Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Robert Herrick (1591-1674)
englischer Dichter


Reife Kirschen

Reife Kirschen ... reif ... reif ... kommt heran,
Volle, saft'ge Kirschen - schaut sie an!
Ei, nun kommt ihr, mich zu fragen,
Wo sie hangen, soll ich sagen?
Wo mir Julia's Lippen lächelnd glühen,
Liegt das Land, wo meine Kirschen blühen,
Lasst es euch in seinen Gärten sagen,
Wo die Bäume allzeit Kirschen tragen.
(S. 122)

Übersetzt von Julius Hart (1859-1930)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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An Julia

Sein Aug' der Glühwurm leih' dir,
Sternschnupp' sei leuchtend bei dir
Und der Elfen Schaar,
Mit Glühäuglein klar,
Ein feurig Geleite sei dir!

Kein Irrwisch, der bethör' dich;
Nicht Schlang', noch Schleiche stör' dich;
Vor-, vorwärts im Lauf,
Halt' dich nicht auf,
Kein Nachtgespenst versehr' dich!

Musst nicht im Finstern bangen;
Hält Schlaf den Mond umfangen,
Die Sterne der Nacht,
Sie leihen dir sacht
Zahlloser Kerzen Prangen.

So, Julia, dich beschwör' ich;
So komm, o komm, erhör' mich,
Und nahst du zum Gruss
Auf silbernem Fuss, -
Meine Seele in deiner verlör' ich.
(S. 122-123)

Übersetzt von Ilse Frapan (1849-1908)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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An die Wiesen im Winter

Ihr waret frisch und grüntet,
Ein reicher Blumenschatz:
Den lieben Mädchen dientet
Ihr einst zum Tummelplatz.
Ihr sahet, wie sie kamen
Nach Gänseblümchen aus,
Und küssten sie, und nahmen
Im Körbchen sie nach Haus,
Und sangen süss und helle
Und hielten Ringeltanz,
Und jede gleich der Quelle,
Umrankt vom Geisblattkranz.
Wo sind sie, deren Füsse
Die Spur in's Gras gedrückt,
Und die die glatte Wiese
Mit losem Haar geschmückt?
Gleich Prassern, die vergeudet
Ihr Gut und wurden arm,
So liegt ihr da und leidet
Der Armuth Noth und Harm.
(S. 123)

Übersetzer nicht genannt

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Corinna soll maien

Steh' auf! Ei, ei! Steh' auf! Der blüh'nde Morgen
Hält schon den Sonnengott nicht mehr verborgen,
Aurora säumt mit frischen Farben
Den Himmel und mit Flammengarben:
Steh' auf! Du traut Schlaflieb, und schau',
Schau Gras und Baum beperlt mit Thau;
Sieh'! jedes Blümlein weint, nach Ost gebogen,
Seit Stunden, und du bist nicht angezogen,
Ei, ei! bist noch nicht aus dem Bette,
Und jedes Vöglein sang schon Mette,
Und sang sein Danklied; gottlos ist,
Wer noch daheim zu dieser Frist,
Heut', wo viel tausend Mädchen längst im Freien
Den Lerchen es zuvorgethan im Maien.

Steh' auf! Zieh' an den Blüthenstaat und glänze,
Fein blank und frisch vortretend, gleich dem Lenze,
Und lieblich, gleich der Flora; spare
Juwelen für Gewand und Haare:
Sorg' nicht, die Blüthenzweige streun
Auf dich herab viel Edelstein',
Auch hob der junge Tag dir auf zur Spende
Noch ungeweinte Perlen vom Oriente.
Komm, nimm sie dir, so lang das Licht
Im Thaugelock der Nacht sich bricht;
Noch glühet um des Ostens Höhen
Die Sonn' und bleibt am Ende stehen,
Bis du nun kommst; wasch', kleid' dich, bet' im Reihen
Drei Perlchen nur; so frommt es, wenn wir maien.

Corinna, komm! Sieh'! jede Feldesmarke
Ward Straße, jede Straße ward zum Parke;
Man schmückt sie grün mit Bäumen aus;
Ein Zweiglein weihet jedes Haus;
Und Thür und Thore, Hallen, Bogen,
Mit Weißdorn freundlich überzogen,
Zu grünen Lauben wurden all die Steine,
Als wären's lauter schatt'ge Liebeshaine.
Und solch ein Lust- und Festgesicht
Von Stadt und Land, wir säh'n es nicht?
Drum laß hinaus, hinaus uns eilen,
Dem Mairuf folgen ohn' Verweilen,
Daß man nicht größ'rer Schuld uns möge zeihen;
Nein, lieb' Corinna, komm, und laß uns maien.

Da ist kein Bursch und Mädchen zu erfragen,
Die nicht schon fort wär'n, Maien einzutragen:
Viel junges Volk kam schon vom Schmauß,
Mit Weißdorn reich bepackt, nach Haus
Und ließ sich Milch und Kuchen schmecken,
Dieweil wir noch im Traum uns strecken;
Manch Brautpaar ward vom Pfarrn zu treuem Lieben
Geweiht, als wir uns noch die Augen rieben;
Auch hat's manch grünes Kleid gegeben
Und manches Küßchen, krumm und eben,
Und mancher Blick ward ausgesend't,
Vom Aug', dem Liebesfirmament,
Auch mancher Scherz erzählt vom Schlüsselfeyen,
Heut' Nacht; und wir! wir waren noch nicht maien!

Komm, laß uns gehn! noch grünt uns jung das Leben,
Harmloser Festeslust uns hinzugeben;
Das Alter kommt, und wir erblassen,
Eh' wir das Leben recht erfassen:
Es ist so kurz, die Tage fliehn
So schnell, der Sonne gleich, dahin,
Und, wie ein Hauch, wie Regentröpfchen schwinden,
Kann die verlornen Niemand wieder finden.
Drum wurdest du, ward ich zumal
Zum leeren Schatten, Hall und Schall,
Dann sind auch Liebe, Lust und Wonnen
In endlos dunkle Nacht zerronnen!
Ach bald vergehn wir! Noch ist's Zeit zum Freuen!
Komm, lieb' Corinna, komm, und laß uns maien!
(S. 157-161)

Übersetzt von Otto Leonhard Heubner (1812-1893)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Leonhard Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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