Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Akaki Zereteli (1840-1915)
georgischer Dichter



Unsrer Frauen Liebe

Ein hehr Gefühl voll edler heiliger Triebe
Ist für die Kartalinierin
* die Liebe.
Ihr ist der Mann ein Eisen fest und stet
Und sie für dieses Eisen der Magnet.
Berechnung ist noch neben dem Gefühle
Stets bei der Imeretierin
** im Spiele.
Sie denkt sich: eine Maus ist just der Mann.
Das Weib die Katze, die ihn necken kann.
Sie lockt und treibt ihn hin in ihre Fallen,
Hält eine Zeitlang ihn in ihren Krallen,
Lässt ihn dann wieder für ein Weilchen los,
Damit nicht allzu bitter sei sein Loos.
Lässt ihn stets zwischen Freud und Leiden schweben,
Schlägt ihn nicht tot und lässt ihn auch nicht leben,
Und wenn er dann verloren alle Kraft,
Sie schnell ein neues Opfer sich verschafft.

Geheimnisvolles, ungestümes Minnen
Verlangen immer die Mingrelierinnen.
***
Sie sagen: Wahre, echte Liebe dringt
Durchs Fenster ein, wenn's anders nicht gelingt -
Und sie erschreckt die Thür vor ihr verschliessen,
Rasch wie ein Pfeil soll sie zum Herzen schliessen,
Das Weib mit Glut erfüll'n, mit Angst sogar
Und ihre Weihe finden am Altar.

Die Gurierin,
**** die kann die schweren Wehen
Geheimnisvoller Liebe nicht verstehen.
Sie sagt: Frei, offen muss die Liebe sein
Und selbst vermeiden des Geheimen Schein,
Untrennbar fest soll sie die Herzen binden
Und darf erst mit dem Tode schwinden.
Ein starker Löwe, sagt sie, sei der Mann
Und ich die Löwin, die ihm zugethan.
Mit mir soll sanft er wie die Taube girren,
Doch andre Frauen selbst sein Blick verwirren.
Auch auf die Männer streng er blicken mag,
Damit kein einziger mir zu nahen wag'!
(S. 65-67)

* Kartalinien (georgisch Kartli) bildet gegenwärtig
einen Teil des Gouverments Tiflis. Der grösste Teil
dieser Provinz ist gebirgig und hat ein ziemlich
rauhes Klima. Die Gegenden am Kur,
in der Nähe von Tiflis, sind felsig und arm an Waldungen,
während das Oberland eine üppige Pflanzenwelt besitzt.
** Imeretien (georgisch Imereti) liegt im westlichen
Teil Georgiens und unterscheidet sich vom östlichen Teile
sowohl durch sein milderes Klima als auch durch seine
üppige Pflanzenwelt.
*** Mingrelien (georgisch Ssamegrelo),
das eigentlich Kolchis der Alten, dehnt sich
von Imeretien bis ans Schwarze Meer aus.
Die Küstengegenden am Unterlauf des Rion                                
sind sumpfig und ungesund.
**** Gurien ist ein malerisches Gebirgsland und
umfasst den Kreis Osurgeti, unweit des Schwarzen Meeres.
Sowohl die Imeretier als auch die Gurier zeichnen sich durch
schlanken, hohen Wuchs und feine Gesichtsbildung aus.
Die Frauen sind oft schön, die Gurierinnen besonders
elegant in Haltung und Manieren, zart und begabt.
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Die Liebe

O tückisches Gefühl, warum sagt man von dir,
Du seist des Himmels wertvollste und schönste Gabe,
Da du uns Qualen bringst und Leiden für und für
Nach kurzer und oft nur minutenlanger Labe?

Wohl, weil die reichste Quelle aller Seligkeit
In deinem rätselhaften Keime liegt verborgen?
Und wenn du dann entfliehst, folgt deinen Spuren weit
Ein dorniger Pfad von Gram und trauervollen Sorgen.

O unstetes, o nimmer ruhendes Gefühl,
Du wanderst ziellos und entfachst im Menschenherzen
Zwar Wonneglut, doch wahllos wie zum Spiel,
Und alles, was wir ernten, sind nur Groll und Schmerzen.

Gefürchtet und von allen doch ersehnt, bist du
Das mächtigste Geheimnis in der Menschen Leben.
Doch süss muss sein der Schmerz, da alle ohne Ruh
Mit glühndem Herzensdrang ihn zu geniessen streben.
(S. 67)
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Ich kenne des verliebten Weibes Herz,
Des Himmels Wonne und der Hölle Schmerz,
Das Gute und das Böse wohnen dort
Gebannt durch Zauberkraft an diesen Hort.
Es spendet nektarsüsse Arzenei
Und Gift und Galle auch dabei.
Es lockt und fesselt uns der Zauberquell,
Der süss im Anfang ist, doch ach, wie schnell
Wird bitter er und von dem kurzem Glück
Bleibt dann für lange Leid und Weh zurück.
(S. 68)
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Aus dem Drama "Tamar Zbieri"

Ich möcht' eine Rose sein, duftreich und prangend,
Damit du als Nachtigall weilest bei mir,
Und Lieder mir sängst, stets nach mir nur verlangend,
Von Leidenschaft bebend und Wonnebegier.

Ich möchte ein Veilchen sein, duftreich und prangend,
Damit du der Tau seist, der nährt und erquickt.
Ich schlöss in den Kelch dich, nach dir nur verlangend
Und labte an dir mich, unendlich beglückt.

Und wärst du der Epheu, so wär ich mit Wonne
Für dich die Zypresse und hätt' ich das Recht
Unsterblich zu leben hier unter der Sonne,
Möcht' ich ihm entsagen mit seliger Lust
Für eine Minute am Pfühl deiner Brust.
(S. 68)
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Georgierin bin ich. Unauslöschliche Glut
Durchtobt mein schmachtend Herz, mein unruhiges Blut.
Nur seiner Rede lausche ich bei Tag und Nacht,
Verzehrt von des Verlangens süsser Zaubermacht.
Der Liebe gänzlich mich zu opfern, mich zu weihn
Litt ich, den Einzigen suchend wahre Höllenpein.
Ich suchte ihn mit schmerzensreicher Ungeduld
Und fand ihn nicht, doch daran war mein Schicksal schuld
Nicht ich. Des blinden Schicksals blosser Zufall nur!
Kreist nicht der Schmetterling beim Flattern auf der Flur
Um manches Unkraut auch bis er die Blume fand,
Die liebliche, der sein Verlangen zugewandt?
Kaum sah ich ihn, als Herz und Seele im Verein
Ausriefen: "Das ist er, den du gesucht mit Pein!"
Ja, ich gehöre ihm heut und für alle Zeit!
Mein Schicksal liegt in seiner Hand, ist ihm geweiht!
(S. 68-69)
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Frühlingsmorgen

Wie eine Jungfrau, die mit Bangen
Der Ankunft des Geliebten harrt,
Die bebt und glüht und mit Verlangen
Nach Wonne in die Ferne starrt.

So harrt der neuen Aufgangssonne
Der Morgenstern am Himmelszelt,
Und wie beseelt von Lebenswonne
Singt eine Hymne ihm die Welt.

Der duftige Morgenwind der Felder,
Der auf die Wiese zieht vom Hain,
Das Säuseln in dem Laub der Wälder,
Stimmt alles in dies Loblied ein.

Und zum Empfang der Himmelsgabe
Die Rose zart ihr Köpfchen hebt,
Tau perlt auf sie zur Morgengabe,
Sie öffnet ihren Kelch und lebt.

Jetzt wie entzückt beginnt ihr Singen
Die frühlingsfrohe Nachtigall,
Und schickt zu Gott auf luftigen Schwingen
Des schönsten Liedes Zauberschall.
(S. 71)
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Wunsch

Langes Glück wünsch ich der teuren Lieben,
Will, dass niemand sie zu schrecken wage,
Noch durch bittres Leid sie könnt betrüben
Oder schmeichlerisch ihr Gunst entgegen trage!

Mag ihr teurer Name wieder klingen
Hehr wie einst, auf dass ihn alle kennen.
Mögen brüderlich sich die umschlingen,
Die ihn auch den ihren nennen.

Rustawelis Laute mag erschallen
Ihr zum Ruhme wie in fernen Tagen,
Dass erwärmt die Herzen wieder wallen,
Die erkaltet jetzt so träge schlagen!
(S. 72)
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Lied eines Kinto

Vor Liebeslust und Wonne
Berausch ich mich am Wein.
Um meiner Liebsten willen
Litt ich gern Todespein.

Glut haben ihre Reize
Im Herzen mir entfacht.
Tags ist sie meine Sonne,
Mein Mond ist sie bei Nacht.

Die Glut wird erst erlöschen
Beim letzten Herzensschlag.
Wenn ich mein Lieb' nicht sehe,
Wird dunkel mir der Tag.

Da leid ich und verschmachte
Und weine heisses Blut,
Bis ich nicht Lindrung finde
Für meine Herzensglut.

Vor Liebeslust und Wonne
Berausch ich mich am Wein.
An meine Liebste denkend
Litt ich gern Todespein.
(S. 76)

Kinto: Tifliser Strassentypus. Mit "Kinto" bezeichnet man
zunächst die Hausierer, meistens Obsthändler
und auch die Kleinhändler auf den Basars.
Viele von ihnen sind Witzbolde und
im allgemeinen launige, heitere Gesellen,
von denen man viele lustige Streiche
zu erzählen weiss.
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Auf dem Wege fand ich einen bunten Stein,
Wie ein Kleinod barg ich ihn an meiner Brust,
Aber nein, es war der Liebe Glutenschein,
Den ich lange Jahre trug mit Wonnelust.

Als zum Feldstein wurde dieser bunte Stein,
Fand ich ihn zu tragen keine Kräfte mehr.
Ja, der süssen Liebe Wonne brachte Pein,
Brachte Qual, die für mein Herz zu schwer.

Wieder legte ich den Stein am Wege hin.
Mag ihn einer finden, der sich glücklich fühlt.
Mag die Liebe eines andern Herz und Sinn
So erfüll'n wie mich, der ich jetzt abgekühlt.

Regentropfen werden fallen auf den Stein,
Um die Liebe fallen Thränen heiss und schwer,
Doch ins kalte Herz dringt keine Glut mehr ein
Und der Stein erglänzt wie früher nimmermehr.
(S. 77)
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An den Geliebten

Es weckt der warmen Sonne Strahl
Die Rosenknospen zum Erblühn.
Tau ist ihr frisches Morgenmahl
Bis sie in roter Pracht erglühn.

Empfindung sanft die Jungfrau nährt
Bis Liebe ganz ihr Herz erfüllt.
Giebt's ein Gesetz, das ihr dies wehrt
Bis ihr Verlangen sie gestillt?

Mich traf die Neigung wie ein Strahl,
Die Liebe mir das Herz fast bricht.
Nach dir verschmachte ich mit Qual.
O tadle mich deswegen nicht!
(S. 77-78)
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übersetzt von Arthur Leist (1852-1927)

Aus: Georgische Dichter
übersetzt von Arthur Leist
Neue, vielfach vermehrte Ausgabe
Dresden und Leipzig
E. Pierson's Verlag 1900




 

 


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