Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik


 

Alexander Webster (1707-1784)
schottischer Dichter


O wie konnt' ich wagen

O wie konnt' ich wagen, Dir Liebe zu weih'n?
Und wie konnt' ich Ärmster genügend Dir sein?
Verachtung hast Du den Lords ja gezeigt.
Nichts war ich und doch hat mein Schmerz Dich erweicht;
Du sprachst, wenn sie kamen mit Unsinn und Putz,
"Was ist bei der Liebe die Eitelkeit Nutz?"
Du hattest mein Schweigen gar richtig durchschaut,
Zwar die Zunge nicht, aber das Auge sprach laut.

Wie will ich Dich küssen, wie will ich Dich herzen,
Bis ich sterb' Dir im Arme, ermattet vom Scherzen;
Durch alle Entzücken begeisterter Lust
Geschleudert, hinsterben wir Brust an Brust.
O 'ne Maid, wie Du, Ueberdruß nimmer erregt,
Dein Witz aus dem Felde die Düsterkeit schlägt,
Dann nach des Entzückens schnell fliehenden Stunden
Hab' ich Dich als sinnige Freundin erfunden.

Vergebens Dich preis' ich, vergebens mein Streben,
Was wir Beide fühlen, in Worten zu geben.
In jeder Bewegung, in Blick und in Mienen
Die Grazien Dich schmücken, die heimlich Dir dienen.
Dich lieb' ich beim Anblick, bet' an Dich beim Hören,
Dann denk' ich, Du mußt zu den Engeln gehören,
Bis toll vor Bewunderung ich küssen Dich muß,
Und wieder zum Weibe dann wirst Du beim Kuß.

Wie kann ich verzweifeln, bist Du nur die Meine?
Seh' ich Deine Schönheit, flieh'n die Sorgen allein.
Dich frag' ich um Rath, wenn Kummer mich drückt,
So werd' ich am Besten dem Kummer entrückt.
Dein Urtheil verlang' ich beim Schreiben und Dichten,
Was Dein Reiz hervorrief, Dein Geist soll es richten.
Dich küss' ich und drück' ich, bis Jugend uns flieht,
Dann bleibt uns die Freundschaft, wenn Leidenschaft schied.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 127-128)

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