Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Walter Scott (1771-1832)
schottischer Dichter


Der muntre Falk

"O waly! waly! mein muntrer Falk,
Dein Gefieder ist so licht! -"
"Und waly! waly! mein Meister werth,
So bleich ist dein Gesicht!

Hast du vielleicht im Ritterspiel
Verloren Schwert und Speer?
Schmerzt dich die Dirn' in Süden so,
Die nichts gewinnt dir her?"

"Ich habe nicht im Ritterspiel
Verloren Schwert und Speer;
Doch traure ich um Liebchen treu
Mit mancher bittern Zähr'.

Doch mir zum Trost, mein muntrer Falk!
Wohl sprichst und fliegest du;
Sollst Liebchen bringen einen Brief,
Trägst mir die Antwort zu."

"Doch wie find' ich die Liebste dein,
Wie kenn' ich sie allda?
Ich führ' ein Wort, das nie sie sprach,
Ein Aug', das nie sie sah."

"O wohl kennst du die Liebste mein,
Sobald du sie gesehn;
Denn sie die schönste Blume ist
Von Englands Blumen schön.

Die Röth' auf ihrer Wange gleicht
Den Tropfen Blut im Schnee;
Die Weiße ihrer Haut dem Pflaum
Der Möve auf der See.

Und vor der Thür an Liebchens Haus
Wohl eine Birke steht;
Da setz dich hin, und sing darauf,
Wenn sie zur Kirche geht.

Und vier und zwanzig Frauen schön
Siehst du zur Messe gehn;
Doch wirst du unter allen sie
Da in der Schönsten sehn."

Lord Willhelm untern Fittig grau
Den Liebesbrief ihm thät,
Und er ist fort, nach Süden zu,
So schnell ein Flügel weht.

Und vor des Fräuleins Thür am Haus
Wohl eine Birke steht;
Er setzt sich hin und singt darauf,
Als sie zur Kirche geht.

Und wohl kennt er das Fräulein schön,
Vor all' der Compagnie;
Denn Blumen, die im May erblühn,
Sind nicht so süß als sie.

Er läßt sich nieder an dem Thor,
Setzt sich auf einen Pfahl,
Und singt so süß der Liebe Ton,
Bis drinn es still zumal.

Und erst sang er mit leisem Ton,
Dann sang er hell und klar:
"Hier deiner Lieb' ist kein Gewinn!"
Das zweite Wort stets war.

"Zum Mahl, zum Mahl, ihr Mädchen all!
Der Wein fließ' euch entlang;
Indeß ich zu dem Fenster geh,
Hör' jenes Vogels Sang.

"Stimm an, stimm an, mein Vogel fein!
Was du sangst gestern hier;
Denn wohl zeigt mir dein süßer Ton,
Mein Liebster sandt' dich mir."

O erst sang er ein fröhlich Lied,
Dann eins mit ernstem Sinn,
Und dann pickt' er am Fittig grau
Und gab den Brief ihr hin.

"Lord Willhelm sendet diesen Brief,
Er sagt, er sandt' euch drei;
Und länger kann er harren nicht,
Um euch der Tod ihm sey." -

"Laß backen ihm sein Hochzeitbrot,
Sein Hochzeitbier sich brau'n;
Und lang' eh's schaal ist, werd' ich ihn
In Sankt Marie schau'n!"

Das Fräulein ging in ihr Gemach
Und that gar kläglich da;
Als sey ihr plötzlich Weh geschehn,
Und sie dem Tode nah.

"O eine Gunst, mein Vater werth,
Laß mich von dir erflehn!" -
"Begehr den stolzen Schotten nicht,
Du sollst ihn nimmer sehn.

Doch was du sonst geziemend flehst,
Will ich gewähren dir." -
"Dann werde, wenn ich hier verscheid',
Ein Grab in Schottland mir.

Und in der ersten Kirche tön'
Ein frommer Meßgesang,
Und in der nächsten läute man
Der Glocke Sterbeklang.

Doch wenn ihr kommt zu Sankt Marie,
So weilet da bis Nacht." -
Und so der Vater gab sein Wort,
Und so die Zusag' macht.

Und drauf in ihrem Kämmerlein
Nahm eilig Speise sie;
Und sie trank einen Schlaftrunk da,
Von ihr gemischt mit Müh'.

Und bleich, bleich ihre Wange ward,
Die war so glänzend roth;
Und sie erschien so sicherlich
Wie irgend jemand todt.

Da sprach wohl die Stiefmutter hart:
"Nehmt ihr geschmolzen Blei,
Und tröpft 'nen Tropfen auf die Brust,
Ob wirklich todt sie sey."

Man tröpft den Tropfen siedend Blei,
Der auf der Brust ihr glüht.
"O weh! O weh!" ihr Vater ruft,
"Ohn' Priester sie verschied!"

Sie klappert mit den Zähnen nicht,
Noch zittert mit dem Kinn.
"O weh! O weh!" ihr Vater ruft,
"Da ist kein Athem drinn."

Und ihre sieben Brüder drauf
Ihr hauten eine Bahr';
Sie hauten sie von Eichenholz,
Verziert mit Silber klar.

Und ihre sieben Schwestern ihr
Ein Grabtuch nähten fein;
Und jeder Stich darinnen führt
Zu silbern Glöckelein.

Die erste Kirch' in Schottland tönt
Von frommem Meßgesang,
Und in der nächsten läutet man
Der Glocke Sterbeklang.

Doch als sie kamen nach Sankt Marie,
Da stand ein Ritterchor,
Und der Gebieter über sie,
Lord Willhelm, tritt hervor.

"Setzt ab, setzt ab, die Bahr'," er spricht,
"Laßt mich sie näher schau'n!" -
Doch als er ihre Hand berührt,
Erhält sie Farbe, traun"

Sie glänzte wie die Lilie weiß,
Bis ihre Bläss' antrann;
Mit Rosen-Wangen, rothem Mund,
Lacht sie den Liebsten an.

"Einen Bissen euers Brots, Mylord!
Ein Glas von euerm Wein;
Denn seit drei Tagen fastet' ich
Für eure Sach' und mein'.

Geht heim, geht heim, und blast das Horn,
Geht heim, ihr Brüder kühn!
Ich weiß, ihr thät wohl Böses mir,
Doch Hohn lohnt euer Müh'n.

Grüßt meinen alten Vater werth,
Der auf mein Heil bedacht.
Doch Weh komm' über seine Frau,
Die Schmerzen mir gemacht."

"Ach! Weh sey dir du leichtes Weib,
Ein schlimm End' treffe dich!
Dem Vater und den Schwestern bricht
Daheim das Herz um dich!"
(S. 57-64)
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Willie's Liebste

Willie's zog über Meeres Schäum',
Er freit' ein Weib, und bracht' sie heim;
Er freit sie für ihr gelbes Haar,
Doch Mutter sein ihr abhold war.

Und schafft' ihr viele Angst und Müh',
Denn nimmer konnt' gebären sie,
Und leidet Schmerz im Kämmerlein,
Umsonst um sie ist Willie's Pein.

Und zu der Mutter sein er ging,
Die Hexe arg, der ärgsten Art!
Er spricht: - "Mein Lieb einen Becher führt,
Den Gold und Silber rings verziert,
Die Gabe schön soll werden dein,
Laß sie von ihrem Kind genesen seyn."

"Von ihrem Kind soll sie nimmer genesen,
Noch schöner sie glänzen als sie wohl gewesen;
Doch sterben soll sie, und Staub sie seyn,
Und eine andre Dirne sollst du frei'n."

"Eine andre Maid ich nimmer will frei'n,
Ein andre Maid ich nimmer bring' heim."
Doch seufzend sprach das müde Weib -
"Ich wünscht', mein Leben wär' am End!"

"Doch geh zur Mutter hin aufs neu,
Die Hexe arg, der ärgsten Art!
Und sag, dein Lieb einen Zelter hat,
Desgleichen zeigt nicht Land noch Stadt.

Denn silbern ist er vorn beschuht,
Am hintern Huf mit Gold;
Und an der Mähne hin entlang
Tönt vieler goldnen Schellen Klang.
Ihr eigen sey die Gabe fein,
Läßt sie von meinem Kind mich genesen seyn."

"Von ihrem Kind soll sie nimmer genesen,
Noch schöner zu glänzen als sie wohl gewesen;
Doch sterben soll sie, und Staub sie seyn,
Und eine andre Dirne sollst du frei'n."

"Eine andre Maid ich nimmer will frei'n,
Eine andre Maid ich nimmer bring' heim."
Doch seufzend sprach das müde Weib: -
"Ich wünscht', mein Leben wär am End'!

Doch geh' zur Mutter hin aufs neu,
Die Hexe arg, der ärgsten Art!
Und sag, dein Lieb einen Gürtel hegt,
Der rund herum mit Gold belegt.

An jedem silbern Saum zu seyn
Sind funfzig silberne Glocken und zehn;
Ihr eigen sey die Gabe fein,
Läßt sie von meinem Kind mich genesen seyn."

"Von ihrem Kind soll sie nimmer genesen,
Noch schöner zu glänzen als sie wohl gewesen;
Doch sterben soll sie, und Staub sie seyn,
Und eine andre Dirne sollst du frei'n."

"Eine andre Maid ich nimmer will frei'n,
Eine andre Maid ich nimmer bring' heim."
Doch seufzend sprach das müde Weib: -
"Ich wünscht', mein Leben wär' am End!"

"Dann aus und sprach der Billy-Blind,
(Er sprach's zur guten Zeit)
Begieb dich auf den Marktplatz stracks,
Und kauf daselbst ein Stücklein Wachs,
Laß kindergleich geformt es seyn,
Und setz zwei gläserne Augen hinein.

Bitt' sie zu Kindes Taufe nun,
Dann merke wohl, was sie wird thun;
Und stell' ein wenig dich von ihr,
Zu merken wohl, was sie bringt für."

(Es scheint ein Vers zu fehlen. Wahrscheinlich
ward der Rath des Geistes befolgt. Die Mutter spricht:)

"Wer löste die neun Zauberknoten,
Die unter dieser Frauen Locken?
Wer nahm heraus den Kamm der Pein,
Der unter ihren Haaren fein?

Und wer entfernt den Busch Geisblatt,
Der zwischen unsern Häusern gehangen hat?
Und wer erschlug das Böcklein dann,
Das unter ihrem Bette rann?
Und wer löst' ihren linken Schuh,
Daß sie ihr Kind gebären thu'?"

So Willie's löst die Zauberknoten,
Die unter dieser Frauen Locken;
Und Willie's nahm den Kamm der Pein,
Der unter ihren Haaren fein;
Und er entfernt den Busch Geisblatt,
Der zwischen ihren Häusern gehangen hat.

Und er erschlug das Böcklein dann,
Das unter ihrem Bette rann;
Und er löst ihren linken Schuh,
Daß sie ihr Kind gebären thu;
Und nun hat er einen schmucken Sohn
Und viele Freud' ist ihm zum Lohn.
(S. 74-78)

Billy-Blind, ein Hausgeist

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Clerk Saunders

Clerk Saunders und Maid Margareth,
Die wandelten im Grünen;
Und trüb' und schwer die Liebe war,
Die herrschte unter ihnen.

"Ein Bett, ein Bett!" Clerk Saunders sprach,
"Ein Bette mir und dir!"
"O nicht, o nicht!" sprach Margareth,
"Bis erst vermählet wir.

Denn nah'n die sieben Brüder kühn
Bei heller Fackeln Schein,
So fänden sie in Ritters Arm
Ihr einzig Schwesterlein."

"Dann nimm aus meiner Scheid das Schwert,
Und heb den Griffel fein;
Und du kannst schwören, mit sicherm Eid,
Du ließest mich nicht ein."

"Und nimm ein Tüchlein in die Hand,
Bind's um beid' Augen schön;
Und du kannst schwören, mit sicherm Eid,
Daß du mich nicht gesehn."

's war um die Stund der Mitternacht,
Als ihnen Schlaf gebot,
Da kamen die sieben Brüder kühn,
Mit Fackeln flammend roth.

Da kamen die sieben Brüder kühn,
Bei heller Fackeln Schein,
Und fanden wohl in Ritters Arm
Ihr einzig Schwesterlein.

Dann aus davon der erste sprach,
"Mein Schwert geb' ihm den Lohn!"
Und aus davon der zweite sprach,
"Er ist der einz'ge Sohn!"

Und aus davon der dritte sprach,
"Es sind zwei Buhlen rar!"
Und aus davon der vierte sprach,
"Sie liebten sich manches Jahr!"

Dann aus davon der fünfte sprach,
"Sünd' trennt treu Liebesband!"
Und aus davon der sechste sprach,
"Im Schlaf zu morden wär' Schand'!"

Da kam der sieb'nde ihrer Zahl
Und nicht ein Wort er sprach;
Doch durch Clerk Saunders schönen Leib
Sein braunes Schwert er stach.

Er schreckt empor, sie schlafend kehrt,
Im Arm ihm, sich zur Seiten;
Und trüb' und schweigend war die Nacht
Wohl unter diesen Beiden.

Sie lagen still und schlummern fest,
Bis daß der Tag anbricht,
Und freundlich spricht sie da zu ihm:
"Weil' Liebster länger nicht."

Doch er lag still und schlummert fest,
Bis strahlt der Sonne Schein;
Sie blicket zwischen die Mauer und sich -
Trüb' war das Auge sein.

Da kam herein ihr Vater, sprach -
"Dein Trauern ende sich:
Ich führ' den todten Leib zum Staub'
Und komm' und tröste dich."

"Tröste deine sieben Söhne wohl,
Nie will ich Trost von dir:
Es war kein Schelm noch loser Bub'
In letzter Nacht bei mir."

Die Glocke Klang tönt durch die Stadt,
Dem Leib zum Staube nach.
An Margreths Fenster Saunders stand
Eine Stunde noch vor Tag.

"O schläfst du Margareth," er sprach,
"Bist du noch wachend hier?
Gieb Treue mir und Schwur zurück,
Die ich treu Lieb gab dir."
(S. 79-82)
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Das Mädchen von Lochroyan

"O, wer giebt meinen Füßen Schuh?
Wer Handschuh meiner Hand?
Und wer umgürtet meinen Leib,
Mit langem linnen Band?

O wer durchkämmt mein gelbes Haar,
Mit silberm Kamme neu?
Und wer ist Vater meines Sohns,
Bis Gregor kommt herbei?"

"Dein Vater giebt den Füßen Schuh,
Die Mutter hüllt die Hand,
Die Schwester gürtet deinen Leib,
Bis Gregor kommt ans Land.

Dein Bruder kämmt dein gelbes Haar,
Mit silberm Kamme neu;
Und Gott ist Vater deines Sohns,
Bis Gregor kommt herbei."

"Doch ich will nehmen mir ein Boot,
Das Meer durchsegeln schier,
Und ich will zu Lord Gregor gehn,
Weil er nicht kann zu mir."

Drauf ließ sie baun ein schmuckes Boot,
Um übers Meer zu ziehn;
Von Seide war das Tauwerk dran,
Und so die Segel grün.

Sie war nur zwanzig Meilen weit,
Gesegelt nur und drei,
Als sie traf einen Räuber arg,
Mit seiner Companei.

"Sag' an, bist du die Königin?
- Wohl hielt man dich für sie -
Bist du die Maid von Lochroyan,
Und suchst Lord Gregori?"

"Ich bin wohl nicht die Königin,
Noch seh' ich aus wie sie;
Ich bin die Maid von Lochroyan,
Und such' Lord Gregori."

"O siehst du jenen hohen Thurm?
Er ist bedeckt mit Zinn:
Wenn du gesegelt rund herum,
Lord Gregor ist darin."

Und als sie sah des Thurmes Pracht,
Der scheint so hell und klar,
Und hoch, von wilder Fluth umrauscht,
Auf Fels gebauet war.

Da rief sie - "Schiffer, rühret euch!
Und bringt mich an das Land;
Denn dort seh' ich des Liebsten Schloß
Hart an des Meeres Rand."

Sie segelt rund und rund herum,
Und rufet laut dabei:
"Nun löse dich, du Zauberspruch,
Und gieb den Liebsten frei!"

Sie nahm ihr Söhnlein auf den Arm,
Und trat zur Pforte hin,
Und klopfet lang' und rufet sehr,
Doch keine Antwort d'rin.

"O Gregor! öffne mir die Thür,
O öffne mir geschwind!
Der Regen überströmt mein Haupt,
Das Haar durchweht der Wind."

"Hinweg, hinweg, du böses Weib!
Du thust allhier kein Gut!
Bist Hexe, oder Zaub'rin, wohl
Sirene aus der Fluth."

"Ich bin nicht Hex' und Zaub'rin, noch
Sirene aus der See;
Ich bin die Maid von Lochroyan;
O öffne mir, ich fleh'!"

"Wenn du bist Annie von Lochroyan,
- Wiewohl sie hier nicht weilt -
So nenn' die Liebespfänder mir,
Die zwischen uns getheilt."

"O weißt du nicht, Lord Gregor, als
Beim Weine saßen wir,
Da tauschten wir die Ringe um,
Und deinen zeig' ich dir.

Der deine war gut genug,
Doch besser der von mir:
Du gabst mir einen goldnen Ring,
Ich einen Demant dir.

Nun öffne, Gregor, mir das Thor!
O öffn' und zögre nicht!
Sonst stirbt dein Söhnlein, mir im Arm,
Noch eh' der Tag anbricht."

"Bist du die Maid von Lochroyan,
(Wie ich nicht glauben kann)
So deute zwischen mir und dir
Mehr Liebeszeichen an."

"Ach! ist es so," sprach Anna schön,
Und wendet abwärts sich,
"Mög' nie die Mutter eines Sohns
So elend seyn als ich!

Nehmt ab! nehmt ab! den goldnen Mast,
Setzt einen Stamm dafür!
Es ziemet der Verstoßnen nicht
So königliche Zier."

Und als der Hahn gekräht, der Tag
Begann zu nähern sich,
Stand Gregor von dem Lager auf,
Und weinte bitterlich.

"O Mutter! ich träumt' einen Traum,
Ich wünscht', er würde wahr!
Die zarte Maid von Lochroyan
Nur jetzt am Thore war.

O Mutter! ich träumt' einen Traum,
Der macht mich traurig schier!
Die zarte Maid von Lochroyan
Lag todt zu Füßen mir."

"Ist's um die Maid von Lochroyan,
Daß du empfindest Pein?
Sie stand die ganze Nacht am Thor,
Doch ließ ich sie nicht ein."

"O Weh sey dir, du arges Weib!
Ein schlimm End' treffe dich!
Weil du das Thor nicht aufgethan,
Und auch nicht wecktest mich."

Er eilte an des Ufers Rand,
So schnell als er vermag;
Er sah schön Annie in dem Boot,
Das fast dem Sturm erlag.

"Und he, Annie! und ho, Annie!
O bleib!" er rufen thut;
Allein je lauter er sie ruft,
Je stärker wächst die Fluth.

"Und he, Annie! und ho, Annie!
Lieb Annie, o mich hör'!"
Allein je lauter er sie ruft,
Je lauter brüllt das Meer.

Es heult der Sturm, es tobt die See,
Das Boot am Ufer bricht;
Schön Annie fluthet durch den Schaum,
Ihr Söhnlein hob sich nicht.

Der Lord zerreißt sein gelbes Haar,
Und seufzet tief und schwer;
Todt ihm zu Füßen Annie liegt,
Ihr Söhnlein sank in's Meer.

O rosig ihre Wange war,
Und golden war ihr Haar;
Doch kalt wie Eis ihr rother Mund -
Kein Lebensfunk da war.

Und erst küßt er die Wange roth,
Und dann küßt er das Kinn,
Und dann küßt er den Rosen-Mund -
Doch war kein Athem d'rin.

"O, Weh treff' meine Mutter hart!
Ein schlimm End' werde ihr!
Sie wies vom Thor die Liebste mein,
Die kam so weit zu mir.

O, Weh treff' meine Mutter hart!
Ein schlimm End' werde ihr!
Sie wies schön Annie von dem Thor,
Die starb aus Lieb zu mir."
(S. 93-101)
_____



Lord Thomas und schön Annie

"Mach' enge, enge, nun dein Bett,
Und lern' allein zu ruhn;
Schön Annie, ich will über's Meer,
Bring' heim die Braut mir nun;
Mit ihr erhalt' ich Gold und Gut,
Du kannst nicht Gleiches thun.

Doch wer bäckt mir mein Hochzeitbrot,
Wer brau't mein Hochzeitbier?
Und wer begrüßt die muntre Braut,
Wenn ich sie bring' mit mir?"

"Ich backe dir dein Hochzeitbrot,
Ich brau' dein Hochzeitbier;
Und ich begrüß' die muntre Braut,
Wenn du sie bringst mit dir."

"Doch sie, die meine Braut begrüßt,
Muß gehn nach Mädchen Art;
Das gelbe Haar geflochten sey,
Der Leib umgürtet zart."

"Doch wie kann ich gehn Mädchen gleich,
Da ich kein Mädchen frei?
Gebar ich dir nicht sieben Söhn',
Und trag' ein Pfand auf's neu?" -

Sie nimmt den jüngsten auf den Arm,
Einen andern an die Hand,
Und sie ersteigt den höchsten Thurm,
Zu sehn wie er an's Land.

"Herauf, herauf, mein ält'ster Sohn,
Blick' über jenen Strand,
Sieh deines Vaters neue Braut,
Eh' sie noch kommt an's Land."

"Herab, herab, o Mutter traut!
Komm von des Schlosses Wall!
Ich fürchte, wenn du länger bleibst,
Du thust herab den Fall."

Sie geht hinab, und mehr hinab,
Des Liebsten Schiff zu sehn;
Der groß' und kleine Mast daran
Gleich Silber glänzte schön.

Sie geht hinab, und mehr hinab,
Das Schiff der Braut zu schaun;
Der groß' und kleine Mast daran
Gleich Gold erglänzte, traun!

Mit ihren Söhnen Hand in Hand;
Sie fehlt nicht an der Zahl!
Sie traf den Lord und seine Braut,
Auf ihrem Weg durch's Thal.

"Willkommen, Herr! zu eurem Haus,
Willkommen eurem Land;
Willkommen mit der schönen Braut,
Die ihr führt bei der Hand.

Willkommen, Fräulein zu eurem Schloß,
Willkommen zu eurer Flur;
Willkommen zu eurer Heimath hier,
Denn euch gehört es nur."

"Ich dank', Annie, ich danke dir,
So herzlich dank' ich dir;
Du gleichst so sehr der Schwester mein,
Als je sich zeigte mir.

Es kam ein Ritter über See,
Und führte sie hinweg;
Die Schande geh' zur Seite ihm,
Und land' auf seinem Steg!"

Sie hing ein Tüchlein in die Hall',
Ein andres an die Thür,
Zu trocknen nur die Zähre sich,
So schnell sie drang herfür.

Und sie bedient die Tafeln lang,
Mit weißem Brot und Wein;
Und immer trank sie Wasser klar,
Daß sie nicht bleich erschein.

Und sie bedient die Tafeln lang,
Mit braun und weißem Brot;
Und immer kehret sie sich hinweg,
Ihr Aug' von Thränen roth.

Er nahm ein seiden Tüchelein
Vom silbern Nagel herab,
Und trocknet ihr die fallende Zähr'
Von Kinn und Wangen ab.

Und lächelnd schaut er rings umher,
Und fragt die Männer all':
Ob mehr die sonst'ge Herrin, ob
Die neue mehr gefall'?

Als Glock' entsummt, und Meß verstummt,
Und jeder eilt zur Ruh,
Lord Thomas und die neue Braut
Gehn ihrer Kammer zu.

Und Annie, daß sie hör' ihr Wort,
Nicht weit von ihnen lag;
"Und immer, ach!" schön Annie rief,
"Daß je ich sah den Tag!

Wenn meine Söhne sieben Ratten jung,
Im Lauf an Schlosses Wall,
Und ich wär eine Katze grau,
Bald wollt' ich sie würgen all',

Wenn meine Söhne sieben Hasen jung,
Im Lauf durch jenen Hain,
Und ich wär' selbst ein grauer Hund,
Bald sollten gewürgt sie seyn."

Und trüb' und schwer schön Annie saß,
Und traurig war ihr Lied;
Und immer seufzt sie: "Weh dem Mann,
Der diese That vollzieht."

"Die Schuh an Füßen," sagt die Braut,
"An meinem Leib das Kleid,
Und ich will zu schön Annie gehn,
Und sehn, was ihr bringt Leid.

Was fehlt, Annie, was fehlet dir,
Was macht dir solche Noth?
Zersprengt' dein Wein der Fässer Reif?
Gebricht's an weißem Brot?

Wer war dein Vater, Annie, sag',
Wer war die Mutter dein?
Und hast du einen Bruder noch,
Hast du ein Schwesterlein?"

"Der Graf von Memyß mein Vater war,
Die Gräfin Mutter fein;
Und alles Volk im Haus umher
War Bruder und Schwester mein."

"Und wenn Graf Memyß dein Vater war,
Wie er der meine ist;
So soll's nicht seyn aus Mangel an Gold,
Daß du dein Liebchen miß'st.

Denn sieben Schiffe bracht' ich mit,
Zum Rand beladen schier,
Und alle geb' ich sie dir hin,
Und deinem Aelt'sten vier. -
Allein dem Himmel Dank, daß ich
Als Jungfrau gehe von hier!"
(S. 115-121)
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Prinz Robert

Prinz Robert nahm ein schönes Weib,
Er gab ihr Ring und Hand;
Prinz Robert nahm ein schönes Weib,
Doch durft' sie nicht in's Land.

"Gebt euern Segen, Mutter werth!
Gebt euern Segen mir!" -
"Mein Segen wird dir nie zu Theil,
Statt Segen, fluch' ich dir."

Sie rief wohl ihrer Dienerin,
Zu füllen ein Glas mit Wein;
Sie rief den falschen Kämmerer,
Zu mischen Gift hinein.

Sie setzt den Becher an den Mund,
Und an das dürre Kinn;
Sie setzt den Becher an den Mund,
Doch blieb der Trank darin.

Er setzt den Becher an den Mund,
Und an das zarte Kinn;
Er setzt den Becher an den Mund,
Kein Tropfen blieb darin.

"O Mutter, ihr vergiftet mich,
Der erbet euern Thron;
O Mutter, ihr vergiftet mich,
Und habt nun keinen Sohn!

Wo find' ich einen Buben klein,
Der gern will Hos' und Schuh',
Und eilt zu Leonoren schön,
Daß her sie kommen thu?"

Da sprach darauf ein Bube klein,
Der gern wollt' Hos' und Schuh':
Ich will zu Leonoren schön,
Daß her sie kommen thu'."

Er eilte fort nach Darlinton,
Und klopfte an das Thor;
Und wer war so bereit als sie,
Zu lassen den Knaben vor?

"Die Mutter hat ein Mittagsmahl
Gar fein bereitet dir;
Die Mutter hat ein gutes Mahl,
Und du sollst speisen mit ihr."

Es war wohl zwanzig Meilen weit,
So lang als sie nur sind;
Doch sie war leicht, und schnell das Roß,
Und kam dahin geschwind.

Doch als sie kam nach Silberstadt,
Und in des Schlosses Hall',
Da sah sie Trauer und Kerzenschein,
Da weinten die Frauen all'.

"O wo ist nun mein Eh'gemahl,
Wer giebt von ihm Bericht?
O wo ist nun mein Eh'gemahl?
Denn ihn erblick' ich nicht."

"Dein Eh'gemahl ist todt," sprach sie,
"Und just gelegt in's Grab;
Dein Eh'gemahl ist todt," sprach sie,
"Und just gesenkt hinab.

Du kriegst kein Gold, du kriegst kein Gut,
Noch sonst ein Ding von mir;
Keinen Zoll von seinem schönen Land,
Ob auch das Herz bräch' dir."

"Ich will kein Gold, ich will kein Gut,
Ich will kein Land von dir;
Doch will ich von seinem Finger den Ring,
Denn er versprach ihn mir."

"Vom Finger kriegst du nicht den Ring,
Du kriegst ihn nicht von mir;
Vom Finger kriegst du nicht den Ring,
Und wenn das Herz bräch' dir."

Sie kehrt sich weg, an einen Stein
Legt sie ihr bleich Gesicht;
Und da, vor seiner Mutter Aug',
Alsbald das Herz ihr bricht.

Man begrub das ein' in Marien Kirch',
Das andre in Marien Chor;
Und aus dem einen kam ein Brombeerstrauch,
Aus dem andern eine Birke hervor.

Und diese beiden sie einten sich,
Der Strauch und die Birke frei;
Und daraus könnt ihr wohl ersehn,
Sie waren zwei Buhlen treu.
(S. 122-126)
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Die grausame Schwester

In einem Schloß saßen zwei Schwestern fein;
Binnorie, O Binnorie;
Da kam ein Ritter ihr Freier zu seyn,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Er warb um die ältste mit Handschuh und Ring;
Binnorie, O Binnorie;
Doch die jüngste liebt' er über jegliches Ding,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Er warb um die ältste mit Spieß und Schwert:
Binnorie, O Binnorie;
Doch die jüngste war mehr als sein Leben ihm werth,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Die älteste fühlte Verdruß und Pein,
Binnorie, O Binnorie,
Und neidete sehr ihr Schwester fein,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Die älteste sprach zur jüngsten schön,
Binnorie, o Binnorie:
"Willst nahen des Vaters Schiffe du sehn?"
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Sie nahm sie bei der Lilien-Hand,
Binnorie, O Binnorie,
Und führt' sie zu des Flusses Rand,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Die jüngste stand auf einem Stein,
Binnorie, O Binnorie,
Die ältste kam, und stieß sie hinein,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"O Schwester, Schwester, reich mir die Hand,
Binnorie, O Binnorie,
Und erben sollst du mein halbes Land!"
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"O Schwester, ich will dir nicht reichen die Hand,
Binnorie, O Binnorie,
Und erben werd' ich dein ganzes Land!"
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"O Schwester, reich' nur den Handschuh dein,
Binnorie, O Binnorie,
Und süß Willhelm soll dein Liebchen seyn!"
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"Sink nur, und harr' nicht des Handschuh's mein!
Binnorie, O Binnorie,
Und süß Willhelm wird mein Liebchen besser seyn:
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"Deine Kirschen-Wangen, dein gelbes Haar,
Binnorie, O Binnorie,
Stand mir im Wege immerdar."
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Zuweilen sie sank, zuweilen sie schwamm,
Binnorie, O Binnorie,
Bis daß sie kam zu des Müllers Damm,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

"O Vater, Vater, zieht auf den Damm,
Binnorie, O Binnorie,
Hier ist eine Siren' oder ein milchweißer Schwan."
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Der Müller eilt' und zog auf den Damm,
Binnorie, O Binnorie,
Und fand ein todtes Mädchen, das schwamm,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Man konnt' nicht sehn ihr gelbes Haar,
Binnorie, O Binnorie,
Vor Gold und Perlen, die waren so rar,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Man konnt' nicht sehn ihres Leibes Seit',
Binnorie, O Binnorie,
Ihr goldner Gürtel, der war so breit,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Ein trefflicher Harfner zog eben fürbaß,
Binnorie, O Binnorie,
Und sah das Gesichte so schön und blaß,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Und als er auf die Dirne schaut,
Binnorie, O Binnorie,
Erseufzt' er tief, und stöhnet laut,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Er macht' eine Harf' aus ihrem Brustbein,
Binnorie, O Binnorie,
Deren Ton konnt' schmelzen ein Herz von Stein,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Die Saiten aus ihrem gelben Haar er erkohr,
Binnorie, O Binnorie,
Deren Klang macht traurig das lauschende Ohr,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Er bracht' sie in ihres Vaters Hall',
Binnorie, O Binnorie,
Und da war der Hof versammelt all',
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Er legte die Harf' auf einen Stein,
Binnorie, O Binnorie,
Und gleich fing sie an zu spielen allein,
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie:

"O dort sitzt der König, der Vater mein;
Binnorie, O Binnorie,
Und dort sitzt meine Mutter, die Königin fein;
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Und dort steht Hugo, mein Bruder, frei;
Binnorie, O Binnorie;
Und bei ihm mein Willhelm, so süß und treu."
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.

Doch der letzte Klang von der Harfe Getön',
Binnorie, O Binnorie,
War: "Weh meiner Schwester, der falschen Helen!"
Bei dem muntern Mühldamm von Binnorie.
(S. 133-138)
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O wenn mein Liebchen jene Rose roth wär'

O wenn mein Liebchen jene Rose roth wär',
Die wächst auf des Schlosses Wall,
Und ich wär' selbst ein Tropfen Thau,
Auf die Rose roth wollt' ich fall'n.
O mein Liebchen ist fein, fein, fein,
Mein Liebchen ist fein und schön dem Blick,
Und wenn ich schau in ihr hold Gesicht,
So schaut und lächelt sie wieder zurück.

O wenn mein Liebchen ein Waizenkorn wär',
Und wüchs auf jenem Steg,
Und ich wär' selbst ein Vogel frei,
Mit dem Waizenkorn flög' ich hinweg.
O mein Liebchen ist fein, fein, fein,
Mein Liebchen ist fein und schön dem Blick,
Und wenn ich schau in ihr hold Gesicht,
So schaut und lächelt sie wieder zurück.

O wenn mein Liebchen eine Goldkiste wär',
Und ich die Schlüssel dazu hätt',
Ich wollt' öffnen die Kiste, so oft mir's gefiel,
Und wählt' sie zu meiner Stätt'.
O mein Liebchen ist fein, fein, fein,
Mein Liebchen ist fein und schön dem Blick,
Und wenn ich schau in ihr hold Gesicht,
So schaut und lächelt sie wieder zurück.
(S. 153-154)
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Jung Benjie

Wohl unter Schottlands Dirnen war
Die schönste Marjorie;
Jung Benjie war ihr Liebster werth,
Und treu wohl liebt' er sie.

Und traun! sie waren Buhlen treu,
Und liebten sonder Wank;
Doch desto mehr erzürnten sie,
Geriethen sie in Zank.

Und eines Tages, als sie sich
Entzweit, sprach Marjorie,
Sie wollt' erwählen ein ander Lieb,
Und lassen jung Benjie.

Und er war stolz und hochgesinnt,
Und fühlt es bitterlich,
Und er begab zu Marjorie
Bei Mondenschimmer sich.

"O öffne, öffne, mein treu Lieb,
O öffn' und laß mich ein." -
"Ich darf nicht öffnen, denn bei mir
Sind die drei Brüder mein."

"Du lügst, du lügst, du schmucke Maid!
Ich hör' dich lügen hier;
Sie boten dort am niedern Strand
Nur guten Abend mir.

Doch fahre wohl du Buhle falsch,
Die sich geliebt gesehn;
Es ziemt dir, daß du anders wählst,
Und läßt jung Benjie gehn."

Da wandte Marjorie sich weg,
Das Aug' in Thränen ihr:
"Ich darf nicht lassen dich herein,
Doch will ich hin zu dir."

Sie lächelt sanft, und fraget ihn,
Welch Unrecht auf ihr ruht?
Er nimmt sie in die Arme zwei,
Und wirft sie in die Fluth.

Der Strom war tief, die Dirne stark,
Und sank und sank nicht gleich;
Doch als sie kam zum niedern Strand,
War ihre Wange bleich.

Darauf ihr ältster Bruder sprach,
"O was ich sehe, sieh!"
Und drauf ihr zweiter Bruder sprach,
"'s ist Schwester Marjorie."

Da sprach ihr ältster Bruder aus,
"Wie wird uns Gewißheit d'rin?"
Und aus ihr jüngster Bruder sprach,
"'s ist ein Honigmaal am Kinn."

Sie nahmen auf den Körper schön,
Und legten ihn an den Grund -
"O wer hat ihr den Tod ertheilt,
Und wie wird es uns kund?

Die Nacht ist Wacht bei ihrer Leich'
Und drauf Begräbniß-Tag;
Und wachen müssen wir zur Nacht,
Und hören was sie sag'."

Bei Kerzenschein, halb offner Thür,
Und Fackeln flammend klar;
Sie wachen bis um Mitternacht,
Doch nichts zu hören war.

Wohl um die Mitte von der Nacht
Der Hahn zu krähn begann,
Und so die Leich' in tiefster Nacht
Fing sich zu regen an.

"O Schwester, wer vollzog die That,
Und hegt so sünd'gen Muth?
Wer war so kühn, mit freveln Müh'n,
Und warf dich in die Fluth?"

"Jung Benjie war der erste Mann,
Dem ich von Herzen gut;
Er war so kühn und hochgesinnt,
Und warf mich in die Fluth."

"Soll Benjie jung geköpfet seyn,
Soll Benjie seyn gehangen?
Soll'n wir ihm blenden die Augen grau,
Und strafen ihn, eh' er gangen?"

"Jung Benjie soll geköpfet nicht seyn,
Er soll nicht seyn gehangen;
Doch stecht ihm aus die Augen grau,
Und straft ihn, eh' er gangen.

Schlingt ihm um Hals ein grünes Band,
Und führt ihn aus und ein,
Und der beste Knecht in euerm Haus
Soll Benjie eigen seyn.

Und immer alle sieben Jahr
Da führt ihn hin zur Fluth;
Denn dieses muß die Strafe seyn,
Womit er büßen thut."
(S. 164-169)
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Fräulein Anne

Schön Anne saß in ihrer Laub',
An Waldes grüner Seit',
Und Blum' aufspringt, und Vöglein singt,
's war fröhl'chen Maitags Zeit.

Doch Anne schön an Willhelm dacht',
Ihr Aug von Thränen schwer,
"Ob untreu mir, sey Heil mit dir,
Im Krieg wohl überm Meer!"

Aus von dem Wald drei Knaben gehn,
Am Sommer Morgen früh,
Sie sangen all', und spielten Ball,
Nackt wie geboren sie.

"O sieben Jahre säß' ich hier,
Wohl unter Frost und Schnee,
Wär' einer mein, der Knaben fein,
Die Ball ich spielen seh'."

Da sprach der ältste Knabe drauf:
"Nun hör du Fräulein schön!
Und merk so fort, auf meine Wort',
Frei soll dann Wahl dir stehn.

Ich Peter bin, und das ist Paul,
Und der, zu schaun so fein,
Sechs Monde nur, sah Himmels Flur,
Gefährte uns zu seyn."

"Ich will den Knaben, weiß wie Schnee,
Den Schönsten von euch hier." -
"Und wenn ich dein, und Herr du mein,
O sag', was thätst du mir?"

"Ich kleidet dich in Seid und Gold,
Pflegt' dich auf meinem Schoos." -
"O Mutter! Mutter! als ich dein,
War nicht so hold mein Loos.

Die falsche Amme grub mich ein,
Wohl unterm Rasen hier;
Im Herzen mein steckt's Messer dein,
Komm nicht zurück zu dir!"
(S. 170-172)
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Lord Willhelm

Der bravste Kämp' Lord Willhelm war,
Der wohnt in schön Schottland;
Und ob berühmt in Süd und West,
Fiel er durch Frauen Hand.

Als sie im Schatten ging allein,
Dort an des Waldes Seit'
Da hört' sie einen Reiter nah'n,
Und wünscht', er bring' ihr Freud'.

"Komm, Willhelm traut, in meinen Arm,
Willkommen heim zu mir!
Die Kerze flammt, die Kohle glüht,
Das beste Mahl sey dir."

"Ich will, ich darf nicht steigen ab,
Nicht deinem Arm ich nah;
Eine zehnmal schönre Maid als du
Treff' ich in Castle-law."

"Eine schönre Maid als ich, Willie!
Eine schönre Maid, Willie!
Eine zehnmal schönre Maid als ich
Sah' wohl dein Auge nie."

Er bog zu ihr, zum Scheidekuß,
Vom Sattel sich gemach,
Mit einem Messer scharf und klein
Sie ihm das Herz durchstach.

"Reit hin, reit hin, Lord Willhelm, nun
So schnell als es kann seyn!
Die schmucke Dirn' in Castle-law
Wird müd zu harren dein."

Da sprach ein muntrer Vogel aus,
Saß hoch auf Baumes Zweig:
"Was tödtet ihr den edeln Lord,
Der kam zu freien euch?"

"Herab, herab, mein Vogel schmuck,
Iß Brot von meiner Hand!
Dein Käfig soll von Golddraht seyn,
Der jetzt aus Laub bestand."

"Bewahrt den goldnen Käfig nur,
Und ich wahr' meinen Zweig:
Was ihr dem Lord habt angethan
Geschähe mir von euch."

Sie schreitet über des Hauses Schwell'
Ein wackrer Marmorstein;
Und trägt zu ihrer Kammer ihn,
Daß über ihn sie wein'.

Und sie behält die Leiche da
Drei viertel von dem Jahr,
Bis daß die Kund' umher begann,
Und sie in Aengsten war.

Da rief sie ihrer Dienerin,
Bereit stets auf ihr Wort:
"Hier ist ein Ritter in dem Schloß,
's ist Zeit, er wäre fort."

Der eine nimmt ihn bei dem Haupt,
Der andre bei den Füßen,
Man wirft ihn in das Wasser bleich,
Das tief und weit thut fließen.

"Zurück, zurück, schau Fräulein nun,
Auf ihn, den du so werth!
Ein beßrer Mann, als dieser war,
Zog nie von Stahl ein Schwert."
(S. 173-176)
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Schön Helen von Kirconnell

(Diese sehr populäre Ballade ist so unvollständig durch Tradition
überliefert worden. Die Begebenheit, worauf sie sich gründet, ist wohl
bekannt. Ein Fräulein, Namens Helen Irving, nach andern Bell, Tochter
des Lords von Kirconnell, und wegen ihrer Schönheit berühmt,
ward von zwei Herren der Nachbarschaft geliebt.
Der Name des Begünstigten war Adam Fleming von Kirkpatrick;
der des andern ist der Sage entgangen. Die Bewerbungen
des letztern wurden indeß von den Verwandten der Dame
begünstigt, und die Liebenden waren daher genöthigt,
insgeheim und des Nachts, auf dem Kirchhof von Kirconnell,
einem romantischen Ort von den Fluthen des Kirtle umringt,
zusammen zu kommen. Als sie sich einmal auf diese Art sahen,
erschien plötzlich der eifersüchtige, zurückgesetzte Liebhaber
am gegenseitigen Ufer des Flusses, und drückte sein Gewehr
auf die Brust des Nebenbuhlers ab. Helen warf sich vor
ihren Geliebten, empfing in ihre Brust die Kugel und starb in seinen Armen.
Ein Kampf auf Tod und Leben folgte darauf zwischen Fleming und
dem Mörder, wobei der letzte in Stücken gehauen ward.
Nach andern Nachrichten soll Fleming seinen Feind bis nach
Spanien verfolgt, und in den Straßen von Madrit getödtet haben.
Der erste Theil des Liedes scheint von Fleming,
oder seinem Nebenbuhler, an die Dame gerichtet zu seyn.
Der zweite enthält Flemings Klage über dem Grabe der
schönen Helen. Noch immer wird das Grab der Liebenden
auf dem Kirchhof von Kirconnell bei Springkell gezeigt.


Erster Theil

O! süßte Süß' und feinste Fein',
Nichts kann am Wert dein Gleichen seyn,
Du bist die Ursach meiner Pein,
Seitdem ich liebte dich.

Doch Gott verlieh mir ein Gemüth,
Das so für dich voll Liebe glüht,
Als eines dem dein Auge sieht
In hoch und niedern Stand.

Die seicht'ste Fluth am meisten braust,
Der stillste See am tiefsten graust,
Die mind'ste Treu im Reichsten haust,
Obgleich der Vorzug ihm.

Doch dennoch bin zufrieden ich,
Und nie reut meine Liebe mich,
Gedenkend, wohl die Zeit verstrich,
Obgleich verschmäht ich bin.

O Helen süß, in höchster Zier,
Mein Geist als Sclav zu Füssen dir!
Glaubst du zu brauchen, für und für,
Dein siegreich Grausamseyn?

O Helen fein! die Bitt' allein,
Dem Sclaven dein, Mitleid zu weihn,
Ihn zu befrein, am Grabe sein,
Der stirbt aus Lieb zu dir!


Zweiter Theil

Ich wünscht', ich wär' wo Helen ruht!
Sie Tag und Nacht mich rufen thut,
O, daß ich wär' wo Helen ruht,
An schön Kirconnell Rand!

Fluch treff' ihn, der den Schuß erdacht,
Und Fluch der Hand, die ihn vollbracht,
Als mir im Arm, in Todes-Nacht,
Sie sank zu schützen mich.

O glaubt, mein Herz war traurig sehr,
Als mein Lieb sank, und sprach nichts mehr,
Sie sank dahin ohn Wiederkehr,
An schön Kirconnell Rand.

Als ich ging an des Wassers Seit'
War nur mein Feind da, der mich leit',
War nur mein Feind da, der mich leit',
An schön Kirconnell Rand.

Ich zog das Schwert, zur Seite mein,
Ich hackte ihn in Stücken klein,
Ich hackte ihn in Stücken klein,
Für die, die starb für mich.

O Helen, nie dein Gleichen war!
Ich mach' einen Kranz von deinem Haar,
Der bind mein Herz für immerdar,
Bis an den Todestag.

O daß ich wär' wo Helen ruht!
Sie Tag und Nacht mich rufen thut;
Sie weckt mich auf vom Lager gut,
Spricht: "eil' und komm zu mir!"

O Helen schön! O Helen rein!
Bei dir wollt' ich beglücket seyn,
Wo tief du hast die Ruhe dein,
An schön Kirconnell Rand.

Ich wünscht', es schlöß ein Grab mich ein,
Das Leichentuch hüllt' Antlitz mein,
Und ich läg' ihr in Armen fein,
An schön Kirconnell Rand.

Ich wünscht', ich wär' wo Helen ruht,
Sie Tag und Nacht mich rufen thut,
Und ich bin müd der Sonne Gluth,
Um sie, die starb für mich.
(S. 193-197)
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Katherine Janfarie

Ein Mägdlein war, ein Mägdlein fein,
Lebt' hoch an jenem Strand;
Sie hieß Katherine Janfarie,
Wohl mancher für sie brannt'.

Herauf kam da Lord Lauderdal',
Herauf von schott'scher Seit';
All aufgesetzt, in guter Zucht,
Daß er dies Mädchen freit.

Er sprach nicht Vater, Mutter nicht,
Noch die Verwandten an;
Doch flüstert er dem Mädchen selbst,
Und so ihr Herz gewann.

Doch drauf kam her Lord Lochinvar
Daher von Englands Seit'
Wohl ausgerüstet, und in Zucht,
Daß er dies Mädchen freit.

Mit Vater und mit Mutter er
Und den Verwandten sprach;
Doch sagt er nichts dem Mädchen selbst,
Bis vor dem Hochzeittag.

Sie sandt' zu Lord von Lauderdal',
Ob er nicht schauen wollt';
Und er sandt' wieder Wort zurück,
Sie Antwort haben sollt'.

Und Boten hat er ausgeschickt,
Recht eilig durch das Land;
Und er erhob der Männer viel'
Zu seyn ihm bei der Hand.

Die Braut blickt aus dem Fenster hoch,
Schaut beides Haid' und Thal;
Und sie erblickt ihr erst treu Lieb
Mit vieler Reiter Zahl.

Sie höhnet ihn, und schmähet ihn
An ihrem Hochzeittag,
Und sagt - "Im Aufzug ihn zu sehn,
Sey wie der Feen Gelag!

Kommt ihr zu fechten, junger Herr!
Kommt ihr zu spielen hier?
Kommt ihr zu trinken guten Wein
Am Hochzeittag bei mir?"

"Ich komme nicht zu streiten hier,
Zu spielen nicht," er spricht;
"Einen Tanz nur mit der schmucken Braut,
Dann weil' ich ferner nicht."

Es ist ein Glas blutrother Wein
Gefüllt für diese zwei;
Und sie trank zu Lord Lauderdal',
Der war ihr Liebster treu.

Er nahm bei grasgrünem Aermel sie,
Und bei milchweißer Hand;
Er setzet sie hoch hinter sich
Fragt nicht die ihr verwandt.

"Nun nimm die Braut, Lord Lochivar!
Nun nimm sie, wenn's gefiel!
Doch nimmst du wieder sie zurück,
Wir nennens nur falsch Spiel."

Und vier und zwanzig Knaben schmuck,
In Jonston grau zu schaun,
Die sprachen heim mit starker Hand
Die Braut zu bringen, traun!

Da flog der Pfeil von guter Seit'
Und aus der Scheid' das Schwert,
Und roth und rosig war das Blut,
Das rann herab zur Erd'.

Das rann herab bei Caddon Wall,
Und rann herab so viel;
Und seufzend sprach die schmucke Braut -
"O weh mir für falsch Spiel!"

Gesegnet sey dein Herz, o Maid!
Weh deinem grausen Sinn!
Allda ist mancher tapfre Mann,
Des Blut um dich dahin.

Nun all ihr Herrn von England schön,
Und ihr an England Seit',
Kommt nimmer her zu frein ein Weib,
Aus Furcht vor solchem Streit.

Sie halten hin, und necken euch,
Bis zu der Hochzeit Ziel;
Da geben sie Frösche statt dem Fisch,
Und spielen euch falsch falsch Spiel.
(S. 198-202)
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Klage der Gränz-Wittwe

Mein Lieb baut mir ein schmuckes Haus,
Und schmückt es all mit Lilien aus;
Ein schöner Haus nie sahet ihr,
Als mein treu Lieb erbaute mir.

Da kam ein Mann, um Tages Mitt',
Und sah sein Spiel und fort er schritt,
Und bracht' den König in der Nacht
Der 's Haus zerstört, ihn umgebracht.

Er bracht ihn um, den Liebsten mein,
Er bracht' ihn um, und nahm was sein;
Die Diener flohen vor dem Tod,
Und ließen mich in höchster Noth.

Ich näht' sein Leichentuch in Pein,
Ich wachte bei der Leich' allein,
Ich wachte Tag und Nacht allda,
Kein lebend Wesen kam mir nah.

Ich nahm ihn auf den Rücken dann,
Und weil ich saß, und weil ich rann,
Ich grub ein Grab, d'rein legt' ich ihn
Und deckt' ihn zu mit Rasen grün.

Doch wißt ihr, wie mein Herz mir war,
Als Staub bedeckt sein goldgelb Haar?
O wißt ihr, was mein Herz erlitt,
Als ich mich wandt' und weiter schritt?

Keinen andern Mann ich mir erkohr,
Seit ich mein süßes Lieb verlor;
Eine Locke von seinem gelben Haar
Soll binden mein Herz für immerdar.
(S. 209-210)

Dies Fragment mündlicher Überlieferung
im Wald von Ettrick, soll sich auf den Tod
des Cockburne von Henderland, eines Gränzfreibeuters
beziehen. Bei dem merckwürdigen Unternehmen
im Jahr 1529, das für Johnie Armstrong,
Adam Scott von Tuschielaw, und viele andere
Räuber unglücklich ausfiel, ließ ihn Jakob der Fünfte
über dem Eingang seines eignen Thurmes aufhängen.

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Übersetzt von Henriette Schubart (1770-1831)

Aus: Lieder und Balladen von Walter Scott
Übersetzt von Henriette Schubart
Leipzig und Altenburg
F. A. Brockhaus 1817


 

 


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