Ludwig Halirsch (1802-1832) - Liebesgedichte




Ludwig Halirsch
(1802-1832)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Erste Liebe und letzte Liebe
In neun und dreißig Liedern

Wie oft hat die seligste Freude
Dich zum weinenden Kinde gemacht,
Und wie oft, im bittersten Leide,
Hast schallend du aufgelacht?
So ist der Mensch und das Leben,
D'rum bitt' ich euch, tadelt es nicht,
Wenn die Lust zu euch mit Thränen,
Und der Schmerz mit Lachen spricht!


Erste Liebe

Und weil die erste Lieb' wie ein Kind,
Wie ein Mann, wie ein Weib, wie ein Greis gesinnt,
D'rum hält sie in ihrer allmächtigen Haft
Den ganzen Menschen und seine Kraft!


1.
Zueignung

Der Wand'rer kehret nach Jahren
Zu dem fern gesuchten Glück,
Um das er hinausgefahren
In seine Heimath zurück;

Der Schiffer späht aus den Wogen
Nach jenem Fleckchen Land,
Von dem er hinweggezogen,
Wo seine Hütte stand;

Der Mann, dem Alles gelungen,
Freut nur das, was zum Ersten gerieth;
Der Sänger, der Alles gesungen,
Singt am Ende sein Wiegendlied;

Der Leser, der Alles gelesen,
Greift nach dem Buche zuletzt,
Das ihn, als er jung gewesen,
Am Meisten erfreut und ergötzt; -

Ihr aber, die ihr geliebet,
Gleich dem, der dieses schrieb,
Denkt, was der Sturm zerstiebet,
Und was im Herzen blieb!

Im Herzen blieb die erste Liebe,
Die zweite hat der Sturm zerstiebt,
Und in jeder andern Liebe,
Habt ihr nur die erste geliebt!
(S. 189-192)


2.
Erste Liebe

Die erste Liebe ist wie ein Kind,
So unbeholfen und schwach gesinnt;
Sie weint über jede Kleinigkeit,
Die sie heute betrübt und morgen erfreut;

Wie ein Jüngling ist auch die erste Lieb',
So muthig und so voll feurigem Trieb;
Und doch verschämt gleich der Jungfrau dabei,
Wie ein Lämmchen so furchtsam, wie ein Füllen so frei!

Die erste Liebe ist wie ein Mann,
Der seinen Willen vollführen kann;
Sie thut wie ein Weib so erfahren und klug,
Und wirkt für die Welt und das Haus genug;

Die erste Liebe ist wie ein Greis,
Der Alles durchlebt und Alles weiß;
Gern spricht sie von bestandener Noth,
Und träumt sehnsüchtig von Grab und Tod; -

Und weil die erste Lieb' wie ein Kind,
Wie ein Mann, wie ein Weib, wie ein Greis gesinnt,
D'rum hält sie in ihrer allmächtigen Haft
Den ganzen Menschen und seine Kraft;

D'rum ist auch kein ganzer Mensch der Wicht,
Der die erste Liebe geliebet nicht -
Er ist nur ein Schatten ohne Farb' und Licht,
Dem 's am Besten, an Herz und Blut gebricht!
(S. 193-194)


3.
Symbol der Liebe

Es zieht der Strom wohl sonder Rast
Aus seinem Heimathhaus,
Und Wog' auf Woge treibt mit Hast
Ihn in die Welt hinaus;

Gern weilt er in dem Blüthenthal
Bei stillen Blumen dort,
Doch, ach, zu seiner eig'nen Qual
Reißt's nach der Fern' ihn fort,

Von all' dem Schmerz, von all' der Lust,
Die ihm die Zeit vertraut,
Hat man in seiner kühlen Brust
Kein Denkmal noch erschaut;

Nur Eines trägt er warm und mild,
Scheint auch die Fläche kalt, -
Es ist der Sonne gold'nes Bild,
Das ewig mit ihm wallt;

So wohnet auch in meinem Geist
Der helle Liebesschein,
Und ob die Welt mich mit sich reißt,
Er bleibt doch ewig mein!
(S. 194-195)


4.
Wunsch

Als sie ihren Vetter begruben,
Da ging ich zur Leiche mit ihr;
Sie stand mit weinenden Augen
Vor dem blassen Todten und - mir;

Der Todte, der hat sie gehasset,
Indeß sie der Lebende liebt,
Den Todten hält sie umfasset,
Den Lebenden hat sie betrübt! -

Den Todten hat sie geküsset,
Und hat über ihn geweint, -
Nicht Kuß und nicht Thräne versüßet
Dem Lebenden, was ihn peint!

Ich wollt', ich wäre gestorben,
Und wär' ein Vetter von ihr,
Dann küßte sie wohl verstohlen
Die bleichen Lippen auch mir!
(S. 195-196)


5.
Der rechte Augenblick

Heiß vom Tanz, in wilder Gluth
Greif ich nach dem Becher:
Kühle nur dein Flammenblut,
Du verliebter Zecher!

Und ich setzt' ihn durstig an,
Und mit vollen Zügen
Herz und Sinn zu laben d'ran,
So recht nach Genügen:

Doch die schönste Hand drängt sich
Aengstlich jetzt dazwischen:
"Willst du tödten Dich und mich,
Statt Dich zu erfrischen?"

Bittend stand Sie jetzt vor mir,
Bleich und halb entseelet;
Aus den Augen strahlte ihr,
Was sie mir verhehlet;

Und ich schloß an's Herz mein Glück;
Liebe kann nicht schweigen,
Kommt der rechte Augenblick,
Muß sie sich auch zeigen!
(S. 196-197)


6.
Geständniß

Ich ging so oft an dir vorbei,
Du wolltest mich nicht seh'n,
Und wußtest nicht, wie bang' mir sei,
D'rum mocht' ich nichts gesteh'n;

Da flog dein lieber frommer Blick
Zum ersten Mal auf mich,
Er flog auf mich, und flog zurück, -
Jetzt erst verstand ich dich!

Und trat zu dir voll Sicherheit
Und sprach das rechte Wort,
Das Wort der Liebesseligkeit,
Das Wort am rechten Ort.

Du reichtest d'rauf die weiße Hand
Geschlossen war der Bund,
Und als der Mond am Himmel stand,
Schloß sich auch Mund an Mund!
(S. 197-198)


7.
Reime

Vergehen wollt' ich in den ersten Tagen,
Als du gleichgültig mir ins Antlitz sahst,
Und von der Liebe träumerischen Klagen,
Von allem meinem Hoffen und Verzagen
Nicht eine arme Sylbe fandst und last;

"Besinge doch die Reize Deiner Schönen," -
So rieth mir dort und hier ein guter Freund -
"Das Weib horcht gern dem Sohne der Camönen,
Und sagst Du ihr's in wohlgereimten Tönen,
So weiß sie auch, daß sie damit gemeint;" -

Und hättest du es wirklich denn verstanden,
Mein Kind, wenn einen bunten Almanach
Zum Herold ich erlesen und Gesandten,
Aus dem die Zunge, frei von blöden Banden,
Dir zugelispelt, was mein Herz schier brach?

Die netten, eng - und schöngedruckten Zeilen,
Sie hätten mehr gesprochen als mein Blick?
Mehr als mein Kommen, Gehen und Verweilen? -
Und aus der Zahl von Amors scharfen Pfeilen
Brächt' ein beschrieb'ner uns das meiste Glück! -

O nein! O nein! ich kann's, ich mag's nicht glauben -
Gewinnen konnte dich kein armer Reim; -
Die Sonn' allein gibt ihre Gluth den Trauben,
Und wer lustwandeln will in schatt'gen Lauben, -
Streut in die Luft nicht Saat für künft'gen Keim.

Und sieh, dies Lied hatt' ich nicht ausgeschrieben,
Da stand sie selber lächelnd hinter mir,
Und sprach, was recht zum Schlusse ist geblieben:
"Ach, könntest Du nur singen und nicht lieben,
Du fändest, theurer Freund, mich nicht bei Dir!"
(S. 198-200)


8.
Der Gast

Daß ich so selten zu ihr käme,
Daß klagte sie mit Thränen mir:
"Mein Kind" - so sprach ich, sie umschlingend -
"Ich bin ja nur ein Gast bei Dir;"

"Ein Gast im Hause, wo die Liebe
Als milde Wirthin thront und wohnt,
Und den sie, wie er geht und kommet,
Mit ihren schönsten Gaben lohnt."

"O süße Kost, die er empfänget!
Zwei frische Lippen reichen sie; -
O würziger Trank, vom reinsten Feuer,
So süßen Wein schlürft er noch nie!"

"O, weiches Lager, d'rauf er ruhet, -
Ein Herz so treu und so gesund!
O herrliche Musik, die klinget, -
Von Liebe spricht ein lieber Mund!"

"Doch, wohlgemerket, nur dem Gaste
Wird solch' Empfang, mein Kind, gewehrt,
Je seltener der Gast erscheinet,
Je mehr ist er geliebt, geehrt."

"Reicht aber weiter sein Begehren,
Und will als Herr in's Haus hinein,
Dann scheiden all die süßen Gaben,
Und bald wird er verlassen sein!"

"Was täglich kommt, das scheint alltäglich,
Und was alltäglich liebt man nicht,
D'rum übt die Lieb' an selt'nen Gästen
Am schönsten ihre schöne Pflicht!"
(S. 200-202)


9.
Aug und Tag

Die Sonne schien gar hell und rein,
Und doch schrieb ich beim Kerzenschein,
Denn siegeln wollt' dies Briefchen ich,
Dies Briefchen, Kind, für mich und dich:

Da trat die alte Mutter ein:
"Ei, Sohn, Du schreibst beim Kerzenschein?
Gib acht, dies nimmt der Tag Dir kraus
Du brennst ihm ja die Augen aus!" -

Ich schwieg und merkte mir das Wort,
Und als die liebe Mutter fort:
Da setzt' ich zu dem Briefchen hier
Noch diese kurzen Reime dir:

Brennt auch ein armer Kerzenschein
Dem Tage aus die Augen sein:
So weiß zwei and're Augen ich -
D'ran holt sein Licht er wieder sich!
(S. 202-203)


10.
Verdruß

Du zürnst, weil ich so stumm und still
Dich stundenlang betrachte,
Und weil ich gar nichts sprechen will
Und wenig auf dich achte;

Doch mich, mein Mädchen, sieh, mich will
Das Gegentheil verdrießen,
Und diese Lippen, die nie still,
Die möcht' ich dir verschließen;

Ich möchte sie - d'rum zürne nicht! -
Mit meinen dir verschließen,
Denn wiss', ein Mund, der wenig spricht,
Wird desto öfter küssen!
(S. 203)


11.
In der Ferne

Schwalben woher? -
Kommt ihr aus der Heimath?
Hat eine von euch
Am Hause des Liebchens vielleicht
Ihr Nest gebaut,
So seid mir gegrüßt! -

"Aus der Heimath kommen wir,
Kennen dein Liebchen,
Haben zum Abschied
Ihr Haus umkreiset,
Und bringen
Dir tausend Grüße!" -

Schwalben wohin?
Seht, noch blühet der Weinstock,
Knospen und Frucht
Trägt der saftige Baum,
Und die Sonne
Brennt heiß vom blauen Himmel!

"Nach Süden! Nach Süden!
D'rüben wintert' schon,
Im Fasse rührt sich der Most
Und dein Liebchen
Schloß die Fenster,
Wie wir auch pickten!"

Schwalben, traurige Boten
Seid ihr in der Fremde -
Bringt den Winter mit -
Zu Hause bringt ihr den Frühling
Glück auf die Reise!
Ziehet nach Süden,
Ich ziehe nach Norden,
Und zittert jedes Aestchen
An den Bäumen vor Frost
Und stockt jedes Wellchen
Im Gewande von Eis -
Klopf' ich an's Fenster
Schließt mein Liebchen doch auf,
Und streckt die weißen Arme
Dem Kommenden entgegen
Als sei er der Lenz! -

Schwalben lebt wohl
Kommt ihr zurück,
So ruh' ich längst am Herzen
Treuer Liebe.
Und der Wand'rer, der jetzt einsam
In trauriger Fremde zieht,
Oeffnet euch daheim
Sein gastliches Haus
Und das beste Plätzchen
Gönnt er euch gerne.
(S. 204-206)


12.
Orden der Liebe

Es ist mit Stern und Orden
Die Liebe beschenket worden;
Der Himmel selbst hing sie ihr an,
Weil sie sein getreuester Unterthan!

Es ist mit Stern und Orden
Die Liebe beschenket worden,
Und hat sie Stern und Orden um,
So strahlt sie weit aus ihren Ruhm.

Es ist mit Stern und Orden
Die Liebe beschenket worden;
Der Stern der Liebe ist der Blick,
Den Liebe gibt der Liebe zurück;

Der Orden der Lieb' ist ausgehangen
Auf ihrer Stirn und ihren Wangen -
Er trägt die Farbe der Züchtigkeit,
Die Liebe verlangt und Liebe scheut;

Der Orden der Liebe glänzt und funkelt
Aus Augen von ersten Thränen umdunkelt,
Von den ersten Thränen, die Liebe weint,
Wenn Liebe sich mit Liebe vereint;

Der Orden der Liebe ziert und schmückt
Die Brust, die ein Herz an's Herz sich drückt;
Ein Herz voll Liebe ohn' allen Schein,
Das muß ihr köstlichster Orden sein;

Ein Herz am Herzen, und glühende Wangen
Und Augen, naß vor Scham und Verlangen,
Das sind die Orden, die die Lieb' hat um,
Die ihr Glück ausstrahlen und ihren Ruhm! -

Es ist mit Stern und Orden
Die Liebe beschenket worden;
Der Himmel selbst hing sie ihr an,
Weil sie sein getreuester Unterthan!
(S. 206-208)


13.
Die Stundenblume

An dem runden Tisch zusammen
Saßen wir zur Abendzeit;
Kluge Herren, schöne Damen,
Alle voll Geselligkeit;

Plötzlich ward es still und stiller,
Und man sah auf einen Fleck,
Und die Lautesten verstummten
In dem fröhlichsten Geneck;

Nach der Blume schauten Alle,
Nach der Blume unverrückt,
Die als eine selt'ne Zierde
Erst die Tafel noch geschmückt;

Die vor einer kurzen Stunde
Noch im reichsten Schmuck geglüht,
Die die Blätter kaum entfaltet,
Und jetzt - welk und abgeblüht!

Abgeblüht, indeß wir scherzten,
Abgeblüht im Augenblick,
Die Minute war ihr Leben,
Und secundenlang ihr Glück!

Aber sinnend vor der Blume,
Bleich wie sie und bleicher wohl,
Stand mein Mädchen, seufzte bange,
Und ihr Herz schlug ahnungsvoll! -

Als wir dann nach Hause gingen
Schmiegte sie sich eng an mich,
Und beim Abschied sprach sie leise:
"Diese Blume war ja ich!"

"Denn in meiner ersten Liebe
Klingt mein Leben und verklingt,
Wie die Blume, die verblühet,
Während man ein Liedchen singt!"
(S. 208-209)


14.
Immer Thränen!

Ich durchweinte Tage und Stunden
Und war zum Tode betrübt,
Weil ich sie niemals - niemals gefunden,
Die Einzige, die mich liebt!

Ich durchweine Tage und Stunden,
Und bin zum Tode betrübt,
Weil ich sie endlich - endlich gefunden,
Die Einzige, die mich liebt!
(S. 210)


15.
Ahnung

Gestern kam der Frühling wieder
In mein off'nes Haus herein -
Kam, so wie er jährlich kommet,
Mit dem ersten Sonnenschein;

Und ich sah in seine Augen,
Eine Thräne glänzte d'rin;
"Frühling, wie, du hast geweinet?
Sprich, wo blieb dein Frühlingssinn?" -

Und ich sah in seine Locken -
Keine Rosen fand ich d'rin:
"Frühling, wie, und ohne Blumen?
Sprich, was soll der Rosmarin?"

Ernst und still bei meinen Fragen,
Neigt das Haupt wehmüthig er:
"Frühling! Frühling! bist du's wirklich?
Ach, ich kenne dich nicht mehr!" -

""Armer Dichter! ja ich bin es,
Bin der Frühling, einst dein Freund!
Doch, was ich als Freund gegeben,
Muß ich rauben jetzt als Feind!""

""Eine Rose legt' ich sonsten
An dein Herz zur frommen Zier -
Eine Rose knick' ich heute
Von demselben Herzen dir!""

""Darum nah ich mich in Thränen,
Ohne Blume still und bang,
Armer Dichter! Frühlingslieder
Werden oft zum Grabgesang!"" -
(S. 210-212)


16.
Das letzte Wort

"Nun werd' ich ruhig schlafen!" -
Das war ihr letztes Wort!
Ja wohl! Ja wohl! du Engel,
Nun schläfst du ruhig fort!

"Nun werd' ich ruhig schlafen!"
Ja wohl, du schläfst so fest,
Daß selbst mein lautes Weinen
Dich jetzt noch schlafen läßt! -

O hör' auf dieses Weinen!
Es ist des Liebsten Schmerz:
Hast du zum ersten Male
Für seinen Schmerz kein Herz! -

Hinweg mit euerm Spiegel!
Sein Zeichen thut nicht noth -
Ich habe, ach, ich habe
Ein and'res, daß sie todt!

Und dies sind meine Thränen,
Die sie nicht trocknet mehr;
Und dies sind meine Seufzer,
Die sie nicht wecken mehr!
(S. 212-213)


17.
Das stille Haus

Auf ihre keusche Brust leg' ich
Die Hand mit Beben hin -
Umsonst! Umsonst! nichts reget sich;
Nichts rühret sich darin!

Es ist ein Haus, in dem ein Freund,
Mein bester Freund gewohnt,
Und doch, und doch, o Tod hast du
Den Freund mir nicht verschont!

Ich poche an - o schließe auf,
Schließ auf, du kennst mich ja!
Ich war zu Haus in deinem Haus,
War immer - immer da!

Dein Zimmerchen stand offen mir,
In gut und böser Zeit -
Hab' d'rin gelacht, hab' d'rin geweint,
Gekränkt mich und erfreut!

D'rum schließe auf - schließ auf, mein Freund!
Hörst du, es wird schon Nacht;
Wo leg ich hin das müde Haupt,
Wenn du nicht mein gedacht!

Du weißt es ja, du einz'ger Freund,
Ich bin allein - allein!
Und kann ich nicht bei dir mehr sein,
Wo soll ich sonst noch sein? -

Umsonst! Umsonst! nichts reget sich
Das Haus bleibt stumm und todt -
So leg' ich auf die Schwelle mich
Und wart' auf's Morgenroth.
(S. 213-214)


18.
Das Glöcklein

Ich habe manchen Ton gehört,
Der mir das Herz bewegt,
Und die lebend'ge Dichterbrust
Zum Singen aufgeregt!

Beim Hochamt den Posaunenruf -
Im Lenz die Nachtigall -
Der Liebe Lispeln - Mordgeschrei -
Und Sturm und Wasserfall; -

Den Donner auf dem höchsten Berg -
Kanonen in der Schlacht -
Und Stimmen der Waldeinsamkeit
In einer Sommernacht; -

Ein Hirtenlied beim Abendroth,
Das still zum Himmel stieg -
Und ein: Wir loben dich, o Gott!
Nach dem erkämpften Sieg;

Doch Einen - Einen kenn' ich jetzt,
Der Alle übertönt -
O hätt' ich nie die Stund' erlebt,
Wo er zu mir gestöhnt!

Es ist ein kleines Glöcklein nur,
Das leise - leise spricht,
Und dennoch donnert's mir in's Ohr
Wie Gottes Weltgericht; -

Es ist ein kleines Glöcklein nur,
Und hören wollt' ich's doch,
Seitdem ich es einmal gehört
Auf meinem Todbett noch; -

Es ist ein kleines Glöcklein nur
Das wenig Worte sprach:
Doch weiß ich, daß ein jedes Wort
Das Herz der Liebsten brach!
(S. 215-216)


19.
Ein Märchen

Der Abend begann schon zu dunkeln,
Da saß ich am Bett bei ihr,
Da bat sie mit süßem Geflüster,
"Mein Lieber, erzähle mir!" -

Da löscht' ich die vielen Lichter,
Bis auf eines langsam aus,
Denn die Lichter erpreßten mir Thränen
Und brannten meine Augen heraus; -

Dann legt' ich mein Haupt wie einstens,
Zu ihr auf die Kissen hin,
Und suchte die freundlichen Blicke,
Die Blicke voll Taubensinn:

"Mein Mädchen, und soll ich erzählen
So schau den Erzähler an,
Du weißt's ja, und hast's schon erfahren
Daß er sonst nichts erzählen kann!" -

"Mein Mädchen, und soll ich erzählen,
So sei nicht so kalt und so starr,
So richte dich auf, und kämme
Dabei dein schwarzbraunes Haar!" -

So sprach ich, so bat ich sie weinend,
Sie gab keine Antwort mir,
Sie fleht nur mit süßem Geflüster:
"Mein Lieber, erzähle mir!" -

Da konnt' ich's nicht länger verweigern;
Ich neigte herab mich zu ihr,
Und erzählt' mit zitternder Stimme
Ein schauriges Märchen für;

Das Märchen vom traurigen Manne,
Der sein Lebtag niemals gelacht,
Der sein Lebtag niemals geschlafen,
Und immer geweint und gewacht; -

Das Märchen vom traurigen Manne,
Den ein einziger Mensch nur geliebt,
Und dem, seit der Eine gestorben,
Kein Zweiter solche Liebe mehr gibt; -

So erzählt' und erzählt' ich weiter,
Bis schlug die Mitternachtsstund';
Dann schwieg ich, und küßte sie bebend
Auf den kalten verblaßten Mund.

Das Märchen vom traurigen Manne -
Es war die Geschichte von mir;
Ich erzählte zur Mitternachtsstunde
Meinem todten Mädchen sie für!
(S. 216-219)


20.
Begräbniß

Und als es endlich Morgen wird,
Rennt Einer durch die Gassen,
Der Arme hat sich wohl verirrt,
Scheint fremd und ganz verlassen!

Er schaut die hohen Häuser an,
Und starrt ins laute Leben,
Seufzt aus dem tiefsten Herzen dann:
"Sie Alle - Alle leben!"

"Sie Alle leben - Alles ist
Wie's Gestern war auch Heute;
O wüßtet ihr, was diese Frist
Mir nahm, ihr frohen Leute!" -

"Da gehen sie und grüßen mich,
Und lächeln mir entgegen -
Ach, laßt den Bettler doch für sich,
Er bringt euch keinen Segen!"

"Vor wenig Stunden noch, da war,
Ich reich wie ihr, und reicher!
Jetzt liegt mein Reichthum auf der Bahr'
Und ward zu einer Leiche!"

Ich hör' es und mich dünkt der Mann
Bekannt aus alten Tagen,
Mich faßt ein rechtes Mitleid an,
Ich möchte Trost ihm sagen:

Da - plötzlich - horch! welch' banger Schall!
Es läuten alle Glocken;
Mir wird so Angst mit einem Mal
Und alle Pulse stocken;

Es muß wo ein Begräbniß sein - -
Ja, ja, dort kommt der Wagen!
Und weiße Mädchen hinten d'rein,
Die ihre Freundin tragen;

Und auf dem Sarg der Jungfernkranz,
Und Blumen und Lichter daneben,
Und Perlen, die mit feuchtem Glanz
Aus allen Augen beben! -

"Ach Gott, das arme junge Blut!" -
Hör' ich die Leute sprechen -
So schön, so klug, so fromm, so gut,
Das Herz möcht' Einem brechen!" -

So schön! So gut! - Jetzt weiß ich's klar,
Wen sie begruben eben,
Und wer der arme Fremdling war,
Dem so verhaßt das Leben!
(S. 219-221)


Letzte Liebe

Ach, was mir blieb, zuletzt mir blieb,
Ich weiß, daß wahr es sei:
Zuletzt blieb mir die letzte Lieb' -
Das Herz schlägt nicht dabei!


1.
Zueignung

Ehrwürdige Philister,
Die ihr schon alt geboren,
Weil ich einst jung gewesen,
So gabt ihr mich verloren;

Und weil verschrumpfte Lungen
Der neue Wein geniret,
D'rum habt ihr gleich den meinen
Für unächt declariret;

Ehrwürdige Philister,
Die ihr so kritisch denket,
Daß Alles, was gesungen
Und nicht gedacht euch kränke;

Ehrwürdige Philister,
Ach, wenn mein Herz erlahmet,
Dann kläng' euch auch natürlich
Mein Lied, das ihr verdammet;

Ehrwürdige Philister,
Dies Herz hat ausgeschlagen,
D'rum denk' ich, wack're Herren,
Wir werden uns vertragen;

Hat meine erste Liebe
Euch etwas ennuyret,
So sei euch nun die letzte
In Ehrfurcht dediciret!
(S. 222-223)


2.
Letzte Liebe

Bin ich schon todt, und irre ich
Mein eig'ner Geist herum,
An dem die Menschen schrecken sich,
Weil er so blaß und stumm? -

O Himmel, gibt es größern Schmerz -
Ich leb' - ich athme noch,
Und fühl' ich aber an mein Herz,
So steht es stille doch!

Ich schau' die Strahlen goldnen Lichts
Und weiß nicht, wie ich's kann,
In meiner Brust, da regt sich nichts,
Bin ein herzloser Mann!

Ach, einstens, einstens schlug es wohl,
Schlug wohl in Leid und Freud,
Schlug reich und weich, schlug hoch und voll,
Schlug Himmelsseligkeit!

Ach, einstens, einstens schlug es wohl,
Schlug in der Kindheit weich,
Schlug in der Freundschaft hoch und voll,
Schlug in der Liebe reich!

Doch das ist nun vorbei! vorbei!
Kindheit und Kindersinn,
Freundschaft und Freund - vorbei! vorbei!
Auf ewig - ewig hin!

Doch das ist nun vorbei! vorbei!
Und was zurück mir blieb -
Ich frage oft, ob wahr es sei? -
Es ist, ist - letzte Lieb'!

Ach, was mir blieb, zuletzt mir blieb -
Ich weiß, daß wahr es sei.
Zuletzt blieb mir die letzte Lieb' -
Das Herz schlägt nicht dabei!
(S. 224-225)


3.
Irrlichter

Zeitlich ist es Nacht geworden,
Zeitlich war es Morgen auch,
Und Natur, so wie mich dünket,
Hat verkehrt den alten Brauch.

Nicht ein einz'ger Stern am Himmel!
Wald und Finsterniß ringsum!
Nirgend Leben, nirgend Athem,
Alles wüst und todesstumm!

Ach, es herrscht in meinem Busen
Auch so sternenlose Nacht,
Und doch war es Frühlingshelle,
Als ich mit der Sonn' erwacht!

Wo die Herberg? Wo ein Lager?
Wo der Pfad, der heimwärts geht?
Wo die Schwelle, d'rauf ein Wesen
Deiner Rückkehr harrend steht? -

Nirgend! Nirgend! - Halt, da blitzt es
Aus der Dämmerung hervor,
Und mit frischen Kräften heb' ich
Mich vom Boden rasch empor,

Ja dort wohnen Menschen - Menschen!
Darum rasch den Lichtern nach!
Wo die Menschen, gibt es Herzen,
Wo die Lichter, Dach und Fach! -

Armer Schelm, wie du auch rennest,
Einem Irrwisch rennst du nach,
Schwüler Dunst ist, was du haschest,
Und ein Sumpf dein Dach und Fach!

Aerm'rer Schelm noch, den verlocket
Zweier Augen heller Schein,
Der nicht aus der Nacht dich führet,
Der noch tiefer führt - hinein!
(S. 225-227)


4.
Zu oft!

Ich hab' einmal in die Sonne geschaut,
Seitdem seh' ich nichts als Sonnen;
Doch weil ich zu oft in die Sonne geschaut,
Sind die Augen mir ausgeronnen;

Ich hab' einmal vom Herzen geliebt,
Seitdem will ich nichts als lieben;
Doch weil ich zu oft geliebt und geliebt,
Ist das Herz mir stehen geblieben!
(S. 227-228)


5.
Entschluß

Der Teufel halt' es länger aus
Das Junggesellenleben,
Ich nehme mir ein Weib ins Haus -
Was kann's Bequemers geben?

Den schönsten Frack drum zieh ich an
Und die modernste Weste,
So bin ich ein gemachter Mann,
Wenn auch nicht just der beste;

So zieh' ich auf die Freite fort,
Es kann mir gar nicht fehlen,
Und mein wird, für ein einzig Wort,
Die schönste aller Seelen.

Sie las schon manchen Vers von mir,
Und meint', er sei geglücket,
Drum frisch gewagt, und schein' ich ihr
Ein wenig auch verrücket!

"Mein Fräulein, ach, ich weiß es ja,
Sie können trefflich kochen,
Und an das keusche Mieder da
Wird auch ein Herzchen pochen;"

"Zwar bin ich nichts, als ein Poet,
Doch, wie ich glaub' ein rechter,
Der offen auf die Freite geht,
Nicht heimlich, wie ein schlechter;"

"Auch hab' ich, Theuerste, mein Brot,
Uns Beide zu ernähren -
Daß ich Sie liebe, das weiß Gott -
Drum bitt' ich, zu gewähren!" -

Da lispelt seufzend sie ein "Ja!"
Daß mir das Herz will brechen,
Und bittet mich, mit dem Papa
Und der Mama zu sprechen.
(S. 228-229)


6.
Verlobung

Der Papa, der hat mich gesegnet,
Die Mama, die hat mich umarmt,
Und Thränen hat es geregnet
So daß ich mir selber erbarmt.

Drauf ward in aller Schnelle
Ein Familienfest erdacht,
Und den Tanten und Vettern zur Stelle
Von der Hochzeit Kunde gebracht:

Doch als mir nun meine Liebste
Erröthend die Hand gereicht,
Da war ich von Allen der trübste -
Am Ende bin ich gar erbleicht;

Und als die Gläser erklungen
Im fröhlichen Lebehoch:
Da ist das meine zersprungen -
Warum, möcht' ich wissen doch?!
(S. 230)


7.
Arznei

Wenn die Schlange Fenchel naschet,
Wird sie wieder frisch und starck;
Wenn der Hirsch sich nährt mit Schlangen,
Glüht in neuer Kraft sein Mark; -

Schlang' und Fenchel! O wie bitter,
Fast zu bitter ist die Kost,
Um die Flammen anzufachen,
Die verzehrt des Lebens Frost!

So wie Schlang' und Fenchel nehm' ich,
Krank von erster Liebe noch,
Nun als Arznei die letzte -
Heilt sie nicht - sie tödtet doch!
(S. 231)


8.
Spaziergang

Gestern mußt' ich ohne Gnade
Fort mit ihr zur Promenade,
Zierlich bot ich ihr den Arm,
Ich so kalt, und sie so warm.

Wie die Lustigen da lärmten,
Wie die Liebenden da schwärmten,
Wie sich in der Frühlingslust
Hob und dehnte jede Brust!

"Ach, ich werde immer müder!" -
""Nun so setzen wir uns wieder"" -
"Gott, wie ist es schwül und heiß!" -
""Ei, da nehmen Sie doch Eis."" -

"Ach, wie köstlich! das erquicket!
Theuerster, ich bin entzücket,
Und ich fühl' es täglich mehr -
Ach, ich liebe Sie so sehr!" -

Drauf bis zu der zehnten Stunde
Machten wir noch zehnmal Runde,
Gingen langsam dann nach Haus -
Ruhten von der Freude aus!
(S. 231-232)


9.
Gleichniß

Meine Liebe gleicht einer Blume,
Die erstarrt im Decemberfrost;
Meine Liebe gleicht einem Schwerte
Ueberzogen mit blutigem Rost;

Die Blume hat immer noch Blätter,
Sie wurden nur grau mit der Zeit;
Das Schwert hält noch immer zusammen,
Nur fehlt ihm die Scheide zum Streit;

Doch kommt nun der Frühling und hauchet
Ueber alle Blumen seinen Glanz,
Da zerfließt nur die meine in Thränen -
Sie thaut auf, um zu sterben ganz;

Doch kommt nun der Schmied, und schleifet
Alle übrigen Schwerter licht,
Da widersteht nur das meine
Dem Handwerkswitz und - zerbricht!
(S. 233)


10.
Genügsamkeit

Liebes Kind, bevor auf immer
Deine Hand in meiner ruht,
Schau' auf meines Lebens Trümmer,
Die bestrahlt nicht Morgenschimmer,
Die umglänzt nicht Abendgluth!

Allzufrüh vom Blitz getroffen,
Steh'n sie kalt und einsam da,
Jedem Sturme frei und offen,
Ach, hier scheitert jedes Hoffen,
Aber jeder Schmerz ist nah!

Kind, du findest nichts, was laben,
Nichts, was dich erfreuen kann,
Thränen nur sind meine Gaben
Und lebendig wirst begraben
Du mit einem todten Mann!

Sahst du je der Liebe Rosen
Auf des Bettlers kahlem Haupt?
Kann der West mit Blüthen kosen,
Wo der schlimmsten Stürme Tosen
Schon im Lenz den Baum entlaubt? -

Schweigend hört sie meine Klagen,
Und hold lächelnd meint sie dann:
"Alles wolle sie ertragen,
Woll' es immer darauf wagen,
Denn sie wagt's für einen - Mann!"
(S. 234-235)


11.
Mystification

Jüngst las in einer wellischen Novelle
Ich eine wunderbare Neckerei:
Beredet ward ein närrischer Geselle,
Das er nicht selbst, daß er ein and'rer sei;

Der Scherz gelang, trotz mancher Unglücksfälle
Ja unser Kauz blieb endlich fest dabei,
Denn er gefiel sich in der neuen Stelle
Und meinte: jetzt erst sei er froh und frei:

Ich sann und sann und fand in dem Gedichte
Jetzt plötzlich meine eigene Geschichte -
Fürwahr, ich lebe ja im gleichen Trug;

Ein Unterschied nur ist: Dort waren Viele
Vereinigt bei dem tollen Faschingsspiele -
Ich aber bin dazu mir selbst genug!
(S. 235-236)


12.
Heirath durch Vernunft

Neulich war ich im Theater
Mit dem alten Schwiegervater,
Sah die Heirath durch Vernunft;

Ei, der Scribe ist doch ein Dichter,
Trotz dem kritischem Gelichter
Und der Recensentenzunft!

Ueber zehnmal mußt' ich niesen,
Weil er sonnenklar bewiesen,
Daß die Liebe nur ein Scherz; -

O du humorist'scher Schreiber!
Und die Weiber nichts als Leiber,
Und ein Klumpen Fleisch das Herz!

Ja, ein Scherz, ein Spaß - nichts weiter!
O wie bin ich jetzt so heiter,
Weil ich es doch sicher weiß!

Ja, ein Spaß, den zwei sich machen,
Um sich drüber todt zu lachen -
Scribe, mein Scribe du hast den Preis!
(S. 236-237)


13.
Häusliches Glück

Nun kann's nicht lange mehr dauern,
So werd' ich ein Ehemann sein,
Und essen die eigene Suppe,
Und trinken den eigenen Wein;

Nun kann's nicht lange mehr dauern,
So werd' ich beweibt und beleibt,
Und geh' in Pantoffeln und Schlafrock,
Bis der Kinderlärm mich vertreibt;

Nun kann's nicht lange mehr dauern,
So steck' ich im häuslichen Glück.
Ich fürchte nur Eines - nur Eines -
Daß vor lauter Glück ich - erstick!
(S. 237-238)


14.
Schade

"Geliebtester, es ist doch Schade" -
Sprach die Geliebteste zu mir -
"Daß sich das Glück in deiner Liebe
So gar gewogen zeiget dir!"

"Kein Hinderniß und keine Thränen!
Es geht so ganz alltäglich ab,
Und mit der Hochzeit schließt das Sehnen,
Nicht mit Verzweiflung, Tod und Grab."

"Ach, so verbraucht ist dies Verhältniß,
So ohne alle Poesie,
Daß es zu keinem einz'gen Verse
Begeistert deine Phantasie!" -

""Ja sieh, mein Herzchen,"" war die Antwort -
""Das ist mein trauriges Geschick,
Das ist's, was mich von jeher ängstet:
Mein allzu großes Liebesglück!"" -

""Doch nur Geduld, wir wollen hoffen,
Und wenn sich gar nichts anders schickt,
So will ich es den Leuten klagen,
Das mich das Glück zu sehr beglückt!""

""Gewiß, gewiß, du sollst noch lesen,
Gedruckt sollst lesen meinen Gram,
Wie arm und elend ich gewesen,
Als ich, o Braut, dein Bräutigam!""
(S. 238-239)


15.
Verschiedene Liebe

Es gibt eine Liebe, die gleichet
Der Rose, die ewig blüht,
Und immer und immer wieder
In neuen Knospen erblüht;

Es gibt aber auch eine Liebe,
Die der bittern Aloe gleicht,
Und die erst nach Jahren und Jahren
Dem Gärtner eine Blüthe reicht;

Wenn die eine Rose verwelket
Strahlt die zweite mit frischem Glanz,
Doch die Aloe trägt mit der Blume
Zugleich ihren Todtenkranz.

O Thoren, die ihr gleichgültig
An der Rose vorübergeht,
Weil ihr im Treibhaus daneben
Eine sterbende Aloe seht!
(S. 239-240)


16.
Der Besuch

Wir machten zusammen die Reise
Wie's gebräuchlich von Haus zu Haus
Und brachten die fröhliche Kunde
Von dem nahen Vermählungsschmaus;

Da klopft' ich an eine Thüre
Und öffnete sacht und lind,
Drin saß eine stattliche Dame
Mit ihrem säugenden Kind;

Sie kam uns lächelnd entgegen
Und that so bekannt und verwandt,
Sie hätte mich gleich auf der Stelle -
So sprach sie - wieder erkannt;

Ich wäre ja wohl derselbe,
Der einst ihre Schwester geliebt,
Und über den Tod der Armen
Sich gar so heftig betrübt?

Doch die Zeit heilt ja alle Wunden,
Und so erfreu' es sie sehr,
Zu sehen, daß ich gesundet
Und nicht so verzweifelt mehr.

Sie sprach noch Vieles von Vielen,
Ich aber hörte kein Wort,
Und ging mit lachendem Munde
Und weinendem Herzen fort.
(S. 240-241)


17.
Gewissensfrage

Der Abend vor der Hochzeit
War unerträglich schwül,
Am Himmel stand ein Wetter,
Und ich fand's doch so kühl.

Wir saßen auf dem Sopha
Wir Beide, ich und sie,
Und hielten uns umschlungen, -
So zärtlich waren wir nie!

Von all' den Huldigungen,
Die ich ihr dargebracht,
Von all' den schönen Worten,
Die sie sich ausgedacht;

Hab' ich das Meiste vergessen,
Nur Eines weiß ich noch,
Sie fragte schelmisch lächelnd
Und leicht gereizet doch:

"Bei dieser schönen Stunde
Gesteh', o Theurer, mir,
Gelt' ich denn auch ein wenig
In diesem Herzen Dir?"

"Und ist denn Deine Liebe
Die erste wohl, mein Schatz?
Und ist sie auch die letzte?
Hat keine weiter Platz?" -

""Mein Kind,"" - versetzt' ich seufzend -
""Die erste ist sie nicht,
Doch sicherlich die letzte,
So wahr dies Herz einst bricht!""
(S. 241-243)


18.
Abschied

Nun endlich ist sie vorüber
Die tolle Heirathsgeschicht,
Und ausgetobt hat das Wetter,
Der Himmel wird wieder licht!

Es gibt noch vernünftige Moden
In unsrer vernünftigen Zeit,
An die Mode will ich mich halten,
Nach der Mode hab' ich gefreit;

D'rum frisch in den Reisewagen,
Und frisch hinaus in die Welt,
Schon bläst der Schwager: "Ich habe
Meinen Sinn auf nichts gestellt!"

D'rum frisch in den Reisewagen,
Und auf der dritten Station
Da nehmen wir Abschied, und fahren -
Sie rechts und ich links - davon!
(S. 243)


19.
Bitte

Ich sah bei Sturm und Gewitter
Eine lustige Hochzeit geh'n;
Ich sah eine traurige Leiche
Beim seligsten Frühlingsweh'n;

Auf dem Schlachtfeld hört' ich oft jubeln,
Trotz der blutigsten Todesqual,
Und in Fasching hört' ich oft weinen,
Trotz dem festlich geschmückten Saal;

Auf alten verwitterten Trümmern
Stand ein Greis mit trunkenem Scherz;
Und im Rosenwäldchen daneben
Schoß sein Sohn sich die Kugel durch's Herz;

Wie oft hat die seligste Freude
Dich zum weinenden Kinde gemacht,
Und wie oft, im bittersten Leide,
Hast schallend du aufgelacht?

So ist der Mensch und das Leben -
D'rum bitt' ich euch, tadelt es nicht,
Wenn die Lust zu euch mit Thränen,
Und der Schmerz mit Lachen spricht!
(S. 244)
_____



Die Sturmesbraut
(Volksthümlich)

Es war ein Mädel, keck und wild,
Das ging im Wald und sang,
Es sang ein Lied von Schwert und Schild,
Und wüstem Kampfesdrang.

Sie sang wohl mit dem Sturm zur Wett,
Der Blumenherzen brach;
Sie lud ihn in ihr Jungfernbett,
Zur Stund', wenn Niemand wach.

"Kein Ritter ist wie du so stark,
Und hat solch' flinkes Roß,
Und hat so festes Eisenmark,
Und solch ein weites Schloß!"

Sie riß sich eine Locke aus,
Und schlang um sie ein Band;
Sie lud ihn ein zum Hochzeitschmaus
Und gab sie ihm als Pfand.

Da ritt ein feiner Junker wohl
Vorbei im grünen Wald,
Der sah sie an so liebevoll,
Und nahm ihr Herz sich bald,

Und nahm ihr Herz und ihre Hand
Und ging zur Kirch' mit ihr -
"Halt ein! Der Sturm hat auch ein Pfand
Ein Liebespfand von dir!"

Schon schreit er draußen wild und laut,
Es ist um sie gescheh'n,
Er raubt sich seine junge Braut,
Sie ward nicht mehr gesehn,

Und wann zur späten Mitternacht
Ein leises Weinen schallt,
Durchzieht der Sturm in seiner Macht
Mit ihr den grünen Wald.
(S. 17-18)
_____



Rittersinn und Todesfurcht

Er hat ihr die Hand so warm gedrückt,
Er hat ihr so innig ins Auge geblickt,
Und der erste goldene Morgenschein
Sah mit Liebesblicken zum Fenster herein:
"Nicht wahr, heut' Nacht, da bist Du allein?
O sprich, Du Schönste, sprich aus das Ja,
Das die Hand schon gesprochen, das mein Auge schon sah!" -

Sie zittert und schweigt und schaut ihn an,
Will läugnen, was sie nicht läugnen kann:
"Herr Ritter, und ist Euch das Leben nichts werth,
Daß Ihr Solches von Eurer Dame begehrt?
Und wißt Ihr es nicht, was der Herzog verwehrt:
Die heimliche Liebe bestrafet der Tod,
Des Buhlen Tod, der verletzt das Gebot!" -

Da wird er noch kühner, da faßt er sie fest,
Da hält er ans männliche Herz sie gepreßt:
"O fühle, Du Schönste, wie's pocht und schlagt,
Was hat es nicht Alles schon unverzagt
Für die Schönste gekämpft, für die Schönste gewagt!
Und ständ' auch der Tod vor dem Fenster Dein,
Die Liebe muß stärker, als der Tod noch seyn!" -

Eine Frauenbrust schmilzt der Männermuth
Wie den Märzenschnee die Frühlingsgluth;
Sie saget nicht ja, und sie saget nicht nein,
Doch trifft ihr Auge das Auge sein
Und er weiß es, daß sie heut' Nacht allein.
Er weiß es, so wahr als die Rose blüht,
Und Nachtigallsang durch den Garten zieht! -

Wie treiben die Lüftchen ihr Sommernachtspiel;
Wie flimmern die Sterne so freudig und still
Doch ein and'rer Stern blitzt dort hervor,
Wo den Lindenbaum klettert ein Ritter empor,
Der trotzig den Tod für die Liebe beschwor;
Schon neigt sich zum Fenster ein freundlicher Ast,
Schon hält er die bebende Schöne umfaßt.

Doch, weh' o weh! von Fackeln wird's licht,
Doch, weh', o wehe! der Ast zerbricht -
Der Herzog selber - nun Gnade dir Gott,
Du hast verletzet sein strenges Gebot,
Nun straft deine Liebe der bitterste Tod -
Der Herzog selber tritt zornig heran,
Und zu fesseln befiehlt er den Rittersmann!

"Mein Tapf'rer ist dies Deine Tapferkeit,
So sei nun auch zum Sterben bereit;
Und setzest Dein Leben so willig Du ein
Um zweier Augen verlockenden Schein,
So soll Dein Leben verloren auch sein;
Fort! nehmt ihn, und wenn der Morgen graut,
Dann sei das Schaffot für den Frevler erbaut!" -

Verlassen nun sitzt er im einsamen Thurm,
Da pickt nur der nächtliche Todtenwurm, -
"So ist verflogen der goldene Traum,
So welkt deines Lebens junggrünender Baum,
Und trägt keine Früchte - ach, Blüthen kaum!
So sollst du schon sterben, und bist noch so stark,
Und glühest von heißem Lebensmark!"

"O süßes Dasein! Du reiche Welt,
An köstlichen Gütern so wohl bestellt!
O schöne Erde, so ganz zum Genuß,
So gabst du mir nur einen einzigen Kuß,
Nur Einen, in dem ich, ach, sterben muß -
Und all' deine Schätze, deine Menschen, dein Glück,
Ich sah sie noch nicht, und nimmst sie zurück?"

Da faßt ihn mit kalter Hand der Schmerz,
Der unbändigste Schmerz ins Männerherz;
Da wird sein Auge zum ersten Mal feucht,
Das keine Thräne noch jemals erweicht.
Und das Antlitz das nie vor Furcht erbleicht
Starrt bebend in wachsender Angst und Noth
Entgegen dem unausweichlichen Tod!

Dem Tod, der draußen schon hämmert und pocht,
Wo das Leben in all' seinen Adern noch kocht,
Dem Tod mit der Hand voll Cypressenlaub,
Dem Tod mit der Hand voll Moder und Staub -
Die sich ausstreckt nach dem gewissen Raub -
Und er, der so stolz ihm zu trotzen gemeint,
Der zittert zusammen jetzt - betet, und weint! -

O unendliche Nacht, die so kurz doch ist.
Daß so kurz nicht die allerkürzeste Frist -
O unendliche Nacht, die so lange - so lang,
So ewigkeitslang, und so ewigkeitsbang, -
Du sahst, wie er litt und stritt und rang;
Du hörtest, wie er mit wildem Geheul
Verflucht deine Länge - verflucht deine Eil'!

Der Morgen dämmert - die Henker nah'n,
Sie treten ein, ihr Opfer zu fah'n:
"Wo ist der Ritter?" - Nichts rühret sich -
Wär's möglich, wenn er uns gar entwich? -
Doch halt, - dort im Winkel - he, Alter! sprich,
Wie kamst Du hierher? - - O wunderbar. -
Er selber der Greis, der erst Jüngling noch war!

Er selber, der Greis, der erst Jüngling noch war,
Und grau jetzt sein braunes, sein lockiges Haar,
Und runzlich die Stirne und fahl sein Gesicht,
Und bebend die Glieder, das Aug' ohne Licht,
Und klanglos die Stimme, die zitternd spricht -
O du lange, du ewigkeitslange Nacht
In Todesangst und Schrecken durchwacht! -

Doch als nun der Herzog die Mähre vernahm
Wie Minuten zu Jahren geworden durch Gram:
Da legt' er die Hand auf das frühweiße Haar,
Da sprach er gerührt: "Daß mich Gott bewahr'
Zu richten, wo Er gerichtet so klar;
Frei bist Du, den Ritterschmuck aber leg' ab,
Denn ein Ritter, der fürchtet nicht Tod und nicht Grab!" -

Ein Ritter, der fürchtet nicht Tod und nicht Grab,
D'rum vertauscht er das Schwert mit dem Pilgerstab,
Mit Muscheln sein Wappen, den kreisenden Aar,
Die Rüstung mit einem Bußaltar,
Die Sporen mit einem Sandalenpaar -
Und einsam zieht er, baarhäuptig dahin - -
Er sucht den verlorenen Rittersinn.
(S. 49-54)
_____



Die weißen Hände
(Volksthümlich)

"So lebe denn wohl, und verzeih Dir es Gott,
Schöngrausames Weib ohne Liebe,
Er verzeih Dir den bittern, den tödtlichen Spott,
Der getroffen die heiligsten Triebe;
So lebe denn wohl, schöngrausames Weib,
Und schlägt Dir ein Herz in dem blühenden Leib,
So gib mir noch einmal die Hände,
Noch einmal zum schmerzlichen Ende!" -

Er spricht es, und sinkt in die Kniee vor ihr,
Da kehrt sie ihm lächelnd den Rücken:
"Herr Ritter, bringt erst ein paar Handschuhe mir,
Dann soll meine Hand Euch beglücken,
Ihr saht es ja selbst, wie die Sonnengluth
Den Schnee verwandelt in schmutzige Fluth -
Eure Lippen, die brennen noch heißer,
Meine Hände, die sind noch weißer!" -

Da springt in unsäglicher Qual er auf,
Und stürzet hinab zu der Pforte,
Und blickt zu der Schönen noch einmal hinauf,
Und seufzet die scheidenden Worte:
"So wahr Du dies Herz zum Tode betrübt,
So wahr das Deine noch niemals geliebt -
Zwei Handschuhe will ich Dir schenken,
Daß Du ewig sollst meiner gedenken!" -

Drei Tage vergingen, da gab's ein Bankett,
Beim Bankett wohl saß eine Dame,
Der dienten viel Herren und Ritter zur Wett',
Und aus Liedern erklang ihr Name,
Der Name der Schönsten der Schönen erklang
Lauttönend im jubelnden Wettgesang,
Der pries ihre Reize ohn' Ende,
Der pries ihre schneeweißen Hände.

Jetzt plötzlich tritt im nachtschwarzen Flor,
Im nachtschwarzen Panzer ein Ritter
Aus der staunenden Menge schweigend hervor,
Mit verschloss'nem Helmesgitter;
Und wie er der Schönen nahe war,
Da reicht er ihr ernst ein Paar Handschuhe dar,
So weich und so fein wie Seide,
So schimmernd wie köstlich Geschmeide.

"Mich sendet, Dame, ein edler Freund,
Und wie arm auch und werthlos die Gabe,
So wisset, daß er es herzlich meint,
Denn sie ist seine einzige Habe;
Er sah es ja selbst wie die Sonnengluth
Den Schnee verwandelt in schmutzige Fluth,
Seine Lippen, die brannten noch heißer,
Eure Hände, die sind noch weißer." -

D'rauf lächelt die Dame und neigt sich und nimmt:
"So sagt Eurem Freund mein Bekennen;
Die Thräne, die schwimmt, und der Funke, der glimmt,
Darf nicht Meer und nicht Flamme sich nennen;
Er hat es gewollt und er hat es erdacht,
Ich hab' es versprochen, so sei es vollbracht,
Die Hand, die er wußte zu schmücken,
Wird zum Abschied die seine drücken." -

Sie spricht es und höhnt es mit trotzendem Spott,
Da plötzlich - ein Schrei des Entsetzens!
Der Handschuh wird blutig - hilf heiliger Gott!
Wer durfte die Schönste verletzen?
Der Handschuh wird blutig, die schneeweiße Hand
Glüht auf im rothen, im blutigen Brand;
Es ist keine Wunde, die quillet,
Und doch wird das Blut nicht gestillet.

Es ist keine Wunde und brennt doch so tief,
Und brennt aus der Hand bis zum Herzen,
Und wecket dort auf, was so lange schlief,
Weckt auf die tödtlichsten Schmerzen! -
"O Jesus! O Jesus! Das ist sein Blut,
Ich fühl's an der bittern verzehrenden Gluth -
O Jesus, das muß ich nun tragen,
Durch mein ganzes Leben umtragen!" -

""Du hast es gesagt, und so wird es geschehn,
Was jetzt Deine Hand umhüllet,
Umhüllte sein Herz und seinen Wahn,
Mit denen Dein Hohn es erfüllet;
Oft wandelt die Gluth den Schnee zur Fluth,
Doch öfter noch wandelt die Gluth sich in Blut;
Was Du heischtest, das wollt' er Dir schenken,
Daß Du ewig magst seiner gedenken!""
(S. 58-62)
_____



Namenlose Liebe

"Meinen Namen willst Du wissen?
Kind, den Namen schenke mir!
Niemals fragt' ich nach dem Deinen -
Liebe sei mein Name Dir!"

"Namenlose Lieb' um Liebe -
Sind uns da noch Namen Noth?
Könnten wir uns Namen geben,
Wär's vielleicht der Liebe Tod!" -

Und sie fällt ihm um den Nacken,
Küßt und herzt ihn tausend Mal,
Schwöret nie nach dem zu forschen,
Was doch ihre stille Qual.

Aber schon am andern Morgen,
Schleicht sie zu der Nachbarin,
Fragt und hört nicht auf zu fragen,
Bis es geht nach ihrem Sinn,

Heimlich freut sie sich, zu necken
Den geliebten theuren Mann,
Den sie nun, trotz seinem Willen,
Doch beim Namen nennen kann! -

Als die nächste Nacht nun dunkelt,
Tritt sie leise vor sein Haus; -
Wie der Mond so prächtig funkelt,
Vielgeliebter, komm heraus!

Und er kommt! Mit Geisterschritten
Schwebt er hin auf den Balkon,
Schwingt sich jetzt auf das Geländer -
Hat er sie gesehen schon?

O gewiß! er will sie schrecken! -
Warte, wart', jetzt schreck' ich dich!
Und sie stellt sich auf die Zehen
Und sie ruft: "Mein Friederich!"

Weh', da schauert er zusammen, -
Schwindelt - wankt - und stürzt hinab -
Auf den kalten, scharfen Steinen
Findet er sein frühes Grab.

Weinend hüllt sie das zerschellte
Bleiche Haupt in ihrem Schoß,
Und es ringen diese Worte
Aus der wunden Brust sich los:

"Namenlose Lieb' um Liebe!
Sind uns da noch Namen Noth! -
Doch Du mußtest Namen haben,
Namen sind der Liebe Tod!"
(S. 63-65)
_____


Aus: Balladen und lyrische Gedichte
von Ludwig Halirsch
Leipzig 1829 Verlag von Carl Focke
 



Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Halirsch



 

 


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