechst nicht mehr entzückt am frischen Blütenblatt,
 Nein, - an dem Kraut, dem duftlos schlaffen,
 Das Afterkunst geschaffen
 Zu feuchtem Pulver hat!
 Mag Göttingens Professor, dürr und zopfen,
 Auf dem Katheder krumm und lahm, verrannt
 Ins schimmlige Latein mit tüftelndem Verstand,
 Sich braunen Knaster hüstelnd stopfen
 Ins lange Riechorgan mit blutlos siecher Hand;
 Mag ein Dragoner schnurrbartzwirbelnd,
 Matt nach durchschlemmter Nacht und blaß,
 Frühmorgens sonder Unterlaß
 Hinunterspülen Glas auf Glas,
 Der Meerschaumpfeife Rauch verwirbelnd;
 Mag eine Jungfrau sechzig Jahre alt,
 Verabschiedet vom Amor und der Venus,
 Ein Kunstgestell von unbestimmten Genus,
 Verhutzelt, runzlicht, mißgestalt,
 Klatschsüchtig, muckerisch – beim theegefüllten Glase,
 Am Zucker knabbernd, in Ekstase
 Sich Tabak reiben unter ihre Nase -
 Doch du, o Liebliche! … O Phantasiegebild!
 Wie, wenn ich Tabak wär? Aus deiner Dose
 Nähmst mit zwei Fingern du hervor mich zart und mild
 Und röchst an mir, als wär ich eine Rose,
 Ich aber dankte meinem Götterlose
 Und fiele, glitte – o der Himmelslust! -
 Dir hinter's Busentuch, an deine Atlasbrust,
 Vielleicht sogar … o schweige, falsche Stimme:
 Das Schwärmen bringt mir nicht Gewinn!
 Das Schicksal haßt mich, blind im Grimme, -
 Weh mir, daß ich nicht Tabak bin! 
(S. 12-13)
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 Die Vernunft 
und die Liebe
 
 Der junge Daphnis wollte Doris fangen
 Und rief: "Was eilst du, holdes Kind, so sehr?
 Sprich nur: ich liebe dich! und nimmermehr
 Verfolg ich dich; o bleibe, laß dein Bangen!"
 Laut warnte die Vernunft: "Kein Wörtchen sprich!"
 Doch Eros riet: "Sag ihm: ich liebe dich!"
 
 Und Doris sprach: "ich liebe dich!" Und glühend
 Schlug beider Herz im ersten Liebesglück.
 Zu Füßen sank ihr Daphnis, und der Blick
 Der Hirtin irrte, leidenschaftersprühend.
 Laut warnte die Vernunft: "O, flieh geschwind!"
 Doch Eros sprach, der Schalk: "Bleib, süßes Kind!"
 
 Und Doris blieb, und, zitternd vor Verlangen,
 Nahm ihre Hand der Hirt: "Ich liebe dich!
 Sieh, wie die Taube mit dem Täuberich
 Sich mit den Flügeln im Gezweig umfangen!"
 Laut warnte die Vernunft: "O, flieh geschwind!"
 Doch Eros sprach: "Von ihnen lerne, Kind!"
 
 Und Doris stand mit heißen, schamverwirrten,
 Umflorten Augen da, beseligt bang,
 Die Lippen flammten ihr – und plötzlich sank
 Sie in die Arme des verliebten Hirten.
 "Sei glücklich!" sprach Schalk Eros bei dem Sieg.
 Und die Vernunft? Ei, die Vernunft – sie schwieg! 
(S. 20-21)
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 Wunsch
 
 Im Schneckengang ziehn meine Tage hin
 Und jede Stunde zehrt am welken Herzen,
 Zum Wahnsinn reizt sie meinen müden Sinn,
 Nährt der verschmähten Liebe glühe Schmerzen.
 Doch niemand hört das Stöhnen meiner Brust
 Und niemand sieht in meinem Blick die Thränen -
 Sie stillen mir mit sanfter Wehmut Lust
 Der trostberaubten Seele banges Sehnen.
 O Traum des Lebens, stirb, dem Nichts geweiht,
 Verlisch im Grabesdunkel, irres Feuer!
 Die Qualen meiner Liebe sind mir teuer -
 Was ist der Tod, wenn ihn die Liebe beut?! 
(S. 23)
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 Ein 
Herbstmorgen
 Schalmeigetön füllt meinen stillen Raum
 Und giebt von neuerwachtem Leben Kunde;
 Den bilderreichen schönen Liebestraum
 Hat jäh verscheucht die laute Morgenstunde.
 Am Himmel ist die dunkle Nacht zerthaut,
 Das Frührot steigt, der kühle Tag ergraut -
 Wie wüst und öd ist um mich her die Runde! …
 Fern weilt mein Lieb! … Ich schritt zum Bachesrand,
 Wo scheidend ihr die Sonne strahlte Grüße -
 Mein Auge spähte scharf, allein es fand
 Nicht in dem Wiesengras, nicht in dem Ufersand
 Die leichte Spur der zartgeformten Füße.
 Im Walde strich ich längs der Felsenwand,
 Das Herz voll Weh, den Blick umflort von Thränen,
 Ich rief beim Namen sie – und hörte tönen
 Das Echo, das wie Hohn dem Ohre schallt.
 Zum Quell trieb mich mein ungestilltes Sehnen:
 Er strömte spiegelglatt und eisigkalt
 Und wellte nicht das teure Bild der Schönen.
 Fern ist sie, fern! Ach, erst der nächste Lenz
 Wird meiner Liebe Sehnsuchtkummer enden!
 Der Herbst hat abgestreift mit rauhen Händen
 Der Birken und der Linden Laubgekränz;
 Sie rauschen klagend mit den kahlen Zweigen,
 Wild kreist ihr dürres Blatt im Windgebraus,
 Ob Teich und Sumpf erblinkt des Nebels Reigen
 Und schrillen Pfiffes grollt das Sturmgesaus.
 Ihr, die ihr treu bewacht der Liebe Frieden,
 Lebt wohl, o Fluren, Thäler, Höhn!
 Ihr Zeugen meines höchsten Glücks hienieden,
 Lebt wohl, - im nächsten Lenz auf Wiedersehn! 
(S. 23-24)
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 Elegie
 
 Beglückt, wer seine Leidenschaft
 Nicht braucht voll Reue zu beklagen,
 Wem Mut die Hoffnung giebt und Kraft,
 Die Ungewißheit zu ertragen;
 Wem in der wollustheißen Nacht
 Der fahle Mond zur Seite schreitet,
 Wen der getreue Schlüssel sacht
 Zur Kammer der Geliebten leitet!
 
 Ich, ach, vergeh in stummer Qual,
 Mit liebesehnendem Gemüte!
 Erloschen ist der Hoffnung Strahl,
 Verdorrt des Lebens zarte Blüte!
 Die Jugend schwindet ungeküßt,
 Statt Rosen – harren mein Cypressen …
 Doch, wenn die Liebe mich vergißt,
 Werd ich die Liebe nicht vergessen! 
(S. 24)
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An Elwina
 Elwina, holdes Lieb, laß deine Hand mich fassen!
 Befreie von dem Druck des Lebensalpes mich!
 Wie lange mußt du noch von dem Geliebten lassen,
 Wann seh ich wieder dich?
 
 Soll nimmer ich mit dir den Blick der Liebe tauschen,
 Hüllt meine Jugend mir in ewige Nacht der Harm?
 Wird nie das Morgenrot uns Selige belauschen
 Entschlummert Arm in Arm?
 
 Elwina, warum darf ich nicht zur Mittnachtstunde
 Umfangen deinen Leib in trunkenem Genuß,
 Dir nicht ins Auge schaun, nicht glühn nach deinem Munde
 Und tauschen Kuß um Kuß!
 
 Warum nicht, stumm vor Glück, dein Stammeln, Stöhnen, Lachen
 Vernehmen, wenn du lebst im Taumel höchster Lust,
 Zu neuen Wonnen nicht mit dir, o Lieb, erwachen
 Entschlummert Brust an Brust? 
(S. 24-25)
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 O frage nicht, 
warum bei Scherz und FreudenEin trübes Sinnen peinend mich erfaßt,
 Warum mein Auge kündet tiefes Leiden
 Und mir des Lebens süßer Traum verhaßt;
 O frage nicht, warum mit kühler Seele
 Ich flieh der Liebe wonnereiche Qual
 Und keiner Maid im Herzen mich vermähle …
 Wer einst geliebt, liebt nie zum zweitenmal,
 Wer selig war, kann nie mehr selig werden!
 Kaum aufgeblüht, verwelkt das schönste Glück;
 Von all der Jugendwollust bleibt auf Erden
 Die Wehmut uns als letzter Trost zurück. 
(S. 33-34)
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Die Russalka
 Im Waldesgrund, am Seegestade,
 Erflehte ein Anachoret
 Für seine Sünden Gottes Gnade
 In Arbeit, Fasten und Gebet.
 Schon grub sich eine Grabesstätte
 Der greise Mönch mit müder Hand,
 Voll Sehnsucht, daß die Seele rette
 Sich bald in Edens Friedensland.
 
 Einst sprach vor der vermorschten Hütte
 Der Mönch bei Sonnenniedergang
 Zum Himmel seine fromme Bitte.
 Stumm stand der Wald, der Nebel sank
 Und wallte ob den düstern Wogen.
 Nun strahlte lichte Mondesglut
 Von dem umwölkten Sternenbogen,
 Und silbern schauerte die Flut.
 
 Da faßt ein unerklärlich Grausen
 Des Mönches Brust, er atmet schwer …
 Urplötzlich wogt der See im Brausen,
 Und grabstill wieder wird's ringsher.
 Und siehe! Zart wie Mondstrahlgluten,
 Weiß wie der Schnee auf Bergesgrat,
 Entsteigt ein nacktes Weib den Fluten
 Und setzt sich schweigend ans Gestad.
 
 Sie strählt die thaubeperlten Locken
 Und blickt ihn heimlich seltsam an.
 Den Schlag des Herzens fühlt er stocken
 Bei ihrer Reize Zauberbann.
 Er sieht sie mit der Hand ihm winken;
 Sie senkt das Haupt, harrt regungslos -
 Und schimmernd, wie ein Stern im Sinken,
 Verschwindet sie im Wellenschoß.
 
 Die Nacht wich schlummerlos von hinnen,
 Gebetlos strich der Tag vorbei -
 Vor des verstörten Greises Sinnen
 Stand traumhaft schön die Wasserfei.
 Und wieder ruht der Wald im Dunkel,
 Und wieder aus dem Flutenreich
 Taucht in des Mondenlichts Gefunkel
 Die Maid berauschend schön und bleich.
 
 Sie nickt ihm zu, sie lacht so helle,
 Sie schickt ihm Küsse, lockt und minnt,
 Sie spritzt nach ihm die Silberwelle,
 Sie schmollt und weint, ein loses Kind,
 Sie seufzt und blickt zum Sternenbogen,
 Sie flüstert: "Mönch, zu mir, zu mir!"
 Und jach verschlingen sie die Wogen
 Und Schweigen herrscht im Waldrevier.
 Am dritten Tag saß liebentglommen
 Der Eremit am öden Strand
 Und harrt auf der Russalka Kommen;
 In Dunkel hüllte sich das Land …
 Und als der Sonne Purpurgluten
 Die Nacht verscheucht, da ward die Schar
 Der Fischerkinder in den Fluten
 Nur einen greisen Bart gewahr … 
(S. 34-35)
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 Vergieb, daß 
Eifersucht verzehrt mein Herz,
 Vergieb, daß sinnlos mich durchgärt die Liebe!
 Du bist mir treu – warum denn, selbst im Scherz,
 Schreckst meine Seele du, die ahnungtrübe?
 Warum willst du in der Verehrer Kreis
 Begehrenswert erscheinen jedem Manne?
 Was hält dein Blick, bald schmachtend und bald heiß,
 Durch eitle Hoffnung sie im Zauberbanne?
 Gefesselt hast du Geist und Seele mir,
 Versichert bist du meiner Liebestreue
 Und merkst es nicht, wenn ich die Menge scheue,
 Die darbringt ihre Huldigungen dir,
 Und seitwärts steh in qualvoll bangem Schweigen -
 Für mich kein Wort, kein Blick, kein Kopfesneigen!
 Und will ich aus dem schwülen Saale gehn -
 Dein Auge folgt mir nicht voll Schreck und Flehn!
 Wenn eine andre Schöne, sinnbestrickend,
 In ein zweideutiges Gespräch mich zieht -
 Da lächelst du, kalt unterm Augenlid
 Und liebelos nach mir hinüberblickend.
 Und wenn mein Nebenbuhler uns allein
 Betrifft in seelentraulichem Verein -
 Seh seine Lippen höhnisch ich erbeben.
 Gieb Antwort, hast du ihm ein Recht gegeben
 Zur Eifersucht? Was ist er dir, sag an!
 Zur falschen Zeit, die Nacht und Morgen scheidet,
 Derweil die Mutter schläft, nur halb bekleidet,
 Empfängst du einen lusterglühten Mann? …
 Allein du liebst mich! An geheimem Horte
 Thust du so zärtlich und so inniglich,
 In Flammen setzen deine Küsse mich,
 Die Glut der Seele atmen deine Worte! …
 Der Eifersucht zu spotten nimmermüd,
 Wirst du durch Lachen nie mich heilen können!
 O, martere nicht länger mein Gemüt!
 Du weißt ja nicht, wie meine Liebe glüht,
 Du weißt ja nicht, wie meine Wunden brennen! 
(S. 51-52)
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Nachts
 
 Mein Wort, das sanft dich grüßt bei Tag aus Herzensfülle,
 Erregt der Mitternacht geheimnisvolle Stille.
 An meinem Lager brennt der Kerze trübes Licht;
 Die Reime, klangvermählt, beseelen mein Gedicht,
 Der Quell der Lieder rauscht, gleich meiner Liebe Fluten;
 Es lichtet sich die Nacht bei deiner Blicke Gluten
 Und einer Stimme Ton schließt alle Wonnen ein:
 "Mein Freund … ich liebe dich … dein bin ich … ewig dein!" 
(S. 52)
 
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Ein Geständnis
 Vor Wut möcht ich und Scham vergehn,
 Daß ich von Liebe zu dir spreche -
 Doch meine Thorheit, meine Schwäche
 Muß ich zu Füßen dir gestehn.
 Das paßt recht schlecht zu meinen Jahren!
 Zeit wär's, vernünftiger zu sein!
 Doch in der Liebe wohlerfahren,
 Kenn ich auch ihrer Krankheit Pein:
 Dir fern – muß ich voll Sehnsucht klagen,
 Dir nah – muß schweigend dulden ich,
 Und mächtig drängt's mich, dir zu sagen:
 Ich liebe, holder Engel dich!
 Wenn deine Schritte zu mir dringen,
 Dein Seidenkleid rauscht an mein Ohr,
 Ich deine Stimme hör erklingen -
 Steh ratlos ich, ein armer Thor!
 Du lächelst – Hoffnungslicht durchzückt mich,
 Du kehrst dich ab – es lischt sein Strahl,
 Und deine bleiche Hand beglückt mich
 Für einen langen Tag der Qual.
 Wenn's mir vergönnt ist, dich zu sehen
 Am Rahmen fleißig sticken, nähen,
 Den Blick gesenkt, das Haupt geneigt -
 Will mir vor Lust das Herz vergehen,
 Es jauchzt in meiner Brust – und schweigt! …
 Soll ich mein ganzes Weh dir klagen,
 Mein eifersüchtig glühes Leid?
 Wohin an regentrüben Tagen
 Entfernst du dich ohne Geleit?
 Du weintest jüngst, verstohlner Weise,
 Auch hört ich flüstern dich zu Zwein;
 Und nach Opotschka deine Reise?
 Und das Klavier beim Mondenschein? …
 Aline, hab mit mir Erbarmen!
 Um Liebe darf ich flehen nicht,
 Denn streng geht Amor ins Gericht
 Für meine Sünden mit mir Armen!
 Verstelle dich: dein Augenstern
 Versteht's ja, Liebesglut zu lügen!
 Es ist so leicht, mich zu betrügen -
 Ich selbst betrüge mich so gern! 
(S. 62-63)
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Der verbrannte Brief
 
 Fahrwohl nun, Liebesbrief, fahrwohl! Sie hat's befohlen! …
 Wie lange zögert ich, die Handschrift zu verkohlen,
 Die tausend Wonnen wach in meiner Seele rief! …
 Doch horch, die Stunde schlägt: so brenn denn, Liebesbrief!
 Sei stark, mein schwaches Herz, verstummet, eitle Klagen! …
 Wie gierig nach der Schrift die roten Gluten schlagen! …
 Ein Augenblick – da flackt's, da lodert's! … Leichter Rauch
 Quirlt bläulich und verschwebt gleich einem Geisterhauch …
 Des Siegelringes Bild, das treue, fließt zusammen
 Der Lack, der feste, kocht und schmilzt … O Schicksalsflammen!
 Es ist vollbracht! Verkohlt rollt sich das schwarze Blatt;
 Bleich in der Asche starrt die Schrift … Wie öd und matt
 Schlägt in der Brust mein Herz! … Du meine letzte Freude,
 Geliebte Asche, sei mir Trösterin im Leide -
 An meiner wehen Brust sei ewig deine Statt! 
(S. 68-69)
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Verlangen nach Ruhm
 
 Als ich, von Leidenschaft und Liebeswonne trunken,
 In stummer Seligkeit vor dir aufs Knie gesunken,
 Ins Auge dir geblickt, geschwärmt: nun bist du mein! -
 Du weißt, ob ich ersehnt des Ruhmes Zauberschein!
 Entrückt der eitlen Welt und ihren Fronbeschwerden,
 Gelangweilt, schmeichlerisch Poet genannt zu werden,
 Von langen Stürmen müd, verblieb ich taub und stumm
 Zum fernen tadelnden und lobenden Gesumm.
 Wie konnt auch Menschenspruch mich kränken und beglücken,
 Wenn du mit schmachtenden, verschämten Liebesblicken
 Auf meinem Haupte sanft die Hände ließest ruhn
 Und flüstertest: "Du liebst? Sprich, bist du glücklich nun?
 Wirst du für andre nie erglühn in gleichem Feuer?
 Bleib deinem Herzen ich für ewig, ewig teuer?"
 Ich schwieg, es rang kein Wort sich los aus meiner Brust,
 Berauscht war Herz und Kopf von seliger Liebeslust.
 Es gab für mich kein Einst mit jenem grausen Tage,
 Der unsern Bund zerreißt …
 
 Doch Thränen, Schmerzensklage,
 Verleumdung und Verrat, sie überfielen mich
 Gleich einem Wetterschlag … Was bin ich, wo bin ich?
 Ein Wandrer steh ich da, umzückt von Blitzgefunkel,
 Rings Öde um mich her und vor mir – nächtiges Dunkel! …
 
 Nun quält mein Herz ein Wunsch, empfunden nie zuvor:
 Nach Ruhm verlang ich jetzt, auf daß allzeit dein Ohr
 Nur meinen Namen hört, daß ich zu jeder Stunde,
 Ich einzig, um dich sei, daß mit beredtem Munde
 Dir jeder, jeder Mensch mich preise für und für,
 Daß, dringt in stiller Nacht mein lauter Ruhm zu dir.
 Du dessen denkst, was dir mein letztes Flehen klagte,
 Als ich im Garten nachts das Lebewohl dir sagte! … 
(S. 70-71)
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 An A. P. Kern
 O Stunde seliger Vereinung,
 Wo du erschienst mit holdem Gruß,
 Gleich einer flüchtigen Erscheinung,
 Der reinsten Schönheit Genius!
 
 In hoffnungslosen Sehnsuchtqualen,
 In dieses Lebens Wogenprall,
 Sah ich dein Engelsauge strahlen
 Und hörte deiner Stimme Schall.
 
 Es schwanden Jahre. Meine Qualen
 Begrub des Lebens Wogenschwall,
 Und deiner Engelsaugen Strahlen
 Vergaß ich, deiner Stimme Schall!
 
 Verbannt, in düstrem, dumpfem Sehnen
 Floß träg und kalt dahin mein Blut -
 Ach, ohne Gottheit, Leben, Thränen,
 Begeisterung und Liebesglut!
 
 Da schlug die Stunde der Vereinung
 Und du erschienst mit holdem Gruß,
 Gleich einer flüchtigen Erscheinung,
 Der reinsten Schönheit Genius.
 
 Nun schlägt mein Herz in trunknem Sehnen
 Und feurig schießt dahin mein Blut -
 Mich rufen Gottheit, Leben, Thränen,
 Begeisterung und Liebesglut! 
(S. 71)
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 Der Talisman
 
 Wo das Meer mit ewigen Wogen
 Sich an öden Riffen bricht,
 Wo vom nächtigen Himmelsbogen
 Wärmer strahlt das Mondenlicht,
 Wo des Harems Hochgenüssen
 Schwelgend frönt der Muselmann -
 Eine Zauberin unter Küssen
 Gab mir einen Talisman.
 
 Und sie sprach: "Mein Glück, mein Leben!
 Hüte diesen Talisman -
 Wunderkraft ist ihm gegeben,
 Liebe giebt ihn, denke dran!
 Nicht vor Krankheit und vor Sterben,
 Vor Gewitter und Orkan,
 Nicht vor Elend und Verderben
 Beut dir Schutz mein Talisman.
 
 Sind auch Schätze dir vonnöten,
 Frönt er nicht der Goldesgier,
 Und die Jünger des Propheten
 Unterwirft er nimmer dir.
 Ist dein Herz voll Sehnsucht worden
 Nach des Freundes Brust, sodann
 Trägt zur Heimat dich nach Norden
 Nicht vom Süd mein Talisman.
 
 Aber wenn in nächtiger Stunde
 Augen locken voll Gelüst,
 Wenn du dann von falschem Munde
 Ohne Liebe wirst geküßt;
 Vor Verbrechen dann und Reue
 Und vor neuem Liebeswahn,
 Vor Verrat an deiner Treue -
 Schützt dich stets mein Talisman!" 
(S. 77-78)
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 Die Nachtigall
 
 Im dunklen Gartenhort bei stummer Mitternacht
 Besingt die Nachtigall der Rose duftige Pracht;
 Allein die Rose schweigt zum flehenden Gesange
 Und wiegt sich und entschläft beim süßen Liebesklange …
 Gleicht nicht der Nachtigall, o Dichter, stets dein Los,
 Wenn einer Maid du singst, die schön und seelenlos?
 Sie wird dein Liebeslied nicht fühlen und verstehen,
 Sie blüht und reizt den Blick und – schweigt zu deinem Flehen. 
(S. 78)
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Die Blume
 
 Im Buch seh ich ein Blümchen liegen,
 Welk, duftlos, mutterseelenallein …
 In wundersames Sinnen wiegen
 Mein Geist und mein Gemüt sich ein.
 
 Wie lange blühtest du? Was schmückte
 Dein Reiz im Lenze hold und zart?
 Kenn ich die Hand, die fromm dich pflückte?
 Warum wardst hier du aufbewahrt?
 
 Mahnst du an seliges Wiederfinden,
 An namenloses Trennungsleid?
 An Träumerein in Thalesgrüden
 Und stummer Waldeseinsamkeit?
 
 Und lebt er noch, lebt sie zur Stunde?
 Errangen sie des Friedens Port?
 Ging ihrer Jugend Glück zu Grunde,
 Gleich dir, o Blume, früh verdorrt? 
(S. 82)
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"Du" und "Sie"
 
 Sie sagte statt des leeren "Sie"
 Das traute "Du" mir aus Versehen -
 Und schon verheißt die Phantasie
 Erhörung meinem Liebesflehen!
 
 Ich schau sie an glückseliglich,
 Nach jedem ihrer Blicke geizend;
 Ich spreche laut: "Wie sind Sie reizend!"
 Und denke still: "Wie lieb ich dich!" 
(S. 84)
 ___________
 
 
 
 Ich glaubte 
meine Brust genesenVon Liebesglück und Liebesqual,
 Ich sprach getrost: "Was einst gewesen,
 Kehrt nimmerdar zum andern Mal!"
 
 In meiner Seele schwieg das Sehnen,
 Der Kopf hielt bei dem Herzen Wacht -
 Nun jubelt's wieder unter Thränen,
 Bezwungen von der Schönheit Macht! … 
(S. 85-86)
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 Ich liebte dich: 
vielleicht ist noch bis heuteIn meiner Brust dies Feuer nicht verglüht;
 Doch will ich nicht, daß sich dein Schmerz erneute -
 Nichts soll fortan erregen dein Gemüt!
 Ich liebte dich mit hoffnungslosem Schweigen,
 Bald schüchtern, bald durch Eifersucht betrübt;
 Ich liebte dich so innig, so treueigen -
 Gott gebe, daß ein andrer dich so liebt! 
(S. 92)
 ___________
 
 
 
An A. P. Kern
 
 Wenn in des Lebens Morgenstrahle
 Dich schmäht die Menge, blind und wüst,
 Und du vor ihrem Tribunale
 Das Recht auf Ehre eingebüßt -
 
 Steh ich im eifernden Gedränge
 Der Einzige, der mit dir weint,
 Und fleh um Mitleid zu der Menge -
 Doch bleibt des Götzen Herz versteint!
 
 Die Welt will stets ihr Urteil sprechen
 Und ändert nie den blöden Spruch:
 Sie duldet heimliche Verbrechen,
 Doch offne Fehler trifft ihr Fluch.
 
 Entflieh dem heuchelnden Getriebe
 Der Welt und gehe still fürbaß;
 Verachtung zolle ihrer Liebe,
 Verachtung zolle ihrem Haß.
 
 Im prunkend lichten, schwülen Saale
 Verdorrt der Geist, das Herz versteint;
 Gift beut, statt Wein, die goldne Schale -
 O, komm zu mir, dem letzten Freund! 
(S. 92-93)
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 Fragment
 Auf Grusiens Hügeln liegt die nächtge Nebelschicht,
 Die Wellen der Aragua schäumen.
 Mir ist so schwer und leicht, so düster und so licht;
 Du füllst mein Sehnen aus und Träumen,
 Du einzig, holdes Bild! … Der Wehmut Trost ergiebt
 Mein Herz sich, nun ihm nichts geblieben,
 Und meine Seele flammt und liebt aufs neue – liebt,
 Weil's ihr unmöglich, nicht zu lieben! 
(S. 93)
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 Die Madonna
 Mit einer Galerie von Meisterwerken nicht
 Der alten Malerkunst drängt's mich, mein Heim zu schmücken,
 Daß abergläubisch schwelgt der Gast im Hochentzücken,
 Nachbetend, was der Mund der stolzen Kenner spricht.
 
 Ein Bild im schlichten Eck nur könnte das Gesicht,
 Die Seele und den Geist mir ewiglich beglücken:
 Wenn von der Leinewand, gleichwie aus Wolkenschicht,
 Die heilige Jungfrau würd und Christus niederblicken -
 
 Sie – hoheitsvoll und mild, er – sinnend, unschuldrein,
 Von Himmelsglanz umstrahlt und hehrem Glorienschein,
 Von Engeln nicht umschwebt, in Zions Palmenhorte …
 
 Nun hat den heißen Wunsch der Schöpfer mir erfüllt:
 Genaht, Madonna, bist du meinem Andachtsorte,
 Vollkommner Schönheit du vollkommnes Ebenbild! 
(S. 102)
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 Beschwörung
 O, wenn es wahr ist, daß zur Nacht,
 Wo friedlich schlummert alles Leben
 Und nur die Mondesstrahlen sacht
 Um Kreuz und Leichensteine weben -
 O, wenn es wahr ist, daß herfür
 Die Gräber ihre Toten lassen -
 Dann möcht ich, Leila, dich umfassen!
 Geliebte, komm! Zu mir, zu mir!
 
 Erscheine, teure Huldgestalt,
 Wie dich mein Auge sah beim Scheiden:
 Bleich wie der Wintertag und kalt,
 Entstellt das Angesicht von Leiden!
 Komm in des Abendsternes Zier,
 Als Harfenton, als Zephyrswehen,
 Als Zerrbild gräßlich anzusehen -
 Mir gilt es gleich! Zu mir! zu mir!
 
 Ich rufe dich nicht, um das Grab
 Nach seinen Rätseln zu befragen,
 Den, der gebettet dich hinab,
 Des schnöden Mordes anzuklagen,
 Noch weil mich Zweifel martern. Dir
 Nur will gestehn ich unter Thränen
 Mein heißes, namenloses Sehnen -
 Ich liebe dich! Zu mir, zu mir! 
(S. 103-104)
 ___________
 
 
 
Serenade
 
 Ich halt, Inesilla,
 Am Fenster dir Wacht!
 Tief schlummert Sevilla
 In schweigender Nacht.
 
 Voll Liebesglut harre
 Im Mantel ich hier
 Mit Schwert und Guitarre -
 O, zeige dich mir!
 
 Schläfst du, wird dich wecken
 Guitarrenton leis,
 Mein Schwert soll hinstrecken
 Den Argus, den Greis!
 
 Die Leiter wirf zu mir
 Des Stricks ohne Scheu! …
 Du zögerst? Hast du mir
 Gebrochen die Treu?
 
 Ich halt, Inesilla,
 Am Fenster dir Wacht!
 Tief schlummert Sevilla
 In schweigender Nacht! (S. 
105)
 ___________
 
 
 
 Nach deiner 
Heimat fernen ThalenZogst du aus diesem fremden Land …
 O Trennungsstunde voller Qualen,
 Da ich lautweinend vor dir stand!
 Es wollten meine kalten Hände
 Zurück dich halten mit Gewalt,
 Und stöhnend fleht ich: "Bleib … o, ende
 Des Abschieds Schmerzen nicht so bald!"
 
 Du aber rissest wie im Schauer
 Von meinem Mund die Lippen los
 Und riefst aus der Verbannung Trauer
 Mich fort in deiner Heimat Schoß.
 Du sprachst: "Wo ewige Himmelsbläue
 Ob den Olivenhainen lacht,
 Vermählt im heißen Kuß aufs neue,
 Geliebter, uns der Liebe Macht!" …
 
 Doch wehe! Wo am Himmelsbogen
 Das Blau erglänzt so tief und klar,
 Wo unter Felsen ruhn die Wogen -
 Entschliefest du für immerdar!
 All deine Schönheit, all dein Leiden
 Verschließt der schwere Grabesstein,
 Auch den versprochnen Kuß beim Scheiden -
 Du schuldest ihn … ich harre dein! 
(S. 105-106)
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 Die Schöne
 Ihr Wesen atmet Harmonieen,
 Erhaben über Leidenschaft;
 Des Leibes Schönheit, gottverliehen,
 Verklärt die Keuschheit zauberhaft;
 Ihr Blick ergeht sich rings im Saale
 Und findet keine, die ihr gleicht:
 Gerühmter Schönen Glanz erbleicht
 Vor ihrer Schönheit Sonnenstrahle!
 
 Und wenn's in heißer Sehnsucht dich
 Zu der Geliebten treibt auf Flügeln,
 Wenn in dem tiefsten Herzen sich
 Dir Wünsche regen, nicht zu zügeln:
 Begegnest ihr du – selig stumm
 Bleibst du gebannt, in Andacht neigend
 Das Haupt, Verehrung fromm bezeugend
 Der reinsten Schönheit Heiligtum! 
(S. 110)
 ___________
 
 
 
 Nein, nicht 
verlangt mich mehr nach stürmischen GenüssenVoll taumelnder Begier und lustentflammten Küssen,
 Wenn in den Armen mir das üppige Götterweib
 Mit irrem Aufschrei regt den glatten Schlangenleib
 Und an die Brust mich preßt mit fieberheißen Händen,
 Um schneller meine Brunst im letzten Krampf zu enden …
 Doch du, mein Engelsbild mit sanftem Kindesblick,
 O, wie erfüllst du mich mit qualensüßem Glück,
 Wenn endlich du Gehör schenkst meinem heißen Flehen,
 Wenn ich vor mir dich seh verschämt und zitternd stehen,
 Wenn du dich mir ergiebst, doch meine Liebesglut
 Erwiderst regungslos mit trägem, kaltem Blut,
 Doch endlich allgemach erglühst in meinen Flammen -
 Und über uns ein Meer von Wonne schlägt zusammen! … 
(S. 113)
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 Nein, nein, ich 
kann nicht mehr, ich muß und darf nicht mehrDem Rausch des Liebestraums mich schrankenlos ergeben!
 Nach Seelenfrieden steht, nach Ruhe mein Begehr,
 Und bald gebändigt schweigt des Herzens Flammenstreben!
 Genug hab ich geliebt! … Doch warum schwelgt mein Sinn
 In süßer Träumerei, von der ich doch genesen,
 Geht, dank des Zufalls Gunst, in meiner Nähe hin
 Ein junges holdes Kind, ein engelkeusches Wesen?
 Darf ich nicht folgen ihr mit sehnsuchtvollem Blick,
 Bis meiner Augen Kreis sie allgemach entschwindet?
 Darf ich nicht wünschen ihr, daß sie das reinste Glück,
 Das diese Welt uns beut, in reichstem Maße findet?
 Darf ich nicht segnen sie auf ihrem Erdenpfad
 Zu sorglos heitrer Lust und friedereichem Leben
 Und selbst – zum Glücke des, den sie erkoren hat,
 Der ihr mit stolzem Recht wird seinen Namen geben?
(S. 114)
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 übersetzt 
      von Friedrich Fiedler (1859-1917)
 
 Aus: Gedichte von Alexander Puschkin
 Im Versmaß der Urschrift von Friedrich Fiedler
 Philipp Reclam jun. Verlag Leipzig 1907
 
 
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