Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Fjodor Tjutschew (1803-1873)
russischer Dichter




Erinnerung

Noch dringen Qualen ohn' Ermatten,
Noch strebt die Seele sehnsuchtswild,
Noch schaut in der Erinn'rung Schatten
Mein Lieben nur nach deinem Bild -

Dein Bild, so unvergeßlich theuer,
Strahlt meinem Auge immerdar,
Wie mit beständig lichtem Feuer
Die Nacht durchhellt ein Stern, so klar.
(S. 16)
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Letzte Liebe

O, wie das flieh'nde ird'sche Sein
Die Liebe immer inn'ger macht -
O glänze, glänze Abschiedsschein
Du letzte Liebe, Abendröthepracht!

Den halben Himmel klimmt schon Nacht hinan -
Kaum kriecht ein Glanz noch dort im Westen.
O abendlicher Tag, halt an, halt an,
O zög're noch mit deinen Strahlenresten!

Verarmt der Ader auch das Blut,
Die Lieb' verarmt im Herzen nimmer -
O letzte, letzte Liebesgluth
O toller, hoffnungsloser Schimmer!
(S. 19)
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Thörichte Eifersucht

O ängstige mich nicht mit zu gerechtem Grollen:
Als weit beneidenswürdiger erkenn' ich dich:
Du liebst ja feurig mich mit inn'ger Treu' und ich -
Ich schau auf dich mit neid'schem eifersücht'gem Schmollen.

Vor der geträumten Welt, die ich mir zum Ergötzen
Geschaffen, steh' ich ungläub'ger Zaubrer hier
Und muß jetzt selbst erröthend mich bekennen dir
Als deiner lebensvollen Seele todten Götzen.
(S. 20)
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Nach dem Sturm

Es graut der Ost - das Schiff stöhnt leiser,
Von sanftern Winden ruhig geleitet,
Und wie ein umgestürzter Himmel
Liegt um uns her das Meer gebreitet.

Es glimmt der Ost - ich seh' den Schleier
Vom Busen leicht zurückgeschlagen,
Von ihren Lippen Andacht wehen,
Aus ihren Augen Himmel tagen.

Es glüht der Ost - sie kniet und betet,
Ihr Nacken scheint die Strahlen wieder,
Und auf die jungfräulichen Wangen
Rinnt feucht ein Feuertropfen nieder.
(S. 28)
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An der Donau

Ich denke noch der gold'nen Stunden,
Der Gegend, theuer meinem Sinn.
Wir waren zwei. Im Dunkel unten
Rauscht abendlich die Donau hin.

Und, wo die alte Burg noch leuchtet,
Vom Hügel dort aus hell'rer Höh',
Auf Trümmersteinen, moosumfeuchtet,
Stehst du noch, meine junge Fee,

Und rührst mit jugendlichem Fuße
An der Verwitterung Revier;
Es zögert mit dem Scheidegruße
Das Licht, von Berg und Burg und Dir.

Der Abend im Vorüberfliegen
Spielt leise noch mit deinem Kleid
Und von der Aeste Blüthenwiegen
Hat er die Schultern dir bestreut.

Du schaust so heiter in die Lande -
Des Tages Licht, von Dunst umringt,
Hat ausgeflammt; vom dunkeln Strande
Jetzt lauter her die Welle singt.
(S. 32)
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Abendgestalten

Die Helle sich mit Dunkel mischt,
Vom Berg fällt langer Schattenschlag,
Des Himmels letzte Wolk' erlischt -
Es kommt die Nacht, es stirbt der Tag.

Mich schreckt die Nacht nicht im Gefild,
Mich lockt nicht das verwehte Licht -
Nur du, mein süßes Zauberbild,
Vergehe meinem Auge nicht.

Umziehe mich mit deinem Flug,
Weh' Ruhe mir in's Herz hinein,
Dann soll der nächt'ge Schattentrug
Der armen Seele Himmel sein.

Wer weiß, wer und woher du bist?
Vom ird'schen, himmlischen Gebiet?
Und bist vom Aether du, so ist
In dir ein duldend Frau'ngemüth.
(S. 33)
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Ich kannt' einst Augen

Ich kannt einst Augen, welche Augen!
Gott weiß, wie liebt' ich ihren Blick.
In ihre Zaubernacht zu tauchen
War meine Seele einzig Glück.

Aus ihrem unbegriffnen Schauen,
Das durchschnitt bis zum Lebensgrund,
Drang solch' ein tiefes Schmerzensgrauen,
Ein solcher Leidensthränenschlund!

Es hauchte traurig, tief versunken
In ihrer dichten Wimper Nacht,
Heraus so matt und wollusttrunken
Der Schmerzen dunkle Schicksalsmacht.

Wenn solche Wunderblicke glommen,
Wußt ich, davon durchzittert, nie
Wie unerschüttert draus entkommen,
Wie ohne Thränen lieben sie.
(S. 52)
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Hoffnungslose Liebe

Warum magst du dich so neigen,
Weide, auf den kalten Bach,
Und mit immer durst'gen Zweigen,
Die erzitternd nach ihr reichen,
Jagen seiner Welle nach?

Wie auch deine Lippen beben,
Deine Blätter quälen sich:
Sie will immer weiter streben,
Und im goldner'n Scheine leben
Und nur lachen über dich.
(S. 60)
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An zwei Schwestern

Ich seh' dein Ich in ihr entfaltet,
Wenn ihr zusammen vor mir steht,
Den Glanz im Aug', den Klang vom Munde,
Den frischen Reiz der Morgenstunde,
Der sonst von deinem Haupt geweht!

Und wie aus einem Zauberspiegel
Wirft jede Form sich neu zurück:
Vergangner Tage Lust und Sorgen,
Der längstverschwundnen Jugend Morgen,
Und längst begrabner Liebe Glück!
(S. 64)
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Sonst und Jetzt

Mit welcher Zärtlichkeit, mit welchem Liebesbangen
War schmachtend einst Dein tiefer Blick zu ihm gewandt:
Unsäglich aufgelöst, und stumm, o stumm befangen
Wie von des Himmels Blitz gebrannt!

Und plötzlich, von der Leidenschaft erhöhtem Schäumen
Erzittertest, zerflossest Du und fielst vor ihn;
Doch zog der sorgenlosen Jugend ruh'ges Träumen
Bald über Deine Wimper hin.

Er stützte Dir das schwache Haupt in seinen Armen,
Liebkos't bestürzt Dich mehr, als eine Mutter kann -
Der Seufzer starb, der Busen konnt' erwarmen
Und ruhig ward Dein Traum fortan.

Und jetzt, - o hätt' es Dir geträumt von jenen Wunden allen,
Die für uns Beide noch die Zukunft aufbewahrt',
Du wärst erwacht vor Jammer, oder wärst gefallen
In einen Schlaf von andrer Art.
(S. 74)
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Auf der Newa

Wieder sinkt ein Stern darnieder
In der Newa Wellenbahn,
Ihr vertraut die Liebe wieder
Den geheimnißvollen Kahn.

Zwischen Wellen und dem Sterne
Fliegt er, wie im Traum, dahin;
Zwei Gestalten in die Ferne
Auf ihm durch die Fluthen ziehn.

Sind es Kinder üpp'ger Freuden,
Deren nächt'gen Tand ich seh?
Seh' ich sel'ge Schatten gleiten,
Welche flieh'n vom Erdenweh?

Du, o üpp'ge, schrankenlose
Fluth im weiten Flusseslauf,
Wahr' in deinem dunkeln Schooße
Dieses Kahns Geheimniß auf!
(S. 78)
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Übersetzt von Heinrich Noe (1835-1896)

Aus: Feodor Iwanowitsch Tjutschew's Lyrische Gedichte
In den Versmaaßen des Originals
dem Russischen nachgebildet
von Heinrich Noe
München 1861
C. A. Fleischmann'sche Buchhandlung August Rohsold



 

 


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