Europäische Liebeslyrik
(inklusive nordamerikanische Liebeslyrik)

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Bayard Taylor (1825-1878)
nordamerikanischer Dichter



Beduinenlied

Aus der Wüste komm ich zu dir,
Meines Hengstes Hufen sprühn,
In meines Verlangens Flug
Die Winde hinter mich fliehn.
Unter deinem Fenster ich steh'
Und die Mittnacht hört mein Gebet:
Ich liebe dich, liebe nur dich
Mit Liebe, die nimmer vergeht,
Bis die Sonne kalt
Und die Sterne alt
Und das Buch des Gerichtes sich öffnet bald.

Blick aus dem Fenster und sieh
Meine Leidenschaft und Pein,
Hier unten lieg' ich im Sand
Und verschmachte, weil Du nicht mein.
Im Winde berühr' deine Stirn
Meines Seufzers schmelzende Gluth -
O schmilz und lausche dem Schwur
Einer Liebe, die nimmer ruht,
Bis die Sonne kalt
Und die Sterne alt
Und das Buch des Gerichtes sich öffnet bald.

Meine Schritte umirren bei Nacht,
Ein Fieber treibt mich fort,
Bis aus dem Gitter du hauchst
Das einzig heilende Wort.
O öffne das Thor deiner Brust,
O öffne dein Kammerthor,
Deinen Lippen soll lehren mein Kuß
Die Liebe, die ich Dir schwor,
Bis die Sonne kalt
Und die Sterne alt
Und das Buch des Gerichtes sich öffnet bald.
(S. 26-27)
_____



Der Araber an die Palme

Nächst dir, o meine Bedowiemaid,
Du schöne Gazell', meiner Augen Freud',

Nächst dir, mein milchweiß Nedchidroß,
Das schnell mich trägt in der Liebsten Schooß,

Nächst Euch Beiden die Palme liebt mein Gemüth,
Mit den Blättern voll Schönheit, der Balsamblüth' -

Nächst Euch Beiden lieb' ich den Baum,
Der uns drei umhüllt, bis wir sichtbar kaum,
Mit süß geheimem Liebestraum!

Unser Stamm ist groß, unsre Dichter sieht
Man geehrt in der Dichter erstem Glied,
Doch Keiner weiß vom Palmbaum mein Lied.

Das Minaret, das besetzt als Juwel
Kairos Diadem: Seine Citadell,
Ist nicht, wie sein schlanker Stamm, so hell.

Er hebt seine Blätter im Sonnenglanz,
Wie die Almeh erhebt ihre Arme im Tanz.

Eine schläfrige Regung, geheime Gluth,
Wie Wein, gährt in seiner Zellen Blut.

Voll von Leidenschaft, Sorge und Pein
Träumt er: Wo mag meine Liebste sein?

Und wenn der warme Chamsin beginnt,
Vertraut er sehnende Seufzer dem Wind.

Balsamküsse, befruchtenden Duft, -
Der erkornen Palme bringt sie die Luft.

Es knistert der Sand, und die Sonne sticht heiß -
Doch sein brünstiger Hauch zu erreichen sie weiß.

O Liebesbaum, durch die Liebe dein
Lehre mich sänftigen die Liebe mein.

Das Geheimniß der Sonne du mir gieb,
Wodurch man erwirbt der Umworbenen Lieb'.

O stattlicher Baum, wenn ein König ich wär',
In meinem Pallasthof stellt' ich her
Von dir ein Abbild schön und hehr.

Mit silbernem Schaft, der geglättert glüht,
Und Blättern von Beryl und Malachit,

Mit goldenen Halmen, und von Topas
Seien die Früchte und Chrysopras.

Dann sollten die Dichter deine Pracht
Verherrlichen bei Tag und Nacht.

Wetteifern sollten sie im Preis -
Doch Keiner mein Lied von der Palme weiß.
(S. 38-40)
_____



Lied

Egyptens Maid, verhüll' dein Aug',
Sein Licht bringt mir Gefahr,
Damit ich nicht zu opfern brauch',
An wilder Lust Altar!

Denn Flammen sind's, die scheun den Tag,
Und ihr unheiliger Glanz
Wird nur genährt von Wesen, ach!
In Nacht versunken ganz.

Der Schönheit und der Sünde Stern
Strahlt in der Finsterniß,
Dem Irrlicht gleich, das Schiffer gern
Zum Strudel lockend riss'.

Verhüll' ihr Licht, damit ich nicht
Versinke ganz und gar
Und schwarzen Wogen gleich umflicht
Den Scheiternden dein Haar! -
(S. 43)
_____



Trunkspruch an Hafiz

Füllt den Kelch mit Schiraswein,
Rosen um die Schläfen schlingt,
Füllt den Kelch mit Schiraswein,
Diesen Trank dem Hafiz bringt!
Mit der Sommergluth allein,
Die in Rose glüht und Wein,
Mit so sanftem Purpurblinken
Ziemt es sich auf ihn zu trinken.

Seiner Verse leichter Gang
Athmet Schönheit, Liebe, Sang.
Seiner Adern kecke Fluth -
Das war Wein, das war nicht Blut.
Jedes Lied, das er gemacht,
War im Hirne nicht erdacht -
Nein, als Rosenblatt fiel's lose
Von seines Herzens voller Rose.
(S. 44)
_____



Fragen

Wie in dem Nest die Taube, brütet
Nur ein Gedank' im Herzen mein,
Ein süßer Zweifel überkömmt mich -
Kann's Liebe sein?

Ich seh', ich hör' Sie täglich, nächtlich,
Mein Traum mir spricht von Ihr allein,
Stets zieht mich näher Ihr ein Zauber -
Kann's Liebe sein?

Ist's Leidenschaft, durch Schmerz gereinigt,
Ist's Liebe, durch Vernunft genährt,
In kältrer Form die alte Unruh'
Zurückgekehrt?

Zu Ihr als Hafen strömt mein Leben -
Kann ich des Eiland's Uferbank,
Wo ihre Liebe blüht, erreichen
In Sehnsuchtsdrang!

Wird einer Stimme, die so schüchtern,
Verschließen sie ihr scheues Herz,
Ob auch in mir erwacht der Trennung
Endloser Schmerz? -

Ich athme Frieden, wenn Sie nahe,
Doch ist Sie fern, schein' ich verwaist.
Mein Geist gefiehlt, daß stets Sie weile -
Gehorcht Ihr Geist?
(S. 67-68)
_____



Wenn Liebe käm' auf's neu

Wenn Liebe käm' auf's neu, frag' ich mein Herz
Mit ahnungsvoller Furcht, geheimer Reu',
Wirst du nicht fühlen mehr den alten Schmerz,
Wenn Liebe käm' auf's neu?

Kannst das Gemach du öffnen, wo zur Rast
Umsonst du einst geladen sie so treu,
Und nicht verlegen grüßen deinen Gast,
Wenn Liebe käm' auf's neu?

Wird wiederkennen ihr Gemach sie heut,
Und dort, daß Alles mir vergeben sei,
Umwenden Bilder der Vergangenheit,
Wenn Liebe käm' auf's neu?

Aus todten Kratern rothe Blume springt
Statt rother Lava - ob ein neuer Mai
Mir so auch frischen Lebenssegen bringt,
Wenn Liebe käm' auf's neu?

Wird bergen das Geschick sein grausam Schwert,
(Damit ich nun besitze voll und frei,)
Das meinen Jugendengel mir versehrt -
Wenn Liebe käm' auf's neu?

Mein Herz antwortet nicht und flüstert nach
Die Frage nur, als ob sich's ihrer freu' -
Halb liegt ein Wunsch in diesem Seufzer: "Ach,
Wenn Liebe käm' auf's neu!"
(S. 69-70)
_____



Der verlorne Mai

Wenn, Primeln in den Locken, durch das Land
Der Mai im grünen Prunkgewande schwebt
Und Phlox, gleich einer Fackel rothem Brand,
Im hohen Gras sich hebt -

Wenn Knospen springen farbenreich und hold
Aus ihrer Silberscheide grau und bunt,
In tiefen Wald, indeß sich rings entrollt
Der Thäler Blumengrund -

Wenn neue Federn, neue Nadeln bot
Der Mai dem Schierling und dem Tannenhain,
Wenn Almehs gleich im Turban gelb und roth
Die Tulpen stehn in Reih'n -

Wenn wild Azaleen am Hügel stehn
Und das Fünffingerkraut am Ackersaum,
Wenn Winde durch der Halmen Wogen wehn,
Sie blähend wie zu Schaum. -

Dann zur Vergangenheit den Blick ich wend'
Zu meines Lebens schönstem Maienblühn,
Wo mein Gedächtniß hell're Blüthen kennt
Und höh'rer Wälder Grün.

Zu jenem einz'gen Mai, wo honigsüß
Und thauigfisch mein Herz zuerst geblüht,
Wo alle Wolken mir von hinnen blies
Ein Zephir im Gemüth.

Wo Jene, deren sanftgehauchter Nam'
Aussprach des Monats Melodie für mich,
In eingestand'ner Liebe keuscher Scham
An meine Seite schlich.

Zu unsern Häupten der Kastanienbaum,
Der knospende, sein Schatten über'm Gras,
Die blauen Blümlein an des Baches Saum, -
Dies Bild ich nie vergaß.

Es war die alte Mähr von Knab' und Maid,
Die stets erneut, nie ihren Reiz verlor,
Wenn Beiden sich erschließ das Thor der Freud',
Des Paradieses Thor.
(S. 71-72)
_____



Herbstträume

Wenn sich Sassafras und Ahorn
Schmückt in Gold und Carmosin,
Wenn der Enzian und die Aster
So in Feld als Wiese blühn,
Wenn die Nächte kalt und frostig
Und am Mittag Nebel ziehn;

Wenn Kastanienschaalen bersten,
Eichel rings den Boden deckt,
Wenn vom Dreschen auf der Tenne
Rings die müde Lust geweckt,
Aufgeweckt vom Rebhuhnschlage
Und vom Wachtelpfiff geneckt -

Wandre ich durch bunte Blätter,
Durch des Jahr's Juwelen, hin;
Von dem gelben Hochland rufend
Sie, die theuer meinem Sinn.
Sie ist nahe mir im Herbste,
Wenn auch ich ihr ferne bin.

Durch den Rauch des heißen Sommers,
Wenn der müde Wind verhallt,
Kann ich sehen sie im Thale,
Hören in der Bergeshald' -
In des Baches süßem Wispern
Und im sonnbestrahlten Wald.

Denn es mischen dort im Blauen
Sich der Erd'- und Himmelsstrand:
Dort kann sie vom Himmel steigen
Zu den Plätzen, ihr bekannt,
Wo wir selig einst gewandelt,
Wo sich treue Liebe fand.

So bei holden Tagen denk' ich,
Wenn die Welt rings schön und klar:
Plötzlich wird, mich überraschend,
Sie vom Himmel schweben gar;
Mit dem Kreuz auf ihrem Busen
Und die Amaranth im Haar.

Einmal sie zu treffen, einmal
Festzuhalten meine Maid,
Wechselseitig uns beglückend,
Als Entgelt für langes Leid! -
Wann wirst du dem Sommer weichen,
Trüber Herbst: Vergangenheit? -
(S. 76-78)
_____



Ein Weib

Sie ist ein Weib, ich aber bin ein Mann
Und dies beweist, daß ich sie lieben muß,
So viel ein Mann vermag. Zusammenrann
Sich mischend unser Wesen, wie ein Fluß,
Der heiter stets im Bett des Lebens ruht,
Nie überschäumend mit empörter Fluth.

Sie ist ein Weib, doch stark ihr Geist und brav;
Nicht hohle Mädchenträume sie beweint.
Die Herrin wohl, nicht der ergebne Sclav
Von ihrem Ideal; verschmäht, was scheint,
Für das, was ist. Illusion vergeht,
Doch wahre Liebe Alles übersteht.

Sie schaut durch's Leben und gerecht sie wägt
Menschen und Dinge ab, drum manch Fragment
Zerstörter Sterne sie zu finden pflegt
In des gemeinen Staubes Element.
Ihr Frauenstolz zurück Gemeines schreckt,
Kein Staub die reine Sohle ihr befleckt.

Und ihrer holden Augen steter Schein
Falschheit erräth und Eitelkeit verlacht -
Da ist nicht Raum für Eifersüchtelein,
Wo Treu und Liebe herrscht mit zarter Macht.
Jedes Geschlechtes bessrer Theil ihr ward:
Des Mannes Ernst, des Weibes zarte Art.

Sie ist ein Weib. Wär' Liebe Führerin -
Bescheiden stiege sie zum Thron empor,
Doch nähm' auch Armuth mit zufriednem Sinn
Ein Stab im Sturm, im Sonnenschein ein Rohr.
Kein hübsches Spielzeug für den Zeitvertreib,
Mutter des Manns und ebenbürtig Weib.
(S. 83-84)
_____



Vor der Hochzeit

Lange Nacht entschwindet jetzt
Und durch Nebel wird es licht,
In mein ödes Sein zuletzt
Helle Morgenröthe bricht.

Tag der Sühne für das Leid,
Das mein Leben lang vergällt;
Tag des Sanges, Tag der Freud',
Der die Zukunft mir erhellt!

Heut erwachend, jede Pein,
Jede Furcht mein Herz vergißt,
Was ich heiß erfleht, ist mein,
Was mir fern war, nahe ist.

Glückesstunde meiner harrt,
Keines Vorwurfs Schatten drohn.
Daß mir jetzt Vergebung ward,
Kündet mir der Glocke Ton.

Alte Lieder, seid nun stumm!
Süßer quillt des Sanges Bronn':
Blüthen tausch' für Früchte um,
Regenbogen für die Sonn'.
(S. 85-86)
_____



Die Familie

Mein Lieb, welch ein Geschick
Die Zukunft uns auch giebt,
Nichts trübt das innre Glück
Bei dem, der wahrhaft liebt.
Ob Wolke sich auch ballt,
Der Sturm nur leis und lind
Voll Scheu vorüberwallt
An Gatte, Weib und Kind.

Die Träume unerreicht,
Und Schwüre, die nur Luft,
Hoffnungen, die erbleicht,
Die Lieben in der Gruft,
Vergangner Zeit Verrath -
All' ausgeglichen sind:
Des Lebens Glorie naht
Nun Vater, Mutter, Kind.

Der Zeit zu trotzen so,
Verknüpft mit Hand und Herz;
Und stets zu theilen froh
Die Thränen und den Schmerz!
Die Sehnsucht ist gestillt,
Wer harret, der gewinnt.
Nun ist mein Traum erfüllt
In Gatte, Weib und Kind,
In Vater, Mutter, Kind.
(S. 93-94)
_____



Antrag

Die Primel liebt die grüne Au,
Das Veilchen liebt den Uferstrich,
Schlingpflanze liebt die Ulme wohl -
Ich liebe dich!

Der Sonnenschein küßt Berg und Thal,
Das Meer vom Mond läßt küssen sich,
Der Westwind küßt den Blütheklee -
Ich küsse dich.

Die Lilie ist der Biene Braut,
Der Pirol freit sein Weibchen sich,
Des Himmels Ring umschmiegt die Erd' -
Ich freie dich.
(S. 119)
_____



Ein Phantom

Im trauten Haus im alten Sessel
Sitz' wieder ich allein -
Und auf dem Teppich schnell sich jagen
Schatten und Sonnenschein.

Doch tiefer hängt den Ast die Weide,
Als ich es früher sah,
Auch blüht die Heckenrose dichter,
Die meinem Fenster nah.

Die Sonne möchten sie verdrängen
Aus dem Gemach sogleich -
Und Finsterniß und Schweigen wollen
Aufschlagen dort ihr Reich.

Und der Erinnerung Gestalten
Gehn dort im Thorweg um,
Und ihre Stimme weckt die Stimme
Von Einer, die nun stumm.

Sie singen froh wie immer Lieder,
Die sie einst sang vorher,
Sie flechten Rosen sich zu Kränzen,
Die sie geliebt so sehr.

Und ihres Tritts im Flure wieder
Ich mich erinnern muß,
Ihr süß Erröthen in der Thüre,
Den scheuen Mädchengruß.

Und, nicht gedenkend meiner Sorge,
Vergessend meine Pein,
Denk' ich: Sie schied erst neulich von mir,
Und wird bald wieder mein. -

Sie steht vielleicht ein Veilchen draußen,
Glättend ihr schwarzbraun Haar;
Ich hör' das Rauschen ihrer Kleider,
Den leichten Schritt sogar. -

O, Herz, dein stürmisch Klopfen hemme,
Damit kein Fremder sieht,
Wie in der Farbe des Entzückens
Jetzt meine Wange glüht! -

Sie zögert lang. Doch dort ein Wispern
Hinter der offenen Thür,
Und durch den Sonnenschimmer gleitend
Im Flur ein Schatten hier!

Ach! Nur der Fichte Wispern ruft mich,
Das Weinlaub Schatten streut:
Und mein geduldig Herz muß warten,
Sie kommt wohl noch nicht heut.

Doch es erkrankt von stetem Harren,
Wie manche Zeit vorher:
Ihr Fuß weilt immer auf der Schwelle,
Doch eilt nie drüber her.
(S. 131-133)
_____



Anastasia

Nie möge deine Wange sein
Der Liebe Rose! Nie ein Kuß
Entweihe deinen Mund! - Zu rein
Bist du für Träume von Genuß.
Dein Auge stammt aus Himmelshöh'n
Dein Leib aus reinerm Erdenthon. -
Und Paradieseslüfte wehn
Vor dir hinweg die Nebel schon.

Zieh', Engel, lichtre Pfade hin,
Den Lilienkranz im Sonnenhaar -
Ich krön' als meine Königin
Dich nicht, noch biete Liebe dar.
Denn dem folgt Liebe, dessen Fuß
Leicht wie ein Blatt durchstreift die Flur,
Dein bleiches Antlitz mahnen muß
An kaltes Grabeslinnen nur.
(S. 134)
_____



Fantasie

Was bläsest du, o Mädchen
Des Waldes, laut und lang?
Laß nun dein Horn verstummen,
Deine Stimme erneue den Sang!

Ich kann nichts thun, als lauschen
Und ewig dorthin schau'n,
Wo deine Augen schweifen
Ueber die Waldesau'n.

Wie der Himmel voll vom Morgen,
Ist mein Herz der Freude voll,
Deinem Silberhorn zu lauschen,
Dem der Zauberton entquoll.

Laß das Echo einmal ruhen
Und erklären deinen Mund,
Ob du stammst von Erd' oder Himmel
Oder vom Meeresgrund?

Laß meinen Mund dich küssen,
Meine Hand dich zu mir ziehn,
Denn ich muß, ich muß dich lieben
Und Liebe ist immer kühn. -

Sie floh, da ich sie suchte,
Doch blies im Fliehen fort
Und über's Wasser mir sandte
Das Horn dies Zauberwort:

"Ich blase die Zauberklänge,
Du lauschest, weil du mußt,
Denn dein Leben ruht in den Tönen
Und zu lauschen ist deine Lust.

Nie will ich aufhören zu blasen,
So brünstig Du Liebe begehrst,
Nimmer mit brennenden Küssen
Mein Goldhaar du versehrst.

Deine Augen ließe erlöschen
Ein Kuß von meinem Mund,
Und das Horn, das wird erst schweigen,
In deiner Todesstund'."
(S. 138-139)
_____



Lied

"Wie falsch und flüchtig, doch wie hold!"
Wer dich gesehen, ruft.
"So wechselnd, wie die Woge rollt,
Und schmeichelnd, wie die Luft."

Ich aber schau mit andrem Aug'
Auf dich aus weiter Fern:
Du scheinst mir rein, wie Himmelshauch,
Und standhaft, wie ein Stern.

Du, Seltne, bist geboren, um
Zu herrschen stolz allein,
Und leicht darfst du verachten drum
Die Herzen, welche dein.

Du träumst von andrer Liebe, die
Nur solchen blüht, wie du,
Die ihre überflieget sie,
Ein Aar in kalter Ruh'.

Du Stern wohl wechselst deine Pracht,
Doch sinkst du nie ins Nichts,
Du schüttelst durch die finstre Nacht
Die Fülle deines Lichts.

Die Rose blüht für alle Welt,
Nie ihren Duft sie spart,
Doch jungfräulichste Süße hält
Sie tief im Kelch bewahrt.
(S. 140-141)
_____



Lied

Von des Oceans Busen dich such' ich,
Meiner Seele Lampe, so fern,
Wie der Seemann verschlagen in Nächten
Schaut auf zum leitenden Stern.
Und wenn auf dem mondhellen Wasser
Der Geist der Einsamkeit ruht,
Liegt friedlich im Licht deiner Schönheit
Mein Geist wie beruhigte Fluth.

Wenn die Pfeile des Sonnenaufgangs
Färben der Wogen Revier,
Gehst du auf überm Meer meiner Träume,
Jed' Gefühl ist ein Abglanz von dir.
Und wenn zur Wasserwüste
Vom weichenden Strande ich kehr',
Weilt deiner Schönheit Zauber
Noch mehr überm schweigenden Meer.
(S. 146)
_____



Lied

Die wilde Rose stets ich trug,
Die ich dir einst gepflückt,
Hielt an mein Herz, das feurig schlug,
Ihre Seidenwang' gedrückt.
Weit süßer war ihr Waldesduft,
Als Gartenrosen sind,
Als alle Blumen in der Luft, -
Die du mir gabst, mein Kind.

Statt Lippen, die mir doch nicht nah,
Küßt' ich der Rose Mund,
Denn meine Lieb' erblühte ja
Mit ihr zur selben Stund'.
Mir ist die Rose welk und bleich
Die schönste, die ich schaut',
Bis die gepflückt, die knospenreich
Mir schmücken soll die Braut.
(S. 147)
_____



Improvisationen

1.
Durch die einsamen Hallen der Nacht
Fliegt mein Leid zu dir,
Durch die öden Hallen der Nacht
Meine Liebe schreit zu dir.
Botschaften bringen die Sterne
Von Liebe, die sehnend wacht,
Auch meine tragen sie gerne
Durch die einsamen Hallen der Nacht.

In des Morgens Thor von Gold
Erscheinst du neu auch mir,
In des Morgens Thor von Gold,
Sag', bist du treu auch mir?
Wenn Träume schrecken dich
Von dem Fernen, dem du hold,
Laß Liebe wecken dich
In des Morgens Thor von Gold.
(S. 212)


2.
Zwo Rosen sind deine Wangen,
Dein Auge wärmer, denn Wein -
Nimmst Herzen im Netze gefangen
Der Locken von goldigem Schein.
Auch meines? Nein!

Ueberredung sind deine Küsse,
Dein Busen ein schlafende Meer,
Deine Stimme weicht aus, die süße,
Doch zieht uns so noch näh'r. -
Doch ich mich wehr'.

Die Leidenschaften erregst du,
Wie der Mond anzieht die Fluth,
Gern Herzenswunden schlägst du,
Wie ein Häuptling lechzt nach Blut.
Doch ich bin auf der Hut.
(S. 213)



3.
Ein Grasblatt mir als Lanze dient,
Ein Rosenblatt als Schild,
Auf jedem Strahl des Lichts zumal
Ich reite in's Gefild.

Der Morgen schenkt ein goldne Roß,
Der Mond von Silber eins -
Den Helm als Kranz mir krönt der Glanz
Des süßen Sternenschein.

In Erz und Stahl berennt die Schaar
Der Feinde mich nun schnell -
Die Lanze sticht, der Schild zerbricht,
Drommeten schmettern hell.

Nur ein Berühren und der Schwarm
Zerstiebt nun wirr und wild.
D'rauf los ich reit', die Welt ist weit,
Ein Rosenblatt mein Schild.

Der Regenbogen im Triumph
Tanzt über'm Fall geschwind -
Masliebchen singt, die Glocke klingt
Der Lielie im Wind.

So bin bewehrt ich überall,
Beritten Tag und Nacht,
Wer beugt sich nicht dem Sonnenlicht,
Der Rose Liebesmacht?
(S. 213-214)



4.
Ich kenn' eine Lichtung
Im dunkeln Wald,
Geheimen Schatten
Auf blumiger Hald'.

Weinranken als Vorhang,
Blüthen als Flur.
Stimmen der Wasser
Singen dort nur.

Wirft die sinkende Sonne
Den güldnen Speer.
Schießt silberne Pfeile
Der Mond umher -

Führe ein Engel
Dich her zu mir -
Liebe verkläre
Die Einsamkeit hier!

Was wir dort sprechen
Kein Lüftchen gesteht -
Unser Geheimniß
Kein Wasser verräth.

Schweigen und Schatten
Regiere nachher -
Doch das Vergang'ne
Kehrt wieder nie mehr.
(S. 215-216)



5.
Der Stern des Morgens sprüht nun,
Der Busen der Dämmerung glüht nun,
Der Thau ist gestreut
Und die Blüthen erneut,
Mein Lieb, zu erfreun dein Gemüth nun.

Ich erhob mich vor dir schon lange,
Daß der Zauber des Tags dich umfange,
Meine Liebe Glanz
Ueberströme dich ganz,
Wie der Morgen küßt deine Wange!

Jeder dunkle Traum dich verlasse,
Deines Daseins Segen dich fasse,
Nun erwecke dich
Der Gedanke an mich,
Und die Sonne vor dir erblasse!

Die Welt erwacht und zollt nun
Dir Lob - komm mild und hold nun!
Masliebchens Kuß
Berührt deinen Fuß
Und dein Haar der Sonne Gold nun.
(S. 216-217)



6.
Höher schätz' ich die Gabe heut
Deiner Liebe und Tugend,
Schöner bist du in Alter und Leid,
Als in der Wonne der Jugend.

Höh're Lust, als Jugend bescheert,
Tag und Nacht verklärt nun,
Denn deine Gegenwart, einst so werth,
Ist mir doppelt werth nun.

Jugendhaft oft missen muß
Die besten Genüsse,
Süßer, als verstohlner Kuß
Sind gewährte Küsse.

Zarter, als das hohe Lied
Der erhörten Liebe
Ist die Furcht, die immer mied,
Was die Eintracht trübe.

Die durch Jugend lieb nur war,
Lieben wir immer kälter:
Du bist mein so manch ein Jahr,
Je lieber, je älter.
(S. 217-218)
_____

übersetzt von von Karl Bleibtreu (1859-1928)

Aus: Gedichte von Bayard Taylor
Mit Bewilligung des Verfassers übersetzt
von Karl Bleibtreu
Berlin Verlag von L. Schleiermacher 1879


 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite