Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik




François Villon (1431- nach 1463)
französischer Dichter



Eine Ballade für den Hausgebrauch im Winter

Franz Villon sagt: das bin ich,
welcher groß und grade vor euch steht.
Seht, in seinen Augen spiegeln sich
alle Dinge umgedreht.

Niemand weiß, woher er kam,
mag auch niemand hier sein Bruder sein.
Als er sich den Wind zur Wohnung nahm,
und ins Bett den kalten Stein:

Hat er seine Heimat satt gehabt,
wollte lieber sein ein Waisenkind,
so zerfetzt und abgeschabt,
wie im Herbst die Bäume sind.

Wenn ich eure Huld jetzt will,
Bettelpack im Hospital,
und auch manchen Abend still
euren Wein bestahl:

Hier, im Nebel, sind wir alle gleich,
Kavalier und Schinderknecht.
Jeder raucht bekümmert bleich
seinen Tobak und verträgt ihn schlecht.

Hängt zu guteletzt noch gar
eine Larve sich in das Gesicht.
Alles, was an ihm natürlich war,
stäubt zu Asche in dem trüben Licht.

Aber Franz der sagt:
auch der Nebel tut euch nix.
Wenn der Wind den Schnee zusammenjagt,
brauen wir uns einen Glühwein fix.

Mit dem schönsten Suff im Bausch
fängt die Welt erst richtig an.
Und die Weiber sagen auch:
lieber zwei, als keinen Mann.

Wichtig ist nur, daß man nicht
früher sich verliebt,
bis der Mond sein Kußgesicht
durch das Fenster schiebt.

In des Fleisches weißer Glut
wohnt man wie gewiegt.
Jeder Mensch ist gut,
wenn ihn warm ein Fell umschmiegt.

Alle sollt ihr so verspielt noch sein
wie ein Katzenpaar.
Auch Villon, der sagt nicht nein,
hängt sich das Geziefer in sein Haar.

Immer, wenn der Schnee noch da
auf den Feldern schwimmt,
sing ich zur Harmonika;
und mein Mädchen meint: es stimmt,

was ich dann und wann
ihr geflüstert habe vor dem Schlaf,
und sogar als müder Mann
noch ins Schwarze traf.

Und bedenkt: daß keiner mehr viel Zeit
zu verlieren hat.
Manchem blieb vom Sommerkleid
kaum das Feigenblatt.

Tanzt, so lang der Atem hält,
um das goldene Kalb herum.
Später, wenns von selber in den Schoß euch fällt,
seid ihr für die Liebe viel zu krumm.

Sollt euch endlich an Villon
die verschnupfte Nase fegen
und mit seinem neusten Song
fleißig das Gebiß bewegen.

Wenn man singt, sagt Orpheus schon,
werden selbst die Steine weich
und erlösen den verlorenen Sohn
aus dem Tierbereich.

Auch Villon hat oft mit Treber nur
seinen Bauch genährt.
Doch er denkt an diese Tour
kaum zurück noch, wenn der Tag sich jährt.

Viele Höllen mußte er
noch erleben, eh die Freiheit kam.
Und sie lief nicht mehr so nebenher
als er sie in seine Arme nahm.

Mit den Jahren freilich wird das Blut
auch bei ihm so naß und kalt.
Und dann hängt er einfach seinen Hut
an den nächsten Ast im Wald.
(S. 56-59)
_____



Die Sommer-Ballade von der armen Lovize

Lovize die stand am Herd den langen Tag
und ihr Gesicht war schon ganz schwarz vom Rauch.
Und wenn sie nachts auf ihrem Strohsack lag,
da war sie müd und ausgehungert auch.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.

Und als ein Herr sie stehen sah am Herd
so schwarz vom Rauch verwandelt das Gesicht,
da war sie ihm wohl die Dukaten wert
für eine Nacht; sie aber mochte nicht.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.

Da sagte ihr der Herr, daß sie ihm bald
sein Weib möcht sein und ganz in Seide gehn.
Er hatte auch ein schönes Schloß im Wald,
da brauchte sie nicht wieder von ihm gehn.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte schöner noch als Bäume sein im Sommerwind.

Und in dem Haus da färbte ihr Gesicht
sich wie der Hauch auf einem Rosenblatt.
Und viele Wochen lang verstand sie nicht,
wozu der Herr den Mann erschaffen hat.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.

Der Sommerwind ging hin mit Kriegsgeschrei
und färbte in der Nacht den Himmel rot.
Und in der Schlacht war auch ihr Mann dabei,
sie wußte nicht wohin mit ihrer Not.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.

Im Feld lag mancher Reiter schon verweht
wie rote Blätter vom vergangnen Jahr.
In ihrem Herzen drin war kein Gebet.
Nur wie der Schnee so weiß war jetzt ihr Haar.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte schöner noch als Bäume sein im Sommerwind.

Der Sommerwind kam Jahr um Jahr zu ihr
und öfter noch die Männer, die sie rief.
In ihrem Blut, da schrie ein wildes Tier,
und in dem Herzen drin die Liebe schlief.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte lieber sein ein Baum im Sommerwind.

Und als ihr Leib so fruchtbar wie ein Baum
gesegnet war, da ging sie in den Fluß
und machte mit dem alten Sommertraum
und ihrer grauen Armut endlich Schluß.
Sie war nur armer Leute Waisenkind
und wollte nie mehr sein ein Baum im Sommerwind.
(S. 60-61)
_____



Eine Trauer-Ballade um meine treulose Freundin Cylaea

Es ist ein Trost, daß noch der Himmel grün und bleich
im Wasser liegt und Bäume um den Teich
so dicht herumgebogen sind.
Man zieht sich aus, und schmeißt das müde Fleisch
den Fischen hin. Und oben stolpert das Gekreisch
der Krähen durch den Wind.
Cylaea hatte eine Höllenangst vor jedem Tier,
sie war mein schönstes, und ihr Herz, das fand ich hier.

Ich fand es hier an einem Sommertag,
der auf dem Wasser wie ein fetter Hintern lag.
Die ganze Luft brach ein vor Fruchtbarkeit
und Franz Villon, der hatte lange schon nicht mehr
ein Weiberfell an seinem Haar gefühlt.
Man sang dazu, vom Fliederwind umkühlt,
ein Ammenlied, bis aus der Nacht der schwarze Teer
herunterfiel; da fror sie ohne Kleid.

Ich hieb ihr Zweige ab vom Fliederstrauch,
sie sagte, daß das Kind schon fertig sei im Bauch,
sie war ja selber noch nicht vierzehn Jahr;
das sah man ihr verdammt nicht an,
sie hatte bis zum Nabel oben schwarzes Haar
und, ganz versteckt darin, die Muschel für den Mann.
Es ist uns ganz egal, was ihr von unserer Liebe denkt;
fürs Kindermachen wird kein Mann gehenkt.

Nun hat den Franz das Luder doch genarrt.
Ach, ohne ihren Mund schläfts sich im Gras so hart.
Ich will jetzt mal so tun, als ob der bleiche Teich,
wenn ich die Arme durch sein Silber stoß,
sich mit der roten Mondfrau paart . . . vielleicht
wird dann mein Herz die grünen Seufzer los.
Man kommt sonst auf den Hund, und kriegt zuletzt
bei jedem Weib den Schemel vor die Tür gesetzt.

Dies ist der Nachsatz, den ich beinah verschluckt hätte

Im Sommer soll man möglichst sich vom Wind
weit durch die Wälder treiben lassen.
Es ist nicht gut, bei Weibern festen Fuß zu fassen,
ihr Herz ist wie der Schnee, der auf der Haut zerrinnt.
(S. 62-63)
_____



Eine Ballade gedichtet für Mira l'Ydolle

Am Abend standen alle Bäume grau und krank
im Wald herum, weil in dem Wiesengrund der Tag ertrank.
Du aber warfst die Kleider fort vom Leib
und hast ein weißes Licht
mir angezündet, Abendweib,
mit Wurzelhaar und Tiergesicht.
Und immer werden meine Augen hell und weit,
wenn in dem Wald der weiße Mond erscheint.

Die Bäume wuchsen in den Mai hinein
und wollten nicht mehr grau und einsam sein.
Ich aber weiß nicht, wo du weilen magst,
ich weiß nur, wie du hautnackt heiß
an meinem Munde lagst.
Und über uns der Mond zog seinen Kreis
die lange Nacht
und hat mich grau und krank gemacht.

Ich bin nach deinem roten Mund so krank,
der sich an meinem Blut betrank.
Das werd' ich manche Nacht im Wald
noch wissen . . . Du, warum kommst du nicht mehr
zurück im weißen Kleid? Bald bin ich alt
und wie die Bäume krank und leer . . .
Und könnte sein, wie einst im weißen Licht:
dein Nachtgemahl mit Wurzelhaar und Tiergesicht.
(S. 67)
_____



Eine Ballade vom Prinzen Florestan

Wenn heute nacht im Apfelbaum
die Nachtigall ihr Silber spinnt,
dann wirst du von dem langen Wintertraum
genesen sein, mein Kind.

Dann werden sie dir einen Helm
von Golde setzen auf das Haupt.
Den hab ich einem Schelm
mitsamt der Frau geraubt.

Wir haben uns nur leise angesehn,
das kleine weiße Tier und ich.
Und niemand sah uns in den Garten gehn,
sie dachten wohl noch nicht an dich.

Ich aber habe manche Nacht von dir
geträumt in meinem Aschenkrug
und war nicht dort und war nicht hier,
wenn der Minister nach mir frug.

Ich sollte nämlich einen schönen Reim
erfinden für den Tag, wenn du erscheinst.
Ich aber kroch nicht auf den Leim,
damit du nicht gleich Blut und Wasser weinst.

Ich sing dir lieber dieses Winterstück
und schick es deiner Mutter hin,
vielleicht denkt sie an unser Bett zurück
und weiß, von wem ich Vater bin.

Und zeigt dir auch das Muttermal,
das ich ihr in die Brust gebissen hab.
Und wenn der König sieht, ists euch egal
zerbricht man über mir den Stab.

Wenn dir nur bloß das rote Haar
und auch das Lachen bleibt.
Was sonst an mir noch gut und böse war,
welkt wie die Hand, wenn sie das Grablied schreibt.
(S. 68-69)
_____



Eine Ballade
von den schönen Frauen des Altertums

Nun die Bäume wieder Blüten schnein,
denk ich oft: wo mag jetzt Flora sein,
oder Thais, Salome,
auch die Nymphe, die den Bach entlang
ihrem weißen Leib die Antwort sang?
In dem roten Abendbett im Klee
all die frohen Schäferstunden:
wie der Schnee sind sie dahingeschwunden.

Manchmal denk ich auch darüber nach,
ob sie braun war oder blond, die Frau,
dran der fromme Abälard zerbrach
und ein Büßer wurde grau in grau.
Wenn die Bäume wieder Blüten schnein,
welcher Stern mag jetzt ihr Bette sein?
All die frohen Schäferstunden:
wie der Schnee sind sie dahingeschwunden.

Könnt ich sie nur einmal wiedersehn,
Blanca, oder Jeanne, die Königin,
einmal nur mit ihr durchs Kleefeld gehn,
bis ich Nimmersatt gesättigt bin!
Ach, wohin ist es entflohn das Reh,
daß ich nirgend eine Spur mehr seh;
all die frohen Schäferstunden:
wie der Schnee sind sie dahingeschwunden.

Lehrreiche Nachschrift

Wenn die Liebste nicht gleich wiederkehrt,
frag nicht, welchen Mann sie jetzt begehrt,
sonst sind all die frohen Schäferstunden
wie der Schnee vom Vorjahr hingeschwunden.
(S. 70-71)
_____



Die Ballade
von der schönen Stadt Moorah

Und als ich in die schöne Stadt rein fuhr
weil sie so lang und breit am Wasser liegt,
da tat ich gleich bei meinem Bart den Schwur:
daß mich kein Hund aus dieser Stadt raus kriegt.
Ach, sagte ich zu ihr:
ich bleibe ewig dein Geliebter hier.

Da lagen auch soviel Soldaten drin
und gingen Arm in Arm mit mancher Frau.
Ich aber sprang wohl zu dem Wasser hin
und nahm mir eine Wolke weiß und blau.
Ach, sagte ich zu ihr:
du bist mein allerschönstes Schmeicheltier.

Da kam auch eine kleine Fischerin
in einem weiße Segelschiff heran
und fragte, ob ich wohl der Villon sei,
der Franz, und nichtein irgendwelcher Mann.
Da sagte ich zu ihr:
nun nimm ihn schon, den Schnabel, und probier.

Es schien der wunderblaue Sommerbaum
noch lang herab auf unser Nest im Kraut;
und schließlich wollte sie, daß dieser Traum
nur ihr gehör und keiner anderen Braut.
Da sagte ich zu ihr:
was ewig dauert, macht mir kein Pläsier.

Und als ich wieder aus der Stadt rausfuhr,
nach mir da gingen die Soldaten auch,
und schossen auf der schönen Sommerflur
sich lauter rote Löcher in den Bauch.
Ach, sagte ich zu mir:
wie wär es, wenn ich jetzt zurück marschier?!

Da stand die schöne Stadt schon lang nicht mehr
am Wasser um die blaue Pflaumenzeit;
da lagen nur noch Steine kreuz und quer,
und eine Krähe schrie vom Baum ihr Winterleid.
Ach, sagte ich zu ihr:
wir bleiben ewig nur zwei Waisenkinder hier.
(S. 75-76)
_____



Eine kleine Liebesballade
gedichtet für Jeanne Cul de Quée

Im Sommer war das Gras so tief,
daß jeder Wind daran vorüberlief.
Ich habe da dein Blut gespürt
und wie es heiß zu mir hinüberrann.
Du hast nur mein Gesicht berührt,
da starb er einfach hin, der harte Mann,
weils solche Liebe nicht mehr gibt . . .
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.

Im Feld den ganzen Sommer war
der rote Mohn so rot nicht wie dein Haar.
Jetzt wird es abgemäht, das Gras,
die bunten Blumen welken auch dahin.
Und wenn der rote Mohn so blaß
geworden ist, dann hat es keinen Sinn
daß es noch weiße Wolken gibt . . .
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.

Du sagst, daß es bald Kinder gibt,
wenn man sich in dein rotes Haar verliebt,
so rot wie Mohn, so weiß wie Schnee.
. . . im Herbst da kehren viele Kinder ein,
warum solls auch bei uns nicht sein?
Du bleibst im Winter auch mein rotes Reh
und wenn es tausend schönere gibt . . .
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.
(S. 77)
______



Eine verliebte Ballade für Yssabeau d'Außigny

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein schöner Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Da will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet, und auch dein Sterngemahl.

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir, und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mit wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund . . .
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart
für mich so tief im Haar verwahrt . . .
Ich such ihn schon die lange Nacht
im Wintertal, im Aschengrund . . .
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei.
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
. . . ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.
(S. 78-79)
_____



Die Ballade
von den schönen Frauen von Paris

Schöne Frauen gibt es überall
auf der weit und breiten Erdenwelt,
ob am Tiber oder Senegal,
im Palast und im Zigeunerzelt,
ob sie braun sind oder schwarz verbrannt,
ob von Flandern oder Samarkand,
Japanesin oder Niggerweib,
Ebenholz- und Alabasterleib:
Keine Frau auf Erden küßt so süß
wie die schönen Frauen von Paris.

Auch in Polen und in Wien und Rom,
in der Steppe und vom Kaukasus
bis zum Nil und Amazonenstrom
sind die Frauen wild nach einem Kuß.
Auch in Preußen, Holland und Madrid,
(Eskimo und Lappen zählen mit!)
wird von früh bis Mitternacht geküßt.
Aber daß ihr auch noch dieses wißt:
Keine Frau auf Erden küßt so süß,
wie die schönen Frauen von Paris.

Selbst die Fraun im grauen Altertum:
Königin von Saba, Niobe,
Dalila, Astarte, und der Ruhm
der Lucinde, Sappho, Kandacé,
Helena, Lacmé und Potiphar,
muß verblassen und ins Nichts zergehn
wie der weiße Schnee, der gestern war.
Nur das Wort, das soll hier bleiben stehn:
Keine Frau auf Erden küßt so süß,
wie die schönen Frauen von Paris.

Zum Geleit:
Drum hab ich nicht lange nachgedacht
und auf ihren Leib dies Lied gemacht:
Keine Frau auf Erden küßt so süß,
wie die schönen Frauen von Paris.
(S. 80-81)
_____



Die Ballade von der ewigen Unzufriedenheit

Wenn euch ein schönes Weib den Kopf verdreht,
laßt ihr den Spaß; wie schnell ist das verweht,
was vorne schmeicheln will und hinten kratzt.
Man muß sie nehmen, wie sie eben sind,
und wer sich wehrt, der ist erst recht verratzt
und bleibt sein ganzes Leben lang ein Kind
wie in Jerusalem der Salomo,
der war mit hundert Frauen noch nicht froh.

Der Orpheus war gewiß kein Hasenfuß,
als er von seiner Freundin ohne Gruß
in schwarzer Nacht zur Hölle niederfuhr.
Jedoch Narziß, der schöne Spiegelheld,
der hat sich selber wohl ein Bein gestellt
von wegen der betrunkenen Natur.
Liebst du dein Fleisch im Leben ebenso
wie der Narziß, dann stirbst du auch nicht froh.

Sardanapal, der trank nur Honigwein
und wollte gar zu gern ein Weibsbild sein;
mit seinen Mägden hat er Nacht für Nacht
den Flachs gedreht und wurde fett dabei.
Auch David hat, wer weiß wie viel, Geschrei
um eine Dame Bathseba gemacht,
nur weil er einmal ihren Pipapo
gesehen hat . . .
und wurde doch nicht froh.

Zuletzt hat auch Villon schon mancherlei
erfahren, was wohl mit der Liebe sei.
Er war zum Beispiel in Margot verknallt,
die liebte ihn mit Lüge und Betrug
und lockte ihn in einen Hinterhalt,
wo man ihm alle Knochen blutig schlug.
Da lag er wie ein Frosch im faulen Stroh
und wurde nie mehr seiner Liebe froh.

Es ist schon besser, wenn man unbeweibt
wie eine Nuß den Fluß hinuntertreibt.
Die Weiber haben alle einen Dreh
und wer von euch darüber anders denkt
und für ein Schäferspiel sein Geld verschenkt,
der wird, wo es am tiefsten ist im See,
ersäuft . . .  das Leben ist nun einmal so;
es macht uns nur von außen manchmal froh.
(S. 100-101)
_____



Die Liebes-Ballade
für ein kleines Zigeunermädchen namens Leylah

Als man mich verstieß ins Unbekannt,
warst du, schwarzes Tier, mein Vaterland.
Leg mir deine Wurzelhand aufs Haar,
schenk mir deinen roten Muschelmund:
daß ich herrenloser Straßenhund
wieder weiß, was ich vor Jahren war,
Dichter manchmal, manchmal auch Soldat,
den die Welt wie einen Wurm zertrat.

Viele Tiere sind mit rotem Blut
durch mein Ich geschwommen, bis die Flut
überlief von mir. Wer kann dafür,
Daß er nicht in jeden Stiebel paßt?!
Wenn ich jetzt den Menschen so verhaßt
und verekelt bin wie ein Geschwür -:
Kleines schwarze Luder du, komm her
deine Liebe wiegt jahrtausendschwer.

Waisenkinder sind wir beide jetzt,
angespien und herumgehetzt.
Aber unser Blut ist noch so rot,
daß wir tanzen müssen, wenn es wild
durch die Adern rinnt, und, nie gestillt,
uns im Traum noch quält bis auf den Tod.
Bei dem lauen Wind der Mitternacht,
hab ich dir im Kraut ein Bett gemacht.

Sieh, jetzt kommt aus dem Holunderstrauch
schon der Mond und will auf deinem Bauch
auch einmal die Nacht zu Hause sein.
Gib ihm ruhig alles hin was du
auf dem Leibe hast . . . Villon sieht zu,
wie du in dem blanken Silberschein,
in den weißen Anemonen da,
schöner aufblühst, Stern von Afrika!

Stern, der mir noch manche Sommernacht
leuchten möchte, mir zum Glück gemacht.
Über uns ist nur das Laub erbaut
mit den weißen Lämmerwolken drin.
Und das Gras, das reicht uns bis zum Kinn,
bis auch unsere Leiber sich zu Kraut
schon verwandelt haben . . . hier im Wald:
du und ich schon ein Jahrtausend alt.

Hier von aller Kümmernis entflohn,
ist auch dieser Wald ein Gottessohn,
der die Hände uns zusammenlegt.
Und wie manchmal aus dem grauen Staub
auferhoben wird das rote Laub:
treiben wir, vom Morgenwind bewegt,
durch die breiten Flüsse in das Meer,
wo kein Grund mehr ist und keine Wiederkehr.
(S. 102-103)
_____



Die Zuhälter-Ballade
von Villon und seiner dicken Margot

Da regen sich die Menschen auf, weil ich
mit einem Mädchen geh, das sich vom Strich
ernährt, und meine Wenigkeit dazu.
Ich hab die kleine Kröte schrecklich gern,
bürst ihr die Kleider, putz ihr auch die Schuh,
damit die Offiziers und Kammerherrn
sich wie im Himmel fühlen,
in dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.

Ich bleibe immer vornehm und diskret
und warte, bis die Kundschaft wieder geht.
Dann zähl ich schnell die blanken Taler nach
(und wehe dir, Margot, wenn einer fehlt!)
und frag, was ihr der Herr noch sonst versprach.
Zuweilen wird auch einer abgekehlt,
weil er sich heimlich drücken wollte
aus dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.

Mitunter nag ich auch am Hungertuch
bei meinem schwarzen Schwan, wenn der Besuch
ins Stocken kam. Natürlich hat sie schuld
und muß jetzt Wäsche, Schmuck und Seidenkleid
versetzen gehn. Mein Gott, die schönste Huld
hört auf, hat man kein Geld zur rechten Zeit.
Ich muß ihr oft das Fell versohlen
in dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.

Dann hat sie mich so lieb wie vorher nie
und schnurrt und wetzt ihr Maul an meinem Knie.
Ein Glück, daß ich noch auf der Höhe bin
und ihr ein Liedchen trillern kann,
wies alle hundert Jahr nur einem Mann
so gut gerät. Es hat auch wenig Sinn,
mit seinem Überfluß zu geizen
in dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.

Und dieses Anhängsel
zur freundlichen Aufmunterung:

Nun merkt es euch, wenn ihr für eine Nacht
ein Mädchen sucht, das alles mit euch macht -:
Ihr Herrn, dann seid ihr uns willkommen
in dem Kabuff, in dem wir beide wohnen.
(S. 104-105)
_____


In der Nachdichtung von Paul Zech (1881-1946)

Aus: Die Balladen und lasterhaften Lieder
des Herrn François Villon
in deutscher Nachdichtung von Paul Zech
MCMXXXI [1931]
Erich Lichtenstein Verlag Weimar



 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite