Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Luka Rasikaschwili (Wascha Pschawela)
(1861-1915)
georgischer Dichter



Zu dir nur wend ich mich, o Maid,
Schau her und lächle mich doch an!
Thu du mir wenigstens kein Leid
Und wenn ich sterb, bewein mich dann!

Dort auf dem hohen Bergesrand
Bett mich ins kühle Grab hinein,
Bedeck mich mit der Heimat Sand,
Doch reichlich mag die Decke sein!

Mich, den vergessen hat die Welt,
Vergissest du in kurzer Zeit.
Du findest den, der dir gefällt,
Verscheuchst mit ihm dein Herzeleid.

Drum sage wenigstens mein Flehn
Mit Thränen diesen Felsen hier!
Sag ihnen stark und fest zu stehn
In Sturm und Wetter für und für.

Mag stets der kühnen Adler Schar
Hier auferziehn die neue Brut,
Und um mein Grab ein hehrer Aar
Treu kreisen wie's ein Wächter thut.

Wenn immer neu und frisch erblüht
Auf Berg und Fels der Blumen Pracht,
Und über sie Gewölk hinzieht,
Leb ich auch in der Grabesnacht.
(S. 94-95)
_____



Denkt nicht, ich sei schon tot und kalt,
Dass alles Fühlen in mir ruht!
In meinem Herz das Blut noch wallt,
Des Sennensohnes heisses Blut.

Die Hoffnung ich noch nicht verlier,
Weiss nicht, warum ich trauern soll,
Wenn du nur, die die schönste hier,
Mich gerne anschaust, ohne Groll.

So lang ich Armer atmen kann,
So lang der Sonne Licht ich seh',
Bleib ich dir treu und zugethan,
Schützt dich mein Arm vor Leid und Weh.

Und wenn ich dir je untreu werd',
Mag man versagen mir ein Grab
In unsrer heimatliches Erd',
Im Hochland, das so lieb ich hab.

Auch leg man in den Totenschrein
Mir an das Haupt kein Ehrenschwert,
Und keine Braut und Jungfrau wein
Mir Thränen, deren ich nicht wert!

Und wenn ich in das Jenseits zieh,
Mag stürzen in die Flut mein Ross!
Mir, dem die Erde Fluch nur lieh,
Verschliess der Himmel seinen Schoss!
(S. 95-96)
_____



Auch dieser Lenz ist eingekehrt,
Geschwunden ist das Schneegewand,
Frei liegen alle Pfade da
Und offen ist das Oberland.

Der Bergstrom schäumt und braust vorbei,
Durch Berg und Thal sein Dröhnen schallt,
Bis es in weiter Ferne schwach
Und traurig wie ein Grablied hallt.

Das Veilchen blüht und alles prangt,
Der Himmel blaut, grün ist das Thal,
Jedoch mein leidenreiches Herz
Ist krank und trüb wie dazumal.
(S. 96)
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Im Lenze blüht das Veilchen auf,
Im Herbste Laub und Blumen schwinden,
Jedoch mein unglückliches Herz
Kann nimmermehr die Ruhe finden.

Oft hörte ich am Waldesrand
Die Eule schrein gar schmerzlich bange.
O schmerzt wohl eines andern Herz
Wie meins so lindrungslos und lange!

Man sagt, dass alles enden muss,
Dass auch die Giessbäche versiegen,
Jedoch das Land, das schwer mich quält,
Bleibt immer mir im Herzen liegen.
(S. 97)
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übersetzt von Arthur Leist (1852-1927)

Aus: Georgische Dichter
übersetzt von Arthur Leist
Neue, vielfach vermehrte Ausgabe
Dresden und Leipzig
E. Pierson's Verlag 1900


 

 


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