Jeanne Marie von Gayette-Georgens (1817-1895) - Liebesgedichte

Jeanne Marie von Gayette-Georgens

 

Jeanne Marie von Gayette-Georgens
(1817-1895)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 

 



Der kürzeste Tag

Ihr meint, das sei der kürzeste Tag,
Wenn mit dem achten Glockenschlag
Die Sonne erst am Himmel steht
Und, kaum erschienen, wieder geht.

Wenn sich der kahle Winter zeigt,
Und jedes Lied der Sänger schweigt,
Wenn in dem Schmuck von Eiskristall
Die Bäume stehen überall.

Wenn jeder Puls der Schöpfung stockt,
Der Dachs in seinem Baue hockt,
Wenn jedes Glied der Kraft erstarrt
Und auf ein neues Leben harrt.

Nein, das ist nicht der kürzeste Tag,
Den niemand liebt noch leiden mag,
Der Trübsinn, Ernst und Stille bringt
Und den die schwarze Nacht verschlingt.

Der kürzeste Tag ist, daß ihr's wißt,
Wenn man beglückt die Zeit vergißt,
Wenn's in dem Herzen grünt und blüht
Und im Genuß die Stunde flieht.

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 123)

_____



Feueranbeter

Ich bete dich an, du Flamme rein,
Der Seele gold'nen Sonnenschein,
Dich brennende Liebe, die alles vermag,
Dich Stern, der die Nacht verwandelt in Tag.

Ich bete dich an, du hehre Glut,
Die das Wesen durchströmt wie gärende Flut,
Dich Glut der Begeistrung, feurige Macht,
Die das Schwerste mit siegendem Eifer vollbracht.

Ich bete, dich an, du hellstes Licht,
Das strahlend das Dunkel des Irrtums durchbricht,
Dich, Licht der Vernunft, - o wäre die Welt
Von deiner Lohe doch ganz erhellt!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 124)

_____



Sehnsucht nach Schmerz

Kehret wieder, Schmerzesfreuden,
Kehre wieder, Lust und Qual,
Bittre Tropfen herber Leiden,
Kehret wieder allzumal!

Kehre wieder, tiefer Kummer,
Blute wieder, armes Herz,
Und entführe mir den Schlummer,
Wühlend heißer Thränenschmerz!

Alles will ich wieder tragen,
All das Weh und all die Lust,
Aber mir nicht selber sagen,
Daß verödet meine Brust!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 124)
_____



Der Ungetreue

Er schwur es einst beim Mondenlicht,
Er wollt' die Treu mir brechen nicht.
Ich seh' den Mond jetzt fragend an:
Warum er dennoch es getan?

Er schwur es einst beim Sonnenschein:
Er wollte ewig treu mir sein!
Die Sonne scheinet immerdar
Auf ihn, der dennoch treulos war. -

Und bei den Bergen schwur er mir:
Sie wanken eh'r, als ich von dir!
Die Berge stehn noch hoch und hehr,
Doch er, er liebt mich nimmermehr.

Er schwur's bei einem Ring von Gold:
Daß er mich nimmer lassen wollt'.
Der Ring hält fest an meiner Hand,
Sein Herz ist aber abgewandt. -

Bei einem Kreuze schwur er mir,
In Leid und Freud' gehör' ich dir.
Das Kreuz, es steht auf festem Grund,
Doch nichts thut sein Gelöbniß kund.

Er schwur's bei einem Blumenkranz:
Dies sei der Liebe Sinnbild ganz!
Ohn' End' und Anfang wär' er mein -
Und konnte dennoch treulos sein?

So tausend Schwüre gab er mir
Und alle sagten: gebt mich ihr!
In meines Herzens Heil'genschrein
Grub ich die heißen Schwüre ein.

An Sonn' und Mond, an Berg und Ring
Die Seele gläubig hoffend hing;
Das Kreuz umschlang der Blumenkranz
Mit duft'gem Farbenspiel und Glanz.

Wie thöricht war dies all' von mir,
Wie konnt' an Treu' ich glauben hier,
Wo Alles sterblich, Alles Staub,
Und Lieb' fällt heim dem Zeitenraub? -

Drum scheine Sonne, Mondenlicht,
Ihr Berge steht, ich klage nicht;
Drum brich nicht, Ring, und dufte, Kranz,
Und leuchte Kreuz in ew'gem Glanz.

Drum welke Liebe immerhin,
Du trübtest nimmer meinen Sinn;
Denn Glaub' und Liebe, Treu und Schwur,
Sie sind ja Erdenkinder nur.

Dort wo der Mond, die Sonne gehn
Und Sternenkränze glühend stehn,
Dort ist vielleicht das sel'ge Land,
Wo Lieb' und Treu' die Heimath fand.

aus: Deutschlands Dichterinnen
von H. Kletke
Zweite vermehrte Auflage Berlin 1882 (S. 316-318)
_____

 

Biographie:

In Berlin lebt die geistvolle Jeanne Marie von Gayette-Georgens (geb. 11. October 1817 zu Kolberg), die Tochter eines Offiziers, die ihre Jugendzeit in einer epischen Dichtung "Oceana" vier Stufen einer Dichterin in vier Gesängen 1871 geschildert hat. In Breslau, wohin ihre Eltern übersiedelten, bewegte sie sich in den besten Kreisen und studierte sie angelegentlichst die Frauen und Erziehungsfrage um die Resultate ihrer Studien in Romanen und sonstigen Schriften zur Darstellung zu bringen. Wiederholte Reisen trugen zur Erweiterung ihrer Erfahrungen bei. In der Folge vermählte sie sich mit Dr. Jan Daniel Georgens, mit dem sie 1856 eine Heil- und Erziehungsanstalt für geistesschwache Kinder bei Wien gründete und bis 1865 leitete. Daneben gab sie eine pädagogische Zeitschrift "Die Arbeiter auf dem praktischen Erziehungsfelde der Gegenwart" 1856-63 heraus und gründete 1867 das Journal "Die Frauenarbeit". Nachdem sie vorübergehend in der Schweiz und in Nürnberg gelebt, siedelte sie nach Berlin über, wo sie auch gegenwärtig ihren Wohnsitz hat. Hier hielt sie Vorlesungen über "die Frauen in Erwerb und Beruf", gründete eine literarische Gesellschaft und mit ihrem Gatten und G. Karpeles als Organ derselben die Zeitschrift "Auf der Höhe" und 1878 die Monatsschrift "Der Jugend Spiel und Arbeit". Ihre "Gedichte" erschienen 1850. Von ihren novellistischen Arbeiten und Romanen seien genannt die Novellen "Vincenza" 1847, "Edith" 1853, die historischen Romane "Luigia Sanfelice oder die Revolution in Neapel" 1850 und "Jakobaea von Holland" 1860, die sozialpädagogischen Cartons "Maximus Casus, der Oberlehrer von Druntenheim" 1868 und der kritisch-satirische Roman "Grosse Jagd" 1877, von ihren wissenschaftlichen Arbeiten "Geist des Schönen in Kunst und Leben" 1869, "Die Frauen in Erwerb und Beruf" 1872 und "Die Fortschrittspädagogen und die Frauenemanzipation" 1875; leider sind ihre geistreichen Schriften meist zu flüchtig hingeworfen.
Mit Hermann Kletke gab sie 1871 ein "Frauenalbum" heraus, eine Reihe von Charakterbildern aus alter und neuer Zeit, darunter Rahel, Kar. Neuberin, E. Kuhlmann u.a. 1856 ernannte sie die kais. leopoldinisch karolinische deutsche Akademie der Naturforscher wegen ihrer Verdienste um die Förderung der heilpädagogischen Wissenschaft insbesondere im Fache der Idiotenerziehung zu ihrem Mitgliede.

aus: Deutschlands Dichterinnen und Schriftstellerinnen
Eine literarhistorische Skizze zusammengestellt von Heinrich Gross
Zweite Ausgabe Wien 1882

 

 


zurück zum Dichterinnen-Verzeichnis

zurück zur Startseite