Europäische Liebeslyrik
(inklusive nordamerikanische Liebeslyrik)

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Richard Henry Stoddard (1825-1903)
nordamerikanischer Dichter




Im Harem

Der Duft von glühndem Sandelholz
Durchwallt umsonst die Luft;
Denn heißre Gluth füllt mir das Hirn,
Den Sinn ein süßrer Duft.

Preß deine Lipp' auf meine fest!
Nicht sei dem Kuß gewehrt,
Bis daß mein Herz die Süßigkeit
Des deinen all geleert!

Der Garten tönt von Saitenklang,
Hell blinkt des Mondes Strahl -
Doch wir, den Sternen gleich, zergehn
In Wolken süßer Qual!

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann [1829-1879]
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 114-115)

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In trüber Zeit

Ich leide all deinen Schmerz,
Als wär' er mehr denn eignes Leid;
Denn todt ist meiner Liebe Zeit,
Doch deine lebt, ob trüb das Herz.

Vermöcht' ein heiß Gebet von mir
Zu retten dich von deinem Loos:
Ich wollte gern des Himmels Schooß
Bestürmen, bis er gnädig dir.

Doch ach, vergebens fleht der Mund -
Des Menschen Schicksal ist bestimmt;
Im Kelch der Trank des Todes schwimmt,
Er muß ihn leeren bis zum Grund.

Umsonst ist jedes Wort. Von mir
Ist's mehr noch eitel; denn mein Herz
Hat längst nur Thränen noch im Schmerz,
Und diese biet' ich reichlich dir.

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann [1829-1879]
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 115)

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Lied

Die Jugend liebt und schwöret Treu'
Der Lieb' bis an den Tod;
Sie denkt nicht, daß die Zeit entflieht,
Daß Liebe je verloht.

Das Heut vergeht, der Morgen kommt,
Jed' Unkraut ist noch da;
Doch ach, kein Morgen sieht ein Herz,
Wie er es gestern sah!

So weint nicht mehr, wenn Lieb' entfleucht!
Sogar der Haß zerstiebt -
Da jedes Herz, das heute haßt,
Schon morgen wieder liebt.

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann [1829-1879]
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 115-116)

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"Für Herzen, die sich lieben"

Für Herzen, die sich lieben, giebt
Es Sünde nicht und Schuld;
Des niedern Staubes Macht zerstiebt
Vor ihrer Liebe Huld.

Sie sind Gesetz sich selber nur,
Fremd jeder andern Pflicht;
Das Wahngesetz der Erdenflur
Bezwingt, erschreckt sie nicht.

Drum sagt mir nimmer: "Liebe beugt
Sich eitler Mächte Wort" -
Denn jeden Fehl des Liebsten scheucht
Der Liebe Lächeln fort!

Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann [1829-1879]
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 117)

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Am Strande

1.
Du las'st am Strand 'ne Muschel auf,
Bekränzt mit moos'ger Zier:
"Die Muschel wird dir, wenn ich schied,
Noch flüstern stets von mir."
Ich küßt' am Strand die weiße Hand -
So freundlich warst du mir!

Die Muschel halt' ich an mein Ohr,
Sie murmelt dumpf und schwer:
Vom Meer wohl flüstert sie zu mir,
Doch, ach, von dir nicht mehr.
Ich schreit' am Strand und ball' die Hand -
Du bist mir freund nicht mehr!


2.
Drunten am Ende der dunklen Stadt
- Jahre, Jahre sind's her -
Saß ich mit der Liebsten am Uferhang
Und blickte hinaus in das Meer.

Der Mond stieg auf am Himmel zur Nacht,
Glänzend so bleich und hehr;
Wir küßten uns, und schwuren uns Treu' -
Doch Das sind Jahre her!

Nun wieder trüb in der dunklen Stadt
Wandle ich hin und her -
Doch ich sitze nicht mehr am verlaßnen Strand
Und blicke hinaus in das Meer.


Aus: Amerikanische Anthologie
Deutsch von Adolf Strodtmann [1829-1879]
Hildburghausen Verlag des Bibliographischen Instituts 1870 (S. 117-118)

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Serenade

Der Mond ist wolkennachtumhüllt,
Der Liebe Sternbild schwand,
Doch tönt die sanfte Guitarre süss,
Gespielt von liebender Hand.

O holde Dame, wenn du wachst,
Du Schönste im weiten Land,
So öffne das blumige Gitter du
Und winke mit schneeiger Hand.

Sie hört mich nicht; ein tiefer Schlaf
Die Seele fest umwand;
Doch oft den Schlüssel zum Herzensschrein
Musik, die göttliche, fand.

So ruhe sanft, und wenn mein Sang
Nicht löst des Schlummers Band,
So fliesst mein Lied in ihren Traum:
Mein Traumbild vor ihr stand.


Übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: England und Amerika
Fünf Bücher englischer u. amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen Notizen
und einer Einleitung: Ueber Geist und Entwicklung der englischen Poesie
von Julius Hart / Minden i. W. J. C. C. Bruns' Verlag 1885 (S. 414-415)

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