Martin Greif (1839-1911) - Liebesgedichte

Martin Greif



Martin Greif
(1839-1911)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





 



Liebe als Quell

Quell, der nicht trocknet,
Quell, der nicht friert,
Aber oft stürmende
Fluten führt!

Jung aus den Klüften
Dampft er so heiß,
Selber am wenigsten
Von sich weiß.

Weiß nicht von wannen,
Noch was er soll -
Herz der verlangenden
Liebe voll!
(S. 5-6)
_____



Morgengang

Ich geh' auf stillen Wegen
Frühtags ins grüne Feld,
Wie lacht mir da entgegen
Die junge Morgenwelt!

Wohl tausend Blüten schauen
Von Wald und Wiesen her,
Die tropfend alle tauen,
Von edlen Perlen schwer.

Ich brech' mir ein Geschmeide
Von nassen Rosen ab:
Wärst du an meiner Seite,
Von der geträumt ich hab!

Ich hing' dir's in die Locken
Als deinen Hochzeitskranz -
Da gehn die Morgenglocken,
Ich steh' in Tränen ganz.
(S. 6)
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Jugendliebe

Denkst du an den Sommertag,
Da wir früh uns fanden
Und allein am grünen Hag
Junge Rosen banden?

Lerchen in der blauen Luft
Sangen ungesehen,
Ferne lag der Morgenduft
Über allen Höhen.

Standen still uns zugewandt,
Mochten träumend scheinen -
Wohl, ich fühlte deine Hand
Manchmal in der meinen.

Plötzlich schlugst du auf den Blick,
Alles war gestanden -
Sag, wohin ist Ruh und Glück,
Seit wir dort uns fanden?
(S. 6-7)
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Liebessorgen

Du herzliebes Vögelein,
Wach beim ersten Morgen
Hör' ich singen dich allein,
Kaum ein andres zwitschert drein,
Plötzlich kommt dir's, still zu sein -
Macht auch dir die Liebe Sorgen?
(S. 7)
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Juninächte

Juninächte, sternenlose,
In dem Blütenmond der Rose,
Da das bange Herz dazu
Lieb' durchstürmte ohne Ruh.

Blitzgezuck und Wetterleuchten!
Und die Nachtigall im feuchten,
Taubenetzten Busche tief
Wunderbare Laute rief.

Hatten uns so viel zu sagen,
Ließen hoch die Wolken jagen,
Blickten in den Flammenschein
Wie im tiefen Traum hinein.
(S. 7-8)
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Ewige Liebe

Hörst du, wie in meinen Liedern,
Überall dein Name klingt,
Wie ein ewiges Erwidern
Deiner Liebe sie durchdringt?

Machtlos hab' ich hingestammelt
Lust und Leid im armen Wort,
Was so voll in mir versammelt,
Flieht mir vor der Lippe fort.

Doch du wirst es bald verstehen,
Weißt du einmal, wem ich's sang,
Liebe läßt zu Herzen gehen
Jeden ahnungsvollen Klang.

Für Gebet gilt, sich zu neigen,
Hoher Drang ist namenlos,
Könnt' ich lösen dieses Schweigen,
Sieh, mein Glück wär' minder groß!
(S. 8)
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Aufblühen der Erinnerung

Blumen gibt es mannigfalt,
Deren Hauch uns rühret -
Manche liebliche Gestalt
Ward mir schon entführet.

Hatte sie oft nur im Traum
Liebend nah' gefunden,
Da, und eh' ich's ahnte kaum,
War sie mir entschwunden.

Wohl, noch suchte sie der Blick
Sehnlich eine Weile,
Doch es wollte mein Geschick,
Daß ich weiter eile.

Einen Seufzer schickt' ich ihr
Nach und schied entschlossen,
Und ihr Bild erlosch in mir,
Wie von selbst zerflossen.

Aber schwand auch ihre Spur,
Blieb mir doch ein Ahnen,
Und ein Blümlein auf der Flur
Kann an sie mich mahnen.
(S. 9)
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Ort der Liebe

Ich stund auf hohem Berge
Und sah hinab ins Land,
Den Ort wollt' ich erkunden,
Wo unser Herz sich fand.

Schon hatt' ich ihn erschauet
In seiner stillen Ruh -
Da deckte eine Wolke
Ihn fern mir wieder zu.
(S. 9-10)
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Im Waldgehege

Im grünen Waldgehege
Wandl' ich auf stillem Wege,
Den Würzgeruch, so rein,
In mich zu atmen ein.

Das Laub, das mich umdüstert
Und doch so lieblich flüstert,
Läßt neuer Hoffnung Wehn
Mir durch die Seele gehn.

Schon weckt auch im Gemüte
Erinn'rung manche Blüte,
Die mir verjüngt erwacht
In ihrer holden Pracht.

Und da ich so dem Weben
Der Schöpfung hingegeben,
Bringt mir, erschienen mild,
Der Mond der Einz'gen Bild.
(S. 10)
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Weiße Rosen

Weiße Rosen, weiße Rosen,
Ach, wie blüht ihr doch so spät,
Längst zu küssen und zu kosen
Nimmermehr dies Herz versteht!

O wie stand es, o wie stand es
Anders in der Maienzeit,
Damals, damals wohl empfand es,
Liebe, deine Seligkeit!

Weiße Rosen, weiße Rosen,
Ach, wie blüht ihr doch so spät,
Längst zu küssen und zu kosen,
Nimmermehr dies Herz versteht.
(S. 12-13)
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Auf erinnerungsvollem Wege

Sinnend folg' ich alten Spuren,
Denen lang ich ferne war:
Auf dem gleichen Wege fuhren
Beide wir vor manchem Jahr.

Du in junger Knospenfülle,
Ich in voller Jugendglut,
Du wie immer ernst und stille,
Ich in leicht erregtem Mut.

Wohl, ich suchte dir mit Scherzen
Zu erheitern deinen Sinn,
Schon dein Lächeln war ein Herzen,
Deine Seele lag darin.

Und so sprachen wir zusammen,
Zogst du nicht zu schweigen vor:
Worte, die von damals stammen,
Klingen mir wie neu im Ohr.

Drunten zog der Fluß zu Tale,
Und sein Rauschen drang herauf -
Welches Bild mit einem Male
Stieg dir in der Seele auf?

Seiner Stimme zugewendet
Horchtest du im tiefen Traum,
Was er dir heraufgesendet,
Ahnt' ich jenen Tag noch kaum.

Lang und schmerzlich sahst du nieder,
Plötzlich nahmst du mir die Hand -
Heut' des Weges zieh' ich wieder,
Längst bist du im Schattenland.
(S. 13-14)
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Am Oleanderbaum

Es blüht vor einem stillen Haus
Ein rosenroter Oleander -
Dort, wann ich abends trat heraus,
Dort schieden oft wir von einander.

Mir aber kommt es heute vor,
Er wolle nicht mehr weiter sprießen,
Ich müßte denn in seinem Flor
Mit Tränen heimlich ihn begießen.
(S. 15)
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Die verschneite Bank

Da steht die Bank, rings eingeschneit,
Auf der so gern wir saßen,
Wann wir im Traum der Jugendzeit
Die Welt umher vergaßen.

Und doch, wie licht und lockend lag
Sie damals uns zu Füßen -
O könnt' ich sie nur einen Tag
So wiederum begrüßen!

Ja, als die Herzen uns geglüht,
Da war es schön und wonnig,
Und wann der Frühling uns umblüht,
Da war es doppelt sonnig.

Doch heute kann ich nicht so sehr
Dem Winter es verargen,
Daß er mich will nicht dulden mehr,
Wo wir im Glück uns bargen.
(S. 15-16)
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Im Lenze

Im Lenz ist mir Leid geschehn -
Leid durch die Liebe,
Wann linde Lüfte wehn,
Wird leicht mir trübe.

Wohl lispeln sie manchmal auch
Von Wiederfinden,
Doch naht mir nur ihr Hauch,
Um zu entschwinden.
(S. 16)
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Tannentriebe

Jetzt, o Herz, jetzt oder nimmer
Kannst du neu zu hoffen wagen,
Schien dein Wünschen auch beschlossen.

Ist es doch in diesen Tagen,
Daß die Tannen wieder sprossen,
Um zu grünen fort für immer.
(S. 16)
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Erstes Grün

Kaum entkeimt das erste Grün
Den vom Pflug gebroch'nen Schollen,
Und kein Blatt verrät es kühn,
Wo die Veilchen sprießen wollen.

Nirgend weilt das Aug' mit Lust,
Winter herrscht noch streng auf Erden,
Und doch fühl' ich's in der Brust,
Daß es bald wird Frühling werden.
(S. 17)
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Neues Hoffen

Frühling weckt verzagtes Hoffen,
Das in uns verborgen ruht,
Was uns auch für Leid betroffen,
Rüstig kehrt der alte Mut.

Wenn die jungen Knospen treiben,
Wiederum vor unserm Blick,
Kann das Herz zurück nicht bleiben,
Und es sucht verlor'nes Glück.
(S. 18)
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April

Sonnengrüße, Wolkenschauer
Und, noch eh' sich's klären will,
Wiederum verhangne Trauer -
Herz, wie stimmst du zum April!
(S. 18)
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Mai

Wieder blüht der duft'ge Flieder
Wie zu andern Frühlingstagen,
Und es schlägt die Drossel wieder,
Wie sie vormals hat geschlagen.

Alles in des Frühlings Fülle
Kann nicht mehr vom Jubel lassen,
Herz, und du nur hältst dich stille,
Das sich sonst nicht konnte fassen!
(S. 18)
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Frühlingswunsch

O Sonnenstrahl in blauer Luft,
Was schaffest du für Leben!
Zur Wiege wandelst du die Gruft
In deinem Wunderweben.

Die abgestorbnen Sträucher blühn,
Verzagte Knospen springen -
O, könnte mit dem ersten Grün
Sich auch das Herz verjüngen!
(S. 19)
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Frühlingsrätsel

O Herz, was ist mit dir geschehn?
Im Maienmonde Grillen!
Jetzt, da die Rosen auferstehn
Und ihre Wohlgerüche wehn,
Um jeden Harm zu stillen,
Jetzt kann dich Leid erfüllen?

Ich weiß wohl, ist's auch lange her,
Von andern Maientagen,
Da warst du nicht so freudenleer,
Zu lachen kam dir da nicht schwer,
Ich mußte oft dich fragen:
Kannst du das Glück ertragen?

Und nun in all der Lust so trüb,
In all dem Drang so stille!
Sag' an, wo dir der Jubel blieb,
Hast du nicht mehr das Leben lieb?
O Herz, wo ist dein Wille,
Wo deiner Hoffnung Fülle?

Du scheinest wie der Eichenbaum
Vom Lenz dich auszuschließen,
Er hängt am längst entschwunden Traum,
Man sieht ihn leise knospen kaum, -
Doch bald von Haupt zu Füßen
Wird junges Laub ihm sprießen.
(S. 19-20)
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Maienglück

Wieder streust du deine Düfte,
Blütenvolle Maienzeit,
Und im Atem deiner Lüfte
Ahn' ich deine Göttlichkeit.

In dir kehrt, die längst vergangen,
Kehrt die Jugend mir zurück,
Und in deinem Wunderprangen
Webt als Traum der Liebe Glück.
(S. 21-22)
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Seufzer der Sehnsucht

Größer kein Herzeleid,
Als in der Rosenzeit
Einsam zu stehen,
Lieber vor Traurigkeit
Alternd vergehen,
Als in der Rosenzeit
Einsam sich sehen.
(S. 26)
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Abendgesichte

Geh' ich abends still im Tale,
Spricht zu mir dein milder Geist,
Der mein Herz mit einem Male
Wieder Hoffnung fassen heißt.

Letzte sanfte Abendgluten
Fachen mein Verlangen an,
Alle Treuen, alle Guten
Ziehn vereint mit mir heran.

Bald auch steigt verklärter Stunden
Ferner Widerschein herauf,
Doch auch lang verharschte Wunden
Brechen wieder blutend auf.

Aber kehrt mir auch im Drange
Mancher Sturm, der längst vertost,
Im gewog'nen Schicksalsgange
Zeigst du mir geheimen Trost -

Mir verwandelnd alles Trübe
In gelösten Widerstreit,
Daß ich denke nur der Liebe
Glücklicher Vergangenheit.

Traute liebliche Gesichte
Malt der Abend auf die Flur,
Und im stillen Dämmerlichte
Folg' ich meiner Sehnsucht Spur.
(S. 26-27)
_____



Schlummerlose Nächte

Legt mir unters Haupt Melissen,
Meine Träume sind so wild -
Ihrer Grabesnacht entrissen
Schwebt vielleicht ihr süßes Bild
Über mein verödet Kissen.
(S. 32)
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Schattenleben

Still ist's, wo die Gräber sind
Meiner Liebe,
Nur bisweilen klagt der Wind
Bang und trübe.

Seh' die Schattenwelt auf Erden
Rings vergehen,
Fühle alles spurlos werden
Und verwehen.
(S. 32)
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Im Walde

So einsam ist es um mich her,
So friedlich und so still,
Wenn nicht das Leid im Herzen wär',
Das nimmer schweigen will.

Die Vöglein singen dort und hier,
Im Wipfel lind es bebt,
Es steht ein fernes Grab vor mir -
Ist's wahr, daß ich's erlebt?

Zwei Falter fliegen ab und zu,
Wo eine Knospe sprang:
So schwärmten wir einst, ich und du,
Den grünen Wald entlang.
(S. 32-33)
_____



Ihr Händedruck

Wie sag' ich, daß ins Herz mir dringt
Dein flücht'ger Händedruck?
Wie wenn sich nachts durch Sterne schlingt
Ein blendend Lichtgezuck.

Die dunkeln Fernen sind erhellt,
Erschlossen endlos Glück,
Ich schau' in eine goldne Welt
Und sink' in Nacht zurück.
(S. 33)
_____



Ihr Grab

Es blüht ein Grab in treuer Hut,
Das beste Herz darinnen ruht.

Zu oberst blühen Rosen rot -
Dein Mund so manchen Kuß mir bot.

Und weiter ab die Lilie blüht -
Dein Herz hat rein für mich geglüht.

Zu Füßen liegt ein grüner Kranz -
Ich schwang dich oft im Maientanz.

Die Leute gehen dran vorbei,
Mir aber bricht das Herz entzwei.
(S. 33)
_____



Stätte der Erinnerung

Ich sah an einem stillen Ort
Das Gras sich sacht erfrischen,
Ich sah ergrünen, was verdorrt,
Ich dacht' wohl an ein Liebeswort -
Der Winter lag dazwischen.

Mein Herz, was wird dir gar so bang?
Die Blumen blühn aufs neue,
Und wieder tönt der Vogelsang
Dir schien der Winter ja so lang -
Was quält dich Lieb' und Treue?

Du siehst doch an der Sonne Licht
Den Wald sich schnell belauben,
Und sagt dir ein Vergißmeinnicht:
Ich lieb' dich, bis mein Auge bricht, -
Du brauchst es nicht zu glauben.

Die Linde blüht am Waldessaum
Und deckt mit kühlem Schatten
Das stille Plätzchen unterm Baum -
Wohl kenn ich's noch, es war ein Traum,
Den wir zusammen hatten.

Die Spuren such' ich vor dem Wald,
Wo wir im Gras gelegen,
Die Blätter sind herabgewallt -
Jetzt blühen Blümlein mannigfalt
Und lachen mir entgegen.

Gott grüß dich, lieb Blauveigelein!
Du nebenan so gelbe,
Du mußt ein Schlüsselblümchen sein -
Und bist du's nicht auch, Vögelein?
Ei doch, du bist dasselbe!

Ich sehe wohl, die weite Welt
Ist ganz die alte blieben -
Ein Kuckuck Fastenpredigt hält:
Wenn dir das Scheiden nicht gefällt,
Was brauchst du dann zu lieben?
(S. 37-38)
_____



Am Brunnen

Unter einem grünen Baum
Hatt' ich einen schönen Traum
Wohl bei einem rauschenden Brunnen.

Der Brunnenquell, bei dem ich schlief,
Läuft noch so schnell, als einst er lief,
Und plaudert viel mit mir.

Wann, o süßes Mägdelein,
Werd' ich wieder bei dir sein
Wohl bei einem rauschenden Brunnen?

Bei diesem hier, bei jenem dort,
Zu jeder Stund', an jedem Ort,
Nur einmal noch bei dir!
(S. 50-51)
_____



Liebesnacht

"O weile, süßer Geliebter,
Es trügt mich nicht,
Noch streut, nur wolkengetrübter,
Der Mond sein Licht."

""Doch nimmer weilen und halten
Die Wolken dort;
Es führen sie wilde Gewalten
Von Ort zu Ort.""

"Ein Traum ist alle das Treiben
In dunkler Höh,
Und ewig wird uns verbleiben
Der Sehnsucht Weh."

""Ich seh' nur Kommen und Scheiden
Am Himmelszelt,
Es ziehn und wandern die Leiden
Durch alle Welt.""

"Die Wolken eilen so nächtig
Ohn' Schmerz und Lust,
Ich aber ziehe dich mächtig
An meine Brust."
(S. 192-193)
_____



Ständchen

"Wirf den Rossen Futter vor!
Hell erglänzt der Mond,
Reiten will ich vor das Tor,
Wo fein Liebchen wohnt."

Ritter schwang sich leicht aufs Roß,
Knappe hinterdrein,
Durch des Waldes Gipfel floß
Heller Vollmondschein.

"Liebchen, Liebchen, ich bin da,
Liebchen, mach mir auf,
An den Wolken geht schon nah
Morgenrot herauf."

""Glühet an den Wolken schon
Lichtes Morgenrot,
Kehr dein Roß und jag davon,
Bringst mir Angst und Not.""

"Bring dir, süßes trautes Lieb,
Wonne doch zur Pein,
Mach dir keine Sorgen trüb,
Reich den Kußmund dein!"

""Meinen Kußmund biet' ich nicht,
Brich dir eine Ros,
Weißt doch, wie man Rosen bricht
Jung vom Strauche los.""

"Weiß, wie schön die Rosen sind
Frühe still am Tag,
Doch dein Kuß, rotwangig Kind,
Besser munden mag."

""Reite in den Wald zurück,
Frag Frau Nachtigall'n,
Rät sie zu, im Augenblick
Laß ich's Schlüßlein fall'n.""

"Schlug Frau Nachtigall wie wild
Und vor Liebe toll,
Ruft nur, daß ihr Ebenbild
Zu ihr kommen soll."

""Also frag den Kuckuck du,
Der im Wald tut schrein,
Werf' dir dann von oben zu
Gern mein Schlüsselein.""

"Kuckuck ist kein Glücksprophet,
Mach mir auf das Tor,
Siehe dort, die Sonne geht
Blendend schon empor."

""Konnten so in Zucht und Ehr'
Plaudern eine Stund',
Komm fein morgen wieder her,
Mehr dann wird dir kund.""
(S. 195-196)
_____



Zeichen der Liebe

Ich weiß mir eine Linde
Auf einem Berge stehn,
Auf deren rauher Rinde
Zwei Herzen sind zu sehn.

Zwei Herzen mit zwei Flammen,
Die's zueinander zieht,
Sie waren dort beisammen -
Nun sind sie längst verglüht.
(S. 204-205)
_____



Das treue Paar

Zwei Liebste waren so traurig
Und gingen viel allein,
Sie sind zusammen ertrunken
Zu Nacht im tiefen Rhein.

Man hat sie beide gefunden,
Weit unten im fremden Land,
Sie hielten sich noch umschlungen,
Und niemand hat sie erkannt.
(S. 228)
_____



Schnee-Lenore

Es klingeln und schweben
Die Schlitten durchs Tor,
Das lustbare Leben
Lockt alle hervor.
Feldwärts allein
Im Kämmerlein
In Zöllners Haus
Schönliebchen schaut zum Fenster hinaus.

Sie starret und harret
Des Grafen so lang,
Sie harret und starret,
Es wird ihr so bang.
Er wollt' sie führen
Nach vielen Schwüren
Zum Tanz aufs Schloß -
Schönliebchen erblickt sein schwarzes Roß:

"Wie herrlich der Berber,
Der Schlitten wie blank,
Und drinnen der Werber,
Der macht mir's zu Dank!
Des armen Knaben,
Der mich wollt' haben,
Ich spotte sein."
Schönliebchen den Grafen läßt herein.

"Du hast mich erlesen
Und kommst doch so spät,
Dein himmlisches Wesen
Mein Herz nicht errät.
Zur Nachtzeit immer,
Bei Tage nimmer
Fährst du daher."
""Schönliebchen, ich eilte wahrlich sehr!""

Im farbigen Schlitten
Mit Blumen bemalt,
Sie kommen geglitten,
Es glitzert und strahlt.
Im Winterkleide
Liegt weiß die Heide,
In Freiers Arm
Schönliebchen in Muff und Zobel warm.

Und bald auf der Reise
Aus finsterer Höh'
Umwirbelt sie leise
Ein eisiger Schnee.
Er bleibt ihr stocken
In allen Locken
Und schwillt daran.
""Schönliebchen, was schaust du mich so an?""

Wie altert der Puder
Das Dämchen so jung,
Ihr Köpfchen belud er
Mit Flocken genung.
Ein flinker Weber,
Das Schneegestöber,
Umwebt galant
Schönliebchen mit Spitzen aus Brabant.

Sie fliegen und sausen
Die Heide dahin,
Sie siehet mit Grausen
Die Wälder entfliehn -
Und Brücken über
Und Seen hinüber
Geht es im Sturm.
""Schönliebchen, dort steigt schon des Schlosses Turm.""

Und mehr sie verstecket
Die schaudernde Hand,
Das Mondlicht bedecket
Ihr fliegend Gewand.
Ihr Mantel schimmert,
Ihr Häubchen flimmert,
Schneeweiß, steinalt,
Schönliebchen im Pelze wird so kalt.

Es nicken und blitzen
Die Weiden herauf,
Sie haben auch Mützen
Und Spitzen darauf.
Sie drehen sich stille
In weißem Tülle
Und tanzen fein.
""Schönliebchen, nun seh' ich Kerzenschein.""

Da sind schon die Dächer
Voll flockigem Tuff,
Sie fährt mit dem Fächer
Heraus aus dem Muff.
""So jung an Jahren
Mit schneeweißen Haaren,
Hörst du zumal,
Schönliebchen, die Geigen nah im Saal?""

Sie steigt aus dem Schlitten
Und schüttelt sich leis -
Da stand sie inmitten
Von Gräbern so weiß.
Im Kirchhof waren
Sie vorgefahren -
Altmütterlein,
Schönliebchen, wer war der Freier dein? -

Zween Wandrer trafen
Das Mütterlein alt,
Da hat es geschlafen
Am Boden so kalt.
Ihr Land sie nannte,
Die Gegend kannte
Im Schloß man kaum -
Altmütterlein war es wie ein Traum.

Ein jedes sie scheute,
Man fuhr sie nach Haus,
Da zogen die Leute
Zum Frühling hinaus,
Kein Zöllner kannte,
Die man ihm nannte,
Als Tochter sein: -
Altmütterlein schlief auf ewig ein.
(S. 310-314)
_____
 

Aus: Gedichte von Martin Greif
Mit einem Bildnis des Dichters von Hans Thoma
Neunte, verbesserte und vermehrte Auflage
(15. Tausend)
Leipzig C. F. Amelangs Verlag 1909
 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Greif

 

 


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