Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Jaroslav Vrchlicky (1853-1912)
tschechischer Dichter

 

 Venus Verticordia

Die du die Herzen wendest
Wie Schnitter ihre Ähren,
Laß in der Brust die Wonne,
Am Weib mir ewig währen!

Die Mutter aller Wesen,
Der Götter in der Halle,
Die siegreich ihren Fuß setzt
Auf alle Herzen, alle.

Der heute noch erzittert
Des Meeres bittre Welle,
Du Mutter ewiger Sehnsucht,
Der Liebe reiche Quelle.

Die Sappho einst bezwungen,
Lucretius' Ton gemeistert,
Gib, daß das Glück der Liebe
Mich immer neu begeistert!

Daß alle ihre Pfeile,
Die wild vom Bogen springen,
Aus meinem vollen Herzen
Als Lieder wiederklingen.

Und gib, daß alle Küsse,
Die meine Lippen wagen,
Wie des Hymettos Bienen
Für mich nur Honig tragen!

Gib, wenn der Jugend Becher
Mir wird in Scherben gehen,
Daß gleich dem Baum mein Alter
Noch darf in Blüten stehen,

Daß schwer mein Haupt vom Dufte,
Doch leicht das Herz mir werde,
Damit du gern drin weilest,
Du Königin der Erde!

Und geh' ich ein zum Hades,
Zur Schar der Wesenlosen
Auch hier aus deinem Schoße
Gib Rosen, Rosen, Rosen!
(S. 100-101)

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Gespräch

Sie gingen miteinander, blühend jung,
Und beide voll der schönsten Hoffnungen,
Mit denen uns das Leben mächtig lockt
Und die die Zukunft ach so karg erfüllt.
Sie gingen die Allee entlang, 's war Abend.
Der nahe Herbst wob in der Bäume Wipfel
Den Farbenbunten Reiz der welken Blätter.
Trüb lag die Gegend, nur der Westen noch,
Wo jetzt die Abendröte heller Streif
Im Wasserspiegel bebte, lächelte,
Doch war's ein scherzlich Lächeln schon des Herbstes.
Da hob das Antlitz er von ihrer Schulter,
Auf die gelehnt, in ihren braunen Haaren
Er süß geträumt und sagte ruhig:
Heute
Auf unsrem Wege mußt' ich immer denken,
Wie's möglich ist, die Erde und dies leben
Nicht stets zu leben: Alles ist doch Liebe,
Sie atmet allwärts.

Über ihre Lippen
Flog mild ein Lächeln, wie durchs Haupt des Dichters
Der Fittich eines Engels blitzend fliegt,
Und ernsten Tons, darin der Schmerz erklang,
Doch schon gedämpft und sanft und ausgeglichen,
Sprach sie, zu sich mehr, als zu ihm gewendet:

Recht hast du, Freund, ja – alles ist die Liebe.
Die Toten selbst, die in der Erde ruhn,
Sie schlafen ruhig auf der Liebe Blüten.
Ihr Bett, die Erde, ist durchwärmt von Liebe.
Und wenn sie einmal nur in ihrem Leben
So treu und innig sich geliebt wie wir,
So reicht der Strahl für alle Zeiten aus,
Auch wenn es keine Auferstehung gäbe.

Und weiter spann er den gedanken aus:

Und erst die Lebenden! Wozu die Worte!
Sieh, wie an Birke und an Hagedorn
Die Blätter beben; sicher schauten hier
Auf weichem Moos zum Himmel Liebende,
Und frag den Vogel nur, der weiß genau,
Wie ihre Küsse hier so hell erklangen.
O Teure, glaube mir es, wär' ich Gott,
Die Engel müßten in der weiten Welt
Die süßen Küsse aller Liebespaare
Einsammeln mir und einen Riesenbecher
Stellt' ich mir aus dem Blau des Himmels her
Und tränke aus dem Becher all ihr Glück.
Und traun, wie oft ich ihn geleert, ich riefe:
Schön ist die Welt! Engel, noch einen Becher!

Sie lachte; freilich lachte sie nicht laut,
Nur in der Seele innen und davon
Bekam ihr Antlitz einen solchen Glanz,
Sowie der Mond, der, eh' er aufgegangen,
Vorleuchtend schon auf dem Gewässer bebt.

Sie gingen heim. Daß aus der Liebe Becher
Sie ewig trinken, segne sie, o Himmel!
(S. 101-103)

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In der Kastanienallee

Sieh, bald steht sie im grünen Gewande,
Bald sind die Vögel auch schon im Lande.

Bald sind die Blüten farbig erschienen,
Dienen den Nestern gern als Gardinen.

Wer kommt hernach, sich am Schatten zu laben?
Jene zuerst, die lieb sich haben.

Kommen zuerst und bleiben gar gerne,
Gehen auch dann nicht, schimmern die Sterne.

Denn die Allee schmückt just für sie beide
Sich mit dem Grün und dem Blütengeschmeide.

Ihnen auch gelten der Vögelein Lieder,
Komme die Sonne, sinke sie nieder.

Und durch die Luft geht wonniges Beben
Heimlicher Küsse, genommen, gegeben.

Und wer da wandelt stille im Kühlen,
Kann all das Glück hier atmen und fühlen.
(S. 104)

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Ekloge

Duftreich ist die Erde und die Luft krystallen,
Und das Moos erzittert unter deinem Fuß,
Aus dem Schilfrohr hör' ich's wie von Pfeifen schallen
Und vom Hagedorn fällt heller Blütengruß.
Und, das Aug', von Freude naß,
Fragst du: Ja, was soll all das?
"Was?"
Ruft der Vogel und die Blume spricht:
"Anders kommen doch des Lenzes holde Wunder nicht!"

Hell dein Blick, dein Atem süß vom Duft der Erlen,
Und es bebt dein Busen, wie ich dich umfang';
Wie aus hartem Felsen springen Quellenperlen,
Bricht aus meinem Herzen glühender Lieder Drang.
Und das Aug' von Freude naß,
Fragst du: Ja, was soll all das?
"Was?"
Ruft der Vogel und die Blume spricht:
"Anders kommen doch der Liebe holde Wunder nicht!"
(S. 105)

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Zwischen Nußbäumen

So eng der Pfad, daß da zwei Falter kaum
Nebeneinander Platz zum Fluge fanden,
Nur wenig Strahlen durchs Geflecht sich wanden,
Und eine Schnecke füllt' des Weges Raum.
Zuweilen sah das Blau herein im Flug.
Wir gingen miteinander durch die Laube,
Und wunderbar! Ob es auch niemand glaube,
Wir beide hatten immer Platz genug.
(S. 105)

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Notturno

O wüßt' ich, ob du wach bist, Kind,
Ich käm' geschwind!

So schau ich nur – Nacht deckt das All -
Der Sterne Fall.

Ich hör' nur, wie bewegt den Ast
Des Vögleins Last.

Ich lausche, wie im Moose hell
Errauscht der Quell.

Und wie die Träume schleichen sacht
Hin durch die Nacht.

Und fühle, wie die Sehnsucht jetzt
Mein Auge netzt.

O wüßt' ich, ob du wach bist, Kind,
Ich käm' geschwind!
(S. 106)

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Waldmotiv

Du lieber Gott, mir ist so eigen,
Als hätt' im finstern Wald ich unter Zweigen
Ein Vogelnest entdeckt am Felsenhange
Und ich dies Nest, erfüllt von süßem Singen,
Nun aus des Waldes Nacht
Nach Hause trüge sacht!
So trage ich mein Glück und zittre bange.
Sprich, Kind, werd' ich es heil nach Hause bringen?
(S. 106)

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Terzinen

Es stürmt das Weltall unser kecke Wille,
Und dann stillt unser Sehnen, unermessen
Ein dunkler Platz in des Alkovens Stille,

Hell strahlt die Sonne draußen, wir indessen
Sehn nicht nach ihr, gleich Vögeln, die die Tücke
Des wilden Sturms im warmen Nest vergessen,

Verlernen selbst ihr Lied vor großem Glücke.
(S. 106-107)

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 Aus den melancholischen Serenaden (27.)

Was geben kann das Weib, das gabst du mir im Kosen,
der Seele Lilien, und deines Herzens Rosen.

Die weißen Lilien, die weichen Goldstaub tragen,
Die roten Rosen, draus die hellen Flammen schlagen.

Die weißen Lilien, in mildem Dufte träumend,
Der roten Rosen Duft, die Seele überschäumend.

Die weißen Lilien, die heiter hell erscheinen,
Die roten Rosen auch, so traurig, wenn sie weinen.

In meinen Liedern sieh! in eins die Blüten flossen,
Da sind die Lilien rot! – mein Blut ward dreingegossen.

In meinen Liedern seh ich weiße Rosen blühen,
Die nur vom Abendrot des Glückes leicht erglühen.
(S. 108)

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Die Winde

Am Morgen nur erschließt den Kelch die Winde
Und lacht im Thau, der Frühe zugewendet,
Sie blickt hinaus voll Glaubens, gleich dem Kinde
Und schaut die Wunder, die der Tag verschwendet.

Im Lichte summt die Biene, vollgesogen,
Die selbst ein Tropfen Honigs scheint von Golde,
Und eh ihr Lied verklang, kommt hergeflogen
Der Falter schon, des Äthers Kind, das holde.

Der trägt die ganze Jugend auf den Schwingen
Und kommt an ihren Busen sich zu neigen,
Die Blume fühlt, wie Freuden sie durchdringen
Und haucht den ganzen Duft aus, der ihr eigen.

Schließt dann, geliebkost von der jungen Sonne,
Ihr Schneegewand und hüllt sich ein darinnen,
Sie birgt in sich die Ernte all der Wonne,
Beglückt von ihrem heimlich süßen Sinnen.

Sie sengt der Mittag nicht, der drückend brütet,
Des Windes Stöhnen kann sie nicht entfalten,
Sie träumt und weiß, den Thau gar wohl behütet
In ihres Kelches Glocke festzuhalten.

Geh übers Feld ich in der Sonne Glühen,
Denk ich des Glücks der Seelen, die empfanden
Des Lenzes Lust, der Liebe erstes Blühen
Und dann zur Zeit zu schließen sich verstanden.
(S. 108-109)

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Im Regen

Und wieder regnet's! Strömend, seit fünf Tagen!
Du nähst, ich lese – so umspinnt uns leise
Die Einsamkeit, zwei Blätter, die die Reise
Im Windesflug an einen Ort verschlagen.

Zuweilen blitzt in meines Traums Behagen
Dein goldnes Haar, bald singst du eine Weise,
Der Biene gleich, die summend irrt im Kreise
Und ein Asyl sucht vor des Sturmes Jagen.

Und würde ganz der Sonne Strahl zunichte,
Glaub mir, ich würde nichts verloren wähnen,
Dein Auge leuchtet mir mit hellerm Lichte.

Des Maien Blüte weckt es hold mir innen,
Und nachts hab ich im Aug' mehr Freudentränen,
Als Regentropfen aus den Wipfeln rinnen.
(S. 109)

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Als Edelstein

Glaub mir, des Faltes Flügelpracht,
Im Licht der Thau,
Erschimmert nicht so hell und lacht
Als, holde Frau,
Ich juble, weil du mein
Allein,
Und du mir wohnst im Herzen
Als Edelstein.

Träumt meine Seele, schickt sie dir
Der Küsse Flut,
Denn du hast angefacht in ihr
Licht, Duft und Glut.
All, was ich wünsche, ist nun mein,
Allein,
Weil du in meinem Herzen
Als Edelstein!
(S. 110)

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Erdbeeren

War es vor Jahren, war es gestern? Scheiden
Kann ich es nicht. Genug, daß es so war.
Weißt du, die Bäume dunkelten uns beiden?
Ich weiß, es glomm dein blaues Augenpaar.
Wir pflückten Beeren … unter stillen Weiden
Ging laut der Quell, die Vögel sangen klar.

Da sprach ich: "Sieh den dichten Wald dort prangen!
Mühselig ginge drin es sich zu Zwein!
Da kann der Sonne Strahl kaum hingelangen,
Und um die Lärchen tanzt ihr karger Schein,
Und weiter herrscht die Nacht mit allem Bangen -
Und dennoch wünscht' ich dort mit dir zu sein!

"Umfassen müßt' ich dich an solcher Stelle
Und stützen deinen Schritt von Zeit zu Zeit,
Vorm Aste schützen deines Haares Welle,
Zu deiner Brust mich neigen, Seit' an Seit',
Dich heben, eh', im Moos versteckt, die Quelle
Mit hundert Perlen dir bewirft das Kleid.

"Da müßt ich …" Du schwiegst eine lange Pause,
Im Aug und auf den Wangen eigne Glut.
Die Lippen brannten in der Bäume Klause
So hell und rot. War's einer Beere Blut?
Wegküssen wollt' ich's … Du: "'s ist Zeit nach Hause!"
Wie tanzten die Libellen auf der Flut!

Und ich gehorchte dir. Und schneller gingen
Wir miteinander hin, viel weiser schon.
Nicht mehr vom Mund, nur aus der Hand empfingen
Wir jetzt die Beeren als bescheidnen Lohn.
Und als der Vogel aufgehört zu singen,
Begann's im Herzen … Weißt du noch davon?

Wir pflückten nicht die Purpurrose, thaute
Sie gleich von Duft und strahlte farbenlicht,
Des Glückes Vöglein scheuchten keine Laute,
Im Traum sing' er uns weiter sein Gedicht:
Das Heil, das diese Stunde uns vertraute,
Glüht fort in uns und stirbt in Jahren nicht.

Drum ob es gestern, ob vor Jahren? Scheiden
Kann ich es nicht. Genug, daß es so war.
Ich weiß, die Bäume dunkelten uns beiden,
Ich weiß, es glomm dein blaues Augenpaar.
Wir pflückten Beeren … unter stillen Weiden
Ging laut der Quell, die Vögel sangen klar.
(S. 110-111)

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Was mehr?

Das volle dunkelbraue Haar,
Das sternenhelle Augenpaar,
Die Stimme, tief und klar;

Die schönen Finger, weiß und lang,
Ein Nacken, wie die Lilie blank,
Gleich einer Fee ihr Gang.

Der Busen knapp, in strenger Tracht,
Der Blick dem Lenz gleich, der erwacht,
Ein Glöcklein, wenn sie lacht -

Wie mir geschah, ich weiß es nicht;
Worin die Anmut lag, so schlicht,
Worin das Zauberlicht?

Ob jeder Reiz für sich allein,
Ob alle, wirkend im Verein,
Zur holden Macht sich reihn?

Ich sah, wie Blatt und Blüte schmückt,
Ich fragte, wann die Frucht man pflückt -
Heil ihm, den sie beglückt!

Doch doppelt glücklich nenn' ich den,
Der rein kann solche Blüte sehn
Und fromm vorübergehn!
(S. 112)

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Schneeglöckchen

Aus der Kapuze, weiß wie Schnee,
Zwei Rehaugen blitzend springen,
Wie wenn auf schneeige Fluren jäh
Die Strahlen der Sonne sich schwingen.

Kennt ihr die Sage vom Schneeglöcklein?
Es kam in des Winters Bangen,
Doch bei dem ersten Frühlingsschein
Ist's gleich an der Sonne zergangen.

Aus der Kapuze, so weiß wie Schnee,
Zwei Rehaugen blitzend springen,
Sie lacht so hell, wie wenn mit Juchhe
Sich Bursche und Maid umschlingen.

Das Märchen macht mir nicht bang, denn ich
Glaub besser den Scherz zu verstehn -
Ich drücke das Schneeglöckchen fest an mich,
Und wette, es wird nicht zergehen.

Aus der Kapuze, so weiß wie Schnee
Zwei Rehaugen blitzend springen,
Aus ihrem Herzchen fühl' ich jäh
Die Liebe wie Lenzwonne dringen!
(S. 116-117)

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übersetzt von Friedrich Adler (1857-1938)
 
Aus: Gedichte von Jaroslav Vrchlicky
Ausgewählt und übersetzt von Friedrich Adler [1857-1938]
Verlag von Philipp Reclam jun. Leipzig 1924


 

 


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