Amara George-Kaufmann (1835-1907) - Liebesgedichte

Amara George-Kaufmann

 

Amara George-Kaufmann
(1835-1907)



Inhaltsverzeichnis der Gedichte:






O zürne nicht!

Daß ich mein Herz dir ganz erschlossen habe, - o zürne nicht!
Daß ich zu schweigen nicht beschlossen habe, - o zürne nicht!
Wie gern will ich die Sehnsuchtsqual ertragen, die mich verzehrt,
Wenn ich den Liebsten zum Genossen habe, nur zürne nicht!
Ach weißt du, daß ich in den bittern Schmerzen, im tiefsten Leid,
Noch immer Lust durch dich genossen habe? - Nur zürne nicht!
Um dich zu leiden selbst ist süß're Wonne, als and'res Glück,
Ob ich mit Thränen sie begossen habe, - nur zürne nicht!
Jetzt quält mich der Gedanke, daß mein Kosen, mein Ungestüm,
Mein heiß' Verlangen dich verdrossen habe, - o zürne nicht!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 127)
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Mehr als Liebster

Liebster! nein, so sollst Du künftig
Nimmermehr geheißen sein;
Nicht so schlicht wie mein Empfinden
Ist das Wort und nicht so rein.

Lieber - dieses sei Dein Name!
Im gesamten Weltrevier
Bist ja Du das einzig Liebe,
Du das einzig Süße mir!

aus: Deutsche Lyriker seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887 (S. 239)
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Ewig Dein!

Ja ewig, ewig bin ich Dein!
So lange lebt der Sonne Schein,
So lange Weltenheere kreisen,
Den Schöpfer seine Werke preisen,
So lange bin und bleib' ich Dein!
Nicht wahr, mein Herz, das will was heißen?
Doch ein Bedenken fällt mir ein:
Wird Ewigkeit genügend sein,
Dir meine Liebe zu beweisen?

aus: Deutsche Lyriker seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887 (S. 239)
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Doppelt weh!

Viel Schmerzen haben mir die Brust durchwühlt,
Viel Thränen haben mir den Blick getrübt!
Mich dünkt jedoch, erst heut
Hätt' ich den allerherbsten Kelch geschlürft.

Denn es gewöhnt auch seine Qual der Mensch;
Doch wenn ihm einmal süß das Glück gelacht,
Dann wehe, doppelt weh,
Kehrt es sich eilends wieder ab von ihm!

Gram, Sorge, Druck, Verfolgung aller Art
Hat mich der Blüte meines Seins beraubt;
Mein Himmel, er war stets
Mit Grau bedeckt, und ohne Licht mein Pfad.

Still duldet' ich und starb ich hin. Da sieh,
Mit einem Male blickte mir ein Stern,
Ein gold'ner, himmlischer,
Und lichtete die Nacht, die mich umgab.

Andächtig hab' ich aufgeschaut zu ihm,
Vertraut auf ihn, wie man auf Gott vertraut:
Jedweder Grenze bar
War meines Herzens tiefe Glut für ihn.

Und nun, wie ist's? Die alte Düsternis
Umlagert mich; ich bin allein mit mir,
So schauerlich allein -
Wann wirst du wieder scheinen, o mein Stern?

aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
II. Band Berlin 1885 (S. 467)
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Lieder

Mit wunderholdem süßen Klang
Sagst du zu mir: "O meine Dichterliebe!"
Es ist dies Wort mir wie Gesang,
Wie frischer Ost verscheucht es meine Trübe.

Ich lechzte lang in meiner Nacht
Nach solcher Liebe, die ein Gott nur spendet,
Und gleich erhab'ner Göttermacht
Hast du den Fluch in Segen mir gewendet.

Ich liebe und ich bin geliebt -
Lenz, Leben, Lust sie kehren jubelnd wieder,
All jener Nebeldunst zerstiebt,
Und goldnen Strahls blickt Gottes Sonne nieder.

aus: Dichterstimmen der Gegenwart
Eine Sammlung vom Felde der deutschen Lyrik seit 1850
Herausgegeben von Karl Weller
Leipzig 1856 (S. 128)
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In deine Liebe möcht' ich
Mich senken ganz hinein,
Da tief ohn' Ende rasten
Und von Allen vergessen sein!

Ein Wörtlein würd' ich hören,
Das Eine ganz allein,
Wenn ich so läg' und schliefe
In diesem Wonneschrein.

Nicht Engelgrüße tönten
Mir so beglückend rein
Denn süßer klingt als Alles
Das Wörtlein: Ich bin dein!

aus: Dichterstimmen der Gegenwart
Eine Sammlung vom Felde der deutschen Lyrik seit 1850
Herausgegeben von Karl Weller
Leipzig 1856 (S. 128)
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Lieder

1.
In dunkeler, tiefmitternächt'ger Stunde
Lehnt einsam an dem Fenster eine Maid;
Trüb' ist ihr Antlitz, aber es verleiht
Ein Lächelzug noch eine zweite Kunde.

So Lust, wie Leid hegt ihres Herzens Wunde:
Erinnerung an eine süße Zeit,
Verlangen nach dem Freunde, der so weit,
Und Sehnen nach erneutem Wonnebunde.

Sie seufzet tief und blickt zum Himmel auf
Und sendet heiße Grüße in die Ferne,
Die sie vertraut der Wolke raschem Lauf;

Wie zöge sie mit ihr dahin so gerne,
Um heimlich nur den Liebsten anzuseh'n,
Und heimlich wieder von ihm wegzugeh'n.


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 433)
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2.
Es ist ein Ort, da wär' ich
So süß befreit von meinen Trauerlasten;
An Deiner Brust, Geliebter,
Ist dieser Ort, da möcht' ich ruh'n und rasten.

Noch einen andern weiß ich,
Wo Ruhe wohnet; soll sie mir nicht werden
An Deiner Brust, so werde
Sie mir an dem! Es ist der Schooß der Erden.

Kein dritter ist. Begehrst Du
Mich fern zu seh'n vom finstern Erdenschlunde,
So nimm mich an Dein Herze,
Daß ich an ihm zu Licht und Lust gesunde!

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 434)
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3.
Es scheidet uns das Leben, und der Raum,
Der grausame, der Tag, das wache Sein,
Wo einzig und allein
Der Harm der Trennung und der Ferne klar.
Doch freundlich ist und liebevoll der Traum.
Er zaubert das Entrückte wunderbar
Zu uns heran. Da ich ein Kind noch war,
Krank, und der Speise, die mich stärkte, bar,
Ward ich von ihm auf's holdeste bedacht.
All' Köstliches und Labendes, was ich
Begehren mochte, bot dem Auge sich,
Dem Munde lachend und in Fülle dar.
Wenn ich sodann erquicket aufgewacht,
That ich, was ich geträumt, der Mutter kund.
Es feuchtet ihres Auges hellen Schein
Der Rührung Thau. "Mein Kind, es nähren Dich",
Sprach sie zu mir, "die lieben Engelein."
Sie sprach's vielleicht nicht völlig ohne Grund.
Sie mögen jetzt auch meine Tröster sein.
Das traute Glück, das meine Tage flieht,
Sie spenden mir's, die lieben Engelein,
In meiner Nächte stillem Traumgebiet.


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 435)
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4.
Du wirst nicht kommen - allzu bitt'res Wort,
Wie Tod so bitter und Vernichtungsharm!
Denn nur an Deiner Brust, in Deinem Arm
Ist meiner Sehnsucht stiller Ruheport.

Wie leid' ich ohne Dich, o Du, mein Hort,
Mein Einziger, wie krank bin ich, wie arm!
Ich möchte fort aus diesem Menschenschwarm,
Von diesem Orte, diesem schönen, fort.

Warum? - Es fehlet Deiner Augen Licht.
Wohin - Zu Dir? - Das darf und kann ich nicht,
Da spricht die Welt ein hartes, kaltes Nein.

Mit Welle, Wind und Wolke möcht' ich zieh'n,
Mit Deinem Bild in eine Wildniß flieh'n
Und sterben dort mit ihm und mir allein.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S.436)
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5.
Du wähntest, ich trage den Tod in der Brust -
O Liebster, ich athme nur Lieb' und Lust;
Nie war mein Herz von Glück so voll,
Und Du meinst, daß ich sterben soll?

So reich an Unheil auch die Welt,
Sie sei mir dennoch unvergällt;
Ich ahne sie jetzo, die Wonne, ja,
Die mir, wenn ich lebe, so selig nah'.

O, lege mir die Hand auf's Herz,
Bewahre mir's vor neuem Schmerz,
Und hauch' in magischer Träume Ruh'
Mir Deine tiefste Seele zu!


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 437)
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6.
Was sprichst Du von Trennungsleiden?
Was denkst Du an Tod und Gruft?
Wer Düfte der Liebe sauget,
Der athmet des Lebens Luft.

Und könnte Dir sterblich dünken
Wahrhaftiger Liebe Gluth,
Sie, die so fremd dem Staube,
Im Grunde der Gottheit ruht?

Es drohe, wann sie wolle,
Die dumpfe Todesnoth;
Ein Sein, ein Leben giebt es,
Das weiß von keinem Tod.


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 438)
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7.
Ein großer Hort im Leide
Warst Du, Geliebter, mir;
Nun ihres Harms entlasten
Soll ich die Seele Dir.

Wohlan, so komm und ruhe
Von Deinen Sorgen aus!
Du bist an meinem Herzen,
An Deinem ich zu Haus'.

Ob uns're Kümmernisse
Auch noch so groß und schwer -
Was wir zusammen tragen,
Ist keine Bürde mehr.

Der Lieb' ist Alles süße;
Des Lebens Widerstreit
Wird ihr, so wild er wüthe,
Zur reinsten Seligkeit.


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 439)
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8.
In Deine Liebe möcht' ich
Mich senken ganz hinein,
Da tief ohn' Ende rasten
Und von Allen vergessen sein!

Ein Wörtchen würd' ich hören,
Das Eine ganz allein,
Wenn ich so läg' und schliefe
In diesem Wonneschrein.

Nicht Engelsgrüße tönten
Mir so beglückend rein;
Denn süßer klingt, als Alles,
Das Wörtlein: Ich bin Dein!


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 440)
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9.
Mit wunderholdem, süßem Klang
Sagst Du zu mir: "O meine Dichterliebe!"
Es ist dies Wort mir wie Gesang,
Wie frischer Ost verscheucht es meine Trübe.

Ich lechze lang' in meiner Nacht
Nach solcher Liebe, die ein Gott nur spendet,
Und gleich erhab'ner Göttermacht
Hast Du den Fluch in Segen mir gewendet.

Ich liebe, und ich bin geliebt -
Lenz, Leben, Lust, sie kehren jubelnd wieder,
Der dunkle Traum der Nacht zerstiebt,
Und gold'nen Strahls blickt Gottes Sonne nieder.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 441)
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10.
Zürnst Du mir? Es sei! Zu bitten hab' ich
Diese Bitte nur, die eine: komm!
Heg' und pflege Deine Düsternisse
Nur nicht einsam und alleine; komm!

Laß sie hier in meiner Zelle toben,
Deine Stürme; mir in's Angesicht,
Offen, ohne Schonung, laß sie blitzen,
Deine grimmen Wetterscheine; komm!

Sie gelinde zu begüten, hoff' ich;
Nahe werden mir mit ihrem Schutz
Gute Götter sein. Zu bitten hab' ich
Diese Bitte nur, die eine: komm!


aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 442)
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11.
Es erwachen wilde Wetter,
Brausen über Flur und Hain,
Streuen herbstlich welke Blätter
Mitten in den Strom hinein.

Aber ob sie wild und wilder
Stürme, diese Herbstnatur -
Ich erblicke Frühlingsbilder,
Athme Paradieses Spur.

Zarte Blüthen sind zur Stelle,
Welche mir mein Lieb geweiht,
Und es strömt durch meine Zelle
Das Arom der Rosenzeit.

Lieblich eifern blonde Locken
Mit der Sonne reinem Gold;
Eine Stimme, hell wie Glocken,
Sagt mir süß: "Ich bin Dir hold!"

Und so fürcht' ich Herbstessausen,
Winterliche Fröste nicht;
Wo der Liebe Zauber hausen,
Da ist Leben, da ist Licht.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 443)
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12.
Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.

Trennung - giebt es die für uns noch,
Da wir uns so tief geeinigt,
Da wir uns so ganz verschmolzen
In unendlich heißer Minne? -
Nicht für eine Spanne Zeit,
Nein, wir haben uns gefunden,
Nein, wir haben uns umwunden
Für die ganze Ewigkeit.

Immer, immer bist Du nahe,
Ob Du mir auch noch so ferne;
Nimmer, nimmer bist Du weit;
Dich so traut im Arme halt' ich,
Schmiege mich an Dich so innig;
Mit so voll lebend'ger Wahrheit
Deine Kußgewalten fühl' ich -
Zwar, es ist ein Traum, alleine
Nicht ein leerer, es verleiht
Uns'rer Seelen, uns'rer Sinne
Inn're magische Vermählung
Ihm den Wert der Wirklichkeit.

Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.

Ach, so lange mußt' ich bangen,
Ach, so lange mußt' ich darben;
Jetzo, da sie, diese Wonne,
So gewaltig auf mich einstürmt,
Ist mein Herz, sie zu ertragen,
Kaum befähigt. Seufzer ringen
Sich hervor aus meinem Busen,
Aus dem Auge quellen Thränen
Und verschleiern meinen Blick.
Und so muß mein Wesen häufig
Dir ein dunkles Räthsel scheinen.
Krank bin ich durch Liebessegen,
Bin erschüttert, bin gebrochen,
Bin gefährdet durch mein Glück.

Nicht der Harm der Trennung ist es,
Was da macht, daß mir vor Wehe
Fast die Brust zerspringt; der Liebe
Maßberaubtes Feuer ist's.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 445)
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13.
O wie seh'n ich mich zurücke
Aus der Menschen lautem Schwarm,
Nach der Rast in stiller Zelle,
Nach der Ruh' in Deinem Arm!

Ruhe? - Kann ich's Ruhe nennen,
Wenn ich in so heißer Haft,
Wenn die Seele mir, die Sinne
So gewaltsam weggerafft;

Wenn sich ungemess'nen Feuers
Mund zum Munde hinbewegt,
Deiner Küsse Gluth die tiefsten
Tiefen meines Seins erregt;

Meine fieberraschen Pulse
Fliegen, wie zu keiner Zeit,
Und mit einer Welt von Fesseln
Mein Gemüth im Riesenstreit?

Was es sei - es ist ein süßer,
Himmlischer Entzückungsrausch.
Gern will ich den Frieden missen,
Geht er auf im Wonnetausch.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 446)
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14.
Süße Träume halten Dich umfangen,
Deine Wangen schmücken Schlummerrosen,
Auf den Lippen, auf den kecken, losen,
Schwebt im Schlafe noch ein schönes Prangen.

Anzuschauen nur sei mein Verlangen!
Nur die Seele soll, die reine, kosen,
Nur das Auge mit begierdelosen
Blicken an dem lieben Bilde hangen.

Da verwebt dem Traume sich das Leben,
Deine Lippe flüstert holde Laute,
Deine Glieder seh' ich leise beben,

Es erschließt Dein Auge sich, das traute.
Schweige, Lied, von dem, was im Entschweben
Noch der Träume flüchtig Heer erschaute.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 447)
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Wenn Liebe für die Ewigkeit
Sich bindet, und so bald verweht,
So ist gleichwohl ein Sinn darin,
Der nicht in eitel Trug besteht.
In jeglicher Berührungsgluth,
In jeglichem Verschmelzungsheil
Unsterblich edler Wesen ist
Was Ewiges, das nicht verloren ist.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 84)
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Aus Nachbildungen und Übersetzungen

Die arme Viole
Nach persischem Motiv

Was neigst Du, kleine Viole,
So tief hinab das Haupt?
Was hat Dich, armes Blümchen,
Der Wonne des Seins beraubt?

"Ach, Mädchen, ich muß sterben,
Hörst Du den süßen Hall?
Das ist sie, die ich liebe,
Die göttliche Nachtigall.

Die aber hat die Rose
Zu ihrem Idol gemacht;
Ihr flammend Auge spiegelt
Nur jene stolze Pracht;

Ihr singt sie diese Lieder;
Die Blume gewahrt sie nicht,
Die kleine, der vor Leide
Das liebende Herze bricht."

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 193)
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Serbisch

"Süße Wonne, vielgeliebtes Mädchen,
Die Du ähnlich bist der Ros' an Anmuth,
An Gestaltung aber und an Haltung
Hochgewachs'ner Tanne zu vergleichen!
Was beschauend und zum Muster nehmend,
Rosenanmuth oder Tannenhoheit,
Hast Du Dich so reizend ausgebildet?"

""Nicht beschaute, nicht zum Muster nahm ich
Rosenanmuth oder Tannenhoheit;
Dich allein, Du schöner, edler Jüngling,
Angeschaut, so lang' ich denke, hab' ich.
Was Dir hold an mir bedünkt und reizend,
Nur ein Abglanz Deiner eig'nen Schöne,
Deiner eig'nen Anmuth ist's, Geliebter!""

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 201)
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Serbisch

Komm, Geliebte, daß wir Küsse tauschen,
Trauter Lust vereinte Wonne fühlen!
Aber sprich, wo wollen wir uns treffen?
Böse Blicke lauern, böse Munde
Breiten es, wenn zwei Verliebte kosen,
Ihrem Glücke feind, in alle Welt aus.
Laß sie uns durch Zauberkünste täuschen!
Du gestalte Dich zu einer Rose,
Die so eben prächtig aufgebrochen,
Zum Verwechseln ähnlich einer solchen
Bist Du ohnedies, Du Rosenholde!
Ich will einem Schmetterlinge gleichen,
Will mich auf die schöne Blume stürzen,
Und die Leute, wenn sie es gewahren,
Werden wähnen, daß sich an den Blättern
Einer Ros' ein Schmetterling ergötze,
Während ich von Deiner Rosenlippe
Die begehrte Kost der Liebe sauge.

aus: Vor Tagesanbruch
Erzählungen und Lieder
von Amara George
Frankfurt a. M.
Verlag von Meidinger Sohn & Comp. 1859 (S. 202)
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Biographie:

Kaufmann, Frau Mathilde, geb. Binder, Ps. Amara George, Würzburg, Sanderglacisstrasse 47, geboren zu Nürnberg, den 5. Dezember 1835, als Tochter des Bürgermeisters Binder dieser Stadt. Familienverhältnisse und ein chronisches Halsleiden verbitterten ihre Jugend. Zur poetischen Thätigkeit wurde sie frühzeitig angeregt, und schon mit 17 Jahren schrieb sie den grössten Teil der Lieder, die später als "Blüten der Nacht" in die Öffentlichkeit gelangten. Der Herausgeber des Werkes "Kunst und Litteratur" Alexander Kaufmann, ein rheinischer Dichter ersten Ranges, wandte sich s. Z. um Beiträge für sein Werk an Daumer, welcher ihm Gedichte u.a. auch von seiner Schülerin Mathilde Binder einsandte. Der dadurch zwischen dieser und Kaufmann entstandene schriftliche Verkehr führte 1857 zu einer Ehe, die nach 36jährigem glücklichen Bestände durch den 1893 erfolgten Tod Kaufmanns ihr Ende erreichte. Neben ihren poetischen und novellistischen Arbeiten hat sie Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Holländischen veröffentlicht.

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898
 

 

 


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