Stefan George (1868-1933) - Liebesgedichte

Stefan George



Stefan George
(1868-1933)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



 



Ich wandelte auf öden düstren bahnen
Und planlos floss dahin mein leben.
In meinem herzen war kein hohes streben
Es schien mich nichts an schönheit zu gemahnen.

Da plötzlich sah ich - o wer sollt es ahnen -
Ein himmelsbild an mir vorüberschweben ..
In meinem innern fühlte ich ein beben
Und Liebe pflanzte ihre siegesfahnen.

Ist mir auch täuschung nur und schmerz geblieben
Und kann ich Dich von glorienschein umwoben
Anbetend und begeistert still nur lieben:

So muss ich doch das gütige schicksal loben
Das mich durch Deine hand zur tat getrieben
Und zu den sternen mich emporgehoben.
(S. 13)
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DIE NAJADE

Unter hohen waldesbäumen
Wo ein klarer quell entspriesst
Sizt ein jüngling dem in träumen
Leicht der tag vorüberfliesst.

Da tritt aus dem kühlen bade
Plötzlich vor der grotte rand
Lieblich schön die quell-najade
In hellschimmerndem gewand.

Sie bringt schnell ihn zum erwachen
Streuet blumen vor ihm hin
Und mit einem leisen lachen
Ging sie schnell wie sie erschien.

Er kniet hin mit offnen armen
Fleht nach ihr von wahn betört
Doch die nixe ohn erbarmen
Nicht auf seine stimme hört.

Nur das wasser schien zu lauschen
Auf die bitten die er sprach
Und aus seinem wellenrauschen
Klang ein leises kichern nach.

Oft noch wandelt er zur quelle
Manchmal noch sah er sein glück
Doch ein bild der flüchtigen welle
Wich es eilig stets zurück.

Da erfasst ihn ungemessen
Wilder schmerz .. er härmt sich ab
Nimmer kann er sie vergessen
Und der quell ward ihm zum grab.
(S. 14)
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Mir ist es wie Titanien ergangen:
So habe ich ein zerrbild nur geliebt
Da eitler wahn die sinne mir umfangen
Da falscher spuk die augen mir getrübt.

Soll ich mich jezt bei der entdeckung grämen?
Klag ich in nichtigem zorn das schicksal an?
Nein ich will nur mich meiner torheit schämen
Und sie vergessen - wenn ich kann.
(S. 15)
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Vernunft! du legtest deine kalten hände
Mir auf mein fieberglühend haupt
Und sprachst: du tor nun endlich wende
Dich ab von dem was dir den frieden raubt!

Vernunft! ich höre dich von neuem sprechen ..
Mit meiner liebe muss ich immer brechen
Da ihre eigne rede mich bekehrt
Und über ihren unwert mich belehrt.

Jedoch was hilfts wenn sie mein sinn verachtet
Die lippe strenge sie zu richten trachtet
Und doch das knie vor ihrem bild sich beugt
Ihr name noch den alten sturm erzeugt?
(S. 17)
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HERZENSNACHT

Das trübe leben das mich umschliesst
Füllt meine seele nicht aus
Sie ist ein einsames haus
Um das ein nebelmeer rings sich ergiesst.

Einmal nur wurde sie mächtig belebt
Als von dem himmel ein licht
Brach durch die neblige schicht
Und durch die düsteren räume geschwebt.

Aber so kurz nur währte das glück.
Unverhofft wie es entstand
Wieder das leuchten entschwand
Und alte finsternis kehrte zurück.
(S. 22)
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Sei stolzer als die prunkenden pfauen
Sei tückischer als der schlangen brut
Sei launischer als alle frauen
Nichts edel sei an dir und nichts gut:

Warst du es nicht die im jungen herzen
Zuerst die glühende liebe entfacht
Zuerst es belehrt über freuden und schmerzen
Zuerst ihm gezeigt eine irdische macht?

Warst du es nicht vor der ich gezittert
Der ich vor niemandem bebend stand?
Hast du nicht ein leben versüsst und verbittert
Und lange gelenkt mit der schwachen hand?

Bring mir nur leid und ewiges grämen
Nichts edel sei an dir und nichts gut!
Darf ich mich schelten muss ich mich schämen
Wenn immer noch flackert die alte glut?
(S. 29)
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DER BLUMENELF

In der bergschlucht wo niederschnellt
Der gletscher schmelzendes eis
Da hatte ein blumenelf sein zelt
Im kelch eines edelweiss.

Er lebte in seliger lust dahin
Genährt vom ätherischen trank
Er spielte froh wenn die sonne schien
Und träumte süss wenn sie sank.

Da sprosste zu seinen füssen nicht weit
Im felsigen gähnenden schacht
Die alpenrose im rötlichen kleid
In zarter und herrlicher pracht.

Er sah sie und seine ruhe war fort ..
Nicht mehr der köstliche saft
Der sonne schein und der trauliche ort
Ihm freud und erquickung verschafft.

Ach sie vernahm es nicht was er sprach
Nicht konnte er flehend ihr nahn ..
Er welkte dahin von tag zu tag
Verzehrt von dem blinden wahn.

Und wieder einmal war sie erwacht
Geküsst von den perlen des taus
Und sah er sie leuchten in aller pracht -
Da hielt er es nicht mehr aus:

Er stürzte des sichern verderbens bewusst
Nach ihr in den gähnenden schlund
Und presste im fallen in brennender lust
Die blume an seinen mund.
(S. 30)
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FRÜHE LIEBE

Wenn plötzlich du dem harrenden entschwandest
Wenn deinen süssen anblick ich versäumte
Wenn achtlos du die augen von mir wandest
Der ich den ganzen tag von dir nur träumte
So fasste mich ein schmerzlich wildes grämen
Ja ernster tränen musste ich mich schämen.

Als ich nun hörte wie in langen peinen
Du auf dem schmerzenslager dulden solltest
Was konnte ich da mehr als bitter weinen
Wie einst als du mich nicht verstehen wolltest?
Ich weinte - ja - doch mit der tage schwinden
Nicht mehr so bitter konnte ichs empfinden.

Du starbst und ohne träne konnt ich hören
Was einst mir schien des schicksals schwerste qual ..
Im alltagsleben konnt es kaum mich stören
Und wo dein grab ist weiss ich nicht einmal.
(S. 38)
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ZU EINER INDISCHEN WEISE
Nach Shelley

Erwach ich aus dem traum von dir
Im ersten süssen schlaf der nacht
So scheinen mir die sterne hell
Und winde wehen sacht.
Erwach ich aus dem traum von dir
So bin ich - Süsse! wie nur ach
Von einem geist in mir geführt? -
Vor deinem schlafgemach.

Der lüfte wanderung verschwebt
In dunklen stromes schaum
Der fliederbüsche duft verhaucht
Wie süsser wunsch im traum.
Der nachtigallen klagesang
An ihrem herz gestorben ist
Wie ich an deinem sterben muss
Geliebt so wie du bist.

Ich schmachte sterbe sinke hin!
O hebe mich empor vom grund!
In küssen regne deine gunst
Auf aug und bleichen mund!
Ach meine wange bleicht erstarrt
Mein herz pocht laut und rastet nicht -
O schliess es wieder eng an deins
Wo es zulezt noch bricht!
(S. 50)
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SONETT NACH PETRARKA

Es hob mich der gedanke in ihre kreise
Zu ihr nach der hier vergeblich geht mein streben
Dort sah ich sie im dritten himmel schweben ..
Schön war sie wie nie doch in minder stolzer weise.

Sie fasste mich bei der hand und sagte leise:
"So michs nicht trügt werden hier vereint wir noch leben ..
Ich bins die so grosse kämpfe dir gegeben
Und die vor abend beendete ihre reise.

Mein glück begreift kein menschlicher verstand:
Dich allein erwart ich und meine schöne hülle
Die da unten blieb - der anfang deiner liebe"

Ach warum schwieg sie und entzog sie ihre hand?
Bei solcher liebreicher und keuscher worte fülle
War mir als ob ich in dem himmel bliebe.
(S. 63)
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ERSTER FRÜHLINGSTAG

Schon hab ich seine nähe gefühlt
Schon seinen zauber empfunden
Doch das war im süden drunten
Wo die sinne nichts andres ahnen
Als wärme schönheit und licht.

Es schwand der duftige traum ..
Ich ward in den norden entrückt
Wo grade der kampf begann
Des jugendlich schönen gottes
Mit dem alten finsteren mann.

Der sieg scheint entschieden zu sein.
Heut bricht zum erstenmal
Des frühlings gewalt auf mich ein
Unter dem grünenden dache
Im weiten sonnigen park.

Heut ist mein erster lenzestag.
Gierig trinkt seine wonnen ein herz
Das starker regungen bar
Zu kleinen lieben sich zwingt
Und nach einer grossen vergebens ringt.
(S. 64)
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Die alte liebe noch?
In ihrer torheit noch und wildheit gleich
An lockenden und üppigen bildern reich?
Sie ist noch so.
Das blumenblättchen deiner hand entflogen
An dem ich fromm und erhrfurchtsvoll gesogen?
Nein nicht mehr so!
Sie ist noch - schlägt noch ihre alten wunden
Jedoch das heilige ist daraus entschwunden.
(S. 65)
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KEIM-MONAT

Der puls einem pochenden hammer gleicht
Und glühender hauch meine lippen bleicht

Ein blick ein atem schon wild mich durchrüttelt
Ein leises streifen mich fiebrisch schüttelt

Ich fühle in allen tiefen ein gähren
Mein todesschlaf kann nicht länger währen.
(S. 66)
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WECHSEL

Ich sah sie zum erstenmal .. sie gefiel mir nicht:
Es ist an ihr nichts schönes
Als ihre schwarzen schwarzen haare.
Mein mund berührte sie flüchtig eines tags
Und sehr gefielen mir ihre haare
Und auch ihre hand ..
Es ist an ihr nichts schönes
Als ihre haare - ja - und ihre feine hand.
Ich drückte sie etwas wärmer eines tags
Und sehr gefiel mir ihre hand
Und auch ihr mund.
Heute ist nichts mehr an ihr
Was mir nicht sehr gefiele
Was ich nicht glühend anbetete.
(S. 77)
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IN DER GALERIE

In der welt der farben beschloss ich
Vom staub des alltags mich zu befreien.
Ich trete ein. Du gehst die beim ersten anblick
Durch deine stirn mir hohes wissen offenbartest
Und tiefes urteil durch deine augen.
Mit welcher lust hätt ich an deiner seite
Die weiten säle durchwandern mögen
Unwissend lachen stumpfe blicke
Und leeres reden der menge verachtend
Und aus den vielen formen bauen mögen
Eine einzige mauer von auserlesnem ..
Ach warum gehst du? du kennst mich nicht.
Ich streife umher unfähig zu geniessen ..
In dem weiten hinguss
Von fleisch und blau und grün
Find ich dein antlitz nicht.
(S. 79)
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WEIHE

Hinaus zum strom! wo stolz die hohen rohre
Im linden winde ihre fahnen schwingen
Und wehren junger wellen schmeichelchore
Zum ufermoose kosend vorzudringen.

Im rasen rastend sollst du dich betäuben
Am starken urduft · ohne denkerstörung ·
So dass die fremden hauche all zerstäuben.
Das auge schauend harre der erhörung.

Siehst du im takt des strauches laub schon zittern
Und auf der glatten fluten dunkelglanz
Die dünne nebelmauer sich zersplittern?
Hörst du das elfenlied zum elfentanz?

Schon scheinen durch der zweige zackenrahmen
Mit sternenstädten selige gefilde ·
Der zeiten flug verliert die alten namen
Und raum und dasein bleiben nur im bilde.

Nun bist du reif · nun schwebt die herrin nieder ·
Mondfarbne gazeschleier sie umschlingen ·
Halboffen ihre traumesschweren lider
Zu dir geneigt die segnung zu vollbringen:

Indem ihr mund auf deinem antlitz bebte
Und sie dich rein und so geheiligt sah
Dass sie im kuss nicht auszuweichen strebte
Dem finger stützend deiner lippe nah.
(S. 100)
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VON EINER BEGEGNUNG

Nun rufen lange schatten mildre gluten
Und wallen nach den lippen kühler welle
Die glieder die im mittag müde ruhten -
Da kreuzest unter säulen Du die schwelle.

Die blicke mein so mich dem pfad entrafften
Auf weisser wange weisser schläfe sammt
Wie karg und scheu nur wagten sie zu haften -
Der antwort bar zur kehrung ja verdammt!

An süssem leib im gang den schlanken bogen
Sie zur umarmung zaubertoll erschauten ·
Dann sind sie feucht vor sehnen fortgezogen
Eh sie in deine sich zu tauchen trauten.

O dass die laune dich zurück mir brächte!
Dass neue nicht die fernen formen stören!
Wie ward es mir gebot für lange nächte
Treu zug um zug dein bildnis zu beschwören!

Umsonst · ein steter regen bittrer lauge
Benezt und bleicht was mühevoll ich male.
Es geht .. wie war dein haar und wie dein auge?
Es geht und stirbt in bebendem finale.
(S. 105)
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NACHTHYMNE

Dein auge blau · ein türkis · leuchtet lange
Zu reich dem Einen · ich verharre bange.
Den kiesel tröstet deines kleides saum.
Kaum tröstet mich ein traum.

Die alten götter waren nicht so strenge.
Wenn aus der schönen mutberauschten menge
Ein jüngling angeglüht von frommem feuer
Zu ihrem lobe liess des lichtes pfade:
So war das reine opfer ihnen teuer
So lächelten und winkten sie mit gnade.

Bin ich so ferne schon von opferjahren?
Entweiht mich süsses lüsten nach dem tode
Und sang ich nicht zu dröhnenden fanfaren
Der freudenliebe sonnen-ode?

Geruhe du nur dass ein kurzer schimmer
Aus deiner wimper brechend mich versehre:
Des glückes hoffnung misst ich gern für immer ·
Nach deinem preise schlöss ich meinen psalter
Und spottete dem schatten einer ehre
Und stürbe wertlos wie ein abendfalter.
(S. 110)
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STRAND

O lenken wir hinweg von wellenauen!
Die · wenn auch wild im wollen und mit düsterm rollen
Nur dulden scheuer möwen schwingenschlag
Und stet des keuschen himmels farben schauen.
Wir heuchelten zu lang schon vor dem tag.

Zu weihern grün mit moor und blumenspuren
Wo gras und laub und ranken wirr und uppig schwanken
Und ewger abend einen altar weiht!
Die schwäne  die da aus der buchtung fuhren ·
Geheimnisreich · sind unser brautgeleit.

Die lust entführt uns aus dem fahlen norden:
Wo deine lippen glühen fremde kelche blühen -
Und fliesst dein leib dahin wie blütenschnee
Dann rauschen alle stauden in akkorden
Und werden lorbeer tee und aloe.
(S. 111)
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Lauschest du des feuers gesange:
Lagert sich neben dein knie meine wange ·
Mit zagen geniesst sie dein zartes warm ·

Ihre kühne flammende röte
Fürderhin mir deine nähe verböte ·
Ich bin in dem himmel ein sklav dem harm.

Legst in mitleid du mir die haare:
Einzige lohnung! und oft noch in fahre
Verharr ich vor deinem erhabnen stolz?

Frommen gleich die trotz ihrem grauen
Wieder und wieder beim angelus schauen
Zu einer madonna von ebenholz.
(S. 125)
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TAGELIED

Da nacht den neuen morgen noch umschattet
Und dein gemach
(Ein sichres dach)
Noch lange freuden uns gestattet:
Was soll dein leises weinen
Und dein weher blick?
- Des glückes stunden meinen
Für mich ein missgeschick.

Es tröste dich mein schwur
Dass du auch fürder keusch mir bist
Und ich zu deinen füssen
Ergeben dich als engel nur
Beschauen will und grüssen ·
Dein ganzer leib mir lieb und heilig ist ·
An jedem glied
Mein haupt mit inbrunst hängt
Und mit gesenktem lid
So wie man Gott empfängt.

Und trenn ich mich für heut · für ferne fahrt:
Ich trage auf der brust verwahrt
Das seidentuch worauf dein name steht
Der mich wie ein gebet
Eh spiel und schlacht beginnen
Bestärkt und sieg mir bringt.
- O möchten dann nur meine tränen rinnen
Wann uns des wächters horn zu scheiden zwingt.
(S. 218)
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IM UNGLÜCKLICHEN TONE DESSEN VON ...

Löset von diesem brief sanft den knoten ·
Empfanget ohne groll meinen boten ·
Denket er käme von einem toten!

Als ich zuerst euch traf habt ihr gesprochen:
"Dort haust ein wurm der jeden feind verachtet"
Zu seinen klüften bin ich flugs gesprengt ·
Nach heissem ringen hab ich ihn erstochen ·
Doch seitdem blieb mein haar versengt -
Worob ihr lachtet.

"Ich hätte gern den turban des korsaren"
So scherztet ihr - ich folgte blind
Und bin aufs meer in lärm und streit gefahren ·
Mit meinem linken arme musst ich's büssen ·
Den turban legt ich euch zu füssen ·
Ihr schenktet ihn als spielzeug einem kind.

Ihr saht wie ich mein glück und meinen leib
In eurem dienst verdarb ·
Euch grämte nicht in fährden mein verbleib ·
Ihr danktet kaum wenn ich in sturm und staub
Euch ruhm erwarb
Und bliebet meinem flehen taub.

Nun leid ich an einer tiefen wunde ·
Doch dringt eurer lob bis zu lezten stunde ·
Schöne dame · aus meinem munde.
(S. 219)
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DAS BILD

Nachdem ich auf steinernen gräbern · an frostigen pfeilern ·
Gesungen · gewandelt bei würdiger väter zunft:
Erspäht ich zur vesper hinter den rauchenden meilern
Des langsamen abends erquickende niederkunft.

Zerdrangen die freundlichen schatten die farbige helle ·
Erstarben die glocken über dem stillen gefild
Dann sank ich befreit und allein in der bergenden zelle
Mit schluchzen und sehnen vor das göttliche bild.

Die sprechenden augen erhoben · die hände gewunden ·
Entflossen gebete mir ohne anfang und schluss
Wie nie in dem sammtenen buch ich sie ähnlich gefunden ·
Ich spannte die arme und wagte den flehenden kuss.

Ich wartete träumend - bestärkt von den wundergeschichten -
Auf sichtliche lohnung die nimmer und nimmer kam ..
Bestürmte nur heisser und hoffte und zürnte mit nichten
Dem schuldlosen antlitz aus glanz und erhabenem gram.

Und wenn es endlich auf meine lagerstatt
Sich neigte oder erlösende zeichen mir schriebe ..
Ich glaube mein arm ist bald zum umfangen zu matt ·
Auf meinen lippen erlosch die brennende liebe.
(S. 226)
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Worte trügen · worte fliehen ·
Nur das lied ergreift die seele  ·
Wenn ich dennoch dich verfehle
Sei mein mangel mir verziehen.

Lass mich wie das kind der wiesen
Wie das kind der dörfer singen ·
Aus den sälen will ich dringen
Aus dem fabelreich der riesen.

Höhne meine sanfte plage!
Einmal muss ich doch gestehen
Dass ich dich im traum gesehen
Und seit dem im busen trage.
(S. 228)
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Aus den knospen quellen sachte
Tropfen voll und klar
Da das licht auf ihnen lachte.

Und wenn meine tränen fliessen?
Was ich gestern nicht erriet
Heute bin ich es gewahr:
Dass der lezte trost mir flieht
Kann ich euch nicht mehr geniessen
Neue sonne · junges jahr.
(S. 228)
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Dass ich deine unschuld rühre
Soll ich blumengarben reichen
Oder zum genauen zeichen
Deine wahl der farben tragen
Oder soll vor deiner türe
Meine arme laute schlagen?

Kannst du all das nicht begreifen:
Werd ich traurig weiterschweifen?
Werd ich's wagen? werd ich sagen ..
(S. 229)
_____



Heisst es viel dich bitten
Wenn ich einmal still
Nachdem ich lang gelitten
Vor dir knieen mag?

Deine hand ergreifen
Leise drücken mag
Und im kusse streifen
Kurz und fromm und still?

Nennst du es erhören
Wenn gestreng und still
Ohne mich zu stören
Dein wink mich dulden mag?
(S. 229)
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So ich traurig bin
Weiss ich nur ein ding:
Ich denke mich bei dir
Und singe dir ein lied.

Fast vernehm ich dann
Deiner stimme klang ·
Ferne singt sie nach
Und minder wird mein gram.
(S. 230)
_____



Sieh mein kind ich gehe.
Denn du darfst nicht kennen
Nicht einmal durch nennen
Menschen müh und wehe.

Mir ist um dich bange.
Sieh mein kind ich gehe
Dass auf deiner wange
Nicht der duft verwehe.

Würde dich belehren ·
Müsste dich versehren
Und das macht mir wehe.
Sieh mein kind ich gehe.
(S. 230)
_____



Dieses ist ein rechter morgen ·
Warmer hauch um baum und bach
Macht dein ohr für süsse schwüre
Süsse bitten schneller wach
Die ich sorgsam dir verborgen.

Nicht mehr wär ich stumm und zag:
Wandelten wir jetzo beide
An dem immergrünen hag.
Spräche dir von meinem eide
Und vom lob das dir gebühre.
(S. 231)
_____



Ist es neu dir was vermocht
Dass dein puls geschwinder pocht?
Warte nur noch diese tage ·
Sie entscheiden
Ob du leiden
Oder ob du glück erwirbst.
Ach du weisst dass du nicht stirbst
Ruft es wiederum: entsage!
Warte nur noch diese tage
Sie entscheiden
Ob du leiden
Oder ob du glück erwirbst.
(S. 231)
_____



Erwachen der braut:

Es klingt vom turme her
Mit erstem dämmerstrahl
Das lied der himmelshelden ·
Den festesmorgen melden
Ergreifend ernst und schwer
Die hörner im choral.

Bin ich im traum? nein.
Ein ruf erscholl ..
Der nächte sanken sieben.
Es wird ein bote sein
Vom knaben den ich lieben
Und mir erwählen soll.
(S. 236)
_____



Wenn ich heut nicht deinen leib berühre
Wird der faden meiner seele reissen
Wie zu sehr gespannte sehne.
Liebe zeichen seien trauerflöre
Mir der leidet seit ich dir gehöre.
Richte ob mir solche qual gebühre ·
Kühlung sprenge mir dem fieberheissen
Der ich wankend draussen lehne.
(S. 254)
_____



Streng ist uns das glück und spröde ·
Was vermocht ein kurzer kuss?
Eines regentropfens guss
Auf gesengter bleicher öde
Die ihn ungenossen schlingt ·
Neue labung missen muss
Und vor neuen gluten springt.
(S. 255)
_____



Das schöne beet betracht ich mir im harren ·
Es ist umzäunt mit purpurn-schwarzem dorne
Drin ragen kelche mit geflecktem sporne
Und sammtgefiederte geneigte farren
Und flockenbüschel wassergrün und rund
Und in der mitte glocken weiss und mild -
Von einem odem ist ihr feuchter mund
Wie süsse frucht vom himmlischen gefild.
(S. 255)
_____



Als wir hinter dem beblümten tore
Endlich nur das eigne hauchen spürten
Warden uns erdachte seligkeiten?
Ich erinnere dass wie schwache rohre
Beide stumm zu beben wir begannen
Wenn wir leis nur an uns rührten
Und dass unsre augen rannen -
So verbliebest du mir lang zu seiten.
(S. 256)
_____



Wenn sich bei heiliger ruh in tiefen matten
Um unsre schläfen unsre hände schmiegen ·
Verehrung lindert unsrer glieder brand:
So denke nicht der ungestalten schatten
Die an der wand sich auf und unter wiegen ·
Der wächter nicht die rasch uns scheiden dürfen
Und nicht dass vor der stadt der weisse sand
Bereit ist unser warmes blut zu schlürfen.
(S. 256)
_____



Du lehnest wider eine silberweide
Am ufer · mit des fächers starren spitzen
Umschirmest du das haupt dir wie mit blitzen
Und rollst als ob du spieltest dein geschmeide.
Ich bin im boot das laubgewölbe wahren
In das ich dich vergeblich lud zu steigen ..
Die weiden seh ich die sich tiefer neigen
Und blumen die verstreut im wasser fahren.
(S. 257)
_____



Sprich nicht immer
Von dem laub ·
Windes raub ·
Vom zerschellen
Reifer quitten ·
Von den tritten
Der vernichter
Spät im jahr.
Von dem zittern
Der libellen
In gewittern
Und der lichter
Deren flimmer
Wandelbar.
(S. 257)
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Wir bevölkerten die abend-düstern
Lauben · lichten tempel · pfad und beet
Freudig - sie mit lächeln ich mit flüstern -
Nun ist wahr dass sie für immer geht.
Hohe blumen blassen oder brechen ·
Es erblasst und bricht der weiher glas
Und ich trete fehl im morschen gras ·
Palmen mit den spitzen fingern stechen.
Mürber blätter zischendes gewühl
Jagen ruckweis unsichtbare hände
Draussen um des edens fahle wände.
Die nacht ist überwölkt und schwül.
(S. 258)
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Des ruhmes leere dränge sind bezwungen
Seit einen schatz es zu bewahren gilt
Den ich nachdem ich viel verlor errungen ·
Der jeder durst nach andrem prunke stillt.

Die hände zum gebieten ausgestreckt
Vergassen ihre kräfte zu erproben
Weil sie vor dir von deinem glanz bedeckt
In heidnischer verzückung sich erhoben

Und seines amtes heiligkeit verlezt
Der mund der seherwort gespendet
Seit er sich neigend einen fuss benezt
Der milch und elfenbein im teppich blendet.
(S. 259)
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Ihr rufe junger jahre die befahlen
Nach IHR zu suchen unter diesen zweigen:
Ich muss vor euch die stirn verneinend neigen ·
Denn meine liebe schläft im land der strahlen.

Doch schickt ihr SIE mir wieder die im brennen
Des sommers und im flattern der Eroten
Sich als geleit mir schüchtern dargeboten
Ich will sie diesmal freudig anerkennen.

Die reifen trauben gären in den bütten ·
Doch will ich alles was an edlen trieben
Und schöner saat vom sommer mir geblieben
Aus vollen händen vor ihr niederschütten.
(S. 275)
_____



Ja heil und dank dir die den segen brachte!
Du schläfertest das immer laute pochen
Mit der erwartung deiner - Teure - sachte
In diesen glanzerfüllten sterbewochen.

Du kamest und wir halten uns umschlungen ·
Ich werde sanfte worte für dich lernen
Und ganz als glichest du der Einen Fernen
Dich loben auf den sonnen-wanderungen.
(S. 276)
_____



Umkreisen wir den stillen teich
In den die wasserwege münden!
Du suchst mich heiter zu ergründen ·
Ein wind umweht uns frühlings-weich.

Die blätter die den boden gilben
Verbreiten neuen wolgeruch ·
Du sprichst mir nach in klugen silben
Was mich erfreut im bunten buch.

Doch weisst du auch vom tiefen glücke
Und schätzest du die stumme träne?
Das auge schattend auf der brücke
Verfolgest du den zug der schwäne.
(S. 278)
_____



Du willst am mauerbrunnen wasser schöpfen
Und spielend in die kühlen strahlen langen ·
Doch scheint es mir du wendest mit befangen
Die hände von den beiden löwenköpfen.

Den ring mit dem erblindeten juwele
Ich suchte dir vom finger ihn zu drehen ·
Dein feuchtes auge küsste meine seele
Als antwort auf mein unverhülltes flehen.
(S. 280)
_____



ENTFÜHRUNG

Zieh mit mir geliebtes kind
In die wälder ferner kunde
Und behalt als angebind
Nur mein lied in deinem munde.

Baden wir im sanften blau
Der mit duft umhüllten gränzen:
Werden unsre leiber glänzen
Klarer scheinen als der tau.

In der luft sich silbern fein
Fäden uns zu schleiern spinnen ·
Auf dem rasen bleichen linnen
Zart wie schnee und sternenschein.

Unter bäumen um den see
Schweben wir vereint uns freuend ·
Sachte singend · blumen streuend ·
Weisse nelken weissen klee.
(S. 322)
_____



VORKLANG

Sterne steigen dort ·
Stimmen an den sang.
Sterne sinken dort
Mit dem wechselsang:

Dass du schön bist
Regt den weltenlauf.
Wenn du mein bist
Zwing ich ihren lauf.

Dass du schön bist
Bannt mich bis zum tod.
Dass du herr bist
Führt in not und tod.

"Dass ich schön bin
Also deucht es mir.
Dass ich dein bin
Also schwör ich dir."
(S. 593)
_____



LIEDER I - VI

Dies ist ein lied
Für dich allein:
Von kindischem wähnen
Von frommen tränen ..
Durch morgengärten klingt es
Ein leichtbeschwingtes.
Nur dir allein
Möcht es ein lied
Das rühre sein.


Im windes-weben
War meine frage
Nur träumerei.
Nur lächeln war
Was du gegeben.
Aus nasser nacht
Ein glanz entfacht -
Nun drängt der mai ·
Nun muss ich gar
Um dein aug und haar
Alle tage
In sehnen leben.


An baches ranft
Die einzigen frühen
Die hasel blühen.
Ein vogel pfeift
In kühler au.
Ein leuchten streift
Erwärmt uns sanft
Und zuckt und bleicht.
Das feld ist brach ·
Der baum noch grau ..
Blumen streut vielleicht
Der lenz uns nach.


Im morgen-taun
Trittst du hervor
Den kirschenflor
Mit mir zu schaun ·
Duft einzuziehn
Des rasenbeetes.
Fern fliegt der staub ..
Durch die natur
Noch nichts gediehn
Von frucht und laub -
Rings blüte nur ..
Von süden weht es.


Kahl reckt der baum
Im winterdunst
Sein frierend leben ·
Lass deinen traum
Auf stiller reise
Vor ihm sich heben!
Er dehnt die arme -
Bedenk ihn oft
Mit dieser gunst
Dass er im harme
Dass er im eise
Noch frühling hofft!


Kreuz der strasse ..
Wir sind am end.
Abend sank schon ..
Dies ist das end.
Kurzes wallen
Wen macht es müd?
Mir zu lang schon ..
Der schmerz macht müd.
Hände lockten:
Was nahmst du nicht?
Seufzer stockten:
Vernahmst du nicht?
Meine strasse
Du ziehst sie nicht.
Tränen fallen
Du siehst sie nicht.
(S. 594-599)
_____



LIEDER I - III

Fern von des hafens lärm
Ruht der besonnte strand ·
Zittern die wellen aus ...
Hoffnung vergleitet sacht.
Da regt vom hohen meer
Wind die gewölbten auf ·
Bäumend zerkrachen sie ·
Stürmen die ufer ein ...
Wie nun das leiden tost!
Lautere brandung rauscht ·
Zischend zur dünenhöh
Schlägt sie den dunklen schaum ...
Wie nun die liebe stöhnt!


Mein kind kam heim.
Ihm weht der seewind noch im haar ·
Noch wiegt sein tritt
Bestandne furcht und junge lust der fahrt.

Vom salzigen sprühn
Entflammt noch seiner wange brauner schmelz:
Frucht schnell gereift
In fremder sonnen wildem duft und brand.

Sein blick ist schwer
Schon vom geheimnis das ich niemals weiss
Und leicht umflort
Da er vom lenz in unsern winter traf.

So offen quoll
Die knospe auf dass ich fast scheu sie sah
Und mir verbot
Den mund der einen mund zum kuss schon kor.

Mein arm umschliesst
Was unbewegt von mir zu andrer welt
Erblüht und wuchs -
Mein eigentum und mir unendlich fern.


Liebe nennt den nicht wert der je vermisst ..
Sie harrt wenn sie nur schaut in qualen aus ·
Verschwendet schmuck und schatz die keiner dankt
Und segnet wenn sie selbst als opfer brennt.

Teurer! wie dem auch sei: dein pfand zum glück
Den du nur kennst verdunkelt durch mein nahn.
So reiss ich wund mich weg: dich wirre nie
Ein los das leicht sich wider wunsch verrät.

Süsser! ja mehr als dies: damit kein hauch
Dein holdes spielen stört bleib ich verbannt
Und doppelt duldend scheid ich und mein gram
Spricht nur mit mir und diesem armen lied.
(S. 600-602)
_____



Fenster wo ich einst mit dir
Abends in die landschaft sah
Sind nun hell mit fremdem licht.

Pfad noch läuft vom tor wo du
Standest ohne umzuschaun
Dann ins tal hinunterbogst.

Bei der kehr warf nochmals auf
Mond dein bleiches angesicht ..
Doch es war zu spät zum ruf.

Dunkel - schweigen - starre luft
Sinkt wie damals um das haus.
Alle freude nahmst du mit.
(S. 609)
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Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht
Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht

Begleitest mich auf sonnigen matten
Umschauerst mich im abendrauch
Erleuchtest meinen weg im schatten
Du kühler wind du heisser hauch

Du bist mein wunsch und mein gedanke
Ich atme dich mit jeder luft
Ich schlürfe dich mit jedem tranke
Ich küsse dich mit jedem duft

Du blühend reis vom edlen stamme
Du wie ein quell geheim und schlicht
Du schlank und rein wie eine flamme
Du wie der morgen zart und licht.
(S. 863)
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Aus: Stefan George Die Gedichte / Tage und Taten
Klett-Cotta Stuttgart 2003
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_George


 

 


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