Felix Grafe (1888-1942) - Liebesgedichte

Felix Grafe



Felix Grafe
(1888-1942)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 




Wundervoll gestirntes Schweigen
atmet süß in meine Ruh -
sieh: mir wird die Welt zu eigen
und ihr ganzer Sinn bist du.

Wie in kindischem Vergeuden
fing das Leben leuchtend an -
wie in Schmerzen, wie in Freuden
mir das klare Spiel verrann!

daß ich nun sie wiederbringe,
Stunden, Stimmen, tot im Wind,
lausche ich verschlungner Dinge
rätselhaftem Labyrinth -

fühle diesen rätselvollen
Klang von Gassen, Wald und Zeit -
ach: so lange war's verschollen
tief im Meer der Ewigkeit.

Niemals wieder, niemals wieder
kehrt verlornen Lachens Kraft -
und die Stimmen, und die Lieder
bleiben ewig rätselhaft.

Wie in wundervollem Kreise
spiegelnd diese Nacht verrann
und du stehst und schauerst leise:
fremdes Antlitz starrt dich an.

Ja, ich lag an jungen Brüsten
und die Nacht war tief und klar -
nicht in Leiden, nicht in Lüsten
war die Welt mir offenbar -

und ich wollte nicht erwachen,
aber ach, ich bin erwacht.
Stark wie ein korallnes Lachen
drang es in die stillste Nacht.

Schwer an Schmerzen, reich an Lasten
geh ich durch die Welt dahin -
und gleich närrischen Fantasten
such ich sinnlos ihren Sinn.

Lachen, lachen - strahlend nieder
braust der Sonne großer Tanz -
niemals wieder, niemals wieder
kehrt vergeßnen Lachens Glanz.

Wie aus wachgeküßten Zweigen
spiegelnd diese Nacht verrinnt -
wundervoll gestirntes Schweigen -
rätselhaftes Lied im Wind -

Bin ich noch ein Kind der Erde?
Sonne stieg aus süßer Nacht -
und mit trauriger Gebärde
grüß ich, die mir göttlich lacht.

Herbst ist durch den Wald gegangen
als ein Mädel, zart und bleich.
Und an ihren jungen Wangen
wird mein dunkles Leben reich.

Ja, an ihren kühlen Brüsten
werden Schmerzen holdes Spiel -
und an ihren nie geküßten
Lippen glänzt ein neues Ziel.

Tausendfach gestirnte Nächte
hüten meine heilige Ruh:
All das Gute, all das Schlechte,
sieh: ihr ganzer Sinn bist du.
(S. 73-74)
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Über meine Schläfen gleiten
Atemzüge erster Nacht.
Aufgewacht
sind die tiefsten Einsamkeiten.

Kühle Lippen legt das Dunkel
liebreich mir an Stirn und Mund.
Tief im Grund
liegt ein Wald im Sterngefunkel.

Selig, wie du Herz und Wangen
in des Nachtwinds Küssen kühlst -
und du fühlst:
zögernd kommt ein Glück gegangen.
(S. 75)
_____



Und ich weiß: auch dies muß enden
dunkler Nächte Glut und Kuß,
daß ich aus geliebten Händen
unruhvoll mich reißen muß.

Daß ich wieder wandern werde,
halb beseligt, halb bedrückt,
fort von euch und von der Erde,
wenn der Herbst die Wälder schmückt.
(S. 75)
_____



Das Lied

Und mit einem leichten Liede
auf den Lippen kam sie her.
Hart und schwer
klangen Schläge aus der Schmiede.

Eines Ritters graue Pferde,
der Gesell beschlug sie gut;
rot wie Blut
wurde sie und sah zur Erde.

Und aus ihrem jungen Munde
schwieg das Lied - doch der Gesell
sang es hell
in der roten Abendstunde.
(S. 76)
_____



Es war ein großer Dichter,
sein Herz war hell und heiß -
ihm glänzten tausend Lichter,
von denen keiner weiß. -

Ihm wiesen tausend Freuden
zu einem hohen Ziel -
ihm galt ein Sichvergeuden
als kindisch-süßes Spiel. -

Die Nacht ist eingesunken,
der Wald wird wach und weit -
der Dichter ist ertrunken
im Meer der Nüchternheit.
(S. 82)
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Winter will den Wald verwehn,
Weg und weiße Wiesen
weisen weiter - Wipfel stehn,
wartend, wache Riesen.

Ach, schon ist mein welker Strauß
wind- und wandermüde.
Seit ich in die Welt hinaus
zog, ist nirgends Friede.

Welk der Strauß - sie blieb nicht treu -
Herz ... es gibt noch andre -
Grüße sie - und geh vorbei -
und dann wandre - wandre. -
(S. 82)
_____



Und nun steigt der Tag die Treppe
in den kühlen Brunnenschacht -
Dame Nacht
raschelt mahnend mit der Schleppe.

Über meine weiße Decke
huscht ein Strahl und scheint - und scheint -
hinter mir in dunkler Ecke
liegt ein Herz - und weint - und weint.
(S. 85)
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Tiefe Nacht legt mir im Schlafe
kühle Lippen an die Scheiben,
rauscht und knistert - Hirten treiben
halbverträumt zu Dorf die Schafe.

Zögernd kommt ein Glück gegangen -
Still! daß es den Schritt nicht wende -
leise gleiten meine Hände
über deine lieben Wangen.
(S. 85)
_____



Ich bin vom großen Stamm der Götter,
ich bin der höchste, euer Gott.
Ich bin vom Stamm der großen Spötter,
und wahrlich, furchtbar ist mein Spott.

Mein Spott ist furchtbar wie Gewitter,
das jagend durch die Felder springt,
dem bittersten noch ist er bitter,
ein Trank, den keiner lachend trinkt.

Ich bin der große Gott der Lüge,
auf krummen Wegen kriecht mein Geist -
ich bin der Gott der Winkelzüge,
der euch der Gott der Liebe heißt.

Ihr alle seid wie Schachfiguren,
ein toller Märchenspuk und -spott -
ein Kreis von Heiligen und Huren,
und ich - bin diesem Kreis ein Gott.

Der Heiligenschein um eure Stirnen
ist nur ein falscher Heiligenschein -
und eure Worte, eure Dirnen,
selbst euer Schlamm ist noch zu rein.

Trüb seh ich eure Wahrheit scheinen
zu Boden fliegt, verfliegt mein Spott -
mich überfällt ein stummes Weinen -
bin ich noch - war ich je ein Gott?
(S. 87)
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Das ist der Weg, den man nur einmal geht.
Feldblumen wachsen meinem Schritt entlang.
Schon bin ich da - ganz nah am Waldrand steht
die Bank.

Kornblumen wand ich mir zu einem Kranz.
Zum Tanz für eine Mädelstirne stehn
Kornblumen gut, mein Lieb. Wir alle drehn
uns ja im Tanz.

Das ist der Wald - mir haucht sein kühler Mund
wie Kinderatem über Stirn und Wangen.
Was weinst du, sag? noch sind die Blätter bunt,
nur schüchtern ist der Herbst dahingegangen.

Was weinst du, sag? ich bin nicht traurig, nein
vielleicht, daß es mir leid ist um die Zeit,
die andere Jugend nennen - Glücklich sein!
ein leeres Wort in dieser Einsamkeit.

Gib mir die Hand. So. Weine nicht. Es steht
ein schönrer Wald - Feldblumen blühen dort
die woll'n wir pflücken, Schwester - komm, komm fort,
das ist der Weg, den man nur einmal geht.
(S. 92)
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Sie grüßte ihn, indem sie leise nickte
und trat mit ihrem Krug zum Brunnenrand.
Schon war die Stunde, wo in ihr Gewand
Prinzessin Nacht die ersten Sterne stickte.

Er schöpfte ihr den Krug - mit kühlem Lächeln
dankte sie ihm und reichte ihm die Hand.
Er sah ihr nach, wie sie durch weißen Sand
dem schwarzen Wald zuschritt mit feinen Knöcheln.
(S. 93)
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Ich war einmal ein Zinnsoldat
im heißen Afrika -
ich weiß noch, wie mich gehätschelt hat
die Prinzessin Cleopatra.

Im Haare trug sie ein silbernes Band,
ihre Augen waren wie Kohlen,
sie tat mich mit ihrer weißen Hand
gar oft aus der Schachtel holen.

Sie war ein großes Feldherrntalent,
das konnte ich deutlich spüren,
und sie verstand sich ganz patent
auf's Führen und Verführen.

Sie ließ mich immer zum Siege gehn
(sie verstand famos zu siegen) -
da hat sie mal den Antonius gesehn,
von da an ließ sie mich liegen.

Ich glaub, sie hatte mich schon satt,
(gar manchen ist's so gegangen)
Antonius, dummer Zinnsoldat,
sie hat auch dich gefangen.

Ich selber war ganz desperat,
im Dunklen eingeschlossen -
und hätt' den römischen Soldat
am liebsten totgeschossen.

Nur wurde das leider erschwert
durch die damalige Misère -
denn erstens war ich eingesperrt,
und zweitens gab's keine Gewehre.

Ich hätte gern um ihre Hand
und Krone angehalten,
doch hab ich leider die Absicht erkannt
der dunkeln Schicksalsgewalten.

Im Grunde, sie war eine gute Partie
und auch ein reizendes Mädel -
so aber verzichtete ich auf sie
und zeigte mich stolz und edel.

Ich wurde sarkastisch und dachte vergnügt
in meiner dunkeln Lade:
es ist ja wurscht, wer ihr Bett mal kriegt,
(aber um die Millionen ist schade).

"Ob sie Kinder von mir kriegt oder von dem,
das ist ja gänzlich belanglos" -
nach diesem bedeutenden Philosophem
verschwand ich sang- und klanglos.

Erst am Silvesterabend bin
ich wieder ans Licht gekommen -
da hat mich die junge Königin
aus meiner Schachtel genommen.

Sie ging mit mir in die Küche hinaus,
die Zukunft sich zu gießen,
dort nahm sie einen Löffel heraus
und hat mich hineingeschmissen.

Ich glaub, man tut das auch noch heut,
die Zukunft zu erfahren,
es gibt ja heut noch dümmere Leut
als vor zweitausend Jahren.

Sie warf mich in den heißen Topf
mit ihren Händen, den weißen.
Da ward ich ein Flaschl mit Totenkopf
(das sollte "äußerlich" heißen).

Denn einmal bin ich Pessimist,
auch bin ich stets boshaft gewesen.
Daß sie wirklich an Gift gestorben ist,
hab ich bei Shakespeare gelesen.
(S. 94-95)
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So gehst du abends durch das Tor,
wenn schon vor Nacht die Sonne sinkt,
wenn schon im letzten Licht ertrinkt
der bunten Stimmen süßer Chor.

Und fühlst: dein Sinn wird wieder leicht,
den dir der Tag so schwer gemacht,
und merkst, aus dumpfem Traum erwacht,
wie sehr dein Herz den Blumen gleicht.

Dein Herz, das jedes Lied bewahrt
so zwischen Auf- und Niedergang,
ein Lied von jung und altem Klang,
wie deiner Liebsten Hände zart.

Das Dunkel sinkt, das Licht verging,
auch du gehst heim, ein armer Tor,
der Licht und Seligkeit verlor.
Dann sprich zu deiner Seele: Sing

die Lieder liebreich und verhaßt
von ungekanntem Glück und Schmerz -
horch, Herz!
Gott selbst ist heut bei dir zu Gast.
(S. 99)
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Nun will der Herbst mit welken Blättern
mir meine blasse Stirne kränzen,
wenn Nebel durch die Äste klettern
in grauen, wunderlichen Tänzen.

Fühlst du, wie in den Hauch von Küssen
ein Schauer fremder Nächte gleitet?
Und wie ein Wiederwandernmüssen
dir neue Wege vorbereitet?
(S. 105)
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Ich hab im Traum geschrieben,
die Nacht war hell und heiß.
Mein Hassen und mein Lieben,
das wurde wach und weiß.

Und trat mir an mein Bette
Und hat mich leis berührt,
mir mit kristallner Kette
so Hand wie Herz geschnürt.

Ich hab das Aug' geschlossen,
ich weiß nicht, was geschieht,
ich fühle mich durchflossen
von einem fremden Lied,

ich fühle mich durchflutet
von großer Zärtlichkeit.
Und nur mein Herz, das blutet -
ich hab dafür nicht Zeit,

ich hab an ihr gehangen,
Gott weiß, ich hatte sie lieb.
Dies alles ist vergangen,
wie Wasser durch ein Sieb,

ich mag daran nicht denken,
ich stürbe sonst daran.
Ich wollte mich ihr schenken
und sie - nahm mich nicht an.
(S. 105)
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Das war ein seltsam Leben,
darin mein Schritt mich führt.
Sie hat, was ich gegeben,
mit keiner Hand berührt,

Nur mit den Fingerspitzen
hat sie es fortgetan,
dies alles zu besitzen,
es lag ihr nichts daran.

So seltsam ist das Ganze,
unsäglich schal und dumm -
die eine geht zum Tanze,
der andre leidet stumm,

ich mag daran nicht denken
und sterbe doch daran,
ich wollte mich ihr schenken
und sie - nahm mich nicht an.
(S. 106)
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Nun, Herz, sei stark, und lern vorübergehn -
es ist dir nicht bestimmt, in diesem Kreise
einst auszuruhn - es treibt dich auf die Reise -
und Perugina wird am Tore stehn.

Der Wind bewegt die holden Locken leise,
ihr süßes Antlitz läßt die Nacht nicht sehn -
und du wirst ihr (sei stark) den Rücken drehn,
die nachts dir folgt nach fremder Bettler Weise.

Doch wirst du manchesmal die blonden Haare
(so grausam ist der Gott) im Traume sehn,
als wär's ein reiner Engel der Sistina -

dann darfst du schlafen - vierzehnhundert Jahre
einst kommst du wieder heim - doch Perugina,
ja, Perugina wird am Tore stehn.
(S. 108)
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Im roten Abend ging mein später Schritt,
von ferne kreischten noch die Gassenhauer
zu meinem Ohr - erst an der weißen Mauer
des Parkes blieb ich stehn - und langsam glitt

mein Blick in dieses Abends süße Trauer,
verwundert, daß mein totes Herz es litt,
noch einmal aus verloschner Schönheit Schauer
dies auferstehn zu sehn - was ich erstritt

in schweren Nächten und dann doch verlor -
da schlug es zehn - der Wächter kam und rief -
ich lachte leis - war diese Nacht so tief,

daß ich mit leichtem Herzen durch das Tor
heimschreiten durfte, gleich als ob ich schlief?
und hell - und froh - und kindisch wie zuvor?
(S. 109)
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Nun ist es Zeit - tritt ein - sieh, es ist Zeit -
oh, werde wach und reich mir deine Hände,
du - meiner letzten, schwersten Einsamkeit
wachsamer Geist, für den ich mich verschwende.
Den Gürtel löse auf - leg ab dein Kleid,
das Licht in meiner Lampe geht zu Ende.
Und über allen Dingen ruhlos glänzt
verloschner Liebe wunderlich Gespenst.

Ich bin bereit - ich bitte dich: tritt ein -
Noch liegt dein Kamm an seiner alten Stelle -
noch ist ein warmer, rätselhafter Schein,
wo du hinaustratst über meine Schwelle.
Uralter Krüge ungemischter Wein
hilft zum Vergessen nicht - und Schlafgeselle
ist nur die Qual in meiner Einsamkeit -
Tritt ein und sieh: schon steht das Bett bereit.

An meinen Fingern hängt noch süß und tief
der Duft von deinem Haar - an meinen Ohren
tönt noch das Wort, mit dem dein Mund mich rief,
das Lachen (ach, mir ewig unverloren)
das hinter lieben Lippen schweigsam schlief.
Zu welchem Ziel war alles dies geboren?
und welchem Spruch zu willen? wem zu Dank?
es wuchs, gab Glanz - ein Wimpernzucken lang.

Sieh: eine Mauer hab ich aufgebaut
rings um dein Grab mit Hohn und hohlen Klagen
- und hinter dieser Mauer wurde laut,
was ich ein Jahr in tiefster Qual getragen -
in jedem Traume warst du meine Braut,
nun bist du's - sieh, die Stunde hat geschlagen,
wo ich den Sinn der Erde von mir warf,
daß ich dich heut ins Brautbett tragen darf.

Wie in mir alles rastlos zu dir drängt,
fühlst du es nicht - soll ich so einsam bleiben?
Sinnloser Wunsch, der nur an Gräbern hängt -
hier steh ich starr und hauche an die Scheiben:
in weiße Winterwolken eingesenkt
verschneiter Dächer Glanz und drüber treiben
mit heißen Lippen meine Worte hin -
verklingen hohl - und geben keinen Sinn.
(S. 109-110)
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So kam es, sieh: daß sich kein Weg mehr weist,
daß ich nun um verlorne Gärten klage -
o du: wie um des Herbstes bunte Tage
das Lächeln einer neuen Sehnsucht kreist -

In alten Worten schmied' ich neues Wissen
und deine Hände sind mein Paradies -
war dies der Sinn: was ich am Wege ließ,
zeigt nun den Weg aus alten Finsternissen.

In deinen Händen liegt das Leid gebunden,
an deinem Mund beschlossen schläft die Lust,
ein Neues aber schläft in deinem Schoß

Daß du verstummt die Hände falten mußt -
auf tausend Wegen und aus tausend Wunden
mit gläubiger Seele sprichst. Gott, Du bist groß -
(S. 136)
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Menuett

Wer fühlt die Zeit mit holden Händen rühren
an seiner Seele bunten Herbst? Tritt vor,
zärtliche Anmut! In den seligen Chor
zierlichster Freude will ich dich entführen.

Getreten kaum durch die erhellten Türen,
fühlst du, was einst dein Kinderherz verlor.
Reizender Wechsel zwingt dich stark empor
zu jenem Geist, den nur Beglückte spüren.

O Herz! O Tage, rätselhaft und reich!
Wie dämpft sich klingend, was zwiespältig brannte,
zu einem Lied, im tiefsten Wesen gleich.

Und Lust, die nie dein Herz sein eigen nannte,
wird kindlich zögernd wach und atmet weich
dahingeschmiegt ins zärtliche Andante.
(S. 138)
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Spaziergang auf der Bernina

Erkennen wir, von Zweifel frei und Reue:
Gott gab uns dies: zu schweigen und zu reden.
O süßer Abend, Tau und Sommerfäden,
Libellen spiegeln sich in feuchter Bläue.

Prometheus steigt. Schon schließen sich die Wände,
Stauwerk des Sees winkt donnernd an sein Ohr.
Aus pfirsichfarbnem Himmel sinkt der Chor
der Lerchen. Und ein Stern in unsre Hände.

"Marianne", "Liebster", "Horch, der Abend spricht."
Hold sich erschließend fällt der Wald zu Tal.
Bereiftes Gras. Ein See aus Strahl und Stahl.
Im Schnee dein Fuß. Ein himmlisches Gesicht.

Dein Antlitz von den blauen Schauern des Herbstes übertrauert
Spiegelt sich der abendliche Frieden und bunte Wiesen.
Schweigend blicken wir in Gottes Reich verwiesen
in den Rauch der Wälder, so Nacht und Taufall überdauert.

Blutende Füße. Deiner zierlichen Kniekehlen Anmut und Lust
schreitet noch immer sicher empor zu den blühenden Rosen.
Unvergänglich braust in uns Heimatlosen
das wilde Geschlecht. Deine an meiner Brust.

So sprichst du, Liebste, zu mir: deine Wangen
von Regenbogen der Liebe überhangen,
deine ängstlichen Augen, darin die Ewigkeit träumt,
dein kindlicher Mund,
von den Wundern herbstlicher Süße gesäumt,

dann spricht mein Herz zu Gott: du darfst mich nicht verneinen,
an deinen Wassern will ich liegen und will weinen
in Schmerz und Freude und in großer Dankbarkeit.
Du hast an mir getan genug für alle Zeit.
(S. 144)
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Am Abend aller Zeit

Gott, laß, die ich liebe, laß sie nicht elend werden,
Mutter, Vater, Geschwister und Freunde meiner Zeit,
Heb auf in Gnaden, die mit hilflosen Gebärden
vor dir liegen. Sieh, wie blutet ihr Leid.

Laß Marianne, mein Weib, in Zuversicht aufwärts schauen,
daß auf des Sommers Höhe ihr das Glück geschieht.
Gib, daß ihr kindliches Herz vor allen Frauen
aufatmend deine himmlischen Wunder sieht.

Reich einem jeden zu seiner Zeit die Speise,
dem Bettler im Schnee und dem jungen Reh im Wald.
Daß sich uns allen die rechte Bahn zu dir weise,
zeigt ein jedes Ding heimlich deine Gestalt.

O Stern des Abends, holde Zuversicht!
Niederknieen zur Nacht und sprechen: Du bist das Licht.
(S. 148)
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Abend am Fenster

Hab ich genossen
das Wunder der Zeit?
Schon liegt erschlossen
des Sommers Kleid.

Hat eine Frau mir
den Weg verengt?
Wie schon das Blau mir
des Himmels sich senkt.

Geht schon zu Ende
das glühende Fest,
halten zwei Hände
mein Schicksal fest?

Blumen und Früchte,
sie liegen zuhauf,
wohin ich mich flüchte,
der Himmel steigt auf.

Wo ich mich lege,
find ich zur Ruh.
Siehe: am Wege
wartest nur du.

Sind auch die Sterne
erloschen zu nichts,
naht aus der Ferne
die Stimme des Lichts.

Der Blick ist verschlossen,
die Seele ist weit,
so hab' ich genossen
das Wunder der Zeit.
(S. 149)
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Ein Gleichnis von der Liebe

Vorbei am letzten Haus und erstarrten Wiesen,
wer weiß es, weiß, wie weit mich führte mein Schritt!
Wo die sinkende Sonne noch Funken schlug aus Gewässern
und der Schrei verstoßner Vögel den Abend durchschnitt.

Noch drang der Herbst mit duftendem Atem ins Herz
und das bunte Kleid lag lachend um seine anmutige Gestalt.
Mich aber grüßte das unergründlich warnende Lied
einer späten Schwalbe über dem funkelnden Wald.

"Willst du wieder aufwärts steigen,
lerne dich in Demut neigen!
willst du in die Tiefen dringen,
mußt du dich zur Höhe schwingen.

Über Meer und Sterne flog ich
und durch Wald und Stürme zog ich
meine lustbeschwingten Kreise,
Vorbereitung großer Reise."

Und das Lied im Herzen schlug ich
Wege in verschlungnen Zweigen,
sah des Mittags selige Wunder
selig auf und nieder steigen.

Doch in meinem Herzen brannten
heißer die verlornen Stunden,
ach, da war kein Weg gefunden
in die Nacht des Unbekannten.

Da kam Gott selbst:

An der blauen Ferne fiel es nieder,
tanzend ein helles Gelb im Wirbel des hellen Herbstes,
taumelnd ein Paar Zitronenfalter vom Himmel;
lockte sich fliehend im Netz seiner froher Kreise
über den letzten Blüten - dann lag es zitternd
am Stamm einer Buche, lag zitternd im Liebestaumel
eins geworden - und wußte nichts vom Leben.

Gott selbst, Gott selbst, der Atem der Welt stand still
Und Glück und Schicksal rätselhaft beschlossen
in diesem bunten Bild, drang in mein Herz.
O ungeahnter Anmut Wunder! Sieh!
Das Leben kam! Getrennt und dennoch eins
erhebt sich's aus dem Schatten in das Licht -
Erst leicht - dann steil gleich einem Pfeil der Lust
verschwand's in den azurnen Wirbel der Lüfte.
Über Wald und Zeit:
Das Rätsel eines Tages und aller Ewigkeit.
(S. 153-154)
_____



Nacht im Garten

Schön ist es wohl,
wenn über dem blühenden Dill
Segler ihre gestreiften Flüge ziehen,
aber tiefer zittert das Geheimnis,
wenn seine funkelnden Kreise hinflutet
zärtliches Gestirn der Liebenden
über Nachtschatten und Jasmin.
Sieh, schon zog sie herauf,
die glühende Dämmerung.
Ängstlicher schmiegst du
an den Geliebten dich an,
aufblickend mit verdunkelten Augen
in das wolkenlose Tal.
Hingezogen in schimmernde Welle
weckt dir der Hauch des Windes
Erinnerung an Gärten der Kindheit.
Wie fern dies alles, fern und hingespült
mit unsichtbaren Händen aus dem Herzen.
Freundlicher wird schon der Abend,
später Sonne errötender Hauch
führt dem Liebenden schreibende Finger.
(S. 155)
_____



Das Lied

Oh Abend, wo im halberloschenen Brand
und heitrer sich die hyazinthene Wiese dehnt!
Im Kuß verschlungen fensterhin gelehnt
schweigt Herz an Herz betrachtend in das Land.

Küßtest du so den ungeweihten Mund,
daß er sich dir entblättre hold im Spiele?
Verfall, schablonenhaft und bunt
entgoldet diese Diele.

Wälder, wie Glocken im Sturm, beglückt, verstört!
Küsse wie Märchen, die sich stumme Engel erzählen!
Ach, von kristallnen Himmeln tief betört

reicher, reicher atmet die beladne Seele.
Wir hören
Gott, Gott selbst in einer Amsel zitternder Kehle.
(S. 157)
_____



Patrouille I

Oh, wie vergeß ich dies je, den fernen Ruf der Patrouille,
und dein betrachtendes Antlitz, schweigsam und redend zugleich,
Ach wie zärtlich geschmiegt in die spiegelnde Fläche des Wassers
wiegt sich geflügelte Pracht flüchtig und schimmernd dahin.
Und wir lagen im Gras und lauschten dem Horne des Wächters,
ist die Erinnerung süß, war es verdoppelt der Tag.
War es geträumt? Ich lag und sah mit verschleierten Augen,
wie sich die atmende Brust liebreich dir senkte und hob.
Tiefer im Herzen fühlten wir Glut und verlangende Sehnsucht,
doch du Geheimnis des Sommers lachtest geschwisterlich mir.
Ach, wie vergeß ich dies je, den kindischen Mund der Geliebten,
und das verwirrte Gespräch, wie es den Liebenden gleicht.
Was die Eltern verbieten, geboten scheint es den Kindern,
und die Tochter entspringt flüchtig der häuslichen Form.
Wo sich das Alter vermißt, ein schlagendes Herz zu verweisen,
treibt nur schneller der Gott Jugend zum ewigen Spiel.
Auf der sonnigen Wiese stand ich und wartete heimlich,
leuchtend und ängstlich zugleich kamst du entgegen dem Freund.
Und die verschlungenen Finger
gleich Kindern schwingend im Gehen
kamen wir plaudernd daher hell durch die duftende Pracht.
Sieh, nun deckt mir der Schnee gnädig die nebligen Fenster
und der verdunkelte Raum weckt mir erneuert das Bild.
Und schon tritt sie mir ein, Marianne mit zierlichen Füßen.
Liebste, der Träumende fühlt schauernd den blühenden Hauch.
Weisheit, fliehst du mir so? Was fällt das Buch mir zur Erde?
Und schon bieten sich mir zärtliche Lippen zum Kuß.
(S. 164)
_____



Patrouille II

Siehe, die einzige Form, hingleitend in wandernden Tagen
läßt dich den Weg nicht erschaun, himmlisch und ewig erneut.
Doch in den kreisenden Wundern, dem eilenden Auge nicht sichtbar,
kündet der Gott sich schon an, so du ihn wartend begehrst.
Zärtlicher fühlt deine Hand im Morgen die hängenden Locken
und die erwachende Brust schlägt dir verwunderlich fremd.
Freundlicher auch in den Spiegel begrüßt dich ein seliges Antlitz
und der verschlafene Mund, zierlicher lacht er sich selbst.
Was du dir wartend ersehnst, noch zögert das himmlische Wunder,
Schauer der bräutlichen Nacht, ewig sind sie dahin.
Weisheit schöpfen, woher? Versandet scheint dir der Brunnen,
Wissenschaft oder Gefühl, beide erkennst du als schal.
Tiere und Bäume, nicht mehr begrüßen sie dich als Gefährten
und mit weinendem Mund fügst du dich wieder dem Tag.
Aber noch ehe die Brücke entgleitet dem taumelnden Fuße
grüßt die befreundete Hand winkend dein schlagendes Herz.
Seliger Gleichmut tut not, denn sieh: die verketteten Sinne
bindet gemeinsame Lust, trennt das gemeinsame Leid.
Sei dir selbst erst genug. Und anders blickt schon das Auge
auf den enträtselten Strom, der dir die Stunde entreißt.
Vor dir liegt nicht das Ziel. Erinnerung ist dir befohlen,
und ein gewaltiges Schicksal mag dir erleuchten den Schmerz.
Fiel nicht herrlich der Herbst dir einst auf entgoldete Wälder,
traf dich nicht sternenhaft hell einst ein erglühender Kuß?
War nicht die Schwester dir nah?
Und war nicht dein Zimmer erleuchtet,
Kind, von kindlichen Tränen, die du der Puppe geweint?
War nicht, war es nicht da, Verwirrung der menschlichen Seele,
alles vereint in dir selbst? Ach, du hast es gefühlt.
Doch du vergißest die Zeit. Vergessen hast du zu beten.
Knie du nieder zu Gott. Siehe, er kehrt dir zurück.
(S. 165-166)
_____



Ende

Und über allen Stunden
entrauscht das Lied der Zeit,
nun hab' ich heimgefunden
zum Glück der Zweisamkeit.

O weh! Wie mir im Feuer
ein stolzer Traum zerrann.
Doch siehe, Herz! ein neuer
kündigt hold sich an!

So wollen wir uns fügen
dem starken Spruch der Zeit -
und steigen zu seligen Flügen
in Herrlichkeit.
(S. 166)
_____



Alles Sein ist dunkel,
Gott allein ist klar.
Abend ist gesunken
schwer und wunderbar.

Keiner ist gestorben,
Liebe, weine nicht!
Was zu nicht geworden,
wird in dir zu licht.

Nur dein Aug ist trunken,
doch sie blüht in dir.
Wenn der Abend dunkelt,
tritt sie in die Tür.

Reicht dir ihre Hände
nicht mehr schattenhaft.
Güte zu verschwenden
in lebendiger Kraft.
(S. 166)
_____



Die Liebende spricht

O bunte Lippen zärtlicher als Flöten,
Herabgebogen wie Gebüsch zur Winterszeit!
Ihr habt mich aus dem Staub der Morgenröten
Vorausgeschleudert in die Ewigkeit.

O Druck der Finger, Druck verschlungner Hände
Auf dem erglühten Teppich meiner Haut!
Von meinen Lippen lodern goldne Brände,
Du bist der Herr. In Demut ich die Braut.

Gewicht der Welt, das wir in Einfalt trugen,
Hat sich gelöst zu leicht gefügter Last.
Das Rad des Tags fiel knirschend aus den Fugen
Und nur bei dir ist noch mein Leib zu Gast.

Umarmend faßt die Flamme unsre Glieder,
Das Nichts steht still. Die neue Welt beginnt.
Aus dürrem Strauch auftönt ein roter Flieder,
Der in den Blumenstrauß des Himmels rinnt.

Gebirge steigt, von deiner Brust entzündet,
Im Strahl der Glocken, die wir träumend sahn.
Und blau Gewölb von Engelsmund verkündet
Liegt ungebändigt vor uns aufgetan.
(S. 169)
_____





War es ein Traum, war's Wahrheit, diese Zeit?
Doch wie mir alles dies das Herz verbrannte
bog ich mich aufwärts in die Ewigkeit,
bis ich den Sinn der Liebe ganz erkannte.
Du warst die Liebe - ich war nur dein Kleid,
du träumtest mich, wie einen Traum, den Dante
durch Höllen wandelnd schrieb für Beatrice.
Du gingst den Weg von Hölderlin zu Nietzsche.

Doch diesen Weg geht jeder einst zurück,
des Kindes goldner Blick hält dich bezwungen.
vom Herzen fällt der Haß dir Stück um Stück
und aus den Knaben tönt's mit Engelszungen:
Nur im Gewesenen gründet sich das Glück,
in deinem Kinde hältst du mich umschlungen.
Triff, Blitz, dies Sinnbild der verschneiten Tanne -
sie neigt den Kindern, neigt sich mir - Marianne.
(S. 174)
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Patrouille III

Und so vergaß ich es doch - oh dürfte ich ganz es vergessen
aber lebendiger rührt stündlich den Träumer der Traum.
Ist es denn wahr, daß wir einst wie Kinder die Wiesen durchstreiften
Finger in Fingern verflochten? Sieh, meine Hände sind leer.
Oh wie blühte das Haus, wie war es ein Garten des Lebens
Tröstend und kindlich zugleich, trat die Geliebte mir zu.
In den chinesischen Mantel gehüllt, wie feierlich-zierlich!
lieblich die Brauen geschweift, neigt die Stirn sie zum Kuß.
Halb nur Geheimnis und mir klar wie ein griechischer Knabe
ließ sie doch unter dem Kleid schlanke Beine mich sehn.
Auf dem Wagen der Zeit, von Anmut und Schmerzen getragen
rauschte die Liebe mit uns, lagen wir beide berauscht.
Und die Kinder, sie kamen, wie stand ich fremd vor dem Wunder,
süßen Quell alles Seins reichtest du hold ihnen zu.
Oh die siegend geschwellte, die weiße, die kühlende Quelle,
Ach wie denk ich der Brust, da noch an meine sie schlug.
Mag dem Zeiger der Zeit die schönste der Stunden verwelken,
bleibt sie dem Liebenden doch ewig lebendig und neu.
Alles dank ich nur dir, Marianne, du schweigende Mutter,
dir in der lieblichen Hand war ich ein bildsam Geschöpf.
Aber du schwandest, du gingst. Und mir auf den bittenden Lippen
unvergänglich und süß duftet dein weinender Kuß.
War es der letzte? Und ist es denn wahr und ist es denn möglich,
ist es denn wahr, daß du gingst? Nein, es kann ja nicht sein.
Sag mir, daß ich geträumt - Erinnerung lebt ja uns beiden,
beide sind wir noch da, zärtlich den Kindern gesellt.
Sorge und Liebe sind eins und Kinder binden uns wieder
stehn wir des abends zu zwei über ihr Bettchen gebeugt.
Kommt nicht wieder der Tag? Die zarten Stimmen, sie bitten
und der Liebende reicht bettelnd die Hände dir hin.
Einmal kreuze mir noch dein eilender Fuß meine Straße,
Führst du die Kinder mit mir freundlich das Leben hinan.
Sei uns gemeinsam der Weg, so tragen wir Schmerzen und Freude,
tragen gemeinsam die Schuld - Unschuld klopft an das Tor.
(S. 178-179)
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Naenie

Wie der Jahre bekränzte Fülle das Auge mir blendet!
wie schon trägt mir die Hand leichter das harte Gewicht.
Jüngling war ich, es hing die Stirne dem schwärmenden Kinde
allen Schmerzen zum Spiel schwer zur Erde hinab.
Aber gealtert schüttelt die Seele den Schwänen vergleichbar
ihr Gefieder und strebt wieder zum Lichte hinauf.
Nächte waren genug - es endet die längste der Nächte,
Morgenröte erhebt donnernd das schauernde Haupt.
Saget mir nichts von Flucht, entflieht denn die Freude, ihr Freunde?
Seht, wie ein schmeichelndes Kätzchen drängt sich das Leben heran.
Fangt es doch auf und fühlt der Liebsten gerundeten Busen,
wie er die Höhlung erfüllt wünschend geöffneter Hand.
Wie in dem Auge sich spiegelt unendliche Bläue der Wälder,
wie an den Schläfen entblüht lieblich das braune Gespinst.
Eine Stunde nur war's dem flammenden Atem der Jugend,
immer war's auf der Flucht, niemals stand es uns still.
Ach, wie jagten wir stolz, ein jeder war Meleager
wenn durch den nächtlichen Park scheu die Geliebte uns floh.
Wie doch in bebenden Armen die Beute die schlanke uns glühte,
störrisch zum zitternden Kuß hob sich das kindliche Haupt.
Was einst stürmisch uns hielt mit Wunsch und Blitz und Begierde
eilends ging es dahin wie eine Wolke der Nacht.
Aber von Rosen umduftet, wie das Erinnern sich andrängt,
Und das Vergangene kühlt friedlich die alternde Stirn.
Wohl, die Jugend entschwand. Auch du, du immer Geliebte
gingst mit weinendem Blick wie ein gescholtenes Kind.
Doch dem beruhigten Herzen erneut sich das Wunder des Lebens
und wie ein goldenes Jahr kehrt die Geliebte zurück.
Ja, Marianne, du kehrst, beschworen von ewigen Kräften,
du, mein schmerzliches Glück, blühst mir wieder zurück.
Bitter war mir der Tag und bitter die Stunde des Abschieds.
wahrlich bitter der Trank, den mir Locusta gebraut.
Ach, der rötliche Herbst, mich Einsamen naht er zu trösten,
Und der schweigende Schnee findet den Armen allein.
Aber das goldene, das rollende Jahr entatmet geschwinde
und der Flieder des Mai's bindet dich wieder an mich.
Oh, nur einmal noch schließ dein hungerndes Kind in die Arme
Sieh, wie es weint!
Und deiner zärtlichen Stirn senkt es vertrauend das Haupt.
(S. 180-181)
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Die Wiese liegt golden geschmückt,
die Schwalben, die Lerchen sind wach.
Und über den plaudernden Bach
stehn lachende Mädchen gebückt.

Wie duften der Wald und der Wind,
die Nüsse, die Küsse, der Wein.
Die singende Mutter wiegt ein
ihr holdes ihr goldenes Kind.

Das dehnt sich, das streckt sich und lacht,
das plappert noch trunken vom Schlaf:
Ein Püppchen, ein Lämmchen, ein Schaf,
von rauschenden Engeln gebracht.

Da fallen mit silbernem Ton
die Blätter der Zeiten vom Baum,
da kränzet dem Kranken ein Traum
die Stirne mit zärtlichem Mohn.

Und Röte des Abends wird matt
schon spiegeln sich Sterne im Fluß.
Und ach: im scheidenden Kuß
trinken sich liebende satt.
(S. 181)
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Da trank ich - wie drängte den Lippen sich's zu
den lieblichsten Rausch und es ließ mir nicht Ruh,
da küßt ich - wie war ich zu küssen bereit -
da küßt ich die Küsse der goldenen Zeit.
So haltet, so halte noch, eh sie enteilt
die liebliche Stunde, die tötet und heilt,
daß hold an die Brust eine Freundin euch zieht,
wenn Jugend, die jubelnde Lerche entflieht.
Und daß uns, wenn Schnee schon den Scheitel uns deckt,
die freundliche Drohung der Parze nicht schreckt.
Wenn drohend auf zwölf auch der Zeiger schon zeigt,
die Himmlischen bleiben uns gnädig geneigt.
Wie duftet die braune, die brausende Nacht
als hätt ihr, es hat ihr ein Mädchen gelacht.
Und Rosen, sie neigen ihr stilles Gesicht
so hold und so hauchend dem küssenden Licht.
Und Liebe die flüchtige, eilt euch vorbei
mit schneeigen Sohlen da war es noch Mai
und achtet der Hände der bittenden nicht,
sie flieht tirilierend ins himmlische Licht.
Doch Liebe und Jugend, geschwisterlich Paar
sie dauern ein holdes, ein rollendes Jahr.
Und ziehst du, oh zieh dir das schönste Gewinst,
um liebliche Stirne das braune Gespinst,
zwei Augen wie Träume dem Himmel enttaucht
und Wangen von seliger Kühle umhaucht,
da fallen der zitternden Lose genug,
die schwarzen, die weißen aus tönendem Krug.
Und wer sich nicht einmal des Frühlings gefreut,
dem werden nicht Blumen des Sommers gestreut.
Oh, haltet im Herzen, was herrlich einst war,
es wandert sich schlecht durch ein herbstliches Jahr,
es wandert sich einsam ins Alter allein,
der Winter wird schweigend die Wege verschnein,
da strauchelt der Fuß und das Auge wird müd,
wenn Jugend nicht farbig die Nacht durchglüht.
Ihr könnt sie nicht halten, oh haltet sie fest -
die Jugend entschwirrt wie ein Hänfling dem Nest,
sie ruft noch zurück und das Herz wird euch schwer,
denn nimmer und nimmer ist Wiederkehr.
Und habt ihr genippt an dem rauschenden Krug,
so schließt ihr euch an den unendlichen Zug,
schon seid ihr gesellt der schlummernden Schar
und tröstend der Jugend vertönet das Jahr.
Schon stehen die Kinder gereiht und bereit
zu küssen die Küsse der goldenen Zeit.
(S. 181-182)
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Nein, ich vergaß nicht den Tag, ich vergaß nicht die atmende Stunde,
rollten auch Jahre dahin, ewig noch blutet das Herz.
Ach wie vergeß ich es je, den fernen Ruf der Patrouille
und dein betrachtendes Antlitz schweigsam und redend zugleich.
Uns umarmte die blühende Wiese, denk es, o Seele,
wie ein arkadisches Echo schwillt es gewaltig herauf.
Ach es haben die Parzen mit emsiger Hand in die Erde
Mohn und Kresse gesät, Schlummer dem Kummer gesellt.
Aber siehe es schwindet das schweigende Dunkel der Landschaft
Streifen des lieblichsten Blaus jubelt die Rade hinein.
Golden bedeckt sich der Berg mit den zärtlichen Augen der Primeln
zaubrisch zog er mich an, höher und höher hinauf.
Hoffend eilte der Fuß zu des Helikon brausenden Wäldern
wo ich den Musen gesellt tränke vom ewigen Tau.
Ach wie war ich verirrt, mich faßte der finstere Bruder
und zu steileren Höhn riß der Kitheron mich fort.
Ewig sind sie dahin, Oliven, Myrten und Mandeln
und es welkte der Kranz, den wir der Venus geweiht.
Sesam, Mohn, Majoran, sie dufteten bräutlich dem Kinde
aber mit gierigem Gift hat sie Aëllo zerstreut.
Fliehend stieg ich und stieg, doch über dem eilenden Wandrer
schüttelten dunkel und groß Töchter der Kito ihr Haar.
Und ich stürzte ich fiel mich trug keine helfende Wolke
über den Stürzenden hin schauderte schmerzlich dein Ach.
Und so bin ich vom Tode erwacht - da lag auf dem Altar
friedlich zum Opfer gestreut grün ein bescheidener Zweig.
Zischend floh sie zurück, Chimäre die Tochter des Typhon
und von Rosen berührt teilt sich das schwarze Gewölk.
Wieder blickst du mich an - und hold von den Quellen des Lebens
dämmert der ewige Tag selig-nüchtern herauf.
(S. 183)
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Der Liebende schreibt

Heilig geheimes Gesicht!
Runen, der schweigenden Stirne eingegraben!
Die aus dem Brunnen der Lieb getrunken haben,
halten in schützender Hand ein flackerndes Licht.

Oh wie nahe der Haß!
Nahe der Liebe! Schwankende Schale der Tage!
Süße Schale - bitteres Glas der Klage!
Tau im Frühling! Kissen von Tränen naß!

Küsse und Sehnen bei Nacht!
Stürzte dir purpurn der Mond durch die weißen Scheiben?
Oh die heiße, die drohende Brücke: Bleiben - Treiben - und Schreiben
zitternd erwachst du, weil dir der Liebende wacht.
Welt ist Spiegel und Spiel -
Goldene Spindel des Schicksals spinnt dir goldene Tage -
Aber aus bitter süßen Gespräch der Liebenden neigt sich die Wage
schwer herab wie zum Kuß und du sprichst:
Dies ist das Ziel, da der Tau der Liebe mir auf die Lippe fiel!
(S. 184)
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Am Morgen der Liebe

Ein Taubenpaar entschwirrt der goldnen Frühe,
Es lockt ins Licht ihr liebestrunkner Flug.
Verschlafne Mägde schöpfen schon den Krug
Und stampfend stehn im Staub die braunen Kühe.

Da heb' auch ich mein Herz aus Qual und Mühe
Hinauf zu dir - ich litt des Leids genug -
Von allen heißen Wünschen, die ich trug,
Blieb einer nur, von dem ich atmend glühe.

Ich wünschte, daß aus Herzens holder Tiefe
Geheimnisvoll dein Mund mir küssend riefe,
Mich wie ein schlummernd Kindlein festzusaugen

Am Brunnen deiner Lippen und zu trinken
Den ewigen Kuß des Leids - und zu versinken
Tief in der Himmelsbläue deiner Augen.
(S. 191)
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Elegie

Herrlich noch immer der Tag - es leuchtet der alternden Stirne,
Leuchtet dem liebenden Blick gnädig der Glanz des Gestirns.

Wie durch das schwirrende Blau die Stimme des Glücks mich begeistert!
Zärtlich füllt sie das Ohr, schwalbenzwitschernd und scheu.

Wimpernweit wie das Auge des Kindes verrauschte das Leben
Oh! und die Kindheit verging - eilends verblaßte der Glanz

Tausendundeiner Nacht. Die tausendundzweite der Nächte
Wandelt gelassen herauf wie ein gewohntes Gesicht.

Immer noch schimmert dem Blick die Stunde des früheren Kusses
Wie ein dezembrischer Tag, duftend und heiter und hart.

Schreckhaft steht mir das Herz, es horcht zurück in die Zeiten
Und von den Wiesen des Traums tönt es wie Harfen mir zu:

Sils Maria, o denk es, du holdes Echo: Marianne,
War es, war es nicht dein? Schön wie dein schwärmender Blick.

Deine Hände, wie schön, dein Gang und die zierlichen Hüften,
Nächtlich strahlte dein Haar, widerspenstig im Wind.

Ging dies alles vorbei? Die Norne blies es zur Asche,
Aber dem Liebenden blieb's ewig als schönster Besitz.

Wie auch das Herz sich erneut und zärtlich dem neuen sich bindet,
Kehrt es oft stöhnend zurück in das verlorene Land,

Lauscht den schwärmenden Bienen - holde Musik des Glückes -
Leise wandelt die Zeit wieder zum Traume zurück.
(S. 195)
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Ruit Hora

Wenn ihr späte Rosen findet,
Bindet, Kinder, sie zum Strauß.
Goldner Sommer schwillt und schwindet,
Äpfel duften schon durchs Haus.

Rot von Trauben, schwer von Nüssen,
Herrlich ist der Herbst erhellt,
Hold mit Blumen, hold mit Küssen
Allen Liebenden der Welt.

Ach, die Jugend ist vergangen,
Rauschend wie der Tag verrann,
Euern Scheitel, eure Wangen
Rührt September zärtlich an.

Doch wenn Traum und Wunsch entschweben
Eurem Auge unbewußt,
Reißt euch einmal noch das Leben
Weinend an die heiße Brust.

Seht, wie schön das Mondlicht schreitet
Zierlich tanzend auf dem Fluß!
Tausend Lippen sind geweitet
Allen Liebenden zum Kuß.

Alle Stunden werden leise,
Und es rüsten Herz und Blick
Schwalbengleich zur großen Reise
In ein schöneres Geschick.
(S. 196)
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Aus: Felix Grafe Dichtungen
Herausgegeben und eingeleitet von Joseph Strelka
Bergland Verlag Wien 1961

 

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Felix_Grafe


 

 


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