Christian Friedrich Henrici (1700-1764) - Liebesgedichte

 


Christian Friedrich Henrici
(Ps. Picander)
(1700-1764)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



L'Art de baiser
Das ist
Die Kunst zu küssen
Nebst einem Unterricht von allen dabey
vorfallenden Umständen,
aus dem Französischen ins Teutsche übersetzt
Bey der M. und P. Hochzeit Leipzig den 6. Martii 1726

Verliebte,
Was ihr hier auf diesen Blättern schaut,
Hat man zu Orleans in einer Esels-Haut
Mit alter Nonnen-Schrifft auf rundes Holtz gewunden,
In einem Bücher-Schranck vor kurtzer Zeit gefunden.
Das Werck ist Goldes werth, drum haben wir gedacht,
Es sey so unrecht nicht, daß wir es teutsch gemacht,
Daß unser Teutsches Volck, das offt von rauhen Wesen,
Zu ihrer Besserung was artigs möchten lesen.
Das übergeben wir euch, Werthgeschätztes Paar,
Und legen dieses Buch zu Euern Urtheil dar;
Es handelt, wie ihr seht, von der Manier zu küssen;
Uns deucht, Ihr werdet wohl dasselbe Handwerck wissen.
Durchsehet es genau; Beschützet dieses Buch,
Und wenn ein Spötter kömmt, so gebet ihm den Fluch.
Indessen wünschen wir Euch, treu vermählten Beyden:
Es müß Euch Glück und Wohl im Überflusse weiden!
So angenehm der Most, so lieblich als Confect,
So schön und Engel-süß ein Liebes-Mäulgen schmeckt,
So und viel herrlicher sey Euer Ehe-Leben.
Die Proben werdet Ihr schon jährlich richtig geben.

Das I. Kapitel
Von dem Ursprunge der Küsse

Küssen ist uns angeerbt, und ich glaube, daß auch eben
Adam manchen lieben Schmatz seiner Eva hat gegeben.
Und wenn man auch sonst nicht wüste, daß das Küssen üblich sey,
Fiele dennoch allen Leuten solches ohne sagen bey.
Wilde Bäre, Tiegerthier, Ochsen, Kühe, Schaafe, Kälber,
Hunde, Katzen und so fort, zeigen in Erfahrung selber,
Wenn sie sich so freundlich lecken, in der That die Aehnlichkeit
Dessen, welches bey uns Menschen einen Liebes-Kuß bedeut.
Ist wohl was natürlicher, als das Schnäbeln junger Tauben,
Das ist ordentlich geküßt. Und dahero kan man glauben,
Daß ein Küßgen oder Schmätzgen, auf Lateinisch Osculum,
Sey ex jure naturali als auch jure Gentium.
Alle Völcker küssen sich, und so gar in manchem Lande,
Hält sich daß ein Ehemann, vor die allergröste Schande,
Wenn ein Frembder seiner Frauen Hand und Lippen nicht berührt,
Ländlich, sittlich; Hier in Sachsen ists so scharff nicht eingeführt.


Das II. Capitel
Von der Beschreibung und Wesen eines Kusses

Soll ich meiner Meynung nach, was ein Küßgen sey beschreiben,
Wird es ein Zusammenzug zweyer Lippen können bleiben,
Damit fährt man auf ein Fleckgen, das man kostet oder schmeckt,
Was vor angenehmes Wesen etwan in demselben steckt.
Sonsten zeigt es so viel an, daß wir dieses, was wir küssen,
Gerne haben oder sehn, lieben oder ehren müssen.
Darum ist ein Kuß die Regung, die im Hertzen wird gezeugt,
Die hernach durch Krafft der Liebe folgends in die Lippen steigt.
Wenn ein Kuß gebohren ist, wird er auch so gleich verschwinden,
Und kein Tubus Opticus kan davon die Spuren finden.
Darum möchte man bald schliessen, daß ein Mäulgen oder Kuß,
Weil er keinen Cörper führet, sey ein Liebes-Spiritus.
Freylich muß die Einbildung und die Zärtlichkeit der Sinnen,
Einem Kusse den Geschmack allermeistens abgewinnen.
Leuten, die kein Feuer haben, und wie Eßig Krüge sehn,
Wird der schlechteste Gefallen, wenn man sie gehertzt, geschehn.


Das III. Capitel
Von dem Unterscheid der Küsse

Einen giebt und nimmet man; dieses kan man einfach heissen,
Aber wenn die Lippen sich nicht so gleich von sammen reissen.
Und wenn bey dem Gegentheile Kuß mit Kusse streiten muß,
So, daß zwey zusammen kommen, heisset es ein doppel Kuß.
Mäulgen saget man allein, wenn der Mund auf Lippen dringet,
Aber Schmätzgen saget man, wenn es schmatzet oder klinget.
Wenn nun von den beyden keines, schicket sich das Wort: Geküßt!
Weil das alles in sich fasset, und ein general Wort ist.
Ehrfurcht fordert offtermahl, daß man hertze, daß man küsse,
Heyden küßten ihren Gott; Küßt man doch dem Pabst die Füsse.
Bey den Fürsten und Patronen hat auch dieser Umstand Raum,
Denn die Diener, die sie ehren, küssen ihres Kleides Saum.
Wenn man die Gewogenheit guten Gönnern will bezeugen,
Wird sich insgemein der Mund, sie zu küssen, willig neigen.
Darum macht es Nero übel, daß er nicht zu Rom den Rath,
Wenn er ab und zu gegangen, nimmermehr geküsset hat.
Eines wird noch übrig seyn. Denn man küsset auch aus Liebe,
Zu Bezeugung steter Treu und wahrhafter Freundschaffts-Triebe.
Doch von dem ist unterschieden, wenn der Kuß aus Wollust rührt,
Dadurch werden wir nunmehro auf ein neues Werck geführt.


Das IV. Capitel
Von den Verliebten Küssen

Wenn das Küssen sich den Zweck reiner Liebe hat erwehlet,
Wird es sonder allen Streit wahrer Tugend zugezehlet,
Denn die Lieb ist eine Tugend; Küssen ist der Liebe Frucht,
In so fern es nur darunter kein verbothnes Absehn sucht,
Stammt ein Kuß aus Wollust her, will er eben so viel sagen,
Als wolt ich die Dorilis, wilt du bey mir schlaffen? fragen.
Solches stehet Ehe-Leuten, aber sonsten niemand frey.
Darum kan man leicht erachten, wie ein Kuß gefährlich sey.
Keinem sieht man in das Hertz; Und ein Mann soll seiner Frauen,
Wenn sie frembde Lippen küst, würcklich nicht zu vieles trauen;
Denn das pfleget anzustecken, wenn die Frau nicht recht getreu,
Wird sie leicht dadurch verwehnt, und geräth auf Näscherey.
Jungfern lauffen auch Gefahr, wenn es gleich nicht übel stünde,
So befleckt es doch den Geist, und ist eine kleine Sünde;
Wenn die geilen Junggesellen in der Wollust brünstig seyn,
Gehn sie, wenn sie Küsse leiden, auch dergleichen Laster ein.
Wer sich küssen läst, und küßt, thu es nur aus treuen Lieben,
Denn die Seelen, welche sich in dergleichen Unschuld üben,
Wachsen täglich in der Tugend, sie ergreiffen ihre Bahn,
Und die Engel, die das sehen, haben ihre Lust daran.


Das V. Capitel
Von dem unentbehrlichen Gebrauch der Küsse

Wer bey Frauenzimmer ist, und will ihr kein Mäulgen geben,
Wird vor höltzern angesehn, denn er wüste nicht zu leben,
(Ist das Sprichwort bey den Jungfern) denn die Mode führt es ein,
Solt es auch zum ersten mahle nur ein leerer Hand-Kuß seyn.
Was kan abgeschmackter seyn, wenn man auf die Heyrath gehet,
Und sich die erwehlte Braut nicht zu küssen unterstehet,
Denn woraus ist abzunehmen, daß ihr so ein Freyer gut,
Wenn er bey der Liebes-Werbung gleichwohl noch so trocken thut.
Wenn die Zärtlichkeit verstummt, und der Mund nichts weiß zu sprechen,
Daß der Schönen harte Brust durch die Wehmuth könte brechen,
Oder wenn der Geist der Zunge nichts mehr schönes sagen kan,
O! so fange man statt dieses das entzückte Küssen an.


Das VI. Capitel
Von der Freyheit zu küssen

Küssen leidet keinen Zwang; denn es kömmt aus freyen Willen,
Und ein Junggeselle fehlt, wenn er will ein Mägdgen trillen,
Daß sie sich soll küssen lassen; Und das ist kein grober Streich,
Wenn sie auf sein Stürmen saget: Herr, was untersteht ihr euch?
Wenn es aber ihr beliebt, Küsse geben oder nehmen,
Muß sie nicht der Anfang seyn; denn ein Mägdgen soll sich schämen;
Mit Manier kan sie sich weigern, auch, nachdem der Kuß geschehn,
Wenn es ihr gleich gut gedeuchtet, etwas roth und schüchtern sehn.
Jungfern Lippen gleichen mir einem unverkaufften Garten,
Da gilt noch ein Blumen-Raub: doch bey Weibern muß man warten,
Denn die haben ihre Herren; Eh man eine Rose bricht,
Muß man erst Erlaubniß haben. Sehen mag man, nehmen nicht.
Doch das stehet auch nicht fein, wenn man Pfänder einzulösen,
Und die Jungfern wollen sich so erschrecklich drüber sprösen,
Wenn das Spiel ein Spanisch Creutze, oder sonst was anbefiehlt,
Lieber gar davon geblieben, als verdrießlich mit gespielt.


Das VII. Capitel
Von der Süßigkeit der Küsse

Daß ein Kuß was süsses sey, kan man leichtlich daher dencken,
Weil sich mancher Liebender aus Verzweifflung will erhencken,
Wenn man ihm den Kuß versagte, ob schon ieder leicht begreifft,
Daß die allergröste Thorheit offt dabey mit unter läufft.
Unterdessen ist gewiß, wird ein brennend Hertz geküsset,
Ist es, wie wenn früh der Thau das verbrannte Feld begiesset,
Hertz und Seele wird getröstet, alle Wehmuth höret auf,
Und die irrenden Gedancken kommen wieder in den Lauff.
Denn die Seele, die man liebt, wird dadurch empor gezogen,
Diese macht der Sehnsucht kund, daß sie solcher auch gewogen.
Gleichsam, wie ein armer Sünder, wieder an zu leben fängt,
Wenn er von dem Fürsten Gnade auf dem Hencker-Platz empfängt.


Das VIII. Capitel
Was am besten zu küssen

Was man liebet, küst man gern; Manchmahl wird man auch gezwungen.
Offters wird im Spielen was zu den Küssen aufgedrungen,
Da uns alle Lust vergehet: Aber da ist dieser Schluß,
Daß man da in einen Apffel, der nicht süß ist, beissen muß.
Mancher, wenn er sonst nicht muß, wünscht sich eh das kalte Fieber,
Als ein altes Weib geküst; Junge Mägdgen herzt man lieber.
Ausstern, die schon stinckend werden, machen Eckel und Verdruß,
Aber neu und frische Muscheln locken eher zum Genuß.
Grosse Lippen sind nicht schlimm, einen Kuß davon zu nehmen,
Denn auf selben kan man sich unvergleichlich wohl beqvemen.
Klein und eng und schmale Lippen dienen auch zum Appetit,
Weil die Qvint-Essenz der Süsse sich daselbst zusammen zieht.


Das IX, Capitel
Wodurch ein Kuß angenehm zu machen

Alle Jungfern habens gern. Doch man muß behutsan gehen,
Darum lasset euern Bart nicht so voller Stacheln stehen,
Hütet euch, Toback zu rauchen. Flieht die Trunckenheit dabey,
Denn bey so gestalten Sachen riechet man nach vielerley.
Knöpfft den Rock nicht oben zu; Denn, indem ihr voll Entzücken,
Köntet ihr das liebe Kind an ein zartes Fleckgen drücken,
Da vergeht die gantze Freude. Wenn ihr es einmahl gethan,
Ach so geht euch dieses Mägdgen weiter nicht so leichte dran.
Last den Mund, der küssen will, auf den Lippen grade liegen,
Daß kein Tischler Breth und Breth könte mehr zusammen fügen.
Drückt und haltet etwas stille, ziehet endlich langsam ab,
So wird iedes Mägdgen dencken: Ey! das war auch gar zu knapp.
Weiter hab ich auch gesehn, daß man auf die Backen klopffet,
Und einander bey dem Kuß an der Unter-Kehle zopffet,
Manche schliessen sich in Armen, oder sitzen in dem Schooß,
Da vergist man Sehn und Hören; denn die Lust ist gar zu groß.


Das X. Capitel
Wenn man küssen soll

Küßt nicht gleich das erste Mahl, wenn ihr eine Schönheit schauet,
Denn ein Kluger sucht den Grund, eh er ein Gebäude bauet.
Untersuchet ihr Gemüthe: Giebt euch das was gutes kund,
Und erlaubt sie euch die Hände, o! so küßt ihr auch den Mund.
Wenn euch das einmahl erlaubt; mögt ihr küssen, wenn ihr wollet,
Und so offt es euch gefällt, küßt nur aber, wie ihr sollet,
Thut es nicht vor allen Leuten, weil man gar gewöhnlich schließt,
Daß ihr es noch ärger machet, wenn sonst niemand bey euch ist.


Das XI. Capitel
Wie zu dem ersten Kusse zu gelangen

Leider! findt man hin und her so viel blöde Junggesellen,
Die bey Frauenzimmer sich so erschrecklich furchtsam stellen,
Daß sie zittern und erbeben, eh ein Mäulgen wird gewagt,
Und sind doch bey alle diesem von der Löffeley geplagt.
Diese mercken zum Bericht: Nehmt das Mägdgen bey dem Händen,
Drückt sie zärtlich wie den Sammt, lasset keinen Blick verwenden,
Den sie nicht zum Merckmahl habe; Endlich wird das Auge naß,
Hohlt den Odem tieff und seuffzet. Dadurch merckt das Mägdgen was.
Fraget sie, was euch betrübt? O! so müßt ihr euch entfärben,
Endlich sagt gebrochen raus: Schönster Engel, soll ich sterben,
So versage diesen Lippen, einen! --- schweigt, nun saget: Kuß!
Wenn ihr nur recht kläglich sehet, ich bin sicher, daß sie muß.
Wer sonst frey und aufgeweckt, kan sich einen Schwank ersinnen.
Und ein Küßgen mit Manier einem Mägdgen abgewinnen;
Halb mit List und halb gezwungen; Putzt das Licht mit Willen aus.
In dem Dunckeln ist gut munckeln. Seht, so kommt man leichtlich raus!


Das XII. Capitel
Was bey den Küssen unanständig

Ach! da fehlen ihrer viel; Wenn sie einen Finger haben,
Wollen sie sich nach und nach an den gantzen Händen laben.
Flugs zu gantzen Viertel-Stunden währt ein aussereintzger Kuß.
Daß manchmahl ein armes Mägdgen drüber bald ersticken muß.
Auch steht dieses wunderlich, wenn die Liebenden bißweilen,
Mandeln oder Zucker-Brodt mit dem Mund in Stücken theilen.
Und einander also küssen, daß die Zung und Zunge sich
Selbst an ihre Spitzen stossen. Ey das ist nicht erbarlich.
Manche sind auch so gewohnt, Speichel in den Mund zu lassen,
Aber wo man also küßt, will ich lieber gäntzlich passen.
Offters beißt man in die Lippen; Was ist da vor ein Gewinn,
Wenn ich andern Schmertzen mache? Nur ein wenig geht noch hin.
Viele haben den Gebrauch, daß sie, wenn sie Mäulgen geben,
Die zu küssende Person selber in die Höhe heben,
Dieses ist zu unmanierlich. Ausser wenn ein Theil zu klein,
Kan sich wohl das andre bücken, wenn es nicht will lose seyn.
Letztens Werthgeschätztes Paar, leget Euch nur recht aufs Küssen,
Aber lasset auch der Welt nach drey Viertel Jahren missen,
Daß Ihr Euch bey Euern Küssen auch aufs Bette habt gelegt,
Wenn sich in dem Wochen-Bette auch ein kleiner Lecker regt!

Aus: Picanders Ernst- Schertzhaffte und Satyrische
Gedichte Erster Theil Andere Auflage
Leipzig In Commission zu haben bey Joh. Theod. Boetii seel.
Anno 1732 (S. 434-448)
_____



Daß das Küssen ein wesentliches
Stücke der ehelichen Liebe
Auf die S. und L. Hochzeit
Weißenfels, den 17. April 1727

Bevor ich euch kan gratulieren,
Höchstangenehmes Liebes-Zwey,
So muß ich einen Streit berühren,
Ob dieses nehmlich nöthig sey:
Daß Mann und Weib einander Küße
Gantz unumgänglich geben müsse?

Es werden zwar verschiedne sagen,
Es wäre nur zum Überfluß;
Denn stets an einem Weibe nagen
Ist ja ein greulicher Verdruß;
Man könte wohl einander lieben,
Wenn gleich die Mäulgen unterblieben.

Wenn man nur innerlich im Hertzen
Dem Ehegatten zugethan,
So käm es eben auf das Schertzen,
Als nur ein Aussenwerck, nicht an,
Ein gutes Wort, ein guter Wille
Sey eheliche Liebes-Fülle.

Allein, so viel ich kan erwegen,
So ist an einem Liebes-Kuß
Unwidersprechlich viel gelegen,
Und diesen unverfälschten Schluß
Will ich durch viele Gründe zeigen,
Daß selbst die Gegner müssen schweigen.

Die Liebe bleibt den Kindern ähnlich,
Sie essen gern, was süsse schmeckt;
Wer liebet, der ist immer sehnlich,
Da ist ein Küßgen das Confect,
Das den verliebten Hunger speiset,
Und immer was zu naschen weiset.

Aus einem Kuß entspringt die Liebe,
Ein Kuß ist ihre Lager-Statt,
Wenn er hernach nun unterbliebe,
So scheint, es sey die Liebe matt,
Als wenn es erst nur Locke-Beeren
Zur Trügerey gewesen wären.

Wenn sich die Seele will besprechen,
Und in die andre Seele sehn,
So muß ein Kuß die Bahne brechen.
Denn anders kan es nicht geschehn.
Allein ein Kuß muß das Vertrauen
Im ehelichen Leben bauen.

Das ist kein rechter Fluß zu nennen,
Der manchmahl nicht ein Lispeln zeigt,
Und wie kan eine Fackel brennen,
Aus welcher keine Flamme steigt?
Wie kan man was von Liebe wissen,
Wenn man einander nicht soll küssen.

Wo bleibt die Zärtlichkeit der Liebe,
Wenn nicht ein Kuß darbey soll seyn?
Wie wenn man grosse Littern schriebe,
Und machte keine Züge drein.
Es wäre wie bey Handwercks-Leuten,
Die ohne Zimmt den Brey bereiten.

Doch muß man, wie in allen Dingen,
Auch hier nicht zu verschwerdrisch thun,
Denn immer Mäulgen anzubringen,
Und keine Viertel-Stunde ruhn,
Und gar vor fremden Leuten dahlen,
Das heist, mit seiner Liebe prahlen.

Und also werd ich recht behalten,
Ein Kuß gehört zum Ehestand,
Es wären denn die lieben Alten,
Bey den das Feuer ausgebrannt,
Die können endlich sonder Küßen
Doch ihre Zeit vergnügt beschließen.

Ich zweiffle nicht, vergnügten Beyde,
Ihr stimmet selber mit mir ein,
Und eine nicht geringe Freude
Wird euch ein zartes Küßgen seyn,
Kein Zucker kan so süsse schmecken,
Als solches euch wird Lust erwecken.

Doch, eh ich zum Beschliessen eile,
Seh ich den werthen W... an,
Wie er ietzund an seinem Theile
An der geliebten Braut gethan,
So rühmet seine Treu und Güte
Sein mehr als väterlich Gemüthe.

Nun aber geht, verliebte Hertzen,
Und wartet eure Flammen ab,
Treibt euer Küssen, euer Schertzen
Vergnügt biß in das späte Grab!
Und laßt sein offt und mit Erqvicken
Zu einer Püppel-Mutter schicken.


Aus: Picanders Ernst-Schertzhaffte und
Satyrische Gedichte Anderer Theil Leipzig
In Commission zu haben bey Boetio Anno 1729 (S. 120-123)

_____



Das l'ombre-Spiel der Liebe
Auf die F. und G. Hochzeit
Leipzig den 28. May 1725

Nichts ist so voller List, und nichts so voller Streiche,
Nichts kan verschlagener, als wie die Liebe seyn.
Gesetzt, daß sie einmahl den Endzweck nicht erreiche,
So fällt ihr Augenblicks ein ander Mittel ein.
Bald zieht sie in den Krieg, und will Soldaten werben,
Bald geht sie, wie ein Weib, im Hause trödeln rum,
Bald ist sie frisch und wohl, bald aber will sie sterben,
Und geht bey alle dem mit tausend Räncken um.
Was Wunder! daß sie sich das l'ombre hat ersonnen,
Und ihre schöne Kunst in dieses Spiel verdeckt!
Wie manchen Liebes-Satz hat sie dadurch gewonnen,
Wie manches freyes Hertz mit Lieben angesteckt.

Die, so das l'ombre-Spiel, als gute Kenner, treiben,
Die wissen, daß man nichts bey solchem reden soll;
So spielt das Lieben auch; Man muß verschwiegen bleiben,
Man mache nicht die Stadt von seinem Absehn voll.
Offt hat ein anderer auch dieses Spiel in Händen,
Wie leichte wird man nicht cottille gemacht,
Wie zeitig kan sich da das Blat der Liebe wenden,
Ein Fremder nimmt den Satz; der Spieler wird verlacht.

Ein Spieler muß bey sich die Charte wohl erwegen,
Und ob in seiner Hand auch Matadoren sind;
Und welcher lieben will, muß bey sich überlegen,
Was seine Qualität für einen Nachdruck find.
Denn offt wird man remis, und muß das Spiel bezahlen;
Wer zu verwegen liebt, wird gleichfalls so berückt,
Die Hoffnung speiset ihn aus lauter leeren Schaalen,
Wenn ihm die schöne Braut ihr Ja! im Korbe schickt.
Wer aber schön und reich, gelehrt und wohl-gebohren,
Berühmt und angesehn, geschickt, galant und knapp,
Der hat die gantze Hand voll schöner Matadoren,
Und spielet also dann sein solo glücklich ab.

Doch wem dergleichen nicht die Charte hat gegeben,
Der schafft sich doch zur Noth etwas von Forçen an.
Und kan man selber nicht das gantze Haupt-Werck heben,
Legt man sich Forçen zu, das ist: ein Freyers-Mann.
Derselbe geht zur Braut, und sagt ein Hauffen Lügen,
Bald lobt er sein Verdienst, bald rühmt er die Manier;
Da soll sie einen Mann, wie einen Engel kriegen,
Und stellt ihr sonderlich sein gut Gemüthe für.
Wer keine Forçen hat, der hält es mit den Damen,
Auf einer Muhme Wort kan würcklich viel beruhn;
Und wünschet man durch sie ein baldig Ja! und Amen!
So kan ein Kuppel-Peltz dabey ein grosses thun.

Wer spielt, hat allemahl: Est il permis? zu fragen,
Wer auf die Heyrath geht, klopfft erst von weiten an;
Vor allen muß er sich mit der Mama vertragen,
Und wenn die Mutter will, muß auch die Tochter dran.
Ein Mägdgen säh es gern, man fiel ihr vor die Füsse,
Und thut noch spröde gnung, doch dieses nur verstellt,
Denn dieses deuchtet ihr im Geiste Zucker-süsse,
Wenn sich ein Freyers-Mann vor ihren Ohren meldt.

Am schönsten aber wird das gantze Spiel vollzogen,
Wenn man cinq premier und zwar sans prendre macht.
Ein starres Hertze wird auf einmahl nicht gebogen,
Und mancher harter Sturm im Anfang angebracht.
Die Stiche heissen hier in diesem Spiele: Hoffen,
Beständigkeit und Treu, Gedult, Verschwiegenheit;
Hat das die Liebe nun beysammen angetroffen,
So macht die Gegen-Gunst nicht grosse Schwürigkeit.

Im Lieben kan man sich die Farben selbst erwehlen,
Wer treu liebt, sucht sich cœur, ein Geitzhalß caro aus.
Doch wenn es mit der Zeit will an Vergnügen fehlen,
(Wie insgemein geschicht) wird picqu und treffle draus.

Dein Spiel, hochwerther Freund, ist wohl von statten gangen,
Die Liebe liefert dir ein Hertze zum Gewinn,
Ein Hertze, das der Neid nicht besser kan verlangen,
Das leget sich nunmehr an deine Seite hin.
Die Liebe wird mit euch das l'ombre ferner treiben,
Vorietzo spielet ihr zwar nichts als entre deux,
Doch werd't ihr übers Jahr an gute Freunde schreiben,
Daß schon der dritte Mann in eurem Spiele steh,
Da wird die liebe Braut das: Perlez plus! gedencken,
Der Ehe Fruchtbarkeit wird niemahls untergehn,
In Summa, GOTT wird euch der Wünsche tutti schencken,
Und als ein Matador auf eurer Seite stehn!


Aus: Picanders Ernst-Schertzhaffte und
Satyrische Gedichte Anderer Theil Leipzig
In Commission zu haben bey Boetio Anno 1729 (S. 124-127)

_____



Vernünfftige Regeln, welche
Bey dem Küssen in acht zu nehmen
Auf die S. und L. Hochzeit in Weissenfels

Ist etwas auf der Welt, dabey wir öffters fehlen,
So ist es, wenn wir flugs auf eine Jungfer schmählen,
Daß sie sich manchesmahl ein bißgen spröde stellt,
Und wenn man küssen will, nicht Mäußgen-stille hält,
Man macht es selbst darnach; Wenn nur der Eifer thäte,
Und die verliebte Gluth nicht gleich ans Hertze träte,
Und wer bey diesem nur etwas bescheiden wär,
So reckte manches Kind das Mäulgen selber her.
Deßwegen wollen wir mit wenigem beschreiben,
Mit was für Sorgsamkeit das gantze Werck zu treiben,
Wie man es machen soll, (man höre fleißig zu)
Wenn man ein Mägdgen küst, daß sie es gerne thu.

Zum ersten:
Muß man nicht, wenn man noch fremde, küssen,
Die Jungfer möchte sonst in ihrem Hertzen schliessen:
Der Herr ist unverschämt; das ist gewiß sein Brauch,
Ein Mägdgen, das er sieht, beleckt und küßt er auch.
Die sonst nun erbar ist, trägt billig ein Bedencken,
Dem, der bey allen nascht, ein Mäulgen wegzuschencken,
Drum wenn man erst bekannt mit einer Jungfer ist,
So geht es eher an, daß man ihr Mäulgen küst.

Zum andern:
Warte man auch auf gelegne Zeiten,
Und hertze sie nicht gleich vor öffentlichen Leuten,
Denn wenn es andre sehn, so wird sie nur vexirt,
Und durch die gantze Stadt in Mäulern rum geführt.
Es sind ja Fenster da, wo man sich kan verstecken,
Wie gerne wird sie hier das Mäulgen von sich strecken.
Denn (unter uns gesagt!) sie haben Fleisch, wie wir,
Und gäben, wenn mans thut, nicht wie viel Geld darfür.

Zum dritten:
Schreckt sie ab, daß viele nichts verschweigen,
Und andern ihren Mund, wenn er noch naß ist, zeigen.
Da heist es: Lisilis ist mir vortrefflich gut,
Sie gäbe mir wohl gar den Kragen, Gut und Blut.
Sie reden Sachen her, die sich doch nicht geziemen,
Und pflegen mehr, als wahr, bey andern sich zu rühmen.
Deßwegen mercke man, es bringt es keiner weit,
Es wäre denn bey ihm gewiß Verschwiegenheit.

Zum vierdten:
Kommet nicht mit ungeschornen Barte,
Denn iedes Frauen-Volck ist im Gesichte zarte,
Ein bißgen geht wohl hin, damit es Kitzel macht,
Doch nehmt euch, daß er nicht wie Porsten sey, in acht.
Man drücke nicht zu scharff, daß sich die Backen färben,
Denn sonst kan man bey ihr die Lust geschwind verderben,
Es hat das arme Kind bey andern ihre Noth,
Die Leute sehn es ja! wenn ihr die Backen roth.
Vergeßt

Zum fünfften:
nicht, den Mund wohl auszuspühlen,
Denn wenn sie den Geschmack von bittern Tropffen fühlen,
So speyen sie wohl aus, und kommen endlich gar
Mit einer Übelkeit in brechende Gefahr.
Wenn sonsten auch iemand starck Toback rauchen solte,
Und nach der Pfeiffe gleich sein Mägdgen küssen wolte,
So muß erst der Geruch von seinem Munde raus,
Er spühle selbigen mit Rosen-Wasser aus.
Hilfft dieses aber nicht, so braucht, es ist nicht theuer,
Zimmt oder Negelein vor einen kahlen Dreyer.
Sonst muß Perüqv' und Kleid nicht in der Stube seyn,
Denn offt zieht der Geruch von dem Toback hinein.

Zum sechsten:
Muß man sich nicht allzu hitzig stellen;
Damit verderben es die meisten Junggesellen,
Sie fahren ausser sich, und äßen manchmahl gar
Das liebe Jungfer-Maul mit Fleisch, mit Haut und Haar.
Auch soll

Zum siebenden:
Niemand so helle schmatzen,
Und wie die Bauern thun, mit seinen Lippen platzen.
Denn das ist angenehm, wenn es fein leise geht,
Daß der selbst, wenn er küst, das Lispeln kaum versteht.

Zum achten:
Soll man auch den Kuß fein reinlich geben,
Und lasse nicht den Safft auf ihren Lippen kleben:
Zum minsten nehmt vorlieb, wenn sie ein Schnupfftuch nimmt,
Den Gescht herunter wischt, der auf den Lippen schwimmt.

Zum neundten:
Muß man ihr nicht auf die Schürtze treten,
Sonst heisset es: Monsieur, sie seyn doch sehr gebethen,
Nicht allzu plump zu seyn! das ist kein Hader nicht,
Daran man Schuhe wischt; und was man weiter spricht.

Zum zehnden:
Muß man sich vorsichtig können schicken,
Und ihr, indem man küst, die Habe nicht zerdrücken,
Daß man sich selbst nicht ritzt, daß man aus Unbedacht
Ihr ihre Kleider nicht mit Puder schmutzig macht..

Hoch-Edle, werthe Zwey, weil ietzt bey Eurem Feste
Verschieden junges Volck, als liebe Hochzeit-Gäste,
Zusammen kommen ist, das auch ein Kuß ergötzt,
So hab ich ihnen hier die Regeln aufgesetzt.
Wenn sie dieselbigen in Obacht fleißig nehmen,
Wird iede Jungfer sich gar leicht zum Kuß bequemen;
Wir wissen, wie gedacht, daß sie es gerne sehn,
Es muß nur allemahl mit guter Art geschehn.
Ihr aber, liebstes Paar, seyd nicht hieran gebunden,
Küßt, drückt euch braun und blau, und beißt einander Wunden,
Ihr seyd nunmehr ein Fleisch, Krafft der geschloßnen Eh,
Und thut ihr euch zu viel, so thut es beyden weh.
Treibt, wie ihr immer wolt, ein süsses Liebes-Späßgen,
Vergiß besonders nicht, Herr Bräutigam, das Gläßgen;
Denn solches kömmt sehr wohl mit Lieben überein,
Ein Kuß wird noch einmahl darnach so süsse seyn.
Hier schließt mein treuer Wunsch: Lebt, wie die Engel, friedlich;
Liebt emsig, keusch und treu, beständig, zärtlich, niedlich,
Die Ehe sey euch stets den schönsten Rosen gleich!
Und endlich merckt das Wort: Seyd fruchtbar, mehret euch!

Aus: Picanders Ernst-Schertzhaffte und
Satyrische Gedichte Anderer Theil Leipzig
In Commission zu haben bey Boetio Anno 1729 (S. 189-193)

_____



Die Sprache der Verliebten
Auf die G. und M. Hochzeit
Quedlinburg, den 26. Febr. 1726

Nichts ist so sinnreich, als die Liebe,
Und in Erfindung so geschwind,
Daß selbst Cartouch und seine Diebe
Dagegen nur wie Kinder sind;
Sie steckt so voller Schelmereyen,
Als Vögel in den Wäldern schreyen.

Was weniges nur zu berühren,
So nehme man zum Unterricht,
Wenn sie will ein Gespräche führen,
So brauchet sie die Zunge nicht,
Und kan sich doch so gut erklären,
Als wenn es laute Worte wären.

Ich habe zwar wohl zu befahren,
Daß mir die Lieb ein Urtheil fällt,
Wenn ich die Kunst will offenbaren,
Die sie so hoch und heimlich hält;
Doch, da ich selbst die Liebe meide,
Ist mir vor ihrem Zorn nicht leide.

Was die Verliebten sagen wollen,
Das legen sie durch Zeichen dar,
Und wenn wir das entdecken sollen,
So nehme man die Augen wahr,
Da kan man in den meisten Stücken
Den Schlüssel des Verstands erblicken.

Hell ausgespannte Augen-Lieder
Sind Zeugen, daß der Gegenstand
Im Lieben ihnen nicht zuwider,
Denn sie befinden ihn galant;
Darum bemühen sich die Augen,
Auf einmahl alles einzusaugen.

Wenn offt die Augen finster sehen,
Und Runtzeln in der Stirne sind,
So ist gewiß etwas geschehen,
Das man nicht gar zu wohl empfindt.
Dadurch verrathen die Gedancken,
Daß sich zwey Seelen müssen zancken.

Sind nun die Augen ausgedehnet,
Dreht sich der Apffel seitenwärts,
So wird geseuffzet und gesehnet,
Da ist die Liebe voller Schmertz,
Und bittet durch das Augen-Ringen
In ihrem Leiden beyzuspringen.

Wird das vom andern wahrgenommen,
Und eben so ein Blick gethan,
So ist es zur Erhörung kommen,
Denn dieses zeigt ein Beyleid an,
Und höret eines gerne klagen,
So weiß es auch nichts abzuschlagen.

Jedoch es sind noch andre Sachen,
Mit welchen die Verliebten sich
Einander können kundbar machen:
Die Kunst ist sehr veränderlich.
Man drückt einander bey den Händen,
Das heist, auf ewig sich verpfänden.

Auch will der Husten viel bedeuten,
Er dienet offt zum Losungs-Wort
Der abgeredten Heimlichkeiten,
Es könte heissen: Schatz, geh fort,
Die Mutter wird wohl feste liegen,
Da kan uns Kuß auf Kuß vergnügen.

Man machet offters Buntereyen,
Da man die Liebste nahe hat,
Da brauchts kein Reden oder Schreyen,
Die Knie sind an dessen statt;
Da geben sie ihr Liebes-Brennen
Einander heimlich zu erkennen.

Wenn alles dieses fehl gegangen,
So setzt man seine Feder an:
Da wird das ängstliche Verlangen
In einem Briefe kund gethan,
Der ist so kläglich, daß bißweilen
Der Bothe selber möchte heulen.

Geehrtes Paar, ich mags nicht wissen,
Wie ihr die Sprache habt geführt.
Ihr seyd dem Zwange nun entrissen,
Drum wird euch von mir gratulirt;
Der Segen, welcher euch wird laben,
Der müsse Händ und Füsse haben!


Aus: Picanders Ernst-Schertzhaffte und
Satyrische Gedichte Anderer Theil Leipzig
In Commission zu haben bey Boetio Anno 1729 (S. 241-244)

_____



Die Klugheit zu lieben
Auf die G. und K. Hochzeit
Hirschberg, den 26. Febr. 1726

Das ist schon ausgemacht, die Lieb ist nicht verbothen,
Vielmehr ein hoher Trieb, der aus den Sternen rührt,
Ist, der des Menschen Brust zu solchen Flammen führt.
Allein nur daran hängt der Knothen,
Daß offt die meisten nicht verstehn,
Wie in dergleichen Fall behutsam umzugehn.

Wer sich verlieben will, der prüfe seine Liebe,
Ob sie die Tugend auch zu ihrem Ziel bestellt;
Denn wenn ein eitle Lust den Regiments-Stab hält,
So sind es ungerathne Triebe.
Es ist ein Feuer, das wohl brennt,
Doch aber auch mehr Rauch, als helle Flammen kennt.

Das liebe Frauen-Volck wird offters hintergangen,
Wenn ein verliebter Geist nach ihrer Liebe strebt,
Man höre, wie er sie den Engeln gleich erhebt,
Ein kleiner Blick hat ihn gefangen:
Er schwöret, daß sein Leib und Geist
Der Schönen, die er liebt, auf ewig eigen heist.

Doch wenn mans untersucht, so hat ein schön Gesichte
Den Zunder zum Behuf der Wollust zugericht.
Das ist der rechte Zweck der wahren Liebe nicht,
Es sind nur lauter Affter-Früchte;
Denn kömmt die Sehnsucht zum Genuß,
So läst die Liebe nach, so folget der Verdruß.

Ein Mägdgen mercke das, und lasse sich nicht fangen,
Das Schmeicheln machts nicht aus; drum muß sie sparsam seyn,
Nicht allen räume sie den Mund zu küssen ein,
Noch thue gleich, was sie verlangen.
Denn Küssen ist nicht allezeit
Der Schatten  und das Mahl der wahren Zärtlichkeit.

Caressen kan zwar wohl die Liebe nicht entbehren,
Sie sind dem Zucker gleich, der Seelen angenehm,
Doch täglich zum Genuß ist solches unbeqvem,
Und wird in Galle sich verkehren.
Ein Kuß ist nur der Liebe Spiel,
Wem dieses wohl gefällt, der thue nicht zu viel.

Die keusche Sittsamkeit macht die beliebten Stricke,
Womit ein liebend Hertz ein anders binden kan.
Je mehr man was versagt, je mehr entzündet man;
Wer ernstlich liebt, geht nicht zurücke.
Was einem sauer wird gemacht,
Wird, wenn man es erlangt, um desto mehr geacht.

Man muß erst auf den Baum nach schwartzen Kirschen steigen,
Der Liebe Süßigkeit wird in der Müh erkannt;
Woran man lange baut, ist lange von Bestand,
Wer leicht liebt, läst sich leichte beugen.
Und wo die Tugend selbst mit freyt,
So schenckt der Himmel auch des Seegens Fruchtbarkeit.

Wenn ich ein Beyspiel soll von diesem allen weisen,
So stell ich aller Welt das neu verlobte Paar,
Das uns vor Augen steht, zu einem Spiegel dar.
Der Neid muß ihre Liebe preisen,
Die Tugend wünscht bey dieser Wahl:
Ach! machte man doch so die Ehen allemahl!

Das treulich meynende und liebende Gemüthe,
Die süsse Zärtlichkeit, der tugendhaffte Geist,
Und alles, was man sonst vor unvergleichlich preist,
Ist Beyderseits von gleicher Güte.
So, daß diß angenehme Zwey
An Seele, Geist und Sinn vollkommen einerley.

Die werthe Jungfer Braut hat in der That erwiesen,
Daß sie dem Nahmen nach mit Klugheit ausgerüst,
Da sie sich einen Mann, der liebens-würdig ist,
Zu ihrem Bräutigam erkiesen.
Der Himmel muß es selbst gestehn,
Daß Beyder Liebes-Gluth so tugendhafft als schön.

Der wird, Geehrteste, auch meinen Wunsch beglücken,
Es müsse Glück und Heyl um euch, wie Seulen, stehn!
Kein Fall vermöge nicht das feste Wohlergehn
Von seiner Staffel zu verrücken!
Geht, Werthe, geht nach eurer Ruh,
Die Liebe sieht mit Lust dem zarten Schertzen zu.


Aus: Picanders Ernst-Schertzhaffte und
Satyrische Gedichte Anderer Theil Leipzig
In Commission zu haben bey Boetio Anno 1729 (S. 244-247)

_____



Die Krankheiten der Liebe
Bey der K. und H. Hochzeit 1738

Verliebte haben stets zu kranken,
Denn, was sie ansehn, macht verwundt;
Sie sind in Worten und Gedanken
Nicht einen halben Tag gesund.
Sie fühlen auch nicht kleine Schmertzen,
Bald bluthen sie in ihren Hertzen,
Bald brennen sie den Fackeln gleich;
Bald wollen sie vor Liebe sterben,
Bald sehn sie höllisches Verderben,
Und bald darauf das Himmelreich.

Das Uebel, das sie erstlich spüren,
Ist schlimmer als der kalte Brannt.
Der eine klagts den stummen Thüren,
Der andre sagts der stillen Wand.
Man liebet was, und wills nicht wagen
Das Wort der Schönen vorzutragen:
Ob sie uns Liebens werth erkennt;
Und dieses machet so viel Hitze,
Die ärger, wie der heiße Grütze
Die übereilten Lippen brennt.

Dann zieht die Liebe nach den Füßen,
Und raset wie das Zipperlein;
Man ist mit aller Kraft beflissen
Der Liebsten angenehm zu seyn.
Man zeiget sich wie eine Plage,
Die funfzehn mal in einem Tage
Ihr vor den Augen kläglich steht.
Man sucht durch artige Geberden
Ihr hold und angenehm zu werden,
Bis ihr die Noth zu Hertzen geht.

Das Chiragra kömmt auch geschritten,
Man will nur erstlich um die Gunst,
Die Hand zu küssen, sich erbitten,
Denn dieses braucht schon große Kunst.
Man denkt mit solchen kleinen Streichen
Sich immer näher einzuschleichen.
Und in der That verfehlt man nicht.
Die Liebe steigt, wie auf der Leiter,
Die schlaue Hand führt endlich weiter
Den Trieb der Sehnsucht ins Gesicht.

Wenn nun Verliebte das gewinnen,
Daß Mund und Mund einander küßt,
So fängt der Trieb an nachzusinnen,
Was noch der Sehnsucht Mangel ist.
Da kömmt die Ohnmacht in die Glieder,
Daraus erholt sie sich nicht wieder,
Bis sich ein freudig Ja! entschleußt,
Das dem Verlangen und dem Willen
Ein noch verborgenes Erfüllen
In eigener Gestalt verheist.

Das schöne Ja! versüßt am Ende
Die ausgestandne Bitterkeit;
Es schafft zuletzt vor Füß und Hände
Die völlige Zufriedenheit.
Das hat mehr unerforschte Stärke
Als sonsten alle Wunderwerke,
Die denen Kranken dienlich seyn;
Und das unsägliche Vergnügen,
Da Zwey und Zwey beysammen liegen,
Bekommt der Sehnsucht ungemein.

Geliebter Freund, nun seyn die Schmertzen,
Bey Deiner Hochzeit überhin;
Die Panacee zu Deinem Herzen
Ist Deine werthe H----.
Die heilet Dich von allem Uebel.
Wir aber wünschen nach der Bibel:
Seyd fruchtbar und vermehrt die Welt!
Seyd stets gesund! Doch, müßt Ihr kranken,
So habt die tröstlichen Gedanken,
Daß Hännßgen aus dem Keller fällt.


Aus: Picanders neu herausgegebene
Ernst. Scherzhaffte und Satyrische Gedichte
Fünfter und letzter Theil
Leipzig verlegts Johann Gorrfried Dyck 1751 (S. 119-121)

_____



Wie die Krankheiten der Liebe zu heilen
Auf die S. und H. Hochzeit 1738

Jüngst legte sich die Venus nieder,
Und stellte sich recht tödtlich krank;
Sie sprach: Mir zittern alle Glieder,
Es eckelt mir vor Speis und Trank.
Darauf befahl sie ihren Leuten:
Schafft einen wackern Doctor an,
Der mir von meinen Mattigkeiten,
So bald als möglich, helfen kann.

Da kam ein Mann in grauen Haaren,
Der über ein halb hundert Jahr
In seinem Handwerk wohl erfahren,
Und überhaupt sehr glücklich war,
Der sprach: Wir haben nichts zu sorgen,
Ich weis schon, was ihr helfen muß.
Sie nehme täglich alle Morgen
Von diesem meinem Spiritus.

Die Kranke war sehr wohl zufrieden,
Und sprach: das muß kein Stümper seyn,
Daß er mir Spiritus beschieden,
Denn Pillen nähm ich doch nicht ein.
Doch bald drauf klagt der Patiente:
Der Alte hat mir nur geschadt;
Er wollte gerne, wenn er könnte,
Sein Spiritus ist nur zu matt.

Ein ander, den man zu ihr führte,
War annoch munter, frisch und jung,
Und als er ihr den Puls berührte,
So fühlte sie schon Linderung;
Er drückte sie, sie drückt ihn wieder,
Und dieser ausgelernter Staar
Errieth es durch die Augenlieder,
Was ihrer Krankheit Ursprung war.

Er sprach: vor alle solche Mängel
Helf ich auch nur mit Spiritus.
Ach! sagte sie: Mein Herzensengel,
Nur keinen matten Spiritus.
Hierauf umschloß er ihre Wangen
Mit einem feurig zarten Kuß;
Ey! sprach sie, das ist mein Verlangen,
Verbleib bey diesem Spiritus.

Jedoch, ich sag es ohne Schämen,
Etwas des Morgens nur einmal
Von dieser Arzeney zu nehmen,
Ist eine gar zu kleine Zahl.
Auch warte nicht, bis ich dir sage,
Komm selbst, und gieb mir öfters ein;
Denn tausendmal in einem Tage
Wird meine rechte Dosis seyn.

Der Doctor sprach: Bey solchen Sachen
Darf ich nicht von der Stelle gehn.
Ich will bey Deinem Bette wachen,
Um augenblicklich beyzustehn.
Nein! sprach sie: über deine Glieder
Gieng es nur allzu heftig her,
Komm, leg dich lieber bey mir nieder,
So wird es Dir nicht halb so schwer.

Das brauchte keine Complimente,
Der Doctor legte sich zu ihr,
Und der so schwache Patiente
Rief immer: Ey wie wohl wird mir!
Ihr Jungfern, sagte sie noch weiter,
Was euch am besten helfen kann,
Sind weder Spiritus noch Kräuter,
Es ist allein ein lieber Mann.

Der wird auch unsre Braut vergnügen,
So oft ihr zartes Herze schmacht;
Bey Beyden wird der Seegen liegen,
Der Kuß und Liebe fruchtbar macht.
Die Cur wird ihren Meister loben.
Und wenn die Zeit neun Monden schließt;
So sehn wir selber aus den Proben,
Daß das Recept probatum ist.

Aus: Picanders neu herausgegebene
Ernst. Scherzhaffte und Satyrische Gedichte
Fünfter und letzter Theil
Leipzig verlegts Johann Gorrfried Dyck 1751 (S. 122-124)

_____



Liebe und Gegen-Liebe

1.
Ich muß mein Schicksal doch betrügen
Und seiner Folter widerstehn;
Denn ich will allem Mißvergnügen,
Beständig aus dem Wege gehn.
Ich will nichts hören, sehn und wissen
Womit ich sonst gemartert bin;
Und liegt es mir so lang an Füssen,
So schleich ich sachte drüber hin.

2.
Den Endzweck leichte zu erlangen,
So hab ich mir was auserwählt,
Dem nichts an Augen, Brust und Wangen,
Nichts an Verstand und Anmuth fehlt.
Und kurz: ich lieb ein artig Schätzgen
Von dem mir stets was süsses träumt,
Das hat mir auch bereits ein Plätzgen
In seinem Herzen eingeräumt.

3.
Wir küssen uns in aller Stille,
So daß es auch der dritte Mann
Durch keine scharf geschliffne Brille
Nicht in der Nähe sehen kann.
Wir küssen uns doch nie zu lange;
Denn wenn ihr Mund von meinem weicht,
So wird dem Herzen angst und bange,
Bis sie mir wieder Küsse reicht.

4.
Sie küßt so brünstig als ich küsse,
Wir schließen unsre Brust an Brust.
Mir schmeckt es gut, ihr deucht es süsse,
Ein gleicher Trieb, macht gleiche Lust.
Wir reden nur mit stummen Blicken,
Und nimmt die Sehnsucht etwas wahr,
So reichen wir uns mit Entzücken
Das Labsal treuer Lippen dar.

5.
Wir sind ein Herz und eine Seele,
Ein Wille und ein Sinn und Muth.
Wenn ich ihr meine Treu erzehle,
So sagt sie mir: ich bin dir gut.
Und wenn wir ja zusammen streiten,
Und kalt in unsern Scherzen seyn,
So thun wir es nur vor den Leuten
Und schläfern ihren Argwohn ein.

6.
Und wenn ich denn zu manchen Zeiten
Der Ruhe nicht mehr Meister bin,
So trag ich meine Bangigkeiten
Zu meinem lieben Schätzgen hin.
Kaum hat ihr Auge mich empfangen,
Und mich mit Lächeln angeblickt,
So sind die Grillen schon vergangen
Und nach Egypten fortgeschickt.

7.
Wenn sich zwey Herzen also lieben,
Das ist ein ander Himmelreich,
Da hört, da sieht man kein Betrüben,
Da fühlt man keinen Unglücksstreich;
Da muß die Wermuth süsse schmecken,
Das Aechzen wird zum Malvasier;
Da stellen uns die Dornenhecken
Ein sanftes Schwanenbette für.

8.
Ach! fiele doch dem frommen Himmel
Auch dieses was wir wünschen ein;
So sollt uns Brod mit Salz und Kümmel,
Wie Marcipan und Honig seyn.
Dir, Liebe, sey es anbefohlen,
Sey mein getreuer Helfersmann,
Damit ich ferner heise Kohlen
Auf meine Sorgen sammlen kann.

Aus: Picanders neu herausgegebene
Ernst. Scherzhaffte und Satyrische Gedichte
Fünfter und letzter Theil
Leipzig verlegts Johann Gorrfried Dyck 1751 (S. 385-387)

_____



Lieben und recht meynen

Amor, dein zärtliches Spiel
Martert das Herze zu viel.
Schmeicheley Kuß und Scherz
Reizen ein muntres Herz:
Aber beständige Treu
Findet sich selten dabey.

Soll es nun also geschehn,
Daß du mich trennend wilst sehn,
O! so gieb her dein Joch:
Aber versprich auch doch
Meiner treu liebenden Brust
Eine beständige Lust.

Schweige, verführender Mund,
Mache mein Herze nicht wund;
Liebst du mich aber treu,
Sag und bekenn es frey.
Merke nur dieses, mein Licht,
Teusche die Redlichkeit nicht.

Suchet dein flatternder Kuß
Einen nur kurzen Genuß;
Ey so verlasse mich,
Mein Herz ist nicht vor dich,
Welches nur davor entbrennt,
Wenn es die Falschheit nicht kennt.

Amor, drum gieb es mir ein,
Welches der Liebste soll seyn.
Sag es mir selbst einmal
Welches die beste Wahl,
Strafe mein liebendes Herz,
Niemals mit Reu und mit Schmerz.


Aus: Picanders neu herausgegebene
Ernst. Scherzhaffte und Satyrische Gedichte
Fünfter und letzter Theil
Leipzig verlegts Johann Gorrfried Dyck 1751 (S. 388-389)

_____


 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Friedrich_Henrici





 

Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite