Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Der Frühling - Wandmalerei aus Stabiae

 


Albius Tibullus (Tibull) (54-19 v. Chr.)
römischer Dichter




Liebes-Episteln
 

Anmerkung: Cerinthus, ein reicher Jüngling von griechischer Herkunft, gewann Tibulls Freundschaft, und die Liebe der schönen Sulpicia, die, aus einer der vornehmsten Familien Roms gebürtig, näheren Umgang mit Messala und Tibull hatte. Gesetzliche Vereinigung war der Wunsch beider Liebenden. Ob aber die Eltern der Sulpicia einwilligen würden, schien zweifelhaft, weil dem Cerithinus bei aller Liebenswürdigkeit der Adel römischer Geburt fehlte. Die reizenden Verhältnisse der keuschen Liebe, von geheimer Vertraulichkeit bis nach der Verlobung, sind in den meisten der folgenden Gedichte, den zartesten der römischen Kamöne, dargestellt. Ihnen gab der Dichter die Form flüchtiger Briefchen von sich selbst und den Liebenden, indem er zu den Episteln der Sulpicia den Stoff aus ihren dem Cerinthus gesandten Täflein nahm.



I.

Cerinthus an Sulpicia

Zum ersten Merz


Schön dir geschmückt, feirt heute Sulpicia deine Kalenden,

Mavors; hast du Gefühl, eile vom Himmel zu schaun.

Dies wird Venus verzeihn. Nur sei, o du Heftiger, wachsam,

Dass dir staunenden nicht schmählich entfalle die Wehr.

Ihr an den stralenden Augen, wenn glühn soll einer der Götter,

Zündet die Fackeln beid' Amor, das mutige Kind.

Was auch jene betreibt, wohin sie den Fuss auch beweget,

Immer ordnet geheim, immer ihr folget der Reiz.

Kommt sie, die Haare gelöst, wohl stehn ihr die schwebenden Ringel;

Kommt sie gelockt, Ehrsucht fodert die lockige Pracht.

Ach sie entflammt, ob sie wollt' in tyrischem Mantel hervorgehn;

Ach sie entflammt, ob sie hell schimmert im weissen Gewand.

So in der ewigen Burg der Olympier schaft sich Vertumnus

Tausend Hüllen zum Schmuck; tausend umhüllen ihn wohl.

Sie allein vor den Mädchen verdient weichwollige Vliesse,

Die mit köstlichem Saft Tyros ihr zweimal getränkt;

Sie allein, was irgend Arabia's reicher Besteller

Auf wohlriechender Flur würziger Saaten gewinnt;

Und welch edles Gestein am röthlichem Strande der dunkle

Indier nahe bei Sols östlichen Rossen sich liest.

Sie, o Musen, besingt am fröhlichen Tag der Kalenden;

Mit schildpattenem Spiel prangender Phöbus, auch du:

Dass sie das jährige Fest viel kommende Jahre geniesse!

Nie war eueres Chors würdiger irgend ein Weib.
(S. 265-267)

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II.

Sulpicia an Cerinthus

als dieser auf der Jagd war


Schone mir meinen Cerinth, ob du üppige Weiden des Blachfelds,

Ob du des Schattengebirgs Wilderung, Eber, bewohnst.

Nicht sei bemüht, so zu wezen die trozigen Hauer zum Angrif;

Ganz unbeschädiget bring' Amor, sein Hüter, ihn heim!

Doch fern führt ihn Diana hinweg durch eifrige Jagdlust!

Ha, es verderbe der Forst! schwinde der Hunde Geschlecht!

Welch ein Gedanke der Wut, dichtbuschige Thale mit Fanggarn

Schliessend, verlezen sich selbst wollen die zärtliche Hand?

Was denn für Lust, einschleichen zur Schluft des gelagerten Wildes,

Und sich das schimmernde Bein röthen am Stachelgewächs?

Dennoch, werde mit dir nur vergönnt zu schwärmen, Cerinthus,

Selbst, die Gebirge hindurch, trag' ich das maschige Nez;

Selbst auch forsch' ich die Spuren des leichtgeschenkelten Hirsches,

Und aus dem eisernen Ring send' ich den Bracken zum Lauf!

Dann sei, dann mir erwünscht das Gehölz; und treffe der Hohn mich,

Dass ich, mein Trauter, mit dir selbst an dem Garne geruht!

Dann mag gern er kommen zum Nez, ungefährdet entrinnt er,

Störe der Eber nur nicht feuriger Liebe Genuss.

Ohne mich sei Venus entfernt; nach Delia's Ordnung

Rühre mit züchtiger Hand, züchtiger Knabe, da Nez.

Oder wo irgend ein Mädchen in unsere Liebe sich einschleicht,

Grausam stürme daher, sie zu zerreissen, ein Wild.

Aber o du, lass jagen, so lang' ihn lüstet, den Vater;

Eilig kehre du selbst mir an den Busen zurück!
(S. 272-274)

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III.

Tibull an Cerinthus

als Sulpicia krank war


Komm hieher, und vertreib dem zärtlichen Mädchen die Krankheit,

Komm doch, Phöbus, im Stolz nimmer geschorenes Haars!

Glaube mir, flügle den Fuss! nicht soll dichs reuen, o Phöbus,

Wenn du der Holdesten nun heilende Hände gereicht.

Schaffe, dass nicht Anzehrung verblühende Glieder beschleiche,

Noch ein entstellendes Blass zeichne die Schimmergestalt.

Was auch des Übelen sei, und was wir auch trauriges fürchten,

Alles entführe des Stroms reissende Flut in das Meer.

Heiliger, komm, und bringe mit dir wohlthätigen Balsam,

Bringe Gesang, der hinschmachtende Leiber erquickt.

Nicht doch quäle den Jüngling, der zagt um das Schicksal des Mägdleins,

Und zahllose Gelübd' ach! für die Herscherin weiht.

Jezo gelobt er, und jezo, dass kraftlos jene dahinsank,

Ruft er ein herberes Wort gegen die Himmlischen aus.

Hemme die Angst, o Cerinthus: den Liebenden schadet der Gott nicht.

Standhaft liebe du nur; bald ist dein Mädchen gesund.

Nicht doch also geweint! anständiger fliessen die Thränen,

Wann sie künftig einmal finstere Laune dir zeigt.

Nun ist ganz sie die dein', und denkt, o die Lautere, dich nur

Heimlich bei sich; und umsonst harret der dünkelnde Schwarm.

Phöbus, sei hold! Hoch wird sich der Ruhm dir schwingen, in Einem

Neubelebeten Leib' habest du zweene belebt.

Bald ein Gefeierter schauest du froh, wie die schuldigen Opfer

Beid' um die Wette mit Dank froh den Altären sie weihn.

Dich dann preist glückselig die Schaar mildherziger Götter;

Und die beneidete Kunst wünschet ein jeder sich auch.
(S. 278-280)

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IV.

Sulpicia an Cerinthus

zu dessen Geburtstage


Dieser Tag, o Cerinthus, der dich mir schenkte, geheiligt

Sei er mir stets, und geehrt unter den Festen des Jahrs.

Als dich die Mutter gebar, weissagten die Parcen den Mägdlein

Neuen Frohn, und verliehn dir unumschränkte Gewalt.

Doch Ich brenne vor allen; mit Lust auch brenn' ich, Cerinthus,

Wenn der meinigen gleich innige Glut dich entflammt.

Gleich sei die Lieb'! ich flehe bei deinen Augen, o Jüngling,

Bei der verstohlenen Wonn', und bei des Genius Macht!

Herlicher Gott, nim freundlich die Gab', und hold das Gelübd' an,

Wenn ja, so oft er an mich denket, das Herz ihm erglüht.

So er vielleicht jezo nach anderer Liebe sich sehnet,

Dann, o du heiliger, fleuch, bet' ich, den trüglichen Heerd!

Du auch, Cypria, halt auf Gerechtigkeit! Gleich in der Fessel

Nöthige beide zum Dienst, oder entfessele mich!

Aber vielmehr sein beid' in mächtiger Kette vereinigt,

Die zu lösen hinfort keiner der Tage vermag!

Einerlei wünscht der Jüngling mit uns, doch verschlossener wünscht er;

Denn nicht lässt ihn dies Wort öffentlich sagen die Scheu.

Auf denn, o Gott der Geburt! da du Himmlischer alles erkennest,

Segne! was macht es, er fleh' öffentlich oder geheim?
(S. 284-286)

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V.

Tibull an Sulpicia

zum Geburtstag


Juno, Geburtsgöttin, nim heilige Ehre des Weihrauchs,

Den dir mit niedlicher Hand streuet das Mädchen voll Geist!

Ganz dir lebet sie heut; dir lockte sich fröhlich das Mägdlein,

Um vor deinem Altar werth der Betrachtung zu stehn.

Zwar dich will sie dem Schmucke zum Vorwand geben, o Göttin,

Doch ist wer, dem geheim wohlzugefallen sie wünscht.

Aber, o Hehre, sei hold, dass nichts die Liebenden trenne!

Schaffe dem Jünglinge doch Bande gewechselter Treu!

So wohl füge das Paar, als ihm kein anderes Mägdlein

Werther der Gunst, noch ihr werther ist irgend ein Mann.

Mög' auch die sehnenden nie wachsam ausspähen ein Hüter;

Wege zu Teuschungen biet' Amor bei tausenden dar.

Winke geneigt, und komm, das Gewand durchscheinend des Purpurs!

Dreimal opfert sie dir Fladen, o Göttin, und Wein.

Eiferig lehrt die Mutter das Töchterchen, was sie erflehn soll:

Heimlich ein anderes wünscht jene mit stillem Gebet.

Ach sie flammt, so wie rege der Brand des Altares emporflammt;

Nie auch, könnte sie gleich, mag sie genesen der Glut.

Sei sie dem Jünglinge lieb; und erscheint der folgende Jahrstag,

Nahe der selbige schon trauliche Amor dem Flehn!
(S. 290-292)

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VI.

Sulpicia an Cerinthus

nach einer Zusammenkunft


Endlich kam mir ein Amor, so hold, dass, ihn blöde verhüllen,

Weniger, als ihn nackt zeigen, mir wäre zum Ruhm.

Ihn hat Cypria selbst, die Erhörerin meiner Kamönen,

Hergebracht, und mir sanft niedergesezt in den Schooss.

Wohl ist erfüllt, was Venus verhiess! Rüg' unsere Freuden,

Welchem man nachfragt, nicht hab' er ein Liebchen gehabt!

Niemals möcht' ich geheim etwas den versiegelten Täflein,

Dass ja keiner mich läs', eh mein Geliebter vertraun.

Nein, das Vergehen behagt! Dem Gerücht mich verstellen ist widrig!

Sage man, dass ich bei ihm, würdig des würdigen, war!
(S. 297-298)

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VII.

Sulpicia an Messala

auf Messala's Landgute


Unwillkommen erscheint der Geburtstag, der auf dem finstern

Land', und ohne Cerinth, traurige Feier mir bringt.

Was doch erfreut, wie die Stadt? Passt wohl für ein Mädchen der Landhof,

Und in Aretiums Flur Arnus, der kältende Strom?

Allzu geflissener Freund, o ruhe mir endlich, Messala!

Der du zur Unzeit oft nahest dem einsamen Gang.

Hier verlässt mich Entführte noch Mut und alle Besinnung,

Weil ja vergönnt nicht ist, eigene Herrin zu sein!
(S. 302-303)

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VIII.

Tibull an Cerinthus

als Sulpicia zurückkehren wollte


Weisst du? befreit ist das Herz von der finsteren Reise des Mägdleins!

Ihren Geburtstag gönnt uns sie in Rom zu begehn!

Werd' uns allen der Tag mit Geniuswonne gefeiert,

Der dir ganz unverhoft, siehe! so lauter erscheint.
(S. 306)

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IX.

Sulpicia an Cerinthus

als er leichtsinnig schien


Dank dir, der schon ganz unbesorgt von mir sich verheissen

Kann, nie plözlich einmal schlüpf ich bethört dir hinweg!

Wenn ein feiles Gewand, und die Mez' am lastenden Spinnkorb,

Mehr, denn Sulpicia, dich, Servius Tochter, entzückt;

Noch Theilnehmende haben auch wir, die um jene sich ärgern!

Nie dem dunkelen Bett steh' ich Gefeirteste nach!
(S. 308)

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X.

Sulpicia an Cerinthus

in der Krankheit


Hast du gewiss, Cerinthus, auch herzliche Sorg' um dein Mägdlein,

Weil den ermatteten Leib brennendes Fieber mir quält?

Auch sonst nimmer verlang' ich die traurige Qual zu besiegen,

Als wenn glauben ich darf, dir auch sei solches erwünscht!

Denn was frommte mir wohl, die Qual zu besiegen, wofern du

Mit gleichgültiger Seel' unsere Leiden erträgst?
(S. 312)

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XI.

Sulpicia an Cerinthus

sich zu entschuldigen


Sei ich dir nie, mein Trauter, hinfort ein so heisses Verlangen,

Als ich, deucht mir, noch war wenige Tage zuvor:

Wenn ich etwas verübt in der ganzen Jugend, ich Thörin!

Welches ich eingesteh' inniger nun zu bereun,

Als dass ich einsam dich am gestrigen Abend zurückliess,

Weil ich zu hehlen die Glut trachtete, die mich verzehrt.
(S. 315)

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XII.

Tibull an die Geliebte


Nie wird deiner Umarmung ein Weib mich wieder entlocken!

Gleich auf solchen Beding schloss uns die Liebe den Bund.

Ja mir gefällst du allein; und ausser dir Einzigen achtet

Nicht mein Auge für schön irgend ein Mädchen der Stadt.

Aber o möchtest auch du mir allein holdselig erscheinen!

Missfall' anderen du! So bin gesichert ich selbst!

Nicht ja des Neides bedarfs; fern sei Ruhmrede des Volkes!

Trage der Kluge für sich heimlich die Freud' in der Brust!

So auch könnt' ich beglückt in gesonderten Waldungen leben,

Wo kein menschlicher Fuss windende Steige sich trat!

Du mir Ruhe der Sorg', o du in finsterer Nacht mir

Licht, und am einsamen Ort du mir gesellige Welt!

Werd' auch vom Himmel nunmehr ein Mädchen gesandt dem Tibullus;

Fruchtlos wird sie gesandt: Cypria selber verliert!

Dir bei der heiligen Juno, die dein obwaltet, beschwör' ichs,

Welche mir einzig gross vor den Unsterblichen ist!

Halt, Unsinniger, halt! mein sicherndes Pfand ist geliefert!

Thöricht sprach ich den Schwur! Frommte doch immer die Furcht!

Nun wird steigen dein Mut, nun wirst du mich wackerer quälen!

Ach dies Wehe gebar mir der geschwäzige Mund!

Dir auf den Wink werd' alles ich thun; dein bleib' ich auf ewig;

Nimmer entlauf' ich, gewöhnt, aus der Beherscherin Dienst!

Aber an Venus Altar, der heiligen, siz' ich gefesselt:

Die straft Grausame scharf, Flehende hört sie geneigt!
(S. 320-322)

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XIII.

Tibul an sein Mädchen


Oft, so sagt das Gerede, betrit Irrwege mein Mägdlein.

O ich wünschte sogleich taubes Gehöres zu sein!

Diese Beschuldigung ward nur zu unserem Ärger erdichtet.

Was mich Armen gequält, herbes Gerede? So schweig!
(S. 325)

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Übersetzt von Johann Heinrich Voss (1751-1826)

Aus: Albius Tibullus und Lygdamus
übersetzt und erklärt von Johann Heinrich Voss
Tübingen In der J. G. Cottaschen Buchhandlung
MDCCCX [1810]



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